Ökumenisches Heiligenlexikon

Leben des Hl. Paulus, des ersten Einsiedlers


1. Für viele ist es noch nicht ausgemacht, wer sich vor allen anderen in der Wüste niedergelassen und ein Mönchsleben geführt hat. Einige, die in allzu frühe Zeiten zurückgreifen, wollen mit Elias und Johannes beginnen. Freilich scheint Elias mehr als ein Mönch gewesen zu sein, und Johannes war ein Prophet schon vor seiner Geburt. Nach anderen - und sie vertreten die landläufige Meinung - hat Antonius als erster diesen Lebensstand ergriffen, was aber nur zum Teil seine Richtigkeit hat. Er ist nämlich nicht selbst der erste von allen gewesen, wohl aber sind die anderen durch ihn zu ihrem Eifer angeregt worden. Amathas und Macarius, zwei Schüler des Antonius, von welchen der erstere den Leichnam des Meisters begraben hat, behaupten noch heute, daß, wenn auch nicht der Name, so doch die Sache sich zurückführe auf einen gewissen Paulus aus Theben. Auch wir folgen dieser Angabe, Einige vertreten nun bezüglich seiner Persönlichkeit in schrankenloser Willkür bald diese bald jene Ansicht. Er sei ein bis zur Ferse behaarter Mensch gewesen, der sich in einer unterirdischen Höhle aufgehalten habe, und was dergleichen müßige und unglaubliche Dinge noch mehr sind. Da uns hier die Unwahrheit allzu kraß entgegentritt, wäre eine Widerlegung überflüssige Arbeit. Über Antonius liegen in griechischer wie in lateinischer Sprache hinreichende Mitteilungen vor. Deshalb habe ich mich entschlossen, weniger im Vertrauen auf meine Fähigkeit als vielmehr aus dem Grunde, weil das Thema ohne Bearbeitung geblieben ist, einiges über die ersten und letzten Tage des Paulus niederzuschreiben. Wie er in der dazwischen liegenden Zeit gelebt, welche Nachstellungen ihm Satan bereitet hat, das hat kein Mensch erfahren.

2. Während der Christenverfolgung unter Decius und Valerian, als Cornelius in Rom, Cyprian in Karthago das einerseits grausige, andererseits glückbringende Martyrium erduldeten, da hat das vernichtende Ungewitter viele Kirchen in Ägypten und in der Thebais verheert. Die Christen hegten förmlich das Verlangen, für Christi Namen mit dem Schwerte durchbohrt zu werden. Aber der Feind, der mit Absicht nur solche Strafen aussuchte, die allmählich den Tod herbeiführten, wollte die Seele, nicht den Leib martern. Darum sagt Cyprian, der unter Valerian selbst den Märtyrertod erlitt: Die sterben wollten, durften nicht getötet werden. Damit die Grausamkeit dieses Kaisers ins rechte Licht gerückt werde, will ich zwei Ereignisse der Nachwelt übermitteln.

3. Einen standhaften Bekenner des Glaubens, dem Folter und glühende Eisenplatten nichts anhaben konnten, ließ er mit Honig bestreichen und im sengenden Sonnenbrand, die Hände auf den Rücken gebunden, niederlegen. Nachdem er dem glühenden Roste getrotzt hatte, sollte er den Stichen der Mücken erliegen. Einen anderen, einen in der Blüte der Jahre stehenden Jüngling, ließ er in einen herrlichen Garten führen. Dort wurde er zwischen weißen Lilien und roten Rosen rücklings auf ein mit Flaumfedern gefülltes Bett gelegt. In der Nähe schlängelte sich sanft plätschernd ein Bach dahin, und der Wind strich mit leisem Säuseln durch die Blätter der Bäume. Damit der Jüngling sich nicht befreien konnte, wurde er mit einem Geflecht aus reizenden Blumengewinden festgebunden. Als sich alle entfernt hatten, kam eine schöne Buhlerin und fing an, in zärtlichen Umarmungen ihm um den Hals zu fallen; ja, kaum darf man es sagen, sie scheute sich nicht, ihn unehrerbietig zu betasten, um seine Leidenschaft zu erregen und als schamlose Sünderin den Sieg davonzutragen. Was sollte der Streiter Christi tun, wohin sich wenden? Er wußte es nicht. Bereits schien die Sinnlichkeit ihn zu übermannen, nachdem er der Marterwerkzeuge gespottet hatte. Doch auf eine himmlische Erleuchtung hin biß er ein Stück der Zunge ab und spie es in das Gesicht der ihn Liebkosenden. So wurde das Lustgefühl unterdrückt durch den an seine Stelle tretenden großen Schmerz.

4. Um dieselbe Zeit, als diese Ereignisse sich in der unteren Thebais abspielten, starben des Paulus Eltern und ließen ihn im Alter von ungefähr sechzehn Jahren mit seiner bereits verheirateten Schwester in glücklichen Vermögensverhältnissen zurück. Paulus war sowohl in der griechischen wie in der ägyptischen Literatur vorzüglich bewandert, von sanftem Charakter und äußerst gottesfürchtig. Als der Sturm der Verfolgung losbrach, zog er sich auf ein entlegenes Landgut zurück. Doch wozu treibt nicht der verwünschte Hunger nach Gold das Menschenherz? Der Schwester Gatte, der ihn hätte verbergen sollen, ging mit dem Gedanken um, ihn zu verraten. Weder die Tränen der Gattin, noch die Blutsverwandtschaft, noch der Gedanke an Gott, der von oben her alles überschaut, schreckten ihn von der Ausführung des Verbrechens ab. Er machte sich an ihn heran und stand ihm zur Seite, aber seine Liebe war Grausamkeit.

5. Sobald der geweckte Jüngling darüber Klarheit gewonnen hatte, floh er in die Gebirgseinöden, wo er das Ende der Verfolgung abwarten wollte. Allmählich machte er aus der Not eine Tugend, zog immer weiter und verweilte dann wieder längere Zeit an einem anderen Orte. Endlich, nachdem dieser Wechsel sich wiederholt vollzogen hatte, fand er einen felsigen Berg, an dessen Fuß eine nicht allzu große Höhle mit einem Steine verschlossen war. Er entfernte ihn und setzte seine Nachforschungen mit großem Eifer fort, was bei der Vorliebe des Menschen, Geheimnisvolles zu untersuchen, weiter nicht wundernimmt. Im Innern stieß er auf eine geräumige Halle. Da sich über ihr der Himmel öffnete, bemerkte man eine klare Quelle, obwohl eine alte Palme ihre breiten Äste darüber ausgebreitet hatte. Freilich sie sprudelte kaum ans Tageslicht, da sog dieselbe Erde die Wasser, welchen sie eben das Leben gegeben hatte, durch einen schmalen Spalt wieder auf. Außerdem erblickte man in dem ausgehöhlten Berge eine ganze Reihe von Wohnstätten, in welchen sich bereits verrostete Ambosse und Hämmer vorfanden, wie sie zur Münzprägung dienen. Nach ägyptischen Mitteilungen soll hier eine geheime Falschmünzerwerkstätte gewesen sein zu der Zeit, in welcher Cleopatra mit Antonius verbündet war.

6. Paulus gewann diese Wohnstätte, da sie ihm ja gleichsam Gott selbst angeboten hatte, sehr lieb und brachte dort in Gebet und Einsamkeit sein ganzes Leben zu. Speise und Kleidung bot ihm die Palme. Sollte dies jemandem unglaublich klingen, Jesum und seine heiligen Engel rufe ich zu Zeugen an, daß ich in jenem Teil der Wüste, welcher zwischen Syrien und dem Gebiete der Sarazenen liegt, einen Mönch gekannt habe und noch kenne, welcher sich dreißig Jahre lang einschloß und nur von Gerstenbrot und trübem Wasser lebte. Ein anderer nährte sich in einer alten Gubba, wie die Syrer in ihrer heimatlichen Sprache eine Zisterne nennen, von fünf getrockneten Feigen, die er täglich genoß. Solche werden allerdings ungläubig diesen Mitteilungen lauschen, welche nicht zugeben wollen, daß den Gläubigen alles möglich.

