Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Frömmigkeit
Fromm
war ursprünglich ein profanes Wort, das so viel bedeutete wie
nützlich, brauchbar, auf Personen bezogen: tüchtig,
rechtschaffen, bis es seit dem 19. Jahrhundert immer mehr religiöse
Bedeutung annahm.
Wahre Frömmigkeit ist Dienst für den wahren Gott: Augustinus von Hippo (BKLV I 27f, 283).
Papst Leo I. „der Große”
(† 461):
Menschen ohne Frömmigkeit
sind wie Bäume ohne Blätter.
Bernhardin von Siena († 1444):
Die Frömmigkeit
ist eine Würze für alle Tugenden, die der Mensch haben
soll.
Franz von Sales
(† 1622) stellt die Frage: Was ist wahre
Frömmigkeit?
Die wahre und
lebendige Frömmigkeit setzt die Gottesliebe voraus; ja sie ist
nichts anderes als wahre Gottesliebe. Freilich nicht irgendeine Liebe
zu Gott; denn die Gottesliebe heißt Gnade, insofern sie unserer
Seele Schönheit verleiht und uns der göttlichen Majestät
wohlgefällig macht; sie heißt Liebe, insofern sie uns
Kraft zu gutem Handeln gibt; wenn sie aber jene Stufe der
Vollkommenheit erreicht, dass wir das Gute nicht nur tun, sondern es
sorgfältig, häufig und rasch tun, dann heißt sie
Frömmigkeit. …
Der Strauß fliegt
nie; die Hühner können wohl fliegen, aber nur schwerfällig,
selten und nicht hoch; der Adler aber, die Tauben und Schwalben
fliegen oft, mit Leichtigkeit und erheben sich hoch in die Lüfte.
So schwingt sich auch der Sünder nie zu Göttlichem auf; er
lebt nur auf der Erde und für die Erde. Gute Menschen erheben
sich, ehe sie die Frömmigkeit erreicht haben, wohl zu Gott durch
gute Handlungen, aber selten, langsam und schwerfällig. Fromme
Menschen dagegen schwingen sich zu stolzen Höhen empor, sie tun
es gern, häufig und schnell. Mit einem Wort: Frömmigkeit
ist nichts anderes als Gewandtheit und Lebendigkeit im geistlichen
Leben. Sie lässt die Liebe in uns oder uns in der Liebe tätig
werden mit rascher Bereitschaft und Freude. …
Die Frömmigkeit
ist eine höhere Stufe der Liebe; darum lässt sie uns nicht
nur die Gebote Gottes eifrig, entschlossen und gewissenhaft
beobachten, sondern darüber hinaus noch in liebevollem Eifer
viele gute Werke vollbringen, die nicht geboten, sondern nur
empfohlen sind oder zu denen wir uns angetrieben fühlen. …
So unterscheidet sich die Frömmigkeit von der Gottesliebe nicht
anders als die Flamme vom Feuer. Wenn das geistliche Feuer der Liebe
hohe Flammen schlägt, dann heißt es Frömmigkeit. Die
Frömmigkeit fügt zum Feuer der Liebe nur die lodernde
Flamme froher Bereitschaft hinzu, Entschlossenheit und Sorgfalt nicht
nur in der Beobachtung der göttlichen Gebote, sondern auch der
himmlischen Ratschläge und Einsprechungen.
Frömmigkeit ist
kein Privileg für bestimmte Stände, sondern allen möglich:
Bei der
Schöpfung befahl Gott den Pflanzen, Frucht zu tragen, jede nach
ihrer Art (1. Mose 1, 11). So gibt er auch den Gläubigen den Auftrag,
Früchte der Frömmigkeit zu tragen; jeder nach seiner Art
und seinem Beruf. Die Frömmigkeit muss anders geübt werden
vom Edelmann, anders vom Handwerker, Knecht oder Fürsten, anders
von der Witwe, dem Mädchen, der Verheirateten. Mehr noch: die
übung der Frömmigkeit muss auch noch der Kraft, der
Beschäftigung und den Pflichten eines jeden angepasst sein. …
Wäre es denn in
Ordnung, wenn ein Bischof einsam leben wollte wie ein Kartäuser?
Oder wenn Verheiratete sich so wenig um Geld kümmerten wie die
Kapuziner? Kann ein Handwerker den ganzen Tag in der Kirche
verbringen, wie die Mönche es tun? Dürfen andererseits
Mönche aus beschaulichen Orden jedermann zur Verfügung
stehen, wie es der Bischof muss? - Eine solche Frömmigkeit wäre
doch lächerlich, ungeordnet, ja unerträglich.
Solche Dinge kommen
aber sehr oft vor. Weltmenschen, die den Unterschied zwischen der
Frömmigkeit und ihren Zerrbildern nicht kennen oder nicht kennen
wollen, schmähen dann die Frömmigkeit, die wahrhaftig keine
Schuld an solcher Unordnung trifft.
Nein, echte Frömmigkeit
verdirbt nichts; im Gegenteil, sie macht alles vollkommen. Verträgt
sie sich nicht mit einem rechtschaffenen Beruf, dann ist sie gewiss
nicht echt. Die Bienen, sagt Aristoteles, entnehmen den Blumen Honig,
ohne ihnen zu schaden; sie bleiben frisch und unversehrt. Die echte
Frömmigkeit schadet keinem Beruf und keiner Arbeit; im
Gegenteil, sie gibt ihnen Glanz und Schönheit. Kostbare Steine
erhalten einen höheren Glanz, jeder in seiner Farbe, wenn man
sie in Honig legt. So wird auch jeder Mensch wertvoller in seinem
Beruf, wenn er die Frömmigkeit damit verbindet. Die Sorge für
die Familie wird friedlicher, die Liebe zum Gatten echter, der Dienst
am Vaterland treuer und jede Arbeit angenehmer und liebenswerter. …
Es ist ein Irrtum, ja
sogar eine Irrlehre, die Frömmigkeit aus der Kaserne, aus den
Werkstätten, von den Fürstenhöfen, aus dem Haushalt
verheirateter Leute verbannen zu wollen.
[Franz von Sales: Philothea. Anleitung zum frommen Leben. Eichstätt:
Franz-Sales-Verlag 2009, S. 25 - 31]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 22.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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