Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Reform der Kirche
Reformbestrebungen in der Kirche gab es bereits seit dem Hochmittelalter. Als Reaktion auf die Reformationsbestrebungen und die daraus resultierende Kirchenspaltung kam es auf Seiten der katholischen Kirche zu einer gegenreformatorischen Bewegung, die im Konzil von Trient (1562 - 1563) gipfelte. Auch hier ging es um die Erneuerung der Kirche.
In seiner Regel
des wahren Glaubens
betont Fulgentius von Ruspe (†
533), dass es keine ideale, makellose Kirche geben kann:
Halte mit
felsenfestem, unerschütterlichem Glauben daran fest, dass die
katholische Kirche eine Tenne Gottes ist, angefüllt mit Weizen,
der bis zum Ende der Welt mit Spreu vermischt sein wird, das heißt,
dass durch die sakramentale Gemeinschaft Gute mit Schlechten gemischt
sind! In jedem Stande, dem der Kleriker, Mönche oder Laien, gibt
es Gute und Schlechte, Man darf nicht die Guten wegen der Schlechten
verlassen, sondern muss die Schlechten wegen der Guten, soweit die
Rücksicht des Glaubens und der Liebe es verlangt, ertragen,
sofern sie in der Kirche nicht die Samenkörner des Irrglaubens
ausstreuen oder die Brüder durch todbringende Nachahmung zu
einer Sünde verführen. Denn es kann ja kein Kind der
katholischen Kirche, das den rechten Glauben hat und ein gutes Leben
führt, je durch eine fremde Sünde befleckt werden, wenn es
nicht dem Sünder zustimmt und ihn begünstigt. Ja, es ist
von Nutzen, wenn die Schlechten in der Kirche von den Guten ertragen
werden, wenn man durch gutes Beispiel und fromme Ermahnung die
Absicht mit ihnen verfolgt, dass sie, wenn sie das Gute hören
und sehen, ihre üblen Taten verabscheuen und vor dem Gericht
Gottes über ihre Freveltaten erzittern und so durch das Geschenk
der zuvorkommenden Gnade über ihre Sünden erschüttert
und durch Gottes Barmherzigkeit zu einem guten Leben bekehrt werden.
Die Guten sollen von den Schlechten in der katholischen Kirche nur
durch die Verschiedenheit ihrer Taten getrennt sein, so dass sie mit
denen, mit welchen sie die göttlichen Geheimnisse gemeinsam
empfangen, nicht die bösen Taten gemeinsam haben, mit denen jene
befleckt sind. Am Ende der Welt aber werden die Guten von den Bösen
auch dem Leibe nach getrennt werden, wenn Christus mit der
Wurfschaufel in der Hand erscheinen und seine Tenne reinigen und den
Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu hingegen mit
unauslöschlichem Feuer vertilgen wird, wenn er in gerechtem
Gericht die Gerechten von den Ungerechten, die Guten von den Bösen,
die Frommen von den Sündern sondern wird.
[Fulgentius von Ruspe: Regel des wahren Glaubens, übersetzt aus dem Lateinischen
von Leo Kozelka, in: BKV II, S. 186f.]
Joachim von Fiore (†
1202) sieht in der Offenbarung des Johannes die Kirche des
Geistes angekündigt, die nicht nur Gesetz und Buchstaben,
sondern auch alles Historisch-Menschliche und Bilder und Gleichnisse
hinter sich lässt:
Wenn der
allmächtige Gott das Alte beenden will, um das Neue aufzubauen,
lässt er es zu, dass der Kirche irgend eine Verfolgung geschehe,
und indem er das, was er beenden will, verlässt, beschützt
er das, was bleiben soll. So, dass das Neue, … das Gute, das im
Dunkeln verborgen war, bei gegebener Gelegenheit zum Licht
emporgeführt werde. Die Kirche der Beschneidung, aus der sich
viele Tausende zum Herrn bekehrt hatten, stellte sich wohl der Welt
schon durch das hohe Alter ihrer Abstammung als verehrungswürdig
dar und auch weil Christus nach dem Fleische aus ihr geboren war. So
wie aber ein großer Unterschied ist zwischen dem weiblichen und
dem männlichen Geschlecht, so sind auch die, die nach dem
Fleische leben, indem sie das Gesetz des Mose verkündigen, um
vieles verschieden von denen, die nach dem Geiste wandeln und die
Gnade Christi dem Gesetz vorziehen. So wollte der allmächtige
Gott, dass gerade die Kirche der Beschneidung beim Gebären
bedrängt werde und dass, nachdem jenes von Händen
errichtete Heiligtum und die jüdische Priesterschaft vernichtet
waren, auch in den christlichen Beschnittenen der Eifer des Gesetzes
aufhöre, damit in den Völkern das Geistige befestigt werde,
wenn das Irdische abgelegt ist. Wenn Gott durch die Abfolge der
Zeiten die Lage der Kirche verändern will, damit eines nach dem
andern erfüllt werde, wie es geschrieben steht, werden einige
Jahre vorher Wetterleuchten, Blitze und Wunder vorausgehen,
ermahnende Stimmen, die Donner geistiger Reden, sei es, um die
Verschlafenen und Faulen aus dem Schlafe des Todes aufzurütteln,
sei es, damit die einen wie die andern erkennen, dass der Herr etwas
Neues auf der Erde beginnen wird.
