Ökumenisches Heiligenlexikon

Pietismus


Pietismus - ursprünglich ein Spottname, abgeleitet vom lateinischen Pietas, Frömmigkeit - entstand im 17. Jahrhundert als die nach der Reformation wichtigste Reformbewegung in der Evangelischen Kirche. Führende Männer beförderten das Anliegen und erzielten eine neue Leuchtkraft des Glaubens mit besonderer Betonung der Bibel. Im Pietismus wurde der Einzelne für den Glauben entdeckt wie nie zuvor, getragen wurde die Bewegung in der Regel von vielen einfachen Leuten, aber auch Wirkungen auf die Universitäten, besonders diejenige von Halle - ihr Gebäude, die Ratswaage, stand vor dem heutigen Ratshof -, blieben nicht aus. Durch eine Lebenswende, als Wiedergeburt bezeichnet, nehmen Menschen Christus persönlich in ihr Leben auf. Sie stellen ihr Leben unter das Gebet und lernen aus der Bibel, der Glauben erhält damit oft eine besondere Ausstrahlung und Stoßkraft. Pietismus bezeichnet also die bewusst vom Subjekt erlebte Gotteserfahrung und die bewusst vollzogene Hingabe an Gottes Wort.

1675 gab Philipp Jakob Speners Schrift Pia desideria, Fromme Wünsche den Anstoß; in Halle bekam der Pietismus durch Speners Freund und Mitarbeiter August Hermann Francke ein erstes Zentrum. Im 18. Jahrhundert wurde die Herrnhuter Brüdergemeine ein wesentlicher Zweig des Pietismus; in Württemberg blühte ein Pietismus, der sich sehr umfassend auf das bald schon erwartete Reich Gottes ausrichtete und die Bibel mit der Natur und Geschichte in großen Systemen der Heilsgeschichte verband, Hauptvertreter waren Johann Albrecht Bengel, Friedrich Christoph Oetinger und Michel Hahn. Pietismus und Aufklärung waren damals Verbündete im Kampf gegen orthodoxe Lehrgebäude und hierarchische Strukturen sowie in der Betonung der Individualität und der Rechte des Einzelnen. Mit der Zeit aber wandte sich der Pietismus gegen die kritische und den Verstand betonende Aufklärung, die den Glauben an den sich in der Bibel offenbarenden Gott in Frage stellte.

Im 19. Jahrhundert waren Erweckungsbewegungen im Siegerland rund um Siegen, in Wuppertal mit Schwerpunkt an der Alten reformierten Kirche, in Minden und im Ravensberger Land rund um Herford, auch in Pommern - oft stark beeinflusst aus den USA und England - Träger der Bewegung, die zur Entstehung des Neupietismus führte. Immer stärker begann nun aus pietistischen Kreisen in der evangelischen Kirche der Ausbau von diakonischen Einrichtungen wie Waisenhäuser, Krankenhäuser, Armenfürsorge, von Mission im Innern des Landes und in aller Welt, von eigenständiger Jugendarbeit wie im CVJM und von Erwachsenenbildung wie in den Gemeinschaften. Ein großer Reichtum an Liedern verdankt sich diesen Gemeinschaften. 1888 trafen sich führende Vertreter der Gemeinschaften - darunter Carl Heinrich Rappard - zur Pfingstkonferenz in Gnadau, 1897 wurde der bis heute bestehende Gnadauer Verband als Vereinigung aller deutschen Gemeinschaftskreise gegründet.

Während der Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert schöpferische Unruhe war und weithin revolutionär auftrat, vermitteln seine Erscheinungsformen im 19. und 20. Jahrhundert weithin einen konservativen Eindruck. Viele heute aktuelle Konflikte in der evangelischen Kirche sind Auseinandersetzungen um die durch den Pietismus aufgeworfenen Fragestellungen wie das Verhältnis von Glaube und Frömmigkeit, Rechtfertigung und Wiedergeburt, Bibel und Dogma.

Die Website des Gnadauer Verbandes gibt einen ersten Überblick über pietistische Gruppierungen heute.





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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 18.10.2023

Quellen:

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.


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