Von dem Abte Pinuphius
welcher aus Demuth entfliehend , noch weiter sich vom Kloster entfernte
Johannes Cassianus Erzählung nach seinem Besuch bei Abt Pinuphius:
Wir sahen auch den Abt Pinuphius, welcher in einem sehr großen Kloster in Aegypten unweit der Stadt Panephysis Priester war, und schon der Ehrwürdigkeit seines Lebenswandels, seines Alters und priesterlichen Standes wegen von Allen hochgeschätzt wurde. Als er sah, daß er deßhalb die Demuth nicht bewahren könne, entfloh er heimlich aus dem Kloster, und zog sich allein in die äußersten Grenzen der Thebais zurück, wo er die Mönchskleider ablegte, und mit weltlichen Kleidern angethan sich in das Kloster der Labennenser begab, in welchem man, wie er wußte, viel strenger lebte, und wo er glaubte, daß man ihn der weiten Entfernung wegen nicht kennen werde. Daselbst verweilte er sehr lange vor der Pforte warf sich zu den Füßen der Brüder, und flehte mit inständigen Bitten um die Aufnahme. Als er durch viele Verachtung geprüft worden, und endlich zugelassen wurde, übertrug man ihm gleichsam als einem Greisen, der zu keinem Geschäfte mehr tauglich sei, für immer die fleißige Besorgung des Gartens. Dieses Geschäft unter der Aufsicht eines jüngeren Bruders, dem er beigegeben worden, ausübend, unterwarf er sich diesem so, daß er nicht blos das, was zur Besorgung des Gartens gehörte, sondern alle Verrichtungen, welche den übrigen Brüdern zu streng oder unwürdig vorkamen, mit aller Emsigkeit täglich vollbrachte, mehrere sogar, bei der Nacht aufstehend, ohne Zeugen so heimlich that, daß Niemand, den Urheber ausfindig machen konnte.
achdem er daselbst drei Jahre lang sich verborgen gehalten, während ihn die Brüder in ganz Aegypten umher suchten, wurde er endlich von einem Bruder, der aus Aegypten herkam, seines geringen, demüthigen Anzuges und des niedrigen Amtes wegen, das er versah, kaum erkannt; denn ganz niedergebückt grub er mit einer Haue die Erde in den Gemüsebeeten um, und trug hierauf den Dünger auf seinen Schultern herbei, um ihn einzugraben. Als der Bruder, dieß sehend, die längste Zeit zweifelte, ob er es auch wirklich sei, trat er endlich näher auf ihn zu, und erkannte ihn endlich nach genauerer Untersuchung aus seinem Angesichte und der Stimme, worauf er sich zu seinen Füßen warf. Hierauf fingen die Brüder an zu staunen, und fragten, warum er einem Manne solches gethan habe, welcher bei ihnen als erst kurz aus der Welt gekommen, für den letzten angesehen werde. Nachdem ihnen aber der Bruder den Hergang der Sache erzählt, und den Namen des Abtes selber genannt hatte, wurden sie von noch größerem Staunen ergriffen, da er auch bei ihnen in hoher Meinung stand. Alsdann baten sie ihn wegen ihrer Unwissenheit um Verzeihung, daß sie ihn so lange Zeit den Jüngeren und Mindesten nachgesetzt hatten. Allein er weinte und betrübte sich sehr, daß nämlich der Neid des Teufels ihn verrathen habe, und ihm nicht ferner gestattet sei, in gleicher Demuth und Niedrigkeit zu verbleiben. Die Brüder aber führten ihn wider seinen Willen und weinend in sein eigenes Kloster zurück, und bewachten ihn mit größter Sorgfalt, damit er nicht noch einmal entfliehen könne.
Nachdem er daselbst eine kurze Zeit verweilt hatte, befiel ihn neuerdings die Liebe zur Demuth, und er ergriff die Gelegenheit der nächtlichen Stille, und floh, jedoch so, daß er nicht in eine benachbarte Provinz, sondern in gänzlich unbekannte Gegenden auswanderte. Denn er ging zu Schiffe, und reiste nach Palästina, im Glauben, dort sicherer verborgen zu bleiben, wenn er dahin sich begäbe, wo nicht einmal sein Name je genannt worden wäre. Nach seiner Ankunft daselbst suchte er unser Kloster auf, welches nicht weit von der Höhle entfernt liegt, in der unser Herr sich gewürdigt hatte von der Jungfrau geboren zu werden. In diesem Kloster blieb besagter Abt Pinuphius eine Weile verborgen, konnte aber nach den Worten der heil. Schrift als die Stadt auf dem Berge nicht länger verborgen bleiben. (Matthäusevangelium 5, 24) Denn einer der Brüder, welcher aus Aegypten kam, aus Andacht die heiligen Orte zu besuchen, erkannte ihn, und führte ihn mit vielem Bitten ungeachtet seines Sträubens abermals in sein Kloster zurück.
Beste Ermahnung an einen neuangehenden Mönch.
Als wir daher diesen Greis zufolge der vertrauten Freundschaft, in welcher wir zu ihm standen, da er noch in unserem Kloster war, in der Folge zu Aegypten besuchten, traf es sich eben zu, daß er während unsers dortigen Aufenthaltes einen Bruder in sein Kloster aufnahm. Denselben gab er in unserer Gegenwart eine solche wunderbare Lehre, daß ich willens bin, sie diesem Werklein einzuverleiben. Er sagte nämlich zu ihm: Du weißt, mein Sohn! nach welch' langer Erwartung vor der Pforte Du heute bist aufgenommen worden. Vor allem sollst Du die Ursache erfahren, warum Dir solche Schwierigkeit gemacht wurde. Denn es kann Dir in diesem Leben , das Du anzustreben verlangst, vieles nützen, wenn Du nach Erkenntniß des Grundes derselben auf gebührende Weise den Dienst Christi beginnst. Denn gleich wie denen, welche Gott treu dienen, und nach den Satzungen dieser Regel ihm anhängen, für die Zukunft die ewige Glorie verheißen wird; ebenso sind die schwersten Strafen denen bereitet, welche sie nachlässig und lau ausüben, und verabsäumen, ihren Gelübden und der öffentlichen Meinung der Menschen zufolge die gebührenden Früchte der Heiligkeit zu bringen; denn es ist besser, nicht geloben, als geloben, und das Versprochene nicht halten; (Kohelet / Prediger 5, 4) und verflucht sei , wer das Werk des Herrn betrüglich thut. (Jeremia 48, 10) Eben darum bist Du so lange von uns abgewiesen worden, nicht etwa, weil wir Dein oder aller Menschen Heil nicht mit ganzem Verlangen zu umfassen wünschten, sondern damit Du nicht, voreilig aufgenommen, uns bei Gott des Leichtsinnes anklagest und Dich selbst schwererer Strafe schuldig machest, wenn Du so leicht Aufnahme erhalten hättest, ohne die Wichtigkeit Deiner Gelübde zu verstehen, und in der Folge entweder ein Abtrünniger oder ein lauer Mönch geworden seyn würdest.
Wisse daher am heutigen Tage, daß Du der Welt und ihren Werken abgestorben, und nach dem Ausspruche des Apostels, dieser Welt gekreuziget seiest und Dir diese Welt. (Galaterbrief 6, 14)
Vielleicht magst Du aber sagen: Wie kann Jemand, da er lebt, gekreuziget seyn? Höre kurz die Erklärung! Unser Kreuz ist die Furcht des Herrn. Denn wie ein Gekreuzigter nicht nach dem Antriebe seines Geistes die Macht hat, seine Glieder irgendwohin zu bewegen oder zu wenden; ebenso müssen auch wir unseren Willen und unsere Wünsche nicht nach dem, was uns eben ergözt, sondern nach dem Gebote des Herrn, der uns verbindet, richten.