Die Geschichten des
alten Bundes aber verkünden uns die buchstäblichen Taten
mit lauter Stimme; sicherlich darum, damit die Wurzel unseres
Glaubens in einem starken Fundament stehe.
Die Taten des neuen
Bundes freilich waren noch zukünftig, als Christus in die Welt
kam, und weil sie auf historische Weise noch nicht beschrieben werden
konnten, wurden sie in der Apokalypse in prophetischen Worten
zusammengefasst, damit das jugendliche Zeitalter lerne, im Fliegen
wie die Schwalbe geistige Speise zu empfangen und schnell die Worte
der (rein) historischen Weisheit wie Fleisch und Aas zu fliehen.
In der Tat werden in
Zukunft nicht nur die historischen Darstellungen und (die,) welche
nach Erde schmecken, dahinschwinden, sondern es werden auch die
mystischen Reden aufhören, die den Verständigen durch
Bilder und Gleichnisse eingegeben werden. Nicht mehr durch
irgendwelche Bilder, sondern im Geiste werden wir das Angesicht
unseres Gottes, des Urhebers, schauen, ihm ähnlich geworden nach
dem (Wort) des Apostels: Wir wissen aber, wenn es erscheinen
wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie
er ist.
(1. Johannesbrief 3, 2) In der Tat sagen wir dies darum, um den
Inhalt des Buches der Offenbarung wiedergeben zu können und zu
erklären, was die Absicht (dieses) Buches ist.
Aber auch wir, die wir
die Letzten sind, wurden durch die Gnade zu den Ersten gemacht. So
wie wir der Gnade nachgefolgt sind, müssen wir dem Geiste mehr
gehorchen als dem Buchstaben, indem wir von Klarheit zu Klarheit
gehen, geradeso wie wir vom ersten Himmel in den zweiten, vom zweiten
in den dritten, aus dem Ort der Finsternis zum Mondlicht und dann von
der Helligkeit des Mondes zum noch größeren Licht gelangen
können.
[Joachim von Fiore; Das Zeitalter des Heiligen Geistes. Hrsg. v. Alfons Rosenberg,
Bietigheim 1977, S.117 - 119]
Johannes Leonardi
(† 1609) drückt in einem Brief an Papst Paul
V. (1605 - 1621) seine Überzeugung aus, dass diese Erneuerung sowohl
vom Haupt, also den Verantwortlichen in der Kirche, wie von unten, d.
h. von den Kindern und der Jugend her, erfolgen soll:
Ich will dir
zeigen, was der Herr von dir verlangt:
Wer eine Erneuerung der
menschlichen Sitten ins Auge fasst, muss zunächst einmal mehr
als alles andere die Ehre Gottes suchen und für eine so Heil
bringende, aber schwere Aufgabe die Hilfe Gottes, von dem alles Gute
kommt, erwarten und erbitten.
Sodann muss er selber
als Spiegel aller Tugend vor den Augen derer stehen, die er erneuern
will - wie ein Licht auf den Leuchter gestellt, um durch die
Unbescholtenheit seines Lebens und die Lauterkeit seiner Sitten allen
zu leuchten, die im Haus Gottes sind. Denn der Liebreiz des Guten ist
es, der zur Erneuerung eher anzieht als antreibt. Nach dem Willen des
Trienter Konzils darf vom Leib nicht verlangt werden, was das Haupt
nicht leistet. Sonst würden Verfassung und Ordnung der ganzen
Gottesfamilie ins Wanken geraten. Außerdem muss der Erneuerer
wie ein kluger Arzt alle Krankheiten, an denen die Kirche leidet,
gründlich studieren, um ihnen mit geeigneten Mitteln begegnen zu
können.
Was nun die Heilmittel
anlangt, so betreffen sie natürlich die ganze Kirche, weil die
Erneuerung ebenso bei den Höchsten wie bei den Niedersten, bei
den Häuptern ebenso wie bei den Kleinen einsetzen muss. Dennoch
muss sich das Augenmerk zuerst auf all jene richten, die den übrigen
vorstehen, damit die Erneuerung dort beginnt, von wo sie auf die
anderen übergehen soll.