7. Doch zurück zum Thema! Als der hl. Paulus schon hundertdreizehn Jahre lang ein himmlisches Leben auf Erden geführt hatte, hielt sich in einer anderen Einsiedelei der neunzigjährige Antonius auf. Wie er selbst zu sagen pflegte, kam er auf den Gedanken, ein so vollkommener Mönch wie er dürfte sich in der Wüste wohl nicht mehr aufhalten. Aber bei Nacht im Schlafe wurde ihm geoffenbart, daß es noch einen anderen gäbe, der viel tugendhafter als er sei; diesen solle er besuchen. Sogleich mit Tagesanbruch machte sich der ehrwürdige Greis, die schwachen Glieder auf seinen Stab gestützt, auf den Weg, ohne ein sicheres Ziel vor Augen zu haben. Schon brannte die heiße Mittagssonne, doch ließ er sich von der einmal unternommenen Reise nicht abbringen. Ich glaube, sprach er, an einen Gott, der mir meinen Mitbruder zeigen wird, wie er es mir versprochen hat. Aber weiter kam er nicht; denn er bemerkte ein Wesen, halb Mensch, halb Pferd, welches die Dichtersprache Hippocentaurus nennt. Bei diesem Anblick wappnete er die Stirn mit dem heilbringenden Kreuzzeichen. Wohlan, rief er aus, wo wohnt in dieser Gegend der Diener Gottes? Und jener brummte etwas Unverständliches in seinen Bart, wobei er die Worte mehr radebrechte als aussprach; doch suchte er trotz seines von Borsten starrenden Antlitzes nach einer liebenswürdigen Anrede. Mit ausgestreckter Rechten wies er den gewünschten Weg. Dann aber durcheilte er mit der Geschwindigkeit eines Vogels das offene Gelände, um bald den Blicken des überraschten Einsiedlers zu entschwinden. Ich weiß nicht, ob der Teufel ihm dies Trugbild vorgegaukelt hat, um ihn zu erschrecken, oder ob die an sonderbaren Tiergestalten so reiche Wüste auch derartige Geschöpfe hervorbringt.

8. In Staunen versunken über diese Begegnung zog Antonius gedankenvoll weiter. Es dauerte nicht lange, da sah er in einem felsigen, rings von Bergen umgebenen Tal ein kleines Menschlein mit einer gekrümmten Nase und Hörnern an der Stirn; der untere Teil des Körpers lief in Bocksfüße aus. Bei diesem Anblicke ergriff Antonius nach guter Kämpfer Brauch den Schild des Glaubens und den Panzer der Hoffnung. Aber genanntes Wesen bot ihm Datteln an als Wegzehrung, gleichsam ein Unterpfand des Friedens. Als Antonius dies sah, blieb er stehen und erhielt auf die Frage, wer er denn wäre, folgende Antwort: Ich bin ein Sterblicher, einer von den Bewohnern der Wüste, welche das durch mannigfache Irrtümer getäuschte Heidentum mit den Namen Faunen, Satyrn und Inkuben verehrt. Ich bin von meinen Genossen gesandt. Wir ersuchen dich, für uns bei dem gemeinsamen Herrn, der, wie wir wissen, einst zur Erlösung der Welt gekommen ist, Fürsprache einzulegen. Über die ganze Welt hat sich die Kunde von ihm ausgebreitet. Während dieser Unterredung floß ein reicher Tränenstrom, der Ausdruck seiner übergroßen Herzensfreude, über das Antlitz des hochbetagten Wanderers. Er freute sich nämlich über die Verherrlichung Christi und die Vernichtung des Satans. Voll Erstaunen darüber, daß er dieses Wesens Sprache verstehen konnte, stieß Antonius mit dem Stabe auf den Boden und sprach: Weh dir Alexandria, weil du an Stelle Gottes Götzenbilder verehrst! Weh dir, buhlerische Stadt, in welcher die bösen Geister des ganzen Erdballes zusammengeströmt sind! Was wirst du nun sagen? Die Tiere sogar bekennen Christus und du verehrst an Stelle Gottes Götzen. Noch war er nicht zu Ende gekommen, und schon schoß das gehörnte Wesen in pfeilschnellem Lauf dahin. Gegen die Glaubwürdigkeit dieses Berichtes braucht niemand ein Bedenken geltend zu machen, wie ein Ereignis bezeugt, das sich angesichts der ganzen Welt zugetragen hat, als Constantius regierte. Ein Mensch dieser Art wurde lebendig nach Alexandria gebracht, wo er der Schaulust der Menge reichliche Nahrung bot; dann wurde sein Leichnam, nachdem er mit Salz behandelt worden war, damit er nicht unter dem Einflüsse der Sonnenhitze zergehe, nach Antiochia verbracht, um vom Kaiser in Augenschein genommen zu werden.

