Ökumenisches Heiligenlexikon

Wilgefortis

auch: Kümmernis
weitere Namen: Hilgefortis, Kummernus, Ontcommer, Hülpe, Liberata, Eutropia, Caritas
französischer Name: Affligée
spanischer Name: Librada

1 Gedenktag katholisch: 20. Juli
nicht gebotener Gedenktag im Bistum Siguenza-Guadalajara

Name bedeutet: W: von starkem Willen (althochdt. - latein.)

Märtyrerin
um 130 in Portugal


Nachfolger von Stefan Lochner: Wilgefortis/Kümmernis in der klassischen Darstellung als Gekreuzigte, mit Bart, vor sich der goldene Schuh und der Spielmann, Fresko, um 1460, in der Stiftskirche Sankt Lambertus in Düsseldorf
Nachfolger von Stefan Lochner: Wilgefortis / Kümmernis in der klassischen Darstellung als Gekreuzigte, mit Bart, vor sich der goldene Schuh und der Spielmann, Fresko, um 1460, in der Stiftskirche Sankt Lambertus in Düsseldorf

Wilgefortis ist eine legendäre Volksheilige, deren Wurzeln in der Frühzeit der Christianisierung Deutschlands liegen. Nach der erstmals im 15. Jahrhundert in den Niederlanden bezeugten Legende war sie die Tochter eines heidnischen Königs von Portugal, die Christin wurde und - um der Vermählung mit einem heidnischen Prinzen zu entgehen - Gott bat, ihr Aussehen zu entstellen. Als ihr daraufhin ein Bart wuchs, ließ der erzürnte Vater die Widerspenstige mit Lumpen bekleidet ans Kreuz schlagen, damit sie ihrem himmlischen Bräutigam gleiche. Die Sterbende predigte drei Tage lang vom Kreuz herab und bekehrte viele Menschen, darunter auch ihren Vater. Er ließ sie nun in kostbare Stoffe hüllen und errichtete nach ihrem Tod eine Kirche zur Buße.

Pedro Ruiz de Salazar: Ölbild, um 1630, in der Kathedrale in Santo Domingo de la Calzada
Pedro Ruiz de Salazar: Ölbild, um 1630, in der Kathedrale in Santo Domingo de la Calzada

Mit der Legende der Wilgefortis verbunden ist die Sage von dem armen Spielmann, dem sie - in einer späteren Fassung als Braut des Königs Oswald von Northumbrien - ihren goldenen Schuh zuwarf, als er vor ihrem Bild spielte. Er wurde wegen Diebstahls zum Tode verurteilt, durfte vor der Hinrichtung aber noch einmal vor der Heiligenfigur spielen. Zum Beweis seiner Unschuld löste sich nun auch der zweite silberne Schuh von ihrem Fuß und rollte bis zu den Füßen des Geigers.

Die Legende beruht auf einer Missdeutung bekleideter Kruzifixbilder vom Typus des Volto Santo in Lucca. Pilger aus Friesland hielten das für die Darstellung einer Frau und bildeten dann eine Legende dazu: das sei die Tochter eines heidnischen Königs, die Christin geworden sei und deshalb ans Kreuz geschlagen wurde; zu dieser vagabundierenden Legende gesellten sich verschiedene andere Legenden. Die volkstümliche Verehrung nennt sie Kümmernis, der Kult breitete sich - von den Niederlanden ausgehend - v. a. seit dem 15. Jahrhundert - im deutschsprachigen Raum, besonders in Bayern und Tirol, aus. Rund 1000 schriftliche und ikonografische Zeugnisse aus der Zeit von 1350 bis 1848 zeigen ihre Beliebtheit. Redensartlich werden entsprechende Vergleiche gezogen: Aussehen wie die heilige Kümmernis oder sein wie die heilige Kümmernis - sich um alles kümmern, überall eingreifen, sich fremde Sorgen zu den eigenen machen.

Wilgefortis wurde 1584/86 - als erste Frauenheilige überhaupt, d. h. speziell von Frauen angerufene Heilige, - ins Martyrologium Romanum aufgenommen, bei der Kalenderreform      Nach Abschluss und im Auftrag des => 2. Vatikanischen Konzils wurde im Jahr 1969 eine Liturgiereform in der römisch-katholischen Kirche durchgeführt; in diesem Rahmen wurden auch Änderungen im Römischen Generalkalender vorgenommen; der erneuerte wurde mit dem 1. Januar 1970 in Kraft gesetzt. aber wieder als unhistorisch gelöscht. Die Anrufung der heiligen Kümmernis war oft ein Notschrei von Frauen mit Gewalt- oder Inzesterfahrungen; nach einer Variante der Legende begehrte ihr Vater die Tochter in unnatürlicher Liebe. Der Kult erreichte in der Barockzeit seine Blüte und ist im 20. Jahrhundert in Mitteleuropa erloschen, in Südeuropa und Südamerika aber noch präsent als Sainte Affligée, Heilige Kümmernis.

Il Volto Santo (Ausschnitt) ohne Votivgaben

In Bamberg wird Wilgefortis in einer eigenen Kapelle der Kirche St. Gangolf dargestellt, dort wird die aus dem Jahr 1356 stammende, in der heutigen Form 1525 entstandene Skulptur aber Göttliche Hilfe genannt.

Attribute: als bärtige Frau, Dornenkrone, mit Geiger
Patron gegen Augenleiden, Gebärmutterkrankheiten, Unfruchtbarkeit; gegen Haarausfall

Stadlers Vollständiges Heiligenlexikon

Catholic Encyclopedia


Web 3.0 - Leserkommentare:

Leider beruht der Artikel hauptsächlich auf den Feststellungen von Gustav Schnürer (Gustav Schnürer / Joseph M. Ritz: Sankt Kümmernis und Volto Santo. Forschungen zur Volkskunde 13/15. Düsseldorf 1934), die seitdem zur herrschenden Meinung erstarrten. Der Kult wurde in Flandern nicht aus Volto-Santo-Bildern (so aber nach Schnürers Missverständnisthese) abgeleitet, sondern hat eigene Wurzeln (Regine Schweizer-Vüllers: Die Heilige am Kreuz. Studien zum weiblichen Gottesbild im späten Mittelalter und in der Barockzeit. Bern/Berlin u. a. 1997, S. 108, 118). Ebenso ist Schnürers Gleichordnung der drei Manifestationen der gekreuzigten Frau und ihre Zusammenfassung unter dem Oberbegriff Kümmernis unzutreffend. Vielmehr lassen sich drei historische Ausformungen des Kultes der gekreuzigten Frau feststellen, die in einer zeitlichen Abfolge in Flandern vom Wilgefortiskult ausgehen und für die jeweils eigene, charakteristische Ikonographien entwickelt wurden:
• St. Wilgefortis (um 1360),
• St. Ontkommer (um 1400) und
• hl. Kümmernis (ab 1470).
Den Bildern der Wilgefortis wie auch der Sint Ontkommer fehlen alle Merkmale des Volto Santo, des heiligen Kreuzes von Lucca. Sie zeigen deutlich eine Frau in Frauenkleidern am Kreuz umgeben von den Personen der Legende. In der Legende hat der Spielmann keinen Platz. Die Übernahme von Volto-Santo-Darstellungen für die Bilder der späteren Kümmernis geschah in Süddeutschland um 1470 erst nach dem Import des Ontkommerkultes vom Mittelrhein dorthin (nicht vor 1456). Sie begründete nicht den Kult, sondern war ein rein ikonographischer Akt. Nur die süddeutsche Kümmernis wurde in Volto-Santo-Art dargestellt. Die einheimischen Vorlagen für Volto-Santo-Wandbilder enthielten bereits den Spielmann, eigentlich das Schuhwunder (vom rechten Fuß des Korpus gleitet dem Spielmann der Schuh entgegen). Spielmann/Schuhwunder hatten die Funktion einer Garantie für die wahre Wiedergabe des hl. Kreuzes von Lucca gegenüber allen anderen Kruzifixen in der Tunika. Mit der Verwendung dieser Vorlagen wurde Ontkommer/Kümmernis mit dem Spielmann zusammengebracht in Bild und Legende. Erst die bildliche Verbindung führte zur neuen, zur Kümmernislegende, mit der Komposition der Heiligen und dem Spielmann. (Arndt Müller: Bilder des Volto Santo und der hl. Kümmernis im Ries und in seiner Umgebung. In: Rieser Kulturtage. Dokumentation Band XVI/2006. Nördlingen 2007, S. 309 – 354).
Der neue Kult wurde wie in Flandern / Südniederlanden auch in Süddeutschland in den Klöstern, hauptsächlich der Benediktiner/innen zur Unterstützung der Keuschheitsregel eingesetzt und wie für Wilgefortis/Ontkommer mit Altar und Liturgie ausgeführt. Bis 1500 kam er unter das Volk und wurde nach 1500 populär, siehe den bekannten Holzschnitt von Hans Burgkmair von 1507 mit der Kombination von Volto-Santo-Bild und dem neuen Legendentext. Nach Unterbrechung bzw. Beseitigung des Kultes durch die Reformation kam die Verehrung der Kümmernis zu neuer Blüte als Heilige der Gegenreformation mit weiter Verbreitung in Süddeutschland, Österreich, Tirol, Schweiz, Böhmen und in den Habsburgischen Ländern des heutigen Südpolens. Hierbei wurde sehr oft für die Kümmernis der offizielle Name Wilgefortis gebraucht, wie er seinerzeit im Martyrologium Romanum 1584 und in den Acta Sanctorum 1721 festgelegt worden war. Die östlichste bildliche Darstellung stammt aus der Westukraine (Berestetschko, 1743). In ihrer Ikonographie wurde nicht mehr das Volto-Santo-Vorbild verwendet, sondern das Formengut des jeweiligen Zeitstils mit zunehmender Betonung der Weiblichkeit. Ihre Hauptzuständigkeit war der Trost in psychischem Leid, Trübsal usw. Erst Aufklärung und vollends die kapitalistische Umwälzung der Lebensverhältnisse ab dem 19. Jahrhundert ließen den Kult vergehen. Daneben dauerte die Verehrung der Wilgefortis/Ontkommer in Flandern und den Südniederlanden bis heute an. (Peter Jan Margny/Charles Casper: Bedevaartsplaatsen in Nederland. Del 1: Noord- en Midden-Nederland. Del 2: Provincie Noord-Brabant. Meertens Instituut, Amsterdam/Verloren, Hilversum 1998).

Die im Artikel zu Recht erwähnte Dauer der Verehrung bis ins 19. Jahrhundert sollte vielleicht noch betonter formuliert werden.
Der Kult der gekreuzigten Frau in Flandern wie in Süddeutschland hat nichts mit der Frühzeit der Christianisierung Deutschlands zu tun. Der Kult ist sehr wahrscheinlich Frucht der religiösen und gesellschaftlichen Brüche des 14. Jahrhunderts, etwa der intensiven Christus-Minne, allgemein der Entwicklung einer persönlichen Frömmigkeit. Aus einer Altarstiftung in Gent 1391 kann auf eine Entstehung um 1360 geschlossen werden.
Die Spielmanns-Sage hat mit dem Thema nichts zu tun. Das Schuhwunder ist das älteste und bekannteste der mit dem Volto Santo verbundenen Wunder – bereits im 12. Jahrhundert aufgezeichnet.

Kreuzigung der heiligen Wilgefortis, 1446/1455, fotografiert um 1910, in der Evangelischen Kirche Sankt Nikolai in Rostock
Kreuzigung der heiligen Wilgefortis, 1446/1455, fotografiert um 1910, in der Evangelischen Kirche Sankt Nikolai in Rostock

Zur Bebilderung: der Schmuckanhänger des 18. Jahrhunderts zeigt eine Kümmernis, die – wie gesagt - zu der Zeit oft mit Wilgefortis bezeichnet wurde.
Das Wandbild in Düsseldorf diente zur Verehrung des Volto Santo: datiert in der Literatur zwischen 1444 und 1482 kann es nicht zur Verehrung der Kümmernis angebracht worden sein, die erst ab 1470 entstand. Die Lande am Niederrhein bis zur südlichen Ostseeküste waren ab 1420 Importgebiet für den Wilgefortis/Ontkommerkult. Das Bild ist eine Adelsstiftung, was typisch für die Volto-Santo-Wandbilder ist. Aus dieser frühen Zeit finden sich Volto-Santo-Bilder für die Kümmernisverehrung nur in wenigen schwäbischen und fränkischen Klöstern. In der zweiten Phase des Kümmerniskultes entstehen dann vor allem unpersönliche Propagandabilder mit Gebetsvorschlägen und Ex votoMit Ex voto (lateinisch: „aufgrund eines Gelübdes”) oder Votivtafel bezeichnet man Tafeln, die nach erfolgreicher Hilfe zur Erfüllung eines Gelübdes an den Ort der Gnade gebracht und dort ausgestellt werden, oft mit Darstellung der abgewendeten Notsituation.-Bilder. Adelige Verehrung erst im 18. Jahrhundert.
Das von den Geschwistern Walther, Augsburg, Mai 2011 eingesandte Foto aus Hollenbach zeigt eine Kümmernis von 1720 (Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Schwaben, 3. Aufl. 2008, S. 485). Sie wird hier - wie oben erwähnt - mit ihrem offiziellen Namen Wilgefortis benannt. Beweis ist der unbeschuhte rechte Fuß der Skulptur, der aus der ursprünglichen Volto-Santo-Vorlage stammt wie auch die Nagelung. Aus dem barocken Formengut kommt der bewegte Korpus mit leichter Betonung der Weiblichkeit. Möglicherweise war die Kruzifixa früher durch einen am Kreuzfuß knienden Geiger zu einem Ensemble ergänzt.
Vorschlag: Anstelle des Düsseldorfer V. S. das Wandbild der Ontkommer aus Rostock einstellen.

Arndt Müller über E-Mail, 10. Januar 2012

Wilgefortis in der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Hollenbach

Anbei eine Wilgefortis- Darstellung in der Pfarrkirche St. Peter und Paul zu Hollenbach im Landkreis Aichach-Friedberg.

Geschwister Erika und Hans-Jürgen Walther aus Augsburg über E-Mail, 5. Mai 2011


Diese Wilgefortis haben wir in der Église St. Étienne in Beauvais entdeckt.

Prof. Dr. Jens-Dieter Faulhaber aus Aalen über E-Mail, 29. Januar 2011














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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 01.04.2021

Quellen:
• Charlotte Bretscher-Gisinger, Thomas Meier (Hg.): Lexikon des Mittelalters. CD-ROM-Ausgabe J.B. Metzler, Stuttgart / Weimar 2000
• http://www.religioeses-brauchtum.de/sommer/heilige_kuemmernis.html
• http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_5207.html
• Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. Hrsg. von Walter Kasper, 3., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001
• https://www.domradio.de/themen/bist%C3%BCmer/2018-11-01/vom-appel-jupp-bis-zur-heiligen-kuemmernis-schraege-heilige-und-ihre-geschichten
• Annette Faber: Kath. Pfarrkirche St. Gangolf Bamberg, 3. Aufl. Schnell & Steiner, Regensburg 2020

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.


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