Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Kirche und soziale Frage
1. Kirche und soziale Frage
2. Kirche und Entwicklung
1. Kirche und soziale Frage
Dieses Thema ist zu umfassend, als dass es hier auch nur ansatzweise vorgestellt werden könnte. Vor allem ist zu verweisen auf die Sozialenzykliken der Päpste seit Papst Leo XIII.
Thomas Morus (†
1535) lässt in seinem Werk Utopia
seinen Protagonisten Raphael Hythlodeus eine Rede über die beste
Staatsverfassung halten. Diese sieht er in der utopischen Staatsform
und er kritisiert die sozialen Missstände in den bestehenden
Staaten:
Da möchte
ich den wohl sehen, der es wagt, mit solcher Gleichheit des Rechtes
[nämlich: im utopischen Staat] die Gerechtigkeit anderer Völker
zu vergleichen! Ja, ich will des Todes sein, wenn ich bei den anderen
überhaupt eine Spur von Gerechtigkeit und Billigkeit zu finden
vermag! Denn was ist das für eine Gerechtigkeit, dass jeder
beliebige Edelmann oder Goldschmied oder Wucherer oder sonst
irgendeiner von der Menschenklasse, die überhaupt nichts leistet
oder wenigstens eine Beschäftigung treibt, die für den
Staat nicht dringend nötig ist, dass der ein üppiges und
glänzendes Leben führen darf aus einem Erwerb, den ihm sein
Nichtstun oder sein überflüssiges Geschäft einbringt,
während gleichzeitig der Tagelöhner, der Fuhrmann, der
Schmied, der Bauer mit aller seiner harten und beständigen
Arbeit, wie sie kein Zugtier aushalten würde, die so dringend
nötig ist, dass ohne sie die Gesellschaft nicht ein Jahr
auskommen könnte, sich doch nur ein so knappes Auskommen
verdient, ein so erbärmliches Leben führen muss, dass einem
die Lage der Zugochsen weit besser erscheinen könnte, die nicht
so beständig sich placken müssen, nicht viel schlechtere,
aber ihnen viel besser schmeckende Nahrung kriegen und bei alledem
sich nicht vor der Zukunft zu fürchten brauchen? Diesen Menschen
dagegen verdirbt die tägliche Hetze erfolgloser, unfruchtbarer
Arbeit den Genuss der Gegenwart, und im Gedanken an die Zukunft
martert sie obendrein die Aussicht auf ein hilfloses Alter. Denn wenn
ihr täglicher Lohn zu kümmerlich ist, um auch nur für
denselben Tag auszureichen, wie soll dann etwas herausspringen und
übrig bleiben, das man zur Verwendung im Alter täglich
zurücklegen könnte?
Ist das etwa nicht ein
ungerechter und undankbarer Staat, der so viel Gunst verschwendet an
die sogenannten Edelleute, an Juweliere und sonstige Angehörige
dieser Menschenklasse, die aus Tagedieben oder bloßen
Schmarotzern und Angehörigen unnützer Luxusgewerbe besteht,
dagegen den Bauern, Köhlern, Tagelöhnern, Fuhrleuten und
Schmieden, ohne die überhaupt kein Staat bestehen könnte,
gar keine Fürsorge zuwendet, sondern zuerst ihre Arbeit während
ihrer besten Lebensjahre ausnützt und dann, wenn sie endlich,
durch Alter und Krankheit gebeugt, an aller Notdurft Mangel leiden,
ihnen aufs schnödeste vergilt, uneingedenk so vieler
durchwachter Nächte, so vieler und so großer
Dienstleistungen, indem er sie in jammervollster Armut sterben lässt?
Was soll man vollends dazu sagen, dass die Reichen von dem täglichen
Lohn der Armen alle Tage noch etwas abzwacken, nicht nur durch
privaten Betrug, sondern sogar auf Grund öffentlicher Gesetze?
