Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Das Kirchenjahr
Jakobus de Voragine
(† 1298) beginnt seine Legenda Aurea im Prolog mit
einem überblick über das Kirchenjahr und seine Bedeutung:
Die ganze Zeit
vergänglichen Lebens wird in vier Teile mit Unterschieden
geteilt. Das erste ist die Zeit eines verirrten Lebens; diese währte
von dem Zeitpunkt an, da Adam die erste Sünde beging, bis auf
die Zeit des Mose. Die Zeit begeht die Christenheit von Septuagesima
bis Ostern [d. h. der inzwischen abgeschafften Vorfasten- und der
Fastenzeit] … Das zweite ist eine Zeit der Erneuerung oder des
Widerrufs, diese währte von Mose bis zur Geburt unsres Herrn;
denn in dieser Zeit wurde der Mensch erneuert und zum Glauben gerufen
durch den Mund der Propheten. Die Zeit begeht die Christenheit vom
Advent bis Weihnachten … Das dritte ist eine Zeit der Versöhnung,
da uns Christus mit seinem verdienstlichen Leben und Tod mit Gott
seinem Vater versöhnt hat. Die Zeit begeht die Christenheit von
Ostern bis Pfingsten … Das vierte ist eine Zeit der Pilgerschaft,
das ist die Zeit des gegenwärtigen Lebens, in der wir gerade
pilgern, sie ist voll Kampf und Widerwärtigkeit. Die Zeit begeht
die Christenheit von der Pfingsten bis zum Advent …
Diese vier Unterschiede
der geistlichen Zeit vergleicht man mit den vier Teilen des
natürlichen Jahres, also dass die erste Zeit den Winter, die
zweite den Frühling, die dritte den Sommer, die vierte den
Herbst bedeutet; und der Sinn dieses Vergleichs ist offenbar.
Ein anderes Gleichnis
sind die Teile des Tages, sodass also die erste geistliche Zeit der
Nacht, die zweite dem Morgen, die dritte dem Mittage, die vierte dem
Abend gleicht.
Obgleich die Zeit der
Verirrung der Zeit der Erneuerung vorausgeht, so hebt doch die Kirche
alle Feier an mit dem Advent und nicht mit Septuagesima. Denn sie
will nicht anfangen mit der Verirrung, und sieht nicht auf die
Ordnung der Zeit, sondern auf die Sache; so tun es auch oft die
Evangelisten in ihren Büchern. Auch wird durch die Ankunft des
Herrn alles erneuert, darum heißt diese Zeit: Zeit der
Erneuerung. Dies meint der Herr in dem Buch der Geheimen Offenbarung,
da er spricht Nehmt wahr, ich erneuere alle Dinge
(Offenbarung
21, 5).
[Legenda
Aurea / Aus der Goldenen Legende des Jacobus de Voragine, hrsg. von
Christoph Wetzel. Herder, Freiburg u. a. 2007, S. 8. 10]
Ivan Merz (†
1928) zeichnet eine große
Hochschätzung der Liturgie aus:
Die
verschiedenen liturgischen Zeiten führen uns in die
Hauptgeheimnisse unseres heiligen Glaubens ein. So lernen wir im
Verlauf des Jahres das ganze Leben Jesu kennen … Die Liturgie ruft
außerdem das Leben der Seligen Jungfrau Maria, die Engel und
schließlich die ganze Geschichte der Heiligen Kirche in
Erinnerung, so wie sie in ihren Vertretern - den Heiligen -
repräsentiert wird.
Mittels
der Meditation der Liturgie wird jeder Katholik groß und
universell. Seine eigenen persönlichen Interessen zurückstellend
beginnt er zu empfinden, was die Kirche empfindet, diesen großartigen
Widerschein des unbegrenzten Christus. Mittels der Liturgie wird jede
einzelne Seele erzogen. Ja, man kann sagen, dass die Liturgie
Pädagogik ist im wahren Sinne des Wortes … Mittels der
katholischen Liturgie meditieren alle Menschen auf Erden am selben
Tag die gleichen Dinge und auf diese Weise verstärkt sich das
Bewusstsein der katholischen Einheit aller Völker. Schließlich,
mittels der Liturgie erweist der Mensch Gott in vollkommenster Weise
die Ehre, die Ihm gebührt. Mit dem liturgischen Gebet vereint
sich der Gläubige mit den Chören der Engel, die
unaufhörlich den Schöpfer loben und so beginnt der Mensch
schon auf dieser Erde sich in dem Dienst zu üben, den er voll
Freude in Ekstase in der Ewigkeit verrichten wird.
[Giampaolo
Mattei, Ivan Merz. Un programma di vita e di azione cattolica per i
giovani di oggi, Quaderni de L´osservatore Romano 66,
Città; del Vaticano 2003, S. 52. 62f., eigene Übersetzung]
Der Dichter, Philosoph und Widerstandskämpfer Johannes
Maria Verweyen († 1945):
Das
Kirchenjahr ist gleichsam der Sternenbildkreis
des übernatürlichen Himmels,
den die Christussonne durchläuft, ein die natürliche
und übernatürliche Wirklichkeit umspannendes Drama, in dem
Gott selbst gleichsam als Träger der Hauptrolle wirksam ist,
aber neben Ihm auch Engel und Menschen mitwirken.
[Johannes
M. Verweyen: Heimkehr, eine religiöse Entwicklung. Breslau 1941,
S. 277]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 13.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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