Ökumenisches Heiligenlexikon

Wilhelm von Saint-Thierry

französischer Name: Guillaume

1 Gedenktag katholisch: 8. September

Name bedeutet: der willensstarke Schützer (althochdt.)

Abt von Saint-Thierry, Mystiker
* um 1075 bei Lüttich (Liège) in Belgien
8. September 1148 in Signy, heute Signy-l’Abbaye in Frankreich


Wilhelm, Sohn einer Adelsfamilie, studierte in Lüttich, wo er Anselm von Canterbury und Petrus Abaelardus hören konnte, und in Lyon sowie in Reims. 1113 trat er als Benediktinermönch in die Abtei St-Nicaise in Reims ein. 1118 begegnete er erstmals Bernhard von Clairvaux, zu dem sich eine tiefe Freundschaft entwickelte und dessen Reformen zur Gründung der Zisterzienser er sich anschloss. 1121 wurde Wilhelm Abt des Klosters in St-Thierry bei Reims. Um 1127 wurde er krank und lag längere Zeit mit dem ebenfalls kranken Bernhard zusammen auf der Krankenstation im Kloster Clairvaux im heutigen Ortsteil von Ville-sous-la-Ferté - bei Troyes. Ab 1135 lebte er - als einer der Mönche, die Bernhard bei der Gründung des Klosters begleitet hatten - im damaligen Kloster Signy - dem heutigen Signy-l’Abbaye - in den Ardennen. 1143/44 besuchte er das Kloster Le Mont-Dieu der Kartäuser in den Ardennen.

In enger Verbindung mit Bernhard entwickelte Wilhelm seine mystische Theologie der Minnemystik. Die Erfahrung eröffnet den Weg der liebenden Einigung von Gott und Mensch; Sinnbild hierfür ist die erotische Vereinigung der Liebenden im Hohenlied des Alten TestamentsWir verwenden den Begriff Altes Testament, wissend um seine Problematik, weil er gebräuchlich ist. Die hebräische Bibel, der „Tanach” - Akronym für „Torah” (Gesetz, die fünf Bücher Mose), „Nevi'im” (Propheten) und „Kethuvim” (Schriften) - hat aber natürlich ihre unwiderrufbare Bedeutung und Würde.. Die Rolle der einigenden Liebe übernimmt der Heilige Geist; was sich zwischen den Personen der Dreieinigkeit Gottes als Beziehung abspielt, wird so zwischen dem dreinigen Gott und dem Menschen möglich und eröffnet einzigartige Gotteserkenntnis: amor ipse intellectus est, die Liebe selbst ist die Erkenntnis.

Vielen gilt Wilhelm von Saint-Thierry als der bedeutendste Theologe des 12. Jahrhunderts. Seine Werke umfassen 18 Schriften, die zwischen 1121 und 1148 entstanden; zur Spiritualität schrieb er De contemplando Dei, Über die Gottesschau und Orationes meditativae, Meditative Gebete - dreizehn kurze Texte, die eine Mischung aus Gebet, Meditation, Argumentation und seelsorgerlicher Rede sind, geschrieben für die Seelsorge an seinen Mönchen. Das Hauptthema der Zisterzienser, die Liebe, behandelte Wilhelm in seiner Schrift De natura et dignitate amoris, Über die Natur und Würde der Liebe 1. Hinzu kamen Schriften über das Klosterleben und seine Biografie über Bernhard von Clairvaux, dogmatische Schriften wie seine Auseinandersetzung mit den Sentenzen des Petrus Abaelard und mystisch geprägte Auslegungen des Hohenliedes, darunter Sammlungen der Werke von Ambrosius und Gregor I. zum Thema.

1215 wurde Wilhelms Leichnam aus dem Kreuzgang des Klosters Signy in die Klosterkirche überführt. Das Kloster wurde in der Französischen Revolution 1793 verkauft und dann vollständig abgerissen, heute steht an seiner Stelle eine Industriehalle.

Kanonisation: Die Erhebung der Gebeine in Gegenwart anderer Äbte im Jahr 1215 kam damals einer Seligsprechung gleich, im Zisterzienserorden wird Wilhelm deshalb als selig verehrt, das Martyrologium Romanum nennt ihn aber nicht.

1 Die genannten drei Werke liegen auch in neueren deutschen Editionen vor: Wilhelm von Saint Thierry und Hans Urs von Balthasar: Spiegel des Glaubens. Mit zwei weiteren Traktaten Über die Gottesschau, Über Würde und Natur der Liebe sowie Wilhelm von Saint-Thierry und Klaus Berger / Christiane Nord (Hrsg.): Meditationen und Gebete.

Worte des Seligen

Es gibt nämlich verschiedene Gebete. Die einen sind kurz und einfach, wie sie der Wille oder die Not des Betenden nach dem jeweiligen Ereignis formt. Die anderen sind länger und verstandesmäßig. Es sind das die Gebete von Menschen, die in der Erforschung der Wahrheit bitten, suchen und anklopfen, bis sie erhalten, finden und bis ihnen aufgetan wird (Matthäusevangelium 7, 7). Wieder andere sind feurig, voll geistlicher Eingebung und fruchtbar. Sie kommen aus der Liebe dessen, der Gott genießt, und aus der Freude über die erleuchtende Gnade.
Es sind das die Gebete, die der Apostel in einer anderen Reihenfolge anführt: inständiges Flehen, Gebete, Bitten und Danksagungen (1. Timotheusbrief 2, 1). Denn wir setzen die Bitte an die erste Stelle. Sie bezieht sich auf die Erlangung irgendwelcher zeitlicher und notwendiger Dinge dieses Lebens. Dabei prüft Gott den guten Willen des Bittenden und wirkt dennoch das, was er selbst für besser hält. Er gibt aber auch dem, der in rechter Weise bittet, dass er gerne seinem Willen folgt. Von dieser Bitte spricht auch der Psalmist: Denn mein Gebet erflehte bis jetzt, was ihnen gefällt. Das heißt: was auch den gottlosen Menschen gefällt. Diese Bitte ist nämlich allen gemeinsam, am meisten aber ist es die Bitte der Kinder dieser Welt. Sie wünschen sich die Ruhe des Friedens, die Gesundheit des Körpers, günstige Witterung und anderes, was das Bedürfnis und die Notwendigkeit dieses Lebens betrifft, und sogar das Vergnügen derer, die das Leben missbrauchen. Die nun vertrauensvoll darum bitten, mögen sie das auch nur aus Notwendigkeit erbitten, unterwerfen doch gerade darin ihren Willen dem Willen Gottes.
Das inständige Flehen ist ein ängstliches Drängen zu Gott hin während der geistlichen Übungen. Wer dabei, bevor die Gnade kommt, um zu helfen, das Wissen mehrt, mehrt nur den Schmerz (Kohelet / Prediger 1, 18).
Das Gebet aber ist eine liebende Zuwendung des Menschen, der Gott anhängt, ein vertrautes und frommes Gespräch, ein Verweilen des erleuchteten Geistes, um Gott zu genießen, solange es möglich ist.
Die Danksagung aber ist in der Erfahrung und Erkenntnis der Gnade Gottes die unermüdliche und dauernde Hinwendung des guten Willens zu Gott, auch wenn die äußere Handlung oder die innere Zuneigung einmal nicht vorhanden oder gelähmt ist. Von ihr spricht der Apostel: Das Wollen liegt mir nahe, aber das Vollbringen des Guten finde ich nicht (Römerbrief 7, 18). Er sagt damit gleichsam: Sie ist zwar immer da, aber manchmal liegt sie am Boden, das heißt, sie ist unwirksam, weil ich das Vollbringen des Guten suche, aber nicht finde. Das ist die Liebe, die niemals aufhört (1. Korintherbrief 13, 8).
Das ist aber jenes Gebet ohne Unterlass, oder jene Danksagung, von der der Apostel spricht: Betet ohne Unterlass! Seid immer dankbar! (1. Thessalonicherbrief 5, 17f) Dieses Gebet kommt aus einer beständigen Güte des Herzens, eines wohlgeordneten Geistes und ist bei den Söhnen Gottes ein Abbild der Güte Gottes, des Vaters. Eine solche Seele betet immer für alle (Kolosserbrief 1, 9) und dankt Gott bei allem (1. Thessalonicherbrief 5, 18). Der fromme Sinn ergießt sich beständig auf so viele Weisen im Gebet oder in der Danksagung vor Gott, wie viele Gründe er in seinen Nöten und Tröstungen, oder auch in Mitleid und Mitfreude mit dem Nächsten findet. Dieses Gebet ist ganz und beständig Danksagung. Denn wer so ist, ist immer in der Freude des Heiligen Geistes.

Quelle: Wilhelm von Saint-Thierry: Brief an die Brüder vom Berge Gottes - Goldener Brief. In: Texte der Zisterzienser-Väter, Bd. 5, hrsg. von der Zisterzienserinnen-Abtei Eschenbach 1992, S. 74 - 76

Zitat von Wilhelm von Saint-Thierry:

Gott, keiner sucht dich, ohne dich zu finden,
denn die aufrichtige Suche im Herzen des Suchenden ist schon Beweis dafür, dass er die Wahrheit bereits irgendwie gefunden hat.
Finde du uns, damit wir dich finden!
Komm du zu uns, damit wir bei dir seien und in dir leben, denn es kommt nicht auf unser Wollen und Streben an, sondern auf dein Erbarmen [Römerbrief 9, 16].
Gieße uns als erstes deinen Geist ein, damit wir zum Glauben kommen;
stärke uns, damit wir hoffen;
Locke uns heraus und entzünde uns, damit wir lieben.
Lass uns ganz dein sein, damit uns das Geschenk zuteil wird, in dir zu sein, in dem wir leben, uns bewegen und sind [Apostelgeschichte 17, 28].
Amen.

Quelle: Wilhelm von Saint-Thierry: Über den Glauben. In: Zisterziensische Spiritualität für den Alltag, Heft 7, 2008, S. 20

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn,
für die Katholische SonntagsZeitung

Catholic Encyclopedia

Schriften von Wilhelm und seine Lebensgeschichte gibt es online zu lesen in den Documenta Catholica Omnia.

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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 27.07.2022

Quellen:
• Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. Hrsg. von Walter Kasper, 3., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001
• http://www.bautz.de/bbkl/w/wilhelm_v_th.shtml

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.


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