Und wie der, welcher an das Kreuzesholz geheftet ist, nicht die Gegenwart betrachtet, noch an seine Neigungen denkt, und von keiner Begierde etwas zu besitzen bewegt wird; ebenso müssen auch wir durch die Furcht Gottes allen fleischlichen Lastern gekreuzigt seyn, und die Augen unsers Geistes immer dahin richten, wohin wir jeden Augenblick zu wandern hoffen müssen. Wir haben also darauf zu achten, daß wir uns niemals etwas von dem anmaßen, was wir durch Entsagung von uns geworfen haben. Denn nicht derjenige, welcher dieß beginnt, sondern nur der, welcher bis an's Ende ausharrt, wird selig werden. (Matthäusevangelium 10, 22. und 24, 13)
Denn die argliſtige Schlange beobachtet stets unsere Fersen, das heißt, sie stellt unserem Ausgange nach, (1. Buch Mose 8, 15) und trachtet bis zum Ende unsers Lebens uns beständig zu hintergehen; und darum nützt es nichts, gut angefangen zu haben, wenn das Ende nicht gut ist.
Hast Du daher nach dem Ausspruche der heil. Schrift den Dienst Gottes angetreten, so stehe fest in der Furcht Gottes, und mache Dein Gemüth gefaßt, nicht auf Ruhe oder Lustbarkeit , sondern auf Anfechtungen und Trübsale (Kohelet / Prediger 2, 1) denn durch viele Trübsale müssen wir in's Reich Gottes eingehen. (Apostelgeschichte 14, 21) Eng ist das Thor und schmal der Weg, der zum Leben führt, und Wenige sind, die ihn finden. (Matthäusevangelium 8, 14)
Der Anfang unsers Heiles ist sohin die Furcht Gottes. Durch diese
erlangt man den Anfang der Bekehrung, und die Bewahrung der Tugend.
Hat diese den Sinn des Menschen durchdrungen, so gebiert sie die
Verachtung aller Dinge und den Abscheu vor der Welt.
Durch die Verachtung und Entäußerung alles Vermögens erlangt man aber
die wahre Demuth. Die Demuth läßt sich aber aus folgenden
Merkmalen erkennen:
1) Wenn ein Mönch alle Regungen des Willens abgetödtet hat,
2) wenn er seine Handlungen und Gedanken dem Oberen nicht
verheimlichet,
3) wenn er Nichts seinem Verstande, sondern Alles dem Urtheile
desselben überläßt,
4) wenn er in allen Geboten sanftmüthigen Gehorsam und standhafte
Geduld beobachtet,
5) wenn er Niemanden eine Beleidigung zufügt, die ihm zugefügten
aber geduldig erträgt,
6) wenn er nichts gegen die Vorschrift der Regel thut,
7) wenn er bei Allem , was ihm befohlen wird, sich für einen
schlechten und unwürdigen Knecht hält,
8) wenn er sich selbst für den geringsten aus Allen hält,
9) wenn er seine Zunge bezähmt, und kein Schreier ist,
10) wenn er nicht leicht und gerne lacht. Aus diesen Merkmalen
erkennt man die wahre Demuth.
Aber auch das noch mußt Du nothwendig in der Gemeinde beobachten, daß Du nämlich nach dem Ausspruche des Psalmisten wie ein Tauber nicht hörest, und wie ein Stummer Deinen Mund nicht öffnest; daß Du nichts unterscheidest, nichts beurtheilest von dem, was Dir befohlen worden seyn mag. Du darfst also Deine Geduld nicht von der Tugend Anderer hoffen, daß Du sie nämlich nur dann besitzest, wenn Du von Niemanden gereitzt worden bist.
Der Anfang unseres Heiles ist, wie schon gesagt, die Furcht Gottes. Aus der Furcht des Herrn entsteht die heilsame Zerknirschung, aus der Zerknirschung des Herzens geht die Verachtung und Entblösung alles zeitlichen Gutes hervor, die Entblößung gebiert die Demuth, von der Demuth stammt die Abtödtung des Willens, durch die Abtödtung des Willens werden alle Laster ausgerottet, durch die Vertilgung der Laster wachsen die Tugenden und bringen Früchte, durch dies Wachsthum der Tugenden erlangt man die Reinigkeit des Herzens, in der Reinigkeit des Herzens endlich besitzt man die Vollkommenheit der apostolischen Liebe.
Aus: Heribert Rosweid: Leben der Väter. deutsch bearbeitet von Michael Sintzel, 2. Band. Karl Kollmann'sche Buchhandlung, Augsburg 1847
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