So haben sie das, was früher als ungerecht galt: die größten
Verdienste, um den Staat mit dem ärgsten Undank zu vergelten, in
seiner öffentlichen Geltung ganz entstellt, ja schließlich
durch gesetzliche Sanktion zur Gerechtigkeit gemacht. Wenn ich daher
alle unsere Staaten, die heute irgendwo in Blüte stehen, im
Geiste betrachte, und darüber nachsinne, so stoße ich auf
nichts anderes, so wahr mir Gott helfe, als auf eine Art Verschwörung
der Reichen, die den Namen und Rechtstitel des Staates missbrauchen,
um für ihren eigenen Vorteil zu sorgen. Sie sinnen und hecken
sich alle möglichen Methoden und Kunstgriffe aus, zunächst
um ihren Besitz, den sie mit verwerflichen Mitteln zusammengerafft
haben, ohne Verlustgefahr festzuhalten, sodann um die Mühe und
Arbeit der Armen so billig als möglich sich zu erkaufen und zu
missbrauchen. Haben die Reichen erst einmal im Namen des Staates, das
heißt also auch der Armen, den Beschluss gefasst, ihre
Machenschaften durchzuführen, so erhalten diese sogleich
Gesetzeskraft. Aber selbst wenn diese abscheulichen Menschen in ihrer
unbegreiflichen Gier alle Güter des Lebens, die für alle
gereicht hätten, unter sich aufgeteilt haben, wie weit sind sie
dennoch entfernt von dem glücklichen Zustand des utopischen
Staates!
[Thomas Morus: Utopia, übersetzt von G. Ritter. Philipp Reclam jun.,
Stuttgart 1983, S. 143 - 145]
Adolph Kolping (†
1865) nennt es einen politischen Aberglauben
,
zu meinen, Religiöses habe im sozialen Bereich nichts zu suchen.
Vielmehr müssen zum Wohl der Gesellschaft Irdisches und
Religiöses zusammenwirken:
Es gibt überhaupt
keine absolute Trennung zwischen dem religiösen und dem
irdischen sozialen Leben, zwischen Himmel und Erde, und darum ist es
gänzlich unwahr, was einige meinten, zum religiösen Heil
gehöre zwar die Gnade, ja die Gnade allein sei hier wirksam auch
ohne die Mitwirkung, die irdischen Dinge dagegen seien rein Sache des
Menschen und dem freien Spiel seiner Kräfte überlassen. Die
Offenbarung lehrt uns, dass es keinen Zufall gibt, dass Gott wollend
und wirkend auch in das geringste Irdische eingreift. Daraus folgt,
dass der Mensch mit seinem Wollen und Wirken auch in den geringsten
Dingen ein bestimmtes Verhalten für oder gegen den alles
regierenden Gott annehmen muss, und auf dieses Verhältnis, in
welches das menschliche Wollen und Handeln sich zu Gott stellt, kommt
alles an für seinen Erfolg und Segen. Wer richtig in und mit
Gott wirkt, der wird, muss notwendig auch mit Kleinem Großes
ausrichten, während die größten Kraftanstrengungen
und die ungeheuersten irdischen Mittel nichts vermögen, wo das
Werk nicht im Namen Gottes und in seiner Kraft unternommen und von
ihm gesegnet wird.
Es kommt also auch in
sozialen Dingen nicht allein auf das an, was, sondern auch besonders
darauf an, wie es geschieht. Die an sich zweckmäßigsten
Unternehmungen werden notwendig erfolglos bleiben, wenn sie ohne Gott
unternommen werden. Also ist nicht in die irdischen Mittel und Wege
der Abhilfe an sich selbst, nicht in die menschlichen Werke für
sich allein, sondern in ihr Verhältnis zu Gott der Grund für
die Hoffnung ihres Gedeihens zu legen.
Zweierlei Irrtümer
sind also auch von dem sozialen Gebiete, den Ansichten über
soziales Wirken etc. fernzuhalten: erstens die gleichsam
pelagianische [d i. nach dem Häretiker Pelagius benannte]
Vorstellungsweise von der Macht und Kraft menschlicher Handlungen an
und in sich selbst, das ist das abergläubische Vertrauen auf
Irdisches; zweitens ist fernzuhalten der entgegengesetzte, zum
Quietismus führende [die Passivität des Menschen betonende]
Irrtum von der ausschließlichen Wirkung Gottes ohne menschliche
Mitwirkung. Wenn Gott auch keine offenbaren äußeren Wunder
tut, so kann wenigstens denkbarerweise [!] die soziale Welt doch
wieder in Ordnung kommen nicht durch pure Menschenkräfte, wohl
aber durch Gnade und die menschliche Mitwirkung.
Keiner vergesse
über der Weltpolitik die Gottespolitik, damit er Frieden
behalte.
