Ökumenisches Heiligenlexikon

Oskar Brüsewitz

Gedenktag evangelisch: 18. August

Name bedeutet: Gott schützt (althochdt.)

Pfarrer
* 29. Mai 1929 in Willkischken, heute Vilkyškai in Litauen
22. August 1976 in Halle in Sachsen-Anhalt


Oskar Brüsewitz
Oskar Brüsewitz

Im 2. Weltkrieg beendete Oskar Brüsewitz seine Schulzeit im Alter von 14 Jahren mit einem Notabschluss, bald darauf wurde er noch als Hitlerjunge zum Kriegsdienst eingezogen. Seine Familie flüchtete dann nach Osnabrück. Hier machte er sich selbständig und legte als jüngster Schuhmacher Niedersachsens 1951 seine Meisterprüfung ab. Nach dem Krebstod seiner Mutter 1949 heiratete er 1951, zog nach Hildesheim und wurde Vater einer Tochter. Die Ehe scheiterte kurz darauf, er zog, um einen neuen Anfang zu machen, nach Weißenfels bei Leipzig und arbeitete dort in der damaligen Schuhfabrik Banner des Friedens. Er fühlte sich berufen zur Verkündigung, musste seine Ausbildung am Predigersemnar - damals im ehemaligen Augustinerkloster - in Wittenberg aber wegen eines Magenleidens nach wenigen Wochen aufgeben und begann in Markkleeberg bei Leipzig als selbständiger Schuhmacher zu arbeiten; bald schon beschäftigte er zehn Angestellte.

1955 heiratete Brüsewitz die Krankenschwester Christa Roland, die er in einer freikirchlichen Gemeinde kennengelernt hatte und die ihm zum Geschenk Gottes wurde. Bereits damals trat er mit öffentlichen Aktionen hervor, die von einigen Gemeindemitgliedern und der Staatssicherheit der DDR misstrauisch beobachtet wurden: im Schaufenster seines Betriebes konnte man biblische Darstellungen betrachten, daneben hing ein Schaukasten mit christlichen Schriften; er pachtete ein Grundstück und versah es mit einem Schild Evangelischer Jugendspielplatz. Nach drei Herzanfällen und einjähriger Genesungszeit zog die Familie 1960 nach Weißensee bei Sömmerda, wo er - weil sich sonst keine Räumlichkeit fand in einem alten Eisenbahnwaggon - eine neue Werkstatt einrichtete, die aber 1963 in eine Produktionsgenossenschaft überführt wurde.

Beruflich an weiterer Entwicklung gehindert, engagierte sich Brüsewitz stärker in der Kirche, organisierte Evangelisationswochen, versuchte mit ausgefallenen und originellen Ideen öffentlichkeitswirksam missionarisch zu wirken. Nach seinem Boykott einer Wahl und seinem öffentlichen Kommentar - Ich habe schon gewählt, nämlich Christus - kam es zu einer Hausdurchsuchung. 1964 trat er mit Unterstützung von Pfarrern, die seinen Glaubensernst anerkannten, in die Predigerschule - untergebracht im ehemaligen Augustinerkloster - in Erfurt ein. Das Studium war für den 36-jährigen wegen seiner ungenügenden Schulbildung eine Herausforderung; im Frühjahr 1969 konnte er es erfolgreich abschließen.

Pfarrhaus in Rippicha
Pfarrhaus in Rippicha

1970 wurde Brüsewitz Pfarrer im Dorf Rippicha und dem benachbarten Droßdorf, wo seine handwerkliches Geschick, sein Missions-Eifer und seine einfallsreichen Gottesdienste bald ein lebhaftes Gemeindeleben erzielten. Mit ständig neuen Einfällen gelang es ihm, besonders auch Kinder und Jugendliche anzusprechen, und er erwarb sich den Ruf, eines Pfarrers, mit dem man reden kann. Zum Symbol wurde das drei Meter hohe Neon-Kreuz auf dem Kirchturm, das die Autofahrer auf der zwei Kilometer entfernten Bundesstraße 2 grüßte. Trotz massivster Drohungen der staatlichen Organe wurde es bis zu seinem Tod nicht entfernt.