9. Ich will nicht allzu weit abschweifen, Antonius verfolgte die eingeschlagene Richtung weiter. Er sah nichts als die Spuren der wilden Tiere und die weite, breite Wüste. Was tun? wohin den Fuß setzen? Er wußte es nicht. Schon war der zweite Tag vorübergegangen. Eins nur blieb ihm, das Vertrauen, daß Christus ihn nicht verlassen könne. Die zweite Nacht brachte er ganz im Gebet zu. Als es aber anfing zu dämmern, sah er nicht weit eine Wölfin, die vor Durst lechzend am Fuße eines Berges einherschlich. Seine Blicke verfolgten sie, und als das Tier verschwunden war, trat er an die Höhle und blickte hinein. Jedoch blieb seine Neugierde unbefriedigt, da er vor Dunkelheit nicht sehen konnte. Aber eingedenk des Schriftworts: Die vollkommene Liebe kennt keine Furcht, trat er wie ein vorsichtiger Forscher mit leisem Tritt und verhaltenem Atem ein. Allmählich rückte er vor, öfters Halt machend, um zu horchen, ob irgendein Laut zu vernehmen sei. Endlich schimmerte ihm durch die schaurige Nacht ein Licht entgegen. Eilig schritt er weiter und stieß mit dem Fuß an einen Stein, wodurch ein Geräusch entstand. Der hl. Paulus vernahm es, verschloß den offenstehenden Eingang und legte den Querbalken vor. Da brach Antonius vor der Türe zusammen und bat bis zur sechsten Stunde, ja darüber hinaus um Einlaß. Wer ich bin, sprach er, woher und warum ich komme, ist dir bekannt. Ich weiß, dich zu suchen bin ich nicht würdig; aber ich werde nicht weichen, bis ich dich gesehen habe. Tiere nimmst du auf, Menschen willst du verstoßen? Gesucht habe ich und gefunden. Ich klopfe an, damit mir geöffnet werde; sollte ich dies nicht erreichen, so will ich hier sterben vor deiner Türe. Dann mußt du wenigstens meinen Leichnam begraben. Solcherlei sprach er und blieb hartnäckig und fest auf dem Posten. Antwort gab der Held mit wenigen Worten ihm also: Niemand bittet unter Drohungen, niemand mischt seine Tränen mit Beleidigungen, Und du wunderst dich noch, wenn ich dich nicht empfangen will, da du doch nur gekommen bist, um zu sterben. Und lachend machte Paulus den Eingang frei. Dann umarmten sie sich, begrüßten sich gegenseitig mit ihren Namen und dankten Gott gemeinschaftlich.

