Ökumenisches Heiligenlexikon

aus dem Lateinischen von Richard Benz Hinweise zur Legenda Aurea

Von Sanct Martinus dem Bischofe


Martinus ist soviel als Martem tenens, das ist, der einen Krieg hat wider die Sünden und Laster. Oder es ist soviel als martirum unus, der Märtyrer einer; denn er war ein Märtyrer nach seinem Willen und in der Ertötung des Fleisches. Oder Martinus ist verdolmetschet: der da reizt, oder der herausfordert, oder der regieret. Denn durch das Verdienst seiner Heiligkeit reizte er den Teufel zum Neid, er forderte Gott heraus zur Barmherzigkeit, und herrschte über sein Fleisch durch immerwährende Ertötung. Denn es muss die Vernunft oder der Geist über das Fleisch herrschen als ein Herr über den Knecht, oder als ein Vater über den Sohn, oder als ein Alter über einen fürwitzigen Jungen; das schreibt Dionysius in dem Brief an Demophilus. Martini Leben hat uns beschrieben Severus mit dem Beinamen Sulpicius, Sanct Martini Schüler, welchen Gennadius zählt unter die berühmten Männer.


Martinus ist zu Pannonien geboren von der Stadt Sabaria, doch ward er erzogen zu Pavia in Italien. Sein Vater war der Ritterschaft Meister, mit dem kämpfte er unter den Kaisern Julianus und Constantinus, doch nicht von eigenem Willen, denn er war von seiner Jugend auf voll göttlicher Gnaden. Da er zwölf Jahre alt war, lief er wider der Eltern Willen in der Christen Gesellschaft und ließ sich den Glauben lehren; und wäre darnach auch in die Wüste gegangen, wenn nicht die Schwachheit seines Leibes dem hätte widerstanden. Nun hatten die Kaiser das Gebot gegeben, dass die Söhne der alten Ritter für ihre Väter sollten kriegen; also geschah, dass Sanct Martinus seines Alters im fünfzehnten Jahr musste Ritterschaft an sich nehmen. Er ritt nicht mehr denn mit einem Knecht, demselben diente er mehr, denn ihm der Knecht diente, und zog ihm oft seine Schuh ab und putzte sie. Es geschah an einem Wintertag, dass er ritt durch das Tor von Amiens, da begegnete ihm ein Bettler, der war nackt und hatte noch von niemandem ein Almosen empfangen. Da verstund Martinus, dass von ihm dem Armen sollte Hilfe kommen; und zog sein Schwert und schnitt den Mantel, der ihm allein noch übrig war, in zwei Teile, und gab die eine Hälfte dem Armen, und tat selber das andere Teil wieder um. Des Nachts darnach sah er Christum für ihn kommen, der war gekleidet mit dem Stücke seines Mantels, das er dem Armen hatte gegeben. Und der Herr sprach zu den Engeln, die um ihn stunden, "Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit diesem Kleide gekleidet". Davon ward aber der Heilige nicht hoffärtig, sondern er erkannte Gottes Güte; und ließ sich taufen, da er seines Alters war achtzehn Jahre. Doch blieb er auf seines Meisters Bitten noch zwei Jahre lang bei der Ritterschaft; dafür gelobte ihm dieser, dass er der Welt wolle absagen, wenn sein Amt um wäre. Zu den Zeiten fielen die Barbaren in Gallien ein; da zog der Kaiser Julianus wider sie zu Streit, und gab seinen Rittern großen Lohn. Martinus aber wollte fürder nicht kämpfen, und wollte des Geldes nicht empfahen, sondern sprach zu dem Kaiser "Ich bin ein Ritter Christi, darum ziemt mir nicht zu kämpfen". Da sprach Julianus voll Unmuts, er ließe den Dienst nicht um seines Glaubens willen, sondern aus Furcht vor dem drohenden Kriege. Da antwortete ihm Martinus mit unverzagtem Sinn "Mißt man dies meiner Feigheit zu und nicht meinem Glauben, so will ich mich morgenden Tages bloß von Waffen vor das Heer stellen, und mit dem Kreuz allein statt Schild und Helm beschirmt im Namen Christi unversehrt durch die Scharen der Feinde brechen". Also ward geboten sein zu hüten, dass er ohne Waffen, als er sich hatte vermessen, werde den Barbaren entgegengestellt. Doch des anderen Tages sandten die Feinde Boten und gaben sich und alles ihr Gut in des Kaisers Hand. Und ist nicht zu zweifeln dass dieser unblutige Sieg um der Verdienste des Heiligen willen verliehen ward. Darnach ließ Martinus die Ritterschaft, und kam zu Sanct Hilarius, dem Bischof von Poitiers, der weihte ihn zum Acolyten. Da ward er des Nachts im Traum vom Herrn ermahnt, seine Eltern zu besuchen, die annoch Heiden waren. Und da er sich auf den Weg machte, sagte er zuvor, dass er viel Widerwärtigkeit leiden sollte. Also fiel er in den Alpen unter die Räuber; da aber einer ihm mit der Axt nach dem Haupte schlug, hielt ein anderer die Hand des Schlagenden auf. Doch banden sie ihm die Hände auf den Rücken und gaben ihn der Räuber einem zu hüten. Der fragte ihn, ob er nicht in großer Furcht wäre gewesen. Antwortete Martinus "Ich war nie so sicher, denn Gottes Erbarmen ist in der Not am nächsten". Und hub an und predigte dem Räuber; und bekehrte ihn zum Christenglauben. Da führte der Räuber Martinum wieder auf die rechte Straße, und endete darnach sein Leben in guten Werken. Da Sanct Martinus bei Mailand war vorüber gezogen, begegnete ihm der Teufel in menschlicher Gestalt, und fragte ihn, wohin er führe. Der Heilige antwortete "Ich gehe, dahin mich Gott ruft". Sprach der Teufel "Wohin du gehen magst, so wird der Teufel dir allezeit widerstehen". Antwortete Martinus "Der Herr ist mein Helfer; ich fürchte nicht, was mir ein Mensch tut". Da verschwand der Teufel alsbald. Darnach bekehrte Sanct Martinus seine Mutter; der Vater aber beharrte in seinem Irrglauben. Zu der Zeit blühete durch alle Welt die arianische Ketzerei, der widerstund Martinus fast ganz allein; da ward er öffentlich geschlagen und ward aus seiner Stadt gestoßen. Also kehrte er wieder gen Mailand, daselbst bauete er ein Kloster. Aber auch hier ward er von den Arianern vertrieben und kam nach der Insel, Gallinaria genannt, mit einem einigen Gesellen, einem Priester. Da geschah es, dass er unter anderen Kräutern Nießwurz aß, welches giftig ist; und als er schon den Tod nahen fühlte, vertrieb er alle Gefahr und allen Schmerz mit der Kraft des Gebets. Da er aber vernahm, dass Sanct Hilarius aus der Verbannung wiederkehre, zog er ihm entgegen, und bauete ein Kloster bei Poitiers. Daselbst geschah es, dass er einst eine kleine Zeit von seinem Kloster ging; und da er wiederkam, fand er seiner Katechumenen einen gestorben, dass er die Taufe nicht hatte empfangen. Da trug ihn Sanct Martin in seine Zelle, beugte sich über seinen Leib im Gebet, und rief ihn wieder ins Leben zurück. Derselbige Mensch pflegte zu erzählen, dass über ihn schon das Urteil ward gegeben, und er verbannt wurde an einen dunklen Ort: da sprachen zween Engel zu dem Richter, das sei der, für den Martinus bete. Da ward den Engeln geboten, ihn zurückzuführen und ihn Sanct Martino lebend wieder zu geben. Auch einen andern erweckte der Heilige wieder zum Leben, der sich hatte erhenkt.

Zu den Zeiten hatte das Volk von Tours keinen Bischof, und bat Sanct Martinum, dass er ihr Bischof möchte sein, dem widerstund er gar sehr. Etliche aber von denen, die da versammelt waren, widerredeten seiner Wahl, weil er häßlich sei von Gebärde und garstig von Angesicht. Unter ihnen war sonderlich einer mit Namen Defensor; das ist gesprochen "der Verteidiger". Da nun kein Lector da war, nahm einer das Psalterium und las den ersten Psalm, den er aufschlug. Das war der Vers "Aus dem Munde der Kinder und Unmündigen hast du dir ein Lob zugerichtet, Herr, dass du zerstörest den Feind und den Verteidiger" (Ps. 8, 3). Von diesem Spruch ward Defensor überwunden und von allen verworfen. Also ward Martinus zum Bischof geweiht; doch mochte er den Lärm des Volkes nicht erleiden, darum bauete er sich fast zwei Meilen vor der Stadt ein Kloster, darin wohnte er mit achtzig seiner Schüler in einem gestrengen Leben. Da trank niemand Wein, er wäre denn siech, und weichlich Gewand ward eine Sünde geachtet. Von dem Kloster nahmen viele Städte ihre Bischöfe.

In den Zeiten ward einer als Märtyrer geehrt in dem Land, des Leben oder Verdienst fand Sanct Martin nirgends beschrieben. Darum stund er einst über sein Grab und bat den Herrn, dass er ihm kündete, wer er wäre, und was sein Verdienst sei. Da er sich zu der Linken wandte, sah er einen kohlschwarzen Schatten stehen, und da er ihn beschwur, sprach der Schatten "Ich bin ein Mörder und Räuber gewesen, und bin ertötet um meine Missetat". Alsbald ließ Sanct Martin den Altar zerstören, der ihm errichtet war.

In dem Dialogus Severi und Galli, der Schüler Sanct Martini, darin vieles ergänzt ist, was Severus in der Lebensbeschreibung des Heiligen hat weggelassen, liest man auch, dass der Heilige einst den Kaiser Valentinianus um eine notdürftige Sache wollte angehen; da wußte der Kaiser, dass er käme etwas zu bitten, das er ihm nicht wollte geben, darum ließ er die Tore des Palasts vor ihm beschließen. Da Sanct Martin das zum zweiten und dritten Male musste leiden, zog er ein hären Gewand an, streute Asche auf sein Haupt, und kasteiete sich eine Woche lang, und nahm weder Speise noch Trank. Darnach ging er auf des Engels Geheiß wieder zu dem Palast, und kam bis vor den Kaiser, und hinderte ihn niemand. Da der Kaiser ihn kommen sah, ward er zornig, daß man ihn hatte eingelassen, und wollte nicht gegen ihn aufstehen. Da bedeckte plötzlich Feuer den königlichen Thron und brannte den Kaiser an seinen hinteren Teil, dass er voll Zornes musste aufstehen. Und bekannte also, dass er Gottes Macht hatte gespürt. Er umarmte den Heiligen mit Fleiß und bewilligte ihm alles, noch ehe er darum bat, und bot ihm große Gaben; die wollte Sanct Martin aber nicht nehmen.

In demselben Dialogus liest man auch, wie er den dritten Toten erweckte. Es war ein Jüngling gestorben, des Mutter bat Sanct Martinum mit Tränen, daß er ihn wieder lebendig mache. Da fiel Martinus mitten auf dem Feld, da eine unzählbare Schar der Heiden war, auf seine Knie, und der Jüngling erstund vor aller Augen. Davon wurden die Heiden alle zum Glauben bekehrt.

Es gehorchten aber dem heiligen Manne auch die fühllosen Dinge, die Pflanzen und die unvernünftigen Kreaturen. Erstlich die Dinge, so kein Fühlen haben, als Feuer und Wasser; denn da er einst Feuer an einen Tempel hatte gelegt, trug der Wind die Flamme auf das nächste Haus, das bei dem Tempel stund. Da stieg Martinus auf das Dach des Hauses und stellte sich den Flammen entgegen. Alsbald kehrte die Flamme sich um wider die Gewalt des Windes, dass es anzusehen war, als stritten die Elemente wider einander.

Man liest auch in dem besagten Dialog, dass ein Schiff war in großer Not; da rief ein Kaufmann, der noch kein Christ war, "Du Gott Sanct Martini, komm uns zu Hilf". Alsbald ward eine große Stille.

Ihm gehorchten zum andern die Pflanzen; denn da er an einer Stätte einen uralten Tempel hatte zerstört und eine Tanne wollte ausreißen, die dem Teufel geweiht war, widerstunden ihm die Heiden und Bauren, und einer von ihnen sprach "Hast du Vertrauen zu deinem Gott, so wollen wir diesen Baum umhauen, und du sollst ihn auffahen; ist dein Gott mit dir, als du sagst, so magst du wol entrinnen". Er willigte darein, und sie hieben den Baum um; der neigte sich wider Martinum, der daselbst gebunden war: da machte er gegen den Baum das Kreuzeszeichen, und der Baum kehrte sich alsbald um nach der andern Seite und erschlug beinahe die Bauren, die an einem sicheren Orte stunden. Als sie das Wunder sahen, wurden sie bekehrt.

Zum dritten gehorchten ihm auch die unvernünftigen Tiere, als in dem vorgenannten Dialog zu lesen ist. Also sah er einst, wie Hunde ein Häslein jagten, da gebot er ihnen, dass sie von der Verfolgung des Tieres ließen. Da blieben sie alsbald stehen, und stunden auf ihren Füßen als wären sie gefesselt.

Es wollte eine Schlange über einen Fluß schwimmen, da sprach Martinus zu ihr "Ich gebiete dir im Namen des Herrn, kehre um". Alsbald wandte sie sich auf das Wort des Heiligen und schwamm wieder an das andere Ufer. Da erseufzte Martinus und sprach "Die Schlangen hören mich, aber die Menschen hören mich nicht".

Ein Hund bellte einen von Sanct Martini Jüngern an, da wandte der Jünger sich um und sprach "Im Namen Sanct Martini gebiete ich dir, daß du schweigest". Da schwieg der Hund, als sei ihm die Zunge abgeschnitten.

Sanct Martinus war gar von großer Demütigkeit. Denn da er zu Paris einem Aussätzigen begegnete, vor dem den anderen allen grausete, küßte er ihn und gab ihm seinen Segen; davon ward der Mensch zustund rein und gesund. War er im Heiligtum, so saß er nimmer auf dem bischöflichen Stuhl, und sah ihn niemand in der Kirche je sitzen; denn er saß allezeit auf einem kleinen Baurenstuhl, den man Dreifuß heißet.

Er war auch von großer Würdigkeit, denn er ward genannt der Apostel Genoß, um der Gnade des heiligen Geistes willen, die auf ihn niederstieg in Feuers Gestalt, ihm Kraft zu geben, als auch den Aposteln geschah. Darum besuchten ihn auch die Apostel gar oft als ihren Gesellen. Also lesen wir in dem besagten Dialogus, dass einst Martinus allein in seiner Zelle saß, seine Jünger Severus und Gallus aber vor der Tür warteten: da fuhr unversehens ein großer Schrecken in sie, denn sie hörten etliche Menschen in der Zelle mit einander reden. Als sie hernach Sanct Martinum darob befragten, antwortete er ihnen "Ich will es euch sagen, aber ich bitte euch, dass ihr es niemandem wollet kund tun: es waren bei mir Sanct Agnes, Sanct Thecla und Maria die Jungfrau". Doch sprach er dass sie nicht allein an diesem Tage, sondern oftmals seien zu ihm gekommen, auch sähe er oft Petrum und Paulum die Apostel.

Er war auch von großer Gerechtigkeit; denn da er einst zu dem Kaiser Maximus war geladen, und ihm zuerst der Becher geboten ward, vermeinten alle, er werde ihn nach ihm dem Kaiser reichen; da gab er ihn seinem Presbyter, und hielt also keinen für würdiger nach ihm zu trinken; und hätte es unbillig geschätzet, so er den Kaiser oder dessen Freunde dem Presbyter hätte vorgezogen.

Er war auch von großer Geduld, denn er blieb in allen Dingen so geduldig, dass er sich von seinen Clerikern oftmals ließ beleidigen und sie doch nicht strafte, ob er gleich der oberste Bischof war; und sie darum auch nicht ausschloß von seiner Liebe. Niemand sah ihn je zürnen oder trauern oder lachen; nichts anderes war je in seinem Mund denn Christus; und war in seinem Herzen nichts anderes denn Mildigkeit, Frieden und Erbarmen.

Man liest auch in dem genannten Dialog, dass Martinus einst von ungefähr in einem wilden Gewand auf seinem Esel dahinritt, und wehete sein schwarzer Mantel um ihn; davon scheueten die Rosse etlicher Ritter, die ihm begegneten; die sprangen bald zur Erde und fielen auf Martinum und schlugen ihn hart. Er aber blieb als ein Stummer und bot ihnen den Rücken geduldiglich; des wüteten sie noch grimmiger wider ihn, denn es bedeuchte sie, er spüre die Schläge nicht und achte ihrer gering. Aber alsbald blieben ihre Rosse an dem Boden fest, und so sehr man sie schlug, so mochte man sie doch nicht von der Stelle bringen, gleich als wären sie Felsenblöcke. Zuletzt kamen dic Ritter wieder zu dem Heiligen und bekannten die Sünde, die sie unwissend wider ihn hatten getan; da gab er ihnen Urlaub, und ihre Rosse gingen hin in schnellem Lauf.

Gar fleißig war er in seinem Gebet; davon lesen wir in seiner Legende, dass er keine Stunde oder Augenblick ließ hingehen, er lag denn dem Gebet ob oder heiliger Lesung. Und wann er las oder wirkete, so ließ er doch seine Gedanken nimmer vom Gebet, sondern, gleich als die Schmiede tun, dass sie unterweilen auf den Ambos schlagen, daß die Arbeit besser von Handen gehe, so betete Martinus allezeit, so er ein Ding tat.

Er war gar streng wider sich selber. Davon schreibt Severus in dem Brief an Eusebius, dass Martinus in eine Stadt seines Bistums kam, da hatten die Cleriker ihm ein weich Bette bereitet mit viel Stroh. Und da er sich niederlegte, entsetzte er sich über die Lindigkeit des Bettes, als ihm nicht gewohnt war; denn er pflag auf nacktem Boden zu schlafen auf einem härenen Sack. Also wollte er das Unrecht nicht leiden, und warf das Stroh alles heraus und legte sich auf die bloße Erde. Um Mitternacht aber fing alles das Stroh Feuer; und da Martinus aufwachte, wollte er hinausgehen, vermochte es aber nicht, und ward von dem Feuer ergriffen, und brannten allbereits seine Kleider. Da kehrte er sich zu der gewohnten Zuflucht des Gebetes und machte das Kreuzeszeichen; da stund er unversehrt mitten in dem Feuer, und fühlte das Feuer nicht anders als einen kühlen Tau, des Brand er zuvor gar übel hatte gespürt. Da wurden die Mönche wach und liefen hinzu; und meinten nicht anders, denn dass er verbrannt wäre: da fanden sie ihn unversehrt mitten in den Flammen und führten ihn heraus.

Sanct Martinus war von großer Barmherzigkeit wider die Sünder, und nahm alle an sein Herz, die da Buße wollten tun. Einst strafte der Teufel Martinum, dass er die zur Buße annehme, die einmal seien gefallen. Da antwortete er ihm "So du selbst, Elender; von der Versuchung der Menschen wolltest lassen, und hättest Reue über deine Sünden, ich wollte dir Christi Barmherzigkeit geloben im Vertrauen auf den Herrn".

Er war auch von großer Mildigkeit wider die Armen. Davon liest man in dem vorgenannten Dialog, dass er einst an einem Feste zur Kirche ging; da ging ihm ein Armer nach, der war nackt; da gebot Martinus seinem Archidiacon, dass er den Dürftigen kleide. Und da er es nicht alsbald tat, ging Martinus selber in die Sacristei, und gab ihm seinen Rock und hieß ihn fortgehen. Nun mahnte der Archidiacon Martinum, daß er ginge Messe halten. Antwortete Sanct Martin, er könne nicht gehen, ehe denn der Arme einen Rock habe; damit meinte er sich selber. Der Archidiacon sah ihn äußerlich mit seiner Kutte bekleidet und wußte nicht, dass er darunter nackend war; darum sprach er, es sei kein Armer da. Antwortete Martinus "Man bringe mir einen Rock, und es wird kein Armer mehr eines Gewands dürftig sein". Damit zwang er den Archidiacon, dass er auf den Markt ging, und kaufte ein arm kurz Gewand um fünf Silberlinge, das heißt man Paenula, das spricht: paene nulla, soviel als keines; das nahm er, und warf es Sanct Martin in Zornesmut vor die Füße. Also ging der Heilige in einen Winkel und zog den Rock an: da gingen ihm die Ärmel bis an die Ellenbogen und unten ging ihm der Rock bis an die Knie. Also ging er, Messe zu halten. Aber dieweil er die Messe las, erschien eine feurige Kugel über seinem Haupt, die ward von vielen gesehen. Davon ward gesagt, dass er gleich sei den Aposteln. Zu dem Wunder schreibt Meister Johannes Beleth "Da er bei der Messe, als es Gewohnheit ist, die Hände zu Gott aufhub, da fielen ihm die linnenen Ärmel nieder, denn seine Arme waren nicht dick und fleischig, und der besagte Rock ging nur bis zu den Ellenbogen; also blieben seine Arme nackt. Da brachten Engel goldene Ketten, geziert mit Edelsteinen, und deckten damit seine Arme gar ehrlich".

Einst sah er ein geschoren Schäflein; da sprach er "Dies hat das Gebot des Evangelii erfüllt: es hatte zween Röcke, und hat davon einen dem gegeben, der keinen hatte; gehet hin und tuet desgleichen".

Sanct Martin hatte auch viel Gewalt, Teufel auszutreiben, und erlöste viele Menschen von ihnen. Also lesen wir in jenem Dialog, dass eine Kuh vom bösen Geiste besessen war, die wütete allenthalben und stieß viel Menschen zu Tod; sie fuhr auch grimmig wider Sanct Martin, der mit seinen Gesellen daherkam; da hub er seine Hand auf, und gebot ihr, daß sie still stünde. Alsbald stund sie unbeweglich; da sah der Heilige den Teufel auf ihrem Rücken sitzen, fuhr ihn an und sprach "Weiche von diesem Tier du böser Geist und laß ab, ein unschuldig Geschöpf zu peinigen". Von Stund an wich der Teufel von ihr; da fiel sie zu des Heiligen Füßen nieder, und kehrte auf sein Gebot zahm zu ihrer Herde zurück.

Sanct Martin hatte auch große Kunst, die Teufel zu erkennen. Sie waren ihm also sichtbar, dass er sie deutlich unter einem Bilde sah. Unterweilen sah er die bösen Geister in der Gestalt Jupiters, am meisten in der Gestalt Mercurii, unterweilen auch in der Venus oder der Minerva Bilde. Er nannte sie alle bei Namen und schalt mit ihnen; am bösesten war ihm Mercurius; Jupiter; sprach er, sei roh und dumm.

Einst erschien ihm der Teufel in eines Königs Gestalt, mit Purpur und Krone und goldenen Stiefeln bekleidet, heiteren Mundes und freundlichen Angesichts. Nachdem sie beide lange Zeit hatten geschwiegen, sprach der Teufel "Martine, erkenne, den du anbetest: ich bin Christus, der auf Erden will niedersteigen; aber zuvor wollte ich mich dir offenbaren". Und da Martinus noch immer schwieg und sich verwunderte, sprach der Teufel "Martine, warum zweifelst du und glaubst nicht, da du mich siehest? Ich bin Christus". Da gab Sanct Martino der heilige Geist ein, dass er sprach "Mein Herr Jesus Christus hat nicht gesagt, dass er in Purpur kommen wollte und mit gleißender Krone; darum glaube ich nicht, dass er es sei, so ich ihn nicht in der Gestalt sehe, in der er litt, und die Wundmale der Kreuzigung an ihm erkenne". Bei diesen Worten verschwand der Teufel und ließ die ganze Zelle voll Stankes.

Sanct Martin wußte seinen Tod lange Zeit voraus und tat ihn auch seinen Brüdern kund. Zu der Zeit fuhr er in die Diöcese von Cande, einen Streit daselbst zu schlichten; da sah er auf dem Wege, wie Tauchvögel den Fischen nachstellten und etliche fingen. Da sprach er "Also machen es die Teufel: sie stellen den Unfürsichtigen nach und fangen sie unversehens, verschlingen sie und werden doch davon nicht ersättigt". Darnach gebot er den Vögeln, dass sie das Wasser verließen und an einen wüsten Ort gingen. Da flogen sie alsbald auf in einer großen Schar und strebten dem Wald und den Bergen zu.

Als er in der vorgenannten Diöcese nun eine Zeit verweilt hatte, begann er abzunehmen von seines Leibes Kräften; und sprach zu seinen Jüngern, dass seine Auflösung nahe sei. Da weinten sie allesamt und sprachen "Vater, warum willst du uns verlassen? Willst du uns hinter dir lassen ohne Trost? Denn grimmige Wölfe werden in die Herde deiner Schäflein fallen". Da ward er von ihren Bitten und Tränen bewegt und weinte mit ihnen und betete also "Herr, bin ich deinem Volke noch not, so will ich mich der Arbeit nicht weigern, dein Wille geschehe". Das sprach er in einem Zweifel, denn er verließ die Seinen nicht gerne, und mochte doch auch von Christo nicht länger sein geschieden. Da er nun eine Zeit im Fieber lag, baten ihn die Jünger, dass er in sein Bett, darin er in Sack und Asche lag, etwas Stroh tue. Sprach er "Lieben Söhne, es ziemt nicht dass ein Christ anders denn in Sack und Asche sterbe; gäbe ich euch ein ander Beispiel, so täte ich große Sünde". Augen und Hände aber hielt er immer zum Himmel empor gerichtet, und sein unbesiegter Geist wandte sich nicht ab vom Gebet. Da er allezeit auf dem Rücken lag, baten ihn die Priester, dass er sich zur Seite wende, damit der Leib durch die Änderung der Lage etlichermaßen werde erleichtert. Er aber sprach "Lasset mich liegen, daß ich den Himmel anschaue und nicht die Erde, damit der Geist zum Herrn werde gerichtet". Als er solches sprach, sah er den Teufel neben sich stehen. Da sprach er "Was stehest du hier; du blutig Tier? Du findest nichts Unreines an mir; ich werde kommen in Abrahams Schoß". Mit diesen Worten gab er seinen Geist zu Gott, seines Alters im einundachtzigsten Jahr, zu den Zeiten, da Arcadius und Honorius regierten, die zur Herrschaft kamen um das Jahr des Herrn 390. Sein Antlitz leuchtete als sei es schon verklärt; und ward daselbst der Engel Gesang von Vielen vernommen.

Nach seinem Hingang kamen die von Poitiers und Tours zusammen, und stund ein großer Krieg auf zwischen ihnen. Die von Poitiers sprachen "Unser ist er als Mönch, wir wollen ihn wiederhaben, der uns befohlen ward". Die von Tours sprachen "Er ist euch genommen worden und uns von Gott gegeben". Um Mitternacht entschliefen die von Poitiers alle, da ward der Leichnam von den anderen zum Fenster herausgelassen, und auf der Loire in einem Kahn gen Tours geführt.

Sanct Severinus aber der Bischof von Cöln umging des Sonntags nach der Frühmette die heiligen Stätten als seine Gewohnheit war, da hörte er um dieselbe Stunde, da der heilige Mann verschieden war, die Engel im Himmel singen; da rief er seinen Archidiacon und fragte ihn, ob er etwas höre. Der sprach, er höre nichts. Da mahnte ihn der Erzbischof, er sollte mit Fleiß hören; also streckte er den Hals in die Höhe, reckte die Ohren und stund auf den Fußspitzen auf seinen Stab gestützt. Und da der Erzbischof für ihn betete, sprach er, dass er etliche Stimmen im Himmel höre. Da sprach der Bischof "Mein Herr Martinus ist von dieser Welt geschieden, und die Engel tragen seine Seele gen Himmel". Es waren auch Teufel da, die wollten ihn zurückhalten, aber da sie nichts an ihm fanden, was ihnen mochte zugehören, so mussten sie beschämt von hinnen weichen. Der Archidiacon aber merkte sich Tag und Stunde und erfuhr darnach, dass Martinus um diese Zeit gestorben war.

Dem Mönch Severus aber, der sein Leben beschrieben hat, geschah es, dass er nach der Frühmette in einen leichten Schlaf fiel, als er selbst in einem Briefe bezeugt; da erschien ihm Sanct Martin in weißem Gewande, mit feurigem Angesicht, seine Augen blinkten als die Sterne und sein Haar war wie Purpur; er hielt das Buch in seiner Rechten, das Severus von seinem Leben hatte geschrieben, segnete ihn und stieg darnach wieder auf gen Himmel; und da Severus mit ihm wollte aufsteigen, erwachte er. Nicht lange darnach kamen Boten und sagten ihm, dass Sanct Martin in derselbigen Nacht gestorben sei.

An demselben Tage geschah es auch, dass Sanct Ambrosius, der Bischof von Mailand, da er die Messe las, über dem Altar zwischen den Propheten und der Epistel entschlief. Da wagte ihn niemand zu wecken, und der Subdiacon trauete sich ohne sein Gebot nicht die Epistel zu lesen; als aber zwei oder drei Stunden waren vergangen, weckten sie ihn dennoch und sprachen "Schon ist die Stunde vorüber und das Volk ist müde und harret; so möge unser Herr gebieten, dass der Cleriker die Epistel lese". Da antwortete Ambrosius "Laßt euch des nicht betrüben, denn wisset, mein Bruder Martinus ist gestorben, und ich bin bei seinem Begängnis gewesen und hab es mit Feier begangen; aber da ihr mich wecktet, so mochte ich die letzte Respons nicht vollbringen". Da merkten sie sich den Tag und die Stunde, und fanden, dass Sanct Martin um diese Zeit gen Himmel sei gefahren.

Es schreibt Magister Johannes Beleth, dass die Könige von Frankreich die Sitte hatten, Sanct Martini Kappe mit ihnen zu tragen, wann sie sollten zu Streit fahren; davon wurden sie genannt Kappellani, weil sie der Kappen hüteten.

Nach seinem Tode im vierundsechzigsten Jahre weiterte der selige Perpetuus die Kirche des Heiligen mit großer Pracht und wollte seinen Leichnam darein überführen; aber ob sie gleich zu dreien Malen mit Fasten und Wachen darum baten, so mochten sie doch seinen Sarg in keiner Weise bewegen. Also wollten sie es lassen; da erschien ihnen gar ein schöner Greis und sprach Was säumet ihr? Sehet ihr nicht, dass Sanct Martin bereit ist, euch zu helfen, so ihr Hand anleget?" Also legte er mit ihnen Hand an, und sie hoben den Sarg mit großer Schnelligkeit und setzten ihn an die Statt, da er nun verehrt wird. Den Greis aber sah man hernach nimmermehr. Diese Überführung wird im Monat Juli gefeiert.

Man erzählt auch, dass zu der Zeit zwei Gesellen waren, der eine blind, der andre lahm. Der Blinde trug den Lahmen auf dem Rücken, und der Lahme wies dem Blinden den Weg, also bettelten sie mit einander und verdienten großes Gut. Die hörten sagen, wie bei Sanct Martins Leichnam viele Kranke waren gesund worden. Und da sein Leib am Tag seiner Überführung in Procession um die Kirche wurde getragen, wurden sie bange, der Leib möchte bei dem Haus vorüber geführt werden, da sie wohnten, und sie möchten also von ungefähr geheilt werden; sie wollten aber nicht gesund werden, damit die Ursache ihres Gewinstes nicht von ihnen genommen werde. Darum flohen sie aus der Straße und gingen in eine andere Gasse, dadurch der Leichnam, als sie glaubten, nimmermehr mochte geführt werden. Aber da sie flohen, begegneten sie ihm alsbald unversehens; und weil Gott den Menschen manche Wohltat tut wider ihren Willen, wurden sie alle beide gegen ihren Willen gesund; doch waren sie darob gar betrübt.

Ambrosius sagt von Sanct Martino dieses "Sanct Martinus hat zerstört viel Tempel des heidnischen Irrglaubens, und hat aufgerichtet die Feldzeichen aller Mildigkeit; er hat die Toten erweckt und die bösen Geister aus besessenen Leibern getrieben, mannigerhand Gebresten hat er den Menschen abgenommen mit der Hilfe des Heils. Er ward so vollkommen erfunden, dass er Christum deckete in dem Armen, und mit dem Gewand, das er dem Dürftigen gab, den Herrn der Welt kleidete. O du selige Mildigkeit, die Gott selber wirket. O du heiligen Mantels Teilung, da der König bekleidet wird und sein Ritter! Unschätzbares Geschenk, das die Gottheit durfte bekleiden! Herr, billig hast du ihm den Lohn deines Bekenntnisses gegeben; billig ward die Falschheit der Arianer ihm untertan; billig kam ihn durch Liebe zur Marter keine Furcht an vor der Pein der Verfolger. Was willst du ihm erst geben für das Opfer seines reinen Leibes, da er dich kleiden durfte und du dich ihm erzeigtest für das Stück eines geringen Mantels? Also brachte er Heil denen, die hofften: dass er die einen rettete durch seine Fürbitte, die andern durch seinen Anblick".




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Aus: Jacobus de Voragine: Legenda Aurea, Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, 13. Aufl. Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1999 - zuletzt aktualisiert am 09.09.2016
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Jacobus de Voragine: Legenda Aurea: Artikel
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