Am stärksten muss
dafür Sorge getragen werden, dass die Kardinäle, die
Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und Pfarrer, denen die
Seelsorge unmittelbar anvertraut ist, ihrer Leitungsaufgabe über
die Herde des Herrn gewachsen sind. Aber wir wollen auch von den
Höchsten zu den Niedersten, von den Häuptern zu den Kleinen
hinabsteigen. Sie dürfen nicht außer Acht gelassen werden,
denn bei ihnen muss die Erneuerung der kirchlichen Sitten den Anfang
nehmen. Wir dürfen nichts unversucht lassen, wodurch die Kinder
von früher Jugend an in einem aufrichtigen christlichen Glauben
und in heiligen Sitten erzogen werden. Für die Verwirklichung
dieses Zieles ist nichts so gut wie religiöse Institutionen, in
denen der christliche Glaube gelehrt wird und die Kinder nur guten
und gottesfürchtigen Erziehern anvertraut werden.
- Wer eine
ernsthafte religiöse und moralische Erneuerung durchführen
will, muss wie ein guter Arzt vor allem eine gründliche Diagnose
der übel vornehmen, welche der Kirche Schmerz bereiten. Nur so
wird er imstande sein, für jedes dieser übel ein
angemessenes Heilmittel anzuwenden.
- Es ist
notwendig, dass diejenigen, die einer sittliche Erneuerung der
Menschen anstreben, in besonderer Weise und zu allererst die Ehre
Gottes suchen.
- Christus zu
allererst!
[Epistola:
Pro universali totius Ecclesiae reformatione, Archivum Ordinis
Clericorum Regularium Matris Dei, vgl. Liturgia horarum, Bd. 4, Rom
1977, S. 1199 f.; zitiert nach: Monastisches Lektionar zum 9.10.]
Im Unterricht zum
Fest des HI. Gerhard am 1. Oktober schrieb Theodosius Florentini
(† 1865) über wahre und
falsche Reform:
Eine Reform muss
zuerst das Innere umgestalten, dann von innen nach außen sich
entfalten. Wer die Gesellschaft reformieren will, muss zuerst sich
selbst, dann die einzelnen Glieder reformieren, auf dass die
göttliche Gesinnung in ihnen lebt und aus ihnen spricht und
handelt. Dann wird die Gesellschaft bald reformiert sein …
Menschen, Kirche und Staat können als lebendige Organismen nicht
von außen her durch menschliche Tat allein, ebenso wenig von
unten durch die Natur und durch die materielle Wohlfahrt wahrhaft
verbessert werden. Dieselbe muss von da ausgehen, wo Mensch. Kirche
und Staat ihren Ursprung haben …; durch göttliche Einwirkung
muss der Verstand zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, das Herz zur
Liebe des Guten, der Wille zur Ausübung desselben gekräftigt
werden … Die Reform der Gesellschaft kann nur wahr sein, wenn sie
göttlich, daher christlich, daher kirchlich ist. Alles andere
ist falsch.
[Zoe Maria
Isenring, P. Theodosius Florentini (1808 - 1865). Den Strom nicht
stauen, sondern ihm ein Bett anweisen
. Academic Press Fribourg
2016]
Edith Stein - Teresia Benedicta vom Kreuz (†
1942):
Es ist eine falsche Auffassung, die annimmt,
dass in der Kirche alles für alle Zeiten unabänderlich
festgelegt sei; es wird naiv übersehen, dass die Kirche eine
Geschichte hat, dass sie, ihrer menschlichen Seite nach, wie alles
Menschliche von vornherein auf Entwicklung angelegt war, und dass
diese Entwicklung sich häufig auch in der Form von Kämpfen
abspielt.
Johann Schwingshackl († 1945):
Gerade in den
Fällen, in denen es sich um Reformation handelt, wo tief
zugegriffen werden müsste, wo es dornig hergeht, wo es Prügel
abgibt, wenn man arbeitet, gerade da vertrösten wir uns oft mit
dem
Kannst halt nichts machen
. Man muss nur beten.
… Dann schlüpft man in die Pantoffeln, zündet sich das
gemütliche Pfeifchen an, lässt sich eine Halbe Wein
aufstellen und sinkt ins Sofa; solches Beten hilft sozusagen nichts.
[Josef Innerhofer, Südtiroler
Blutzeugen zur Zeit des Nationalsozialismus. Verlagsanstalt
Athesia, Bozen 1985, S. 59]
Der Dichter, Philosoph und Widerstandskämpfer Johannes Maria
Verweyen († 1945) schreibt, dass er sich über
die Maßen freuen
würde:
wenn das Gottesreich
auf Erden in Gestalt der Kirche als des 'fortlebenden Christus' von
immer mehr Menschen erkannt und wenn seine Ordnungsansprüche zur
Richtschnur des Lebens gewählt würden;
wenn die Spaltungen
im Glauben an Jesus Christus und Sein Reich immer mehr verschwinden,
die alten aufhören und keine neuen hinzukommen würden;
wenn die Weissagung von
dem Einen Hirten und der Einen Herde bald in Erfüllung ginge;
>wenn sich insbesondere
die Ostkