Ökumenisches Heiligenlexikon

Aurelius Augustinus: Bekenntnisse

Erstes Buch

Mit meinem frühsten Freunde, meinem Hort,
Darf ich noch reden von der Kindheit Tagen,
Ihn traulich mahnen an die kleinen Plagen;
Er war mein sanfter Morgenstern ja dort.

Früh führten mich die Menschen von ihm fort,
Doch muß ich mich, wie sie vor ihm verklagen;
Nach eitlen Spielen mochten wir nur fragen,
Der kleine Thor hing an der großen Wort.

Da uns des Stolzes Hülle dicht umnachtet,
In hohler Weisheit suchten wir den Preis,
Um den wir schnöde deinen Ruhm verachtet.

Du aber kamst geheimnisvoll und leis,
Und heiltest den, der an sich selbst vermachtet,
Der nichts mehr jetzt als deine Gnade weiß.

I.

Groß bist du Herr und hoch zu loben, groß ist die Fülle deiner Kraft und unermeßlich sind die Spuren deiner Weisheit. Und preisen will dich der Mensch, ein Theilchen deiner Schöpfung, der Mensch, sich tragend mit seiner Sterblichkeit, die das Zeugnis seiner Sünde über ihn ablegt, ein Zeugnis, daß du den Stolzen widerstehst. Auch ein solcher Mensch will dich preisen, will dich preisen, eben weil auch er ein Theilchen deiner Schöpfung ist. Du reizest zur Freude an deinem Lobe, weil du für dich uns erschufest und weil unser Herz ruhelos bleibt, so lang es nicht ruhet in dir. So gib denn, Herr, mir zu erkennen, was eher ist: dich anrufen oder dich preisen, dich erkennen oder dich anrufen. Wer vermöchte dich anrufen, ohne daß er dich erkennete? Kann er ja Eines statt des Andern anrufen, so lang er dich nicht erkennt. Oder wirst du zuvor angerufen, damit du erkannt werdest? Aber wie wollen sie den anrufen, an den sie nicht zuvor glaubten und wie wollen sie glauben ohne Prediger? Ja, loben werden den Herrn die nach ihm fragen, denn die ihn suchen werden ihn finden und die ihn fanden ihn loben. Ich will dich suchen, Herr, da ich zu dir rufe und will zu dir rufen, da ich dich glaube, denn du bist uns verkündigt. So ruft denn zu dir mein Glauben, mir von dir gegeben, den du mir einhauchtest durch die Menschwerbung deines Sohnes, durch den Dienst deines Predigers.

II.

Wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn? Ich rufe ihn ja in mich selbst, so oft ich ihn anrufe. Und welches ist die Stätte in mir, wo Gott in mich eingeht, wo der Gott eingeht, der Himmel und Erde schuf? Herr, mein Gott, so ist in mir etwas, das dich faßt! Fraßen dich denn Himmel und Erde, die du schufst, in denen du mich erschufst? Oder faßt dich darum Alles, was da ist, weil ohne dich nicht wäre. Was da ist? Weil denn auch ich bin, was flehe ich zu dir, daß du in mich kommest, der ich nicht wäre, wenn du nicht in mir wärest? Noch lebe ich, noch sank ich nicht hinab in die Schattenwelt; und doch auch dort bist du, wenn ich hinabsteige in des Todtenreiches Tiefen. Ich wäre gar nicht, mein Gott, wäre niemals und nirgends, wenn du nicht in mir wärest. So wäre ich denn gar nicht, wenn ich nicht wäre in dir, von dem Alles, in dem Alles, durch den Alles ist? Auch so, mein Herr denn, auch so! Wohin soll ich dich rufen, der ich in dir bin? Von wannen ist dein Kommen in mich? Wohinaus soll ich dringen aus Himmel und Erde, daß von dorther mein Gott in mich eingehe, der Sprach: ich erfülle Himmel und Erde? (Jerem. 23, 24.)

III.

So fassen denn dich Himmel und Erde. Weil du sie erfüllst? Oder erfüllst? Oder erfüllst du sie und bleibt noch, das sie überragt, während sie dich nicht erfassen? Und wohin ergießest du den Ueberfluß, nachdem Himmel und Erde von dir sind? Ist dir nicht Noth, gehalten zu werden irgendwo, der du Alles hältst, weil du erfüllst, nur erfüllst, indem du es begreifst in dir? Denn die Gefäße, voll von dir, halten dich nicht fest; wirst ja du nicht ausgeschüttet, wenn sie zerbrechen. Und wenn du dich über uns ausschüttest, so liegst du nicht nieder in uns, du richtest uns auf, wirst nicht zerstreut, du sammelst uns. Aber der du alles erfüllst, erfüllst du auch Alles mit deinem ganzen Wesen? Oder weil nicht Jegliches dein ganzes Wesen fassen kann, faßt es einen Theil von dir, und faßt alles zugleich denselben Theil von dir? Faßt das Einzelne nur einzelne, das Große größere, das Kleine kleinere Theile? Ist damit ein Theil von dir größer und ein Theil von dir kleiner? Bist du der Ganze im Ganzen nur, und faßt dich kein einzelnes Wesen in deiner Fülle?

IV.

Mein Gott, was bist du? Was frage ich? Wer als mein Herr! Denn wer ist Herr außer dem Herrn, und wer ist Gott außer unserm Gott! Du Höchster, Bester Mächtiger, Allvermögender! Du Erbarmungsvoller und Allgerechter, Verborgenster und Allgegenwärtiger, voll Schönheit und voll Stärke! Der du fest stehst und doch nicht zu fassen bist; selber wandellos, Alles wandelst, niemals neu wirst und niemals alt, der du Alles erneuest und die Uebermüthigen hinhalten läßest und vergehen, ohne daß sie darauf merken! Du, immer thatenreich und immer ruhevoll, der sammelt und doch nichts bedarf, der trägt, erfüllt da nichts dir abgeht, liebest ohne aufzuwallen, eiferst ohne daß es dich anficht! Dich schmerzt deine Rene nicht; du zürnst und bleibst die Milde, wandelst deine Werke, und dein Rathschluß bleibt unwandelbar! Auf nimmst du, was du findest, und hast es doch nie verloren; bedarfst nichts, und freuest dich des Gewonnenen; nie habsüchtig treibst du dir Zinsen ein! Dir wird dargeliehen, daß du zum Schuldner werdest, und wer hat etwas, das nicht dein wäre? Schuld entrichtest du, die du Keinem schuldest; erläßest Schuld und verlierst nichts. - Wie vermögen wir dich auszusprechen, o du mein Gott und mein Leben, meine Süße, heilige Wonne! Was weiß der Mensch zu reden, wenn er redet von dir? Der Beredten Mund verstummt vor dir, aber webe denen, die von dir schweigen!

V.

Wer wird mir verleihen, in dir zu ruhen, wer wird mir helfen, daß du in mein Herz kommest und es beseligend sättigest, bis ich vergeße alle meine Schmerzen, und dich umfange, mein einziges Gut? Was bist du mir? Sieh mich erbarmend an, daß ich wage zu reden. Und was bin ich dir, daß du gebeutst von mir geliebt zu werden, und wenn ich's nicht thue, mir zürnst und unermeßliches Elend drohst? O, ist denn das Elend klein, dich nicht zu lieben? Weh mir! Herr, mein Gott, bei deiner reichen Erbarmung verkünd' es mir, verkünd' es mir, was du mir bist! Meiner Seele sage: Ich bin Heil (Psalm 35, 5). So sprich du, daß ich vermöge zu hören. Siehe, meines Herzens Ohren sind vor dir, schließ sie auf und sprich zu meiner Seele: Ich bin dein Heil! Eilen will ich dieser Stimme nach und dich ergreifen. Verbirg dein Angesicht nicht vor mir; streben will ich, um nie zu sterben, damit ich diese sehe! Will ersterben der Welt und mir, damit ich zu leben beginne meine todesfreie Ewigkeit, bis ich in dir lebe und du in mir! Aber eng ist meiner Seele Haus. Wie wirst du einziehen? Mach' es weit! Es ist hinfällig, bau' es neu. Ja, in ihm ist, was deine Augen beleidigt; ich bekenne es, denn ich weiß es; wer kann es reinigen? Wen kann ich rufen, außer dir! Reinige mich von den verborgenen Fehlern und bewahre deine Knecht vor den Fremden. Ich glaube, darum rede ich. Herr, du weißest es; habe ich ja dir meine Schuld bekannt und mich vor dir verklagt, vergabest du mir doch die Sünde meiner Seele! Denn nimmer will ich mit dir rechten, der du die Wahrheit bist, will mich selbst nicht betrügen, damit meine Sünde nicht sich selbst belüge; nein, ich will nicht rechten mit dir; denn wer kann bestehen, wenn du die Sünden zurechnest!

VI.

Doch laß mich reden um deiner Erbarmung willen, reden laß mich, den Staub und die Asche. Denn siehe, ich rede zu deiner Erbarmung, rede nicht zu einem Menschen, der meiner spottet. Doch auch du findest mich wohl des Hohnes werth, aber du wendest es und erbarmst dich mein. Und was ist es denn, das ich sagen mag o Herr, mein Gott? Nichts anderes, als daß ich nicht weiß, von wannen ich hieher gekommen, ich weiß nicht soll ich sagen in dieß todbringende Leben oder in diesen lebenbringenden Tod. Aber empfangen haben mich die Tröstungen deiner Erbarmungen, wie ich vernahm von den Eltern meines Fleisches, vom Vater aus dem, und von der Mutter in der du mich gebildet in der Zeit, denn ich selbst weiß nicht davon. Dann stillte mich mild die Milch des Menschen. Meine Mutter nicht, noch meine Ammen füllten sich die spendende Brust, durch sie reichtest du mir die kindliche Nahrung, nach dem Reichthum der lenkenden Weisheit, den du austheilst bis an den kleinen Anfang deiner Erschaffenen. Auch gabst du mir ein, nicht mehr zu wollen als du gabst, und den Ernährerinnen, mir willig zu geben, was du ihnen gabst. Der Liebe Trieb war ja von dir, mit dem sie mir darboten was sie in Fülle von dir hatten; denn gut däuchte ihnen, was ich Gutes aus ihnen empfing, und das war aus ihnen nicht, nur durch sie; aus dir Gott fließt alles Gute und aus meinem Gott kommt mir alles Heil. Wohl erkannte ich das erst in den folgenden Zeiten, wo du an dich mich mahntest und zu dir mich ludest durch Alles, was du mittheilst an innern und an äußern Gaben. Denn damals vermochte ich nichts, als mich zu nähren an der Menschenbrust, zu ruhen im Behagen, zu meinen im Schmerz meines Fleisches. Hierauf begann ich zu lächeln, zuerst im Schlafe, dann im Wachen. Doch siehe allmählich empfand ich, wo ich war, wollte jetzt meine Wünsche denen kund thun, durch die sie sollten erfüllt werden, und vermochte es nicht; denn was ich wünschte, war in mir; die es erfüllen sollten, waren außer mir, und konnten mit keinem ihrer Sinne in meine Seele bringen. Nun erhob ich die Stimme und bewegte die Glieder, um sie, wie wenig ich es auch vermochte, zu Zeichen meiner Wünsche zu machen, aber sie waren nicht bezeichnend. Als man mir nicht zu Willen war, weil man mich nicht verstund, oder weil mir schädlich war was ich begehrte, da ward ich zornig auf die großen Leute, die sich mir nicht unterwarfen, und auf die von mir Unabhängigen, die mir nicht dienen wollten, und rächte mich an ihnen durch Geschrei. Das sah ich an andern Kindern, und die sagten mir deutlicher, als es meine Ernährer mir erzählten, daß auch ich ein solches Kind gewesen. Aber siehe, meine Kindheit ist längst gestorben und ich lebe. Du aber, Gott, der du immer lebst und in dem nichts stirbst, weil du vor der Zeiten Beginn und vor Allem bist, was vordem war, du bist der Gott und Herr von Allem, was du schufest; bei dir bleiben die beständigen Ursachen aller unbeständigen Dinge, die unwandelbaren Ursprüngliche aller wandelbaren Wesen und die ewigen Grundgedanken aller vernunftlosen und vergänglichen. So vertrau es denn mir, deinem Flehenden, vertrau es barmherzig deinem Erbarmenswerthen, ob meine Kindheit gefolgt sei einem ihr schon vorangeschiedenen Leben, oder ob dieß vorangegangene kein anderes war, als das ich zubrachte in meiner Mutter Leibe. War etwas auch vor diesem, du meine Süße Wonne, mein Gott? War ich irgendwo und war ich? Ich habe nicht, der mir es fragte; weder Vater noch Mutter, noch den Versuch Anderer, noch mein Gedächtnis. Aber du lächelst wohl mein, indem ich dieß frage, du gebietest mir, dich über dem zu loben und das zu bekennen, was ich weiß. So will ich dich bekennen, Herr des Himmels und der Erde, will dir danken für meinen Ursprung und für mein Kindesleben, ob ich mich ihrer auch nicht entsinne; denn von Andern sollen wir ihrer auch nicht entsinne; denn von Andern sollen wir in diesen Dingen auf uns selber schließen, sollen den Frauen viel glauben, was sie uns von uns selbst erzählen. Schon damals war ich und suchte nach Zeichen für meine Anliegen und Wünsche. Woher solch ein Lebendiges, als von dir! Denn wo wäre der Künstler, der sich selbst erschaffen hätte? Oder wo ist der Quell, aus dem unser Wesen strömt und seine bewegte Lebendigkeit, als in der Herr, der du uns schufest, in welchem des Daseins ewiger Grund und ausströmendes Leben dasselbe sind, weil du selber bist das tiefste Ursein und die höchste Lebensfülle. Der Höchste bist du und der Unveränderliche, in dir vergeht der heutige Tag nicht und doch vergebt er dir, denn in dir ist alles Leben, das durch die Zeiten fluthet, du läßest es an dir vorübergehen und hältst es doch in deiner mächtigen Hand. Vor dir ist nichts als Gegenwart, weil deine Jahre nicht vergehen. Doch wie viele von unsern Tagen und von den Tagen unsrer Väter sind durch diesen Heutetag deiner ewigen Gegenwart gegangen und haben von dir ihr zugemeßens Theil empfangen, und wie viele werden es noch empfangen! Du aber bist immer derselbe, wirst zum Heute machen alles Morgende uns Alles, was nach diesem folgt, wie du zum Heute gemacht alles Vergangene und längst Vergangene. Wie soll mich bekümmern, was Niemand begreifst? Nein, freuen will ich mich, wenn ich bekenne: das ist mir zu hoch! Und es beglückte mich mehr dich demuthvoll durch Nichtfinden zu finden, als dich übermüthig durch Finden nicht zu finden, du unergründlicher Freudenquell.

VII.

Erhör uns Gott, erbarm dich unser! Weh über unsere Sünden! So ruft der Mensch und du erbarmst dich sein, weil du ihn und nicht die Sünde in ihm schufest. Wer bringt meiner Kindheit Sünden vor mein Gedächtniß? Denn vor dir ist Niemand rein von Sünden, selbst das Kind nicht, dessen Leben nur einen Tag gewährt. Daran mahnt mich jeder dieser Kleinen, an dem ich das sehe, des ich aus meiner Kindheit mich nicht mehr erinnern kann. War es Sünde, daß ich damals auch so ungebärdig nach der Brust begehrte? Verlangte ich so noch jetzt nach meiner Nahrung, mit vollem Rechte würde ich verlacht und getadelt. So verübte ich schon damals Tadelnswerthes, und nur, weil ich den Tadler nicht verstehen konnte, verboten Vernunft und Sitte den Tadel. Zwar legen wir derlei ab, wenn wir älter werden, aber das eben beweist, daß es nichts Gutes war; denn wo man ein Gefäß reinigt, da wirst kein Verständiger weg, denn wo man ein Gefäß reinigt, da wirft kein Verständiger weg, was es Gutes enthält. Nicht gut, fürwahr, war es für jene Zeit, mit Schreien selbst das Schädliche zu verlangen, und denen ungestüm zu zürnen, die unser Verlangen nicht befriedigen, an denen, die über uns stunden, an den Zeugern unseres Lebens selbst, die zudem noch die Klügeren waren, gierig und stößig, verletzen wollend, aufzufahren, weil sie einer Gewaltthätigkeit nicht gehorchten, der sie nur zu des Kindes Schaden gehorcht hätten. Dabei war es Höchstens die Schwachheit der Kindesglieder, was die Sünde nicht gelingen ließ; nicht aber war schuldlos selbst die Kindesseele. Sah ich doch selbst einst einen hadernden Kleinen, der noch nicht einmal zu sprechen vermochte, und doch mit zorngelber, bitterer Miene auf seinen Milchbruder schaute. Die Mütter und Ammen sagen freilich, das mache sich, ich weiß nicht durch was, schon beßer; wenn es nicht gar für schuldlos gehalten wird, an dem reichlich strömenden Nahrungsquell den Mitgenoßen nicht zu dulden, der von der gleichen Nahrung nur am leben erhalten wird. - Aber man erträgt es liebkosend, nicht weil es unbedeutend ist, sondern weil man weiß, es werde mit den Jahren vergehen, in welchen es nicht mehr zu ertragen wäre. Du Herr, mein Gott, hast das Leben dem Kinde gegeben, hast seinen Leib gerüstet mit Sinnen; ihm die Glieder; ihm die Glieder geordnet und schön gebildet; hast ihm der Erhaltung und Unverletztheit Triebe alle ins Herz gepflanzt, und du willst, daß ich lobsinge dafür deinem heiligen Namen. Denn der allmächtige, gütige Gott wärest du, wenn du auch so viel nur an mir erschaffen hättest, das kein Anderer schaffen kann, als du allein, der Alles ordnet. Der Schönste bist du, der du Alles formst und ordnest. Zwar mag ich dieß Kindesalter kaum zu dem Leben rechnen, das ich jetzt durchlebe; mir fehlt sein Gedächtniß, ich glaube nur was mir Andere davon sagten und was ich darüber nur was mir Andere davon sagten und was ich darüber aus der Betrachtung anderer Kinder mit großer Zuverläßigkeit ist es dem gleich, das ich verlebte in meiner Mutter Leibe. Doch wenn ich in Sünden empfangen ward, wenn mich in Sünden schon die Mutter nährte in ihrem Leib, wo, ach, wo mein Gott, und wann, o Herr, war ich, dein Knecht, von Sünden rein! Ich laße jene Zeit nun, von der mir keine Spur geblieben.

VIII.

Aus der Kinderzeit kam ich in's Knabenalter, oder vielmehr, es kam in mich, auf meine Kindheit folgend; denn diese gieng nicht, wo sollte sie auch hingehen? Und dennoch war sie nicht mehr. Jetzt war ich kein sprachloses Kind mehr, ich war ein gesprächiger Knabe. Das weiß ich noch, und woher ich sprechen lernte, habe ich nachher beobachtet. Aeltere Menschen lehrten mich nicht, theilten mir nicht die Worte mit nach festem Lehrplan, wie bald darauf, als sie mich lesen lehrten, sondern mit dem Verstand, den du mir gegeben, suchte ich damals durch Seufzer und andere Laute, sowie durch mein Gebärdenspiel was mein Herz bewegte und verlangte zu offenbaren. Da ich aber nicht Alles, was ich wollte, vermochte, noch es bei Allen vermochte, so sprach ich meinem Gedächtnisse das Wort vor, mit dem sie einen Gegenstand benannten. Und wenn sie dazu noch sich nach hinwendeten, so merkte ich, das müßte der Gegenstand sein, den sie genannten hatten. Aus ihren Gebärden offenbarte sich das, was sie wollten, denn sie sind die gemeinsame Natursprache aller Völker, wo Miene und Blicke, der Glieder Bewegung und der Stimme Ton es aussprechen was die Seele wünscht und begehrt, verweigert und flieht. So machte ich mir allmählich die Worte eigen, die ich oft genug am rechten Ort aus ihren Aussprüchen vernahm und sprach meine Willensmeinung mit dem Munde aus, den ich nach den vernommen Bezeichnungen zu Rechte stellte. Endlich lernte ich mit den Meinen des Gesprächs pflegen und schritt weiter hinein in die stürmische Geselligkeit des Menschenlebens, noch abhängig vom elterlichen Ansehen und vom Erwachsenen.

IX.

Herr mein Gott, welche Noth ich erfuhr und welche Plagen, da mir als Knaben schon aufgegeben wurde, recht zu leben, das ist, den Ermahnen zu gehorchen, um in der Zeit empor zu kommen und mich in den Künsten der Beredtsamkeit auszuzeichnen, die ja sowohl Ehre vor den Menschen, als trügliche Reichthümer uns bereiten. Hierauf gab man mich in die Schule, um mich die Wißenschaften zu lehren, deren Nutzen ich Unglückskind nicht einsah, während ich doch Schläge bekam, wenn ich träge war im Lernen. So gefiel es den Aeltern; und Viele, die vor uns diese Lebensart erwähnt hatten, bereiteten uns den mühevollen Weg, auf dem wir gehen mußten, in der vermehrten Pein und Mühsal der Söhne Adams. Aber du, Herr, ließest uns auch Menschen finden, die dich anbeteten, und von ihnen lernten wir, so weit wir vermochten, deine Größe fühlen, mit der du auch uns erhören und helfen könntest, ob du gleich unsern Augen nicht erschienest. Daher flehte ich stammelnd zu dir, meiner Hilfe und Zuflucht, so klein ich war, mir nicht kleiner Inbrunst, du mögest mich in der Schule vor Schlägen bewahren. Und da du mich nicht erhörtest, damit mich die scharfe Zucht weiser mache, lachten ältere Menschen, die Aeltern selbst, die doch nie bekam, was mir zum großen und schweren Leiden wurde. Lacht darüber nicht nur die fühllose Thorheit, Herr? Ist Jemand so stark genug, so mächtig fromm dir anhangend, daß er das Folterbrett und die Marterkralle und wie die Folterwerkzeuge sonst heißen, für nichts achten obwohl alle Welt in großer Furcht bittet von ihnen verschont zu werden und daß er verlacht, die sich vor ihnen fürchten, gleichwie Eltern der Marterwerkzeuge lachten, mit welchen die Knaben von ihren Lehrern gestäupt wurden? Wie aber fürchteten sie fürwahr nicht weniger, und flehten nicht mit minderer Angst zu dir um ihre Abwendung. Freilich sündigten wir dadurch, daß wir weniger schrieben, lasen und durchdachten, als es uns aufgegeben worden war. Gedächtniß und Gaben fehlten uns nach dem Maß unserer Alters nicht, aber das Spiel ergötzte uns, und die zerstreuende Lust an ihm wurde von denen an uns abgestraft, die selbst das Gleiche trieben. Aber die Spielereien der Erwachsenen nennt man Geschäfte und wenn die Knaben dasselbe thun, werden sie von den großen Leuten bestraft; bedauert wird keiner, weder sie von den großen Leuten bestraft; bedauert wird keiner, weder der Kleine, noch der Große. Jedermann billigte die Streiche, die ich bekam, weil ich gerne Ball spielte und dadurch am Erlernen jener Kenntnisse gehindert wurde, mit welchen ich in späteren Jahren noch häßlicher spielen sollte, wie es mein Lehrer that; denn er, der mich schlug, wurde mehr von Neid und Galle gequält, wenn ein Gelehrter in einer Streitfrage überwand, als ich es wurde, wenn mich mein Spielgeselle im Ballspiel übertraf.

X.

Und doch habe ich gesündigt, mein Herr und Gott, du Lenker und Schöpfer aller Dinge, aber der Sünde Lenker nur. Gesündigt habe ich gegen die Gebote der Eltern und der Lehrer, denn in der Folgezeichen hätte ich die Kenntnisse zum Guten zu verwenden vermocht, die ich nach dem Willen der Meinen gern oder ungern lernen sollte. Nicht durch die Wahl von etwas Beßerem wurde ich ungehorsam, sondern durch die Liebe zu Spielereien. Im Streit gefiel mir der stolze Sieg, erdichteten Märchen lieh ich die immer lüsterner werdenden Ohren und dieselbe Neugier leuchtete aus meinen Augen mehr und mehr nach den Schauspielen und Festen der Alten. Die Geber solcher Spiele erlangen einen Glanz, den fast alle Eltern ihren Kinder wünschen. Und doch laßen sie sie gerne züchtigen, wenn sie solche Schauspiele vom Lernen abhalten, während sie die Kinder nur dazu lernen laßen, daß diese einst in den Stand gesetzt werden, selbst solche Spiele zu geben. Sieh du erbarmend darein, o Herr, und befreie uns, die wir dich schon anrufen; befreie auch, die dich noch nicht anrufen, auf daß sie dich anrufen und du sie befreiest!

XI.

Schon als Knabe vernahm ich von dem ewigen Leben, das uns verheißen ist durch die Demuth unsers Herrn, der sich zu unserm Stolze niederließ. Ich wurde mit dem Zeichen seines Kreuzes bezeichnet, wurde mit seinem Salze geheiligt, seit ich aus meiner Mutter Leibe kam, die so viel auf dich hoffte. Du sahest es, Herr, wie ich schon als Knabe, von Magenkrampf und Fieberglut ergriffen wurde, die mich dem Tode nahe brachten; du sahest es, mein Gott, der du schon damals mein Hüter warst, mit welcher Seelenbewegung, mit welchem Glauben ich die Taufe deines Gesalbten, meines Gottes und Herrn, von der Treue meiner Mutter und von deiner Kirche verlangte, die unser Aller Mutter ist. Da wurde auch meines Leibes Mutter tief erschüttert, weil sie mein ewiges Seelenheil noch liebevoller unter dem reinen, dir vertrauenden Herzen trug. Sie eilte, dafür zu sorgen, daß ich durch die Sakramente des Heils aufgenommen und gereinigt werde, und dich, o Jesu, zur Versöhnung meiner Schuld bekenne. Aber plötzlich genas ich. Darum wurde meine Taufe aufgeschoben, als müßte ich noch, wenn ich am Leben erhalten würde, befleckt werden; vielleicht auch, weil meine Schuld in sündiger Befleckung nach der Taufe noch größer und gefahrvoller geworden wäre. So glaubten schon damals ich, die Mutter und mein ganzes Haus, nur allein mein Vater nicht, der aber, selbst noch nicht an Christus glaubend, der Muttertreue heiliges Recht an mein Seelenheil nicht beugen konnte. Denn gewissenhaft schärfte sie mir ein, du, o Gott, seiest mein Vater vor jenem; und du halfest ihr, daß sie auch hierin den Gatten übertraf, dem sie als die Bessere diente, weil sie auch hier dir diente, wie du es wolltest. Ich bitte dich Herr, laß mich wissen wenn du willst, aus welcher Absicht ich damals mit meiner Taufe hingehalten wurde und ob mir dadurch zu meinem Besten der Sünde Zügel gelockert wurden oder nicht. Von so Vielen hören wir das entschuldigende Wort: Laß ihn, er mag thun, was er will, ist er ja noch nicht getauft! Und doch sagen wir vom Körper nicht zu seinem Besten: Laß ihn noch weiter verwunden, ist er ja noch nicht geheilt! O, um wie viel beßer wäre es gewesen, wenn ich bald geheilt, wenn durch meinen und durch der Meinen Eifer meiner Seele Heil in deinen Schutz aufgenommen und behütet worden wäre von dir! Beßer gewis! Aber schon wußte jene Mutter, wie große Versuchungen nach meinem Knabenalter auf mich fluthen würden, und lieber wollte sie ihnen mein irdischen Theil überlaßen, in dem ich später umgewandelt wurde, als Gottes Bild in mir.

XII.

Wohl fürchtete man von meiner Knabenzeit weniger für mich als von meinen Jünglingsjahren, und doch schon in ihr liebte ich den Unterricht nicht und wurde nur mit Widerwillen dazu genöthigt, doch wurde ichs und mir widerfuhr Gutes, aber ich that nicht gut, denn ungezwungen hätte ich nicht gelernt. Niemand aber thut wider Willen wohl, wenn, was er thut, auch etwas Gutes ist. Auch thaten die nicht Gutes, die mich zwangen; das Gute kam von dir allein, mein Gott! Denn Jene sahen nicht ein, zu was ich lernen mußte, es wäre denn zur Sättigung unersättlicher Begierden, überflußvollen Mangels und schmachreichen Ruhmes. Du aber, von dem die Haare meines Hauptes gezählt sind, verwandeltest den Irrthum meiner Lehrer zu meinem Nutzen und meine Lernscheue zu meiner Bestrafung, deren ich würdig war, ein so kleiner Knabe und so großer Sünder. So thatest du Gutes mir durch diejenigen, die mir nicht Gutes thaten, und durch mich, den Sünder selbst, gabst du mir gerechte Vergeltung. Denn du hast es verordnet, und es ist so, daß jede unordentliche Seele sich selbst ihre Strafe ist.

XIII.

Warum aber war mir die griechische Sprache zuwider, in der ich als Knäblein unterrichtet wurde? Noch jetzt begreif ichs nicht. Die lateinischen Schriften aber liebte ich, nicht aber wie sie mich die Lehrer ihrer Anfangsgründe lehrten, sondern wie sie die mir beibrachten, die mich weiter in ihr führten; denn jene Anfangsgründe, bei denen es sich um Lesen, Schreiben und Zählen handelt, waren mir so lästig und peinlich wie alles Griechische. Doch auch das kam nur aus der Sündhaftigkeit und Eitelkeit eines Lebens, in welchem ich Fleisch war und irrer Geist, der keine Rückkehr suchte. Waren doch jene Anfangsgründe weit besser, weil sie zuverläßiger waren, denn durch sie geschieht es ja, daß ich behalte was ich Geschriebenes lese und selber niederschreibe was mir beliebt, waren weit besser als jene Irrfahrten des erdichteten Aeneas, bei denen ich aufgehalten wurde, um meine Irrfahrt zu vergessen. So mußte ich auch der Dido Tod beweinen, die sich aus Liebe getödtet hatte während ich Elender mir trockenen Augen es tragen konnte, daß ich von dir wegstarb, du mein Gott und mein Leben. Denn was ist elender, als ein Elender, der sich selbst nicht beklagt, der den Tod einer Dido beweint, die sich aus Liebe zu Aeneas entleibte, und nicht seinen Tod, den ihm die Lieblosigkeit gegen dich gibt? O Gott, du Licht meines Herzens, du Brot meiner Seele, du Kraft, die mein Gemüht und den Schoß meiner Gedanken befruchtet, die liebte ich nicht, und gab mich, von dir gewendet, der buhlenden Luft hin, und um den Buhler erklang es überall: freue dich, freue dich! Denn die Liebe dieser Welt ist ja doch die Buhlerei, die von dir sich wendet, und freue dich, freue dich! rufen sie, bis es für Schande gehalten wird, kein thörichter Knecht der Luft zu sein, wie sie. Aber das beklagte ich nicht, meine Klagen weihte ich Dido, der Verschiedenen, die ihr Ende mit dem Dolch erreicht, und gieng selbst dem verhüllten Gerichte entgegen, da ich dich verließ und Erde zur Erde gieng. Verhinderte mich Jemand am Lesen jener erdichteten Fabeln, so schmerzte mich, das nicht lesen zu dürfen, das mich schmerzte, wenn ich es las. Solche Albernheiten hielt man für edlere und ergiebigere Lehrfächer, als jene, die mich Lesen und Schreiben lehrten; und doch, so ist es nicht, o Gott, denn jene dichterischen Bilder vergaß ich viel leichter, als Lesen und Schreiben. Vorhänge sind vor den Thüren der Gelehrtenschulen, mehr des Irrthums Hülle, als ein hehres Geheimniß bezeichnend. Nicht mögen sie gegen mich auftreten, ich fürchte sie nicht mehr, seit dir meine Seele bekannt du mein Gott, seit ich Ruhe finde im Rücktritt von meinen bösen Wegen, in der Liebe zu deinen guten Pfaden. Nicht mögen gegen mich auftreten die Verkäufer und Käufer weltlicher Weisheit, denn frag ich sie, ob Aeneas wirklich, wie der Dichter sagt, nach Karthago kam, so werden sich die Ungelehrten mit ihrer Unwissenheit entschuldigen und die Gelehrten es verneinen. Frage ich aber, mit welchen Buchstaben des Aeneas Namen geschrieben werde, so werden Alle, die darin unterrichtet sind, das Richtige treffen nach dem Uebereinkommen und Belieben, wodurch die Menschen die Buchstabenzeichen unter sich festgesetzt. Ebenso, wenn ich frage, was man zu größerem Nachtheil vergesse, Lesen und Schreiben, oder jene Erdichtungen, so versteht sich von selbst, was Jeder antwortet, der sein selbst nicht vergaß. Und so sündigte ich als Knabe schon, der ich das Nutzlose dem Nutzreichen vorzog, ja jenes liebte, dieses hasste.

XIV.

Warum aber hasste ich der Griechen Schriften, die doch das Nehmliche sangen? Denn auch Homer weiß solche Fabeln zu weben, fabelt so süß und war dem Knaben doch so bitter. Aber ich glaube, es werde den Griechenknaben mit Virgil nicht besser gehen, wenn sie ihn lernen müssen wie den Homer. Wohl mag die Schwierigkeit, eine fremde Sprache zu erlernen, alle Süßigkeit griechischer Dichtung mit Galle besprengen. Kannte ich ja die Worte jener Sprache nicht und lag man mir mit gestrengen Strafen und rauhen Drohungen an, sie zu erlernen. Doch auch vom Lateinischen kannte einst das Kindlein gar nichts und lernte es doch aufmerksam, ohne Furcht und Qual, selbst unter dem schmeichelnden Kosen der Amme, die es mir in Spiel und Scherz zugelacht. Das lernte ich, ohne die lästige Peinigung der Dränger, denn mich drängte mein Herz zu gebären was es empfangen hatte, und das hätte ich ohne Worte nicht vermocht, die ich nicht vom Lehrenden, sondern von denen lernte, die sie sprachen, für deren Ohren ich zur Welt brachte, was ich empfand. Mehr lernt freie Neugier, als furchtsamer Zwang. Aber dieser hemmt der Neugier Flucht, o Gott nach deinen Gesetzen von den Ruthen der Lehrer bis zu den Qualen der Märtyrer, denn heilsame Bitterkeit weiß deine Vorsehung beizumischen, daß sie und zu dir zurückführe von der verpestenden Ergötzung, durch die wir gewichen sind von dir.

XV.

O Gott, laß meine Seele nicht würde werden deiner Zucht, laß sie nicht müde werden, deine Erbarmungen zu erkennen, mit welchen du mich aus alle Irrwegen reißest, damit du mir lieber werdest als alle Verführungen, denen ich gefolgt war in den Tagen meine Verblendung, damit ich dich liebe mit der ganzen Kraft meines Herzens, und fest deine Hand erfaßte, mit der du mich reißen wolltest aus aller Anfechtung bis ans Ende. Dem dir, mein Gott und mein König, muß nur dienen, was ich Nützliches als Knabe lernte, dienen muß dir nun, was ich rede und schreibe, lese und sinne. Du züchtigtest mich, wenn ich Eitles lernte, und vergabest mir die sündige Lust an jenen Eitelkeiten. Und ich lernte in ihnen viele nützliche Worte, die aber auch in Beschäftigungen erlernt werden können, welche nicht eitel sind, und das ist der Friedensweg für den Knabenwandel.

XVI.

Aber weh über dich, du Strömung der eitlen Sitte der Menschen! Wer mag dir widerstehen? Wie lange willst du nicht vertrocknen? Wie weit willst du Evas Kinder ins große Meer deiner Schrecken wälzen, über das kaum hinüberschiffen, welche die rettende Arche des Glaubens besteigen? Mußt ich in deinen Fluchten nicht den Donnernden Jupiter lesen, den Ehebrecher, von denen des Dichters Comödie spricht? Zwar ist es nichts und vermag keines von beiden und doch verführt der erdichtete Donnerer kupplerisch zum wirklichen Ehebruch. Und welcher Redekünstler, wie er sich in seinem Mantel spreizt, kann es ruhig anhören, wenn ein Mensch aus Staub, wenn sein Cicero ausruft: das hat Homer erdachtet und hat die Menschen zu den Göttern erhoben, lieber sagt ich, die Götter zu uns! Besser sagte man über das was Homer erdichtet: er schrieb den lasterhaften Menschen Göttliches zu, damit man ihre Laster nicht mehr für Schandthaten hielte, weil Jeder, der sie begieng, nicht verworfene Menschen, sondern die himmlischen Götter nachzuahmen schien.

Und doch werden in diese Flucht des Verderbens die Menschenkinder geworfen, damit sie um theuer bezahlten Preis diese Schändlichkeit lernen. Großes meinen sie ausführen, wenn sie ihre verführerischen Schauspiele auf dem Forum öffentlich aufführen, in Gegenwart der Obrigkeit, die den Dichter noch neben dem Lohn besoldet, den er von seinen Hörern bezieht. Aber sie prahlten, als könnten sie Felsen spalten: bei uns lernt man reden! Bei uns wird die unentbehrliche Kunst gelehrt, Alles zu erklären, um Jedermann zu überreden. Nichts wüßten wir vom goldenen Regen, vom buhlerischen Scheingebilde, von den himmlischen Wohnungen, aus welchen Jupiter zu Danaë kam, wenn nicht Terenz seinen nichtswürdigen hätte, der sich Jupiter zum Vorbild seiner Unzucht nahm, als er ein Wandgemälde beschaute, das Jupiter darstellte, wie er als goldener Regen zu Danaë kam. Und Terenz ließ ihn in die Worte ausbrechen, von himmlischem Muster zur Wollust gereizt: was für ein Gott! Dessen Donner die Himmel erschüttert! Und ich Menschenkind dürfte nicht thun, was er gethan? Ich thats wie er mit Freuden. Solche Worte gehen leichter ein durch ihre schlüpfrige Schändlichkeit, und durch sie wird das Schändliche um so gieriger vollbracht. Nicht die Worte klag ich an, das auserlesene, köstliche Gefäß, sondern den Taumelwein, der aus ihnen uns von trunkenen Lehrern credenzt wurde. Tranken wir nicht, so wurden wir gepeitscht, und zu keinem nüchternen Schiedsrichter konnten wir uns werden. Und doch o Gott, vor dessen Angesicht Erinnerung und Gewissen Frieden fanden, ich habe das gerne gelernt, habe mich ergötzt, ich Elender, an diesen Schändlichkeiten, und wurde deßhalb ein Hoffnungsvoller Knabe genannt.

XVII.

Herr, laß mich durch deinen Beistand erforschen, in welchen Nichtswürdigkeiten ich meinen Geist aufrieb. Mir wurde eine Aufgabe gestellt, die mein Gemüth mit verheißenem Lobe und mit Furcht vor Schwach und vor Streichen verwirrte: ich sollte die virgilischen Worte der zürnend trauernden Juno vortragen, daß sie den Teukrerkönig nicht von Italien abhalten konnte, die ich Juno niemals sagen gehört: Den Dichterträumen nach irrend sollten wir in ungebundener Rede vortragen, was ihre Verse sagten, und der sprach sich zum Lobe, welcher den Zorn und Schmerz der erdichteten Person ihrem Stande gemäß in passend gekleideten Sätzen aussprach. Was half es mir, daß der Mitschüler viele mir Beifall zollten? O Gott, du mein wahres Leben, war dieß nicht Alles nur Rauch und Wind? Konnten mir Geist und Sprache mit nichts Anderem geübt werden? Dein Lob, o Herr, in dem uns Deine Bücher üben, hätte mein Herz gestützt, wie eine Rebe, und es wäre nicht der Raub jener Nichtswürdigkeiten, nicht die schmähliche Beute der Vögel geworden. Denn nicht nur auf Eine Weise opfert man den gefallenen. Denn nicht nur auf Eine Weise opfert man den gefallenen Engeln.

XVIII.

Aber was ist da zu verwundern, daß ich in solche Nichtswürdigkeiten fiel, und mich dir, mein Gott, entzog? Denn Menschen wurden mir zur Nachahmung aufgestellt, welche bitter getadelt wurden, wenn sie von ihren eben nicht bösen Handlungen mit ungebildeten, unrichtig gestellten Worten sprachen, während sie Aller Lob erhob, sobald sie von ihren sündigen Ausschweifungen nur in recht glatten, gezierten Redensarten zu erzählen wußten. Das siehest du, Herr, und schweigest in Langmuth und reichem Erbarmen; aber du bist die Wahrheit! Und Herr, wirst du immer schweigen? Aus dem abscheulichen Abgrund ziehst du schon jetzt den, der sucht und nach deinen Erquickungen dürstet, wenn nur sein Herz dir sagt: Einst sucht' ich dein Antlitz, o Herr, und siehe, ich such' es wieder! Denn in finstern Trieben leben, das ist das Fernesein von deinem Antlitz, weil man nicht mit Schritten, nicht durch der Orte Raum von dir geht und wieder zu dir zurückkehrt. Oder, von dem uns dein eingeborener Sohn ein Gleichnis erzählt, suchte jener verlorene Sohn Rosse, Wagen und Segel, flog er mit sichtbaren Schwingen, bewegte er die eilenden Kniee, daß er im fernen Land in seinem Lüsten lebe und verprasse, was du dem Dahinziehenden gegeben hattest? Ein milder Vater warest du, da du ihm gabest, ein milderer noch, da er, von Elend geladen, zurückkam. In üppigen Trieben leben, das ist Finsternis und weite Ferne von dem Lichte deines Angesichts.

Siehe es, Herr, und siehe es, wie du zu sehen pflegst, mit Geduld, wie sich die Menschenkinder so eifrig auf die Wort- und Sylbenstechereien legen, die sie von geschwätzigen Vorgängern erhielten, und wie sie des Heiles ewiges Wort vernachläßigen, das sie von dir empfiengen. Wer gegen ihre Sprachlehre das Wort Mensch (wenn er ominem statt hominem sagt) falsch ausspricht, der misfällt den Menschen mehr, als derjenige, welcher das Wesen Mensch gegen deine Lehre haßt. Als ob ihnen ein feindseliger Mensch verderblicher würde, als der Haß selbst, in dem sie gegen ihn entbrennen, als ob sie, den sie verfolgen, schwerer verletzten als ihr eigenes Herz. Und doch kann kein Wißenskram den innern Vorwurf zum Schweigen bringen, den man fühlt, wenn man einem Andern thut, was man sich selbst nicht will thun laßen. Aber du verborgen in heiligem Schweigen in der Höhe thronst, o Gott, du allein Herrlicher, du streust nach unermüdlichem Gesetz strafende Blindheit auf unlautere Leidenschaft. Ein Mensch, der Ruhm der Beredtsamkeit sucht und von der Menge umgeben, vor einem menschlichen Richter steht, wo er mit dem wildesten Haß seinen Feind verfolgt, hütet sich sorgfältig vor jedem falschgesetzten Wort, aber ohne Scheu vertilgt er den Feind aus dem Kreise der Menschen.

XIX.

An der Schwelle solcher Sitten lag ich als ein elender Knabe. Das war mein Kampfplatz, auf dem ich mich mehr hütete, einen Sprachfehler zu machen, als den zu beneiden, der ihn nicht machte. Löblich und gerecht dünkte mir mein Leben. Wenn ich in solchen Dingen Lob erwarb. Nicht sah den schändlichen Schlund, in den ich, fern von deinen Augen, geworfen war. Nichts Schändlicheres, als ich damals, der ich selbst jenen Menschen misfiel, da ich mit unzähligen Lügen den Erzieher, die Lehrer und Eltern täuschte, alles aus Hang zum Spiel, nichtiger Schaulust uns spielerischer Nachahmungssucht. Ja, ich bestahl die Vorräthe und den Tisch meiner Eltern, von Nachgier getrieben, oder um den Knaben ihre Rollen im Spiel, das wir aufführten, abzumarkten, die sie mir verkauften, ob sie auch mit gleicher Lust daran hiengen, wie ich. In eitler Begierde nach Auszeichnung erschlich ich den Sieg in meinen Spielen. Und was konnte ich weniger ausstehen, was rügte ich härter, wenn ich's von Andern erfuhr, als eben das, was ich an Andern selbst begieng? Und wenn ich ertappt wurde, tobte ich lieber, als daß ich nachgegeben und mich gefügt hätte. Ist das die Knabenunschuld? Denn wie größere Strafen an die Stellen der Ruthen treten, so geht es bei zunehmenden Jahren von Erziehern und Lehrern, von Nüssen, Kügelchen und Sperling zu Statthaltern und Königen, zu, Gold, Landgütern und zu Sclaven. Nur der Demuth Merkmal hast du, unser König, gebilligt an dem Knabenstande, da du sprachest: Ihrer ist das Himmelreich. (Matth. 19. 14.)

XX.

Doch, Dank dir, Herr, unser Gott, dem erhabensten, heiligsten Schöpfer und Lenker des Weltalls, wenn du auch nur gewollt hättest, daß ich ein solcher Knabe geworben wäre! Denn auch damals lebte ich und empfand, schon lag mir meine Erhaltung am Herzen, eine Spur meiner Verbindung mit deinem unerforschlichen Wesen, aus dem ich war. Mit meinem innern Sinn bewachte ich die äußern Sinne, und freute mich der Wahrheit selbst bei kleinen Gedanken über kleine Dinge. Ich wollte mich nicht täuschen laßen, frisch war mein Gedächtnis, durch Rede wurde ich unterwiesen, durch Freundschaft erfreut; ich floh den Schmerz, die Niederträchtigkeit und die Unwißenheit. Was ist an einem also Lebenden nicht wunderbar und preiswerth? Aber dieß Alles sind meines Gottes Gaben; nicht ich gab sie mir; gut sind sie und das Alles bin ich! Also gut ist, der mich schuf, und er selbst ist mein Gut, und ihm frohlocke ich für alles Gute, das ich schon als Knabe hatte. Aber darin sündigte ich, daß ich nicht in dir, daß ich in deinen Kreaturen, in mir und den andern, Lust, Herrlichkeit und Wahrheit suchte, und damit in Schmerz, Verwirrung und Irrthum sank. Dank sei dir, meine Wonne, meine Ehre, mein Vertrauen, o mein Gott! Dank dir für deine Gaben! Bewahre sie mir! Ja, du wirst mich bewahren, und zunehmen und vollendet werden wird, was du mir gegeben hast, und ich werde mit dir sein; denn daß ich bin auch hast du gegeben.

Entstanden um 400. Erstdruck in Straßburg, vor 1470. Erste deutsche Ausgabe: Wien 1672. Übersetzung von Georg Rapp, Stuttgart 1838


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zuletzt aktualisiert am 09.09.2016
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