Im Herbst 1970 drohte der Rat des Kreises Brüsewitz' Superintendenten, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung und Hausfriedensbruch gegen Brüsewitz eingeleitet oder er in eine Nervenklinik eingeliefert werden könnte. Dennoch unternahm er weitere Plakat-Aktionen: dem SED-Plakat 25 Jahre DDR setzte er seines mit der Losung 2000 Jahre Kirche Jesu Christi entgegen. Großes Aufsehen erregte er 1975 mit einer Fahrt von Rippicha nach Zeitz per Pferdefuhrwerk, auf dem er den Spruch angebracht hatte: Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott - eine Replik auf den SED-Spruch Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein. Trotz bester Schulzeugnisse wurde seiner Tochter ein Studium verweigert. Schwierigkeiten hatte er mit Verwaltungsarbeit und Bürokratie. Die Menschen bewunderten zwar seinen Mut, wagten aber aus Angst vor Repression nicht mehr, sich zu ihm zu bekennen; seine Kirche wurde leerer.

Kirche in Rippicha, gekrönt mit dem von Brüsewitz installierten Kreuz mit Leuchtstoffröhren
Kirche in Rippicha, gekrönt mit dem von Brüsewitz installierten Kreuz mit Leuchtstoffröhren

Nach der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975 versuchte die DDR-Regierung, das Verhältnis zu den Kirchen zu entspannen. Gleichzeitig wurde zunehmender Druck auf die Kirchenleitung ausgeübt, den Störenfried Brüsewitz aus Rippicha zu entfernen. Im Kirchenkreis mehrten sich Rückfragen an seine eigenwillige Führung des Pfarrdienstes und seine Pflichten zu korrekter Verwaltung. So wurde beschlossen, im September 1976 in Rippicha eine Visitation durchzuführen - solche Visitationen werden regelmäßig gemacht, um Erfahrungen aufzunehmen und gegebenenfalls Schwierigkeiten zu klären, verbunden mit der präzisen Durchsicht der Vermögensverhältnisse der Gemeinde und der Finanzverwaltung. Brüsewitz hat die Ankündigung als Bedrohung empfunden. Im Juli 1976 besuchte ihn sein Vorgesetzter, Probst Bäumer, und legte ihm nahe, die Pfarrstelle zu wechseln; dies sei nicht nur aus politischen Gründen sinnvoll, sondern auch, um einen Neuanfang in seiner kirchlichen Arbeit zu machen.

Foto des Staatssicherheitsdienstes der DDR: Plakat von Oskar Brüsewitz am Ort seiner Selbstverbrennung
Foto des Staatssicherheitsdienstes der DDR: Plakat von Oskar Brüsewitz am Ort seiner Selbstverbrennung

Am Morgen des 18. August 1976 bat Brüsewitz seine Tochter Esther, für ihn das Kirchenlied So nimm denn meine Hände (EG 376) zu spielen, danach verließ er das Haus und fuhr mit seinem Wartburg Camping in die Kreisstadt Zeitz, wo er vor der Michaelskirche anhielt und ein zweiteiliges Plakat auf das Dach seines Autos stellte, das die Aufmerksamkeit der Menschen erregte.

Aus einer großen Milchkanne übergoss Brüsewitz sich mit Benzin und zündete sich an. Drei bis vier Meter hoch schlugen Flammen empor, der Pfarrer in seinem Talar und das Auto brannten lichterloh. Vor Leuten, die ihm helfen wollten, rannte er weg und auf die Superintendentur zu, während die Glocken der Michaelskirche für eine Beerdigung zu läuten begannen. Etwa 300 Menschen wurden Zeugen des Fanals. Im Abschiedsbrief an seine Tochter drückte er seine Kritik an der Inkonsequenz seiner Kirche aus.

Brüsewitz wurde zunächst ins damalige Krankenhaus - heute ein Ärztehaus - in Zeitz und dann ins Bezirkskrankenhaus nach Halle gebracht, wo er vier Tage später seinen Verbrennungen erlag. Die Nachricht von der Selbstverbrennung verbreitete sich blitzschnell. Für die SED-Führung war sie die schlimmste Provokation seit dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953; mit allen Mitteln versuchte sie, die Tat geheim zu halten. Zur Organisation der Beerdigung am 26. August in Rippicha arbeiteten staatliche und kirchliche Vertreter zusammen, um eine politische Beerdigung zu verhindern. Trotzdem wurde sie zu einer Art Demonstration, zu der Hunderte von Pfarrern aus der gesamten DDR anreisten.

Mitteilung des Inhalts des Abschiedsbriefes von Oskar Brüsewitz an den Pfarrkonvent in Zeitz durch die Kirchenleitung Magdeburg
Mitteilung des Inhalts des Abschiedsbriefes von Oskar Brüsewitz an den Pfarrkonvent in Zeitz durch die Kirchenleitung in Magdeburg

Die Tat von Oskar Brüsewitz wurde zu einem Prüfstein der Evangelischen Kirche in der DDR, das Konzept Kirche im Sozialismus neu zu überdenken. Die Kirchenleitung in Magdeburg stellte sich von Anfang an hinter Brüsewitz und wehrte alle Versuche ab, ihn zum Geisteskranken zu stempeln. Und sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie seinen Weg zwar nicht guthieß, wohl aber sein Anliegen als flammende Anklage auch an die Kirche selbst verstand. Zugleich musste die DDR-Führung erkennen, dass der Konfrontationskurs mit der Kirche wenig Erfolg versprechend war und Widerstand hervorrief; sie begann nun eine Politik der Schadensbegrenzung, die mit dem Gespräch zwischen Kirchenleitungen und DDR-Führung im März 1978 symbolträchtig demonstriert wurde.

Gedenksäule für Brüsewitz vor der Michaelskirche in Zeitz
Gedenksäule für Brüsewitz vor der Michaelskirche in Zeitz

Die Evangelische Kirche würdigte Brüsewitz in dem im Jahr 2000 herausgegebenen Sammelband Zeugen einer besseren Welt zusammen mit Opfern des Bolschewismus wie Traugott Hahn und des Nationalsozialismus wie Dietrich Bonhoeffer oder Werner Sylten; sein Schicksal zeige, in wie komplexer Weise sich Verzweiflung und Entschlossenheit mischen konnten. Am Vorderhaus der damaligen Schuhmacherwerkstatt in Markkleeberg erinnert eine Gedenktafel an Oskar Brüsewitz. Auf dem Platz vor der Michaelskirche in Zeitz, auf dem die Selbstverbrennung stattfand, wurde auf Initiative der Hilfsaktion Märtyrerkirche 1991 eine Gedenksäule - nur mit Name und Todesdatum - aufgestellt, die 2019 die Zusatztafel zur Information erhielt.





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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 28.10.2023

Quellen:
• http://www.bruesewitz.org/fanal-text.html nicht mehr erreichbar
• http://www.mdr.de/geschichte/personen/125694.html nicht mehr erreichbar
• Björn Mensing: Die Blutzeugen kommen wieder. Deutsches Pfarrerblatt 11/2000
• https://predigerseminar.de/index.php?option=com_content&view=article&id=34&Itemid=227&lang=de - abgerufen am 30.08.2023
• https://www.mz.de/lokal/zeitz/gedenkstatte-fur-verbrannten-pfarrer-warum-brusewitz-saule-in-zeitz-fur-arger-sorgt-1481523 - abgerufen am 26.10.2023
• https://www.zeit.de/news/2021-08/15/gedenken-an-selbstverbrennung-von-pfarrer-oskar-bruesewitz - abgerufen am 26.10.2023

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.


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