Alles wird
darauf ankommen, das Christentum dem Geiste und der Praxis nach ins
wirklich gesellschaftliche Leben hineinzutragen. Denn das ist gewiss:
Heutzutage ist es mehr als je wahrlich nicht genug, dass man auf der
Kanzel das Christentum theoretisch predigt, die Kinder im Katechismus
unterrichtet usw., sondern es tut in unserem vielfach
entchristlichten praktischen Leben Not, dieses praktische Leben
selbst wieder mit christlichen Augen anschauen zu lehren; Not tut es,
dass die Lehrer der göttlichen Wahrheit wieder mitten unter das
Volk , ich sage sogar, in sein geselliges Leben treten, damit das
Menschliche auch da wieder durch das Göttliche von den Toten
erweckt werde und in rechter Weise zu leben anfange.
Nun aber ist's
hohe Zeit, dass das Christentum leibhaftig wieder von Tür zu Tür
getragen wird, auch bis in die Werkstätten hinein.
In der Tat, der
Religion gebührt auch im Staatsleben die erste Stelle. Ruht doch
alle höhere Wahrheit, alle wahre Gerechtigkeit auch für den
Staat auf der Religion, welche die Gewissen regiert: das Etwas im
Menschen, das die Polizei nicht zu machen und nicht zu fassen
imstande ist, und das sie doch wieder nicht entbehren kann.
[Text:
Adolph-Kolping-Schriften, Kölner Ausgabe, Bd. 4: Soziale Frage
und Gesellenverein, 1852 - 1858, hrsg. von R. Copelovici una anderen. Köln
1986, S. 280 - 284;
S. G. Schäffer, umgearbeitet von J. Dahl:
Adolf Kolping / Sein Leben und sein Werk. Köln 1947, S. 421 - 423]
2. Kirche und Entwicklung
Papst Paul VI. (†
1978):
Treu der Weisung
und dem Beispiel ihres göttlichen Stifters, der die Verkündigung
der Frohbotschaft an die Armen als Zeichen für seine Sendung
hingestellt hat11, hat sich die Kirche immer bemüht, die Völker,
denen sie den Glauben an Christus brachte, zur menschlichen
Entfaltung zu führen. Ihre Missionare haben neben Kirchen auch
Hospize, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten gebaut. Sie
haben die Eingeborenen gelehrt, die Hilfsquellen ihres Landes besser
zu nutzen, und haben sie so nicht selten gegen die Gier der Fremden
geschützt. Natürlich war auch ihr Werk, wie jegliches
menschliche Werk, nicht vollkommen, und manche von ihnen mögen
ihre heimische Denk- und Lebensweise mit der Verkündigung der
eigentlichen Frohbotschaft verbunden haben. Trotzdem verstanden sie
es, auch die dortigen Lebensformen zu pflegen und zu fordern
Vielerorts gehören sie zu den Pionieren des materiellen
Fortschritts und des kulturellen Aufstiegs. …
Aber diese
Anstrengungen, die heute von einzelnen und Gruppen in jenen Ländern
unternommen werden, genügen heute jedoch nicht mehr. Die
gegenwärtige Situation der Welt verlangt ein gemeinsames
Handeln, beginnend bereits mit einer klaren Konzeption auf
wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und geistigem Gebiet. Auf
Grund ihrer Erfahrung in allem, was den Menschen betrifft, geht es
der Kirche, ohne sich in die staatlichen Belange einmischen zu
wollen, nur um dies eine: unter Führung des Geistes, des
Trösters, das Werk Christi selbst weiterzuführen, der in
die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; zu retten, nicht zu
richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen
. Gegründet,
um schon auf dieser Erde das Himmelreich aufzurichten, nicht um
irdische Macht zu erringen, bezeugt sie ohne Zweideutigkeit, dass die
beiden Bereiche voneinander verschieden sind, dass beide, die
kirchliche und die staatliche Gewalt, die höchste ist in ihrer
Ordnung. Aber, weil die Kirche wirklich unter den Menschen lebt,
darum hat sie die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu
forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten
. Sie
teilt mit den Menschen deren bestes Streben, und leidet, wenn es
nicht erfüllt wird. Sie möchte ihnen helfen, sich voll zu
entfalten, und deswegen eröffnet sie ihnen das, was ihr allein
eigen ist: eine umfassende Sicht des Menschen und des Menschentums.
[Enzyklika Populorum progressio
12 - 13]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 03.09.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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