10. Nach dem heiligen Kusse setzte sich Paulus, und es entspann sich mit Antonius folgende Unterhaltung: Siehe, derjenige, welchen du mit solcher Mühe gesucht hast, hat altersschwache Glieder, und ungepflegt ist sein graues Haar. Er ist ein Mensch, der bald zu Staub werden wird. Aber weil die Liebe alles erträgt, so erzähle mir doch, ich bitte dich, wie es mit den Menschen steht. Sind in den alten Städten neue Gebäude aufgeführt worden? Wer regiert die Welt? Gibt es noch Menschen, die in teuflischem Irrtum befangen sind? Während die beiden so zusammen redeten, bemerkten sie, daß ein Rabe sich auf einem Ast eines Baumes niedergelassen hatte. Von dort flog er sanft herab und legte zu ihrem Erstaunen ein ganzes Brot vor sie hin. Als der Rabe fort war, rief Paulus aus: Wahrhaftig, der Herr hat uns in seiner Güte und Barmherzigkeit Speise gesandt. Sechzig Jahre sind es schon, daß ich immer nur ein halbes Brot erhalte, aber bei deiner Ankunft hat der Herr seinen Streitern die Ration verdoppelt.

11. Sie dankten dem Herrn und ließen sich beide am Rande des kristallklaren Quells nieder. Es entstand nun Streit, der sich fast bis zum Abend hinzog, und zwar darüber, wer das Brot brechen sollte. Paulus berief sich auf das Recht der Gastfreundschaft, Antonius weigerte sich unter Hinweis auf den Altersunterschied. Endlich kamen sie überein, jeder solle das Brot an einer Seite anfassen, an sich ziehen und den in der Hand zurückbleibenden Teil behalten. Dann schlürften sie mit vorgebeugtem Antlitz etwas von dem Quellwasser. Die ganze Nacht über blieben sie wach und brachten Gott ein Lobopfer dar. Und als der Morgen dämmerte, da sprach der hl. Paulus zu Antonius: Mein Bruder, schon längst habe ich gewußt, daß du in dieser Gegend wohnst; schon längst hatte Gott mir versprochen, daß du einmal mein Mitgenosse sein werdest. Doch die Zeit meines Heimganges ist gekommen, und da ich immer wünschte, aufgelöst und mit Christus zu sein, erwartet mich nach Vollendung meiner Laufbahn nur noch die Krone der Gerechtigkeit. Du aber bist von Gott gesandt worden, um meinen armseligen Leib mit Erde zu bedecken, um dem Staub den Staub zurückzugeben.

12. Auf diese Worte hin bat Antonius unter Tränen und Seufzen, er möge ihn doch nicht verlassen, sondern ihn als Begleiter auf diese Reise mitnehmen. Er erhielt zur Antwort: Nicht was dir, sondern was anderen zum Nutzen gereicht, mußt du suchen. Für dich wäre es freilich besser, die Bürde des Fleisches abzulegen und dem Lamme zu folgen. Aber für die übrigen Brüder ist es gut, daß sie sich an deinem Beispiel erbauen. Wohlan denn, wenn dir meine Bitte nicht lästig fällt, bringe den Mantel herbei, welchen dir der Bischof Athanasius gegeben hat, um meinen Leichnam einzuhüllen. Doch nicht etwa, weil er sich allzu große Sorgen darum gemacht hätte, ob seine Leiche bekleidet oder unbekleidet der Verwesung anheimfiele, drückte der hl. Paulus diesen Wunsch aus, hatte er sich ja seit langem nur mit zusammengeflochtenen Palmblättern bedeckt. Vielmehr wollte er den Freund unter diesem Vorwand entfernen, um ihn der Trauer über seinen Tod zu entheben. Antonius war ganz erstaunt darüber, daß Paulus von Athanasius und dem von ihm geschenkten Mantel Kenntnis hatte und wagte, da er in ihm Christus zu sehen, unter seiner Gestalt Gott verehren zu müssen glaubte, nichts mehr zu erwidern. Aber still vor sich hin weinend küßte er Augen und Hände des hl. Paulus und machte sich auf den Rückweg zum Kloster, das später von den Sarazenen in Besitz genommen wurde. Freilich seine Füße konnten mit seinem Wollen nicht gleichen Schritt halten. Doch überwand er, wie sehr auch der Körper durch Fasten geschwächt und durch der Jahre Last gebrochen war, mutig die Beschwerden des Alters.

13. Endlich ging die Reise zu Ende; vor Erschöpfung keuchend kam er an seiner Behausung an. Zwei seiner Schüler, die ihn schon seit langem zu bedienen pflegten, eilten ihm entgegen mit den Worten: Wo bist du denn so lange geblieben, Vater? Er gab zur Antwort: Wehe mir armen Sünder, der ich zu Unrecht den Namen Mönch trage. Ich habe Elias, ich habe Johannes in der Wüste, ich habe wahrhaftig Paulus im Paradiese gesehen. Weiter sprach er nichts, und mit der Hand auf die Brust schlagend holte er aus der Zelle den Mantel hervor. Als seine Schüler um weitere Aufklärung baten, sprach er: Es gibt eine Zeit zu schweigen und eine Zeit zu reden.

14. Dann ging er weiter und kehrte, ohne irgendwie Speise zu sich genommen zu haben, auf dem Wege, den er gekommen war, zurück. Nach dem heiligen Einsiedler stand all sein Sehnen, ihn nur wünschte er zu schauen, bei ihm verweilten seine Augen und seine Sinne. Er fürchtete, was ja tatsächlich auch geschah, Paulus möchte in seiner Abwesenheit Christo seine Seele zurückgeben. Als bereits der neue Tag heraufleuchtete und noch eine Wegstrecke von drei Stunden zurückzulegen war, da sah er, wie Paulus, umringt von Engelscharen, umgeben von den Chören der Propheten und Apostel, glänzend weiß wie Schnee zum Himmel hinaufstieg. Sofort warf Antonius sich auf sein Angesicht, so daß der Sand sein Haupt bedeckte. Weinend und klagend rief er aus: Warum, o Paulus, verläßt du mich? Warum gehst du fort, ohne Abschied zu nehmen? Spät habe ich dich kennen gelernt, rasch trennst du dich von mir.

15. Der hl. Antonius berichtete später selbst, er habe mit solcher Schnelligkeit den Rest des Weges zurückgelegt, daß er fast wie ein Vogel dahingeflogen sei. Und richtig, kaum war er in die Höhle eingetreten, da erblickte er den entseelten Körper mit gebeugten Knieen und aufrechter Haltung, während die Hände zum Himmel erhoben waren. Im ersten Augenblick glaubte er selbst ihn noch am Leben und betete in gleicher Haltung. Dann aber, als er die gewohnten Seufzer des Betenden nicht hörte, gab er ihm weinend einen Kuß und war Zeuge, wie sogar der Leichnam des Heiligen Gott, für den alles lebt, durch seine Haltung huldigte.

16. Als der Körper eingehüllt war, trug Antonius ihn heraus, wobei er nach christlicher Sitte Hymnen und Psalmen sang. Da er keinen Spaten hatte, um die Erde auszugraben, ward er traurig, überlegte hin und her und sprach: Kehre ich nach dem Kloster zurück, dann ist es eine Reise von vier Tagen, bleibe ich hier, dann kann ich weiter nichts ausrichten. Darum, o Herr, will ich, wie es sich geziemt, neben deinem Streiter sterben, will ich hinsinken und meinen letzten Atemzug tun. Während solche Gedanken ihn beschäftigten, eilten aus dem Innern der Wüste zwei Löwen mit fliegender Mähne herbei, bei deren Anblick er zuerst in Schrecken geriet. Doch er richtete seinen Geist auf Gott und verhielt sich furchtlos, als ob er Tauben sähe. Aber jene liefen geradeswegs auf den Leichnam des heiligen Greises zu und machten vor ihm Halt. Mit dem Schweife wedelnd ließen sie sich zu seinen Füßen nieder und stießen ein fürchterliches Gebrüll aus, so daß man sofort erkennen konnte, wie auch sie auf ihre Weise trauerten. Dann fingen sie an, in der Nähe den Boden mit den Füßen aufzuscharren. Um die Wette warfen sie den Sand heraus und gruben eine Öffnung so groß, daß ein Mensch darin Platz finden konnte. Gleichsam als forderten sie den Lohn für ihre Arbeit, kamen sie darauf, die Ohren bewegend, mit gesenktem Nacken zu Antonius und leckten seine Hände und Füße. Er verstand sofort, daß sie ihn um seinen Segen baten. Voller Begeisterung für Christus, da selbst die Tiere Gottes Dasein fühlten, sprach er unverzüglich: O Herr, ohne dessen Wink kein Blatt vom Baum herabflattert, kein Sperling auf die Erde fällt, belohne sie nach Deinem Gutdünken, und mit einer Handbewegung hieß er sie fortgehen. Darauf beugte er die greisen Schultern unter der Last des heiligen Körpers, setzte diesen bei, häufte die aufgeworfene Erde darüber und errichtete der Sitte gemäß ein Grabmal. Anderntags nahm er als fromme Erinnerung die Tunika des ohne Testament Verstorbenen an sich, welche dieser sich nach Art von Korbgeflecht aus Palmblättern verfertigt hatte. Dann kehrte er zum Kloster zurück und berichtete seinen Schülern alles der Reihe nach. Am Oster- und Pfingstfest aber zog er stets die Tunika des hl. Paulus an.

17. Zum Schlusse dieser Abhandlung möchte ich an jene eine Frage richten, die nicht einmal die Größe ihres väterlichen Erbgutes kennen, die ihre Paläste mit Marmor bekleiden, die gleichsam ihre Grundstücke und Landgüter an einen Faden reihen: Woran hat es diesem von allein entblößten Greise je gefehlt? Ihr habt Trinkgeschirre aus edlen Gesteinen, er bediente sich der hohlen Hand, Ihr wirket Gold in eure Kleider, er konnte sich noch nicht einmal anziehen wie eure ärmsten Sklaven. Andererseits steht ihm, dem Armen, das Paradies offen, euch dagegen, die ihr von Gold strotzet, verschlingt die Hölle, Wenn auch nackt, so hat er doch Christi Kleid treu bewahrt, ihr dagegen, die ihr in Seide einhergeht, habt das Gewand Christi verloren, Paulus liegt begraben unter wertlosem Staub, um aufzustehen zur Herrlichkeit; euch aber, die ihr samt euren Schätzen brennen werdet, beschweren mühevoll aus Stein gearbeitete Grabstätten, Ich bitte, schonet euch, schonet wenigstens euren geliebten Reichtum! Warum hüllt ihr denn sogar eure Toten in goldgestickte Kleider ein? Warum hört der Ehrgeiz nicht auf in den Tagen der Trauer und der Tränen? Können denn die Leiber der Reichen nur in Seide verwesen?

18. Dich aber, o Leser, bitte ich, denke auch etwas an den Sünder Hieronymus! Wenn ihn Gott vor die Wahl stellte, dann würde er viel lieber die Tunika des Paulus mit ihren Verdiensten erküren, als den Purpur der Könige mit seinen Strafen.

Hieronymus: Leben des Hl. Paulus, des ersten Einsiedlers. In: Ludwig Schade: Des Heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften aus dem Lateinischen übersetzt = Bibliothek der Kirchenväter, Kempten/München 1914, I, S. 21 - 33


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zuletzt aktualisiert am 10.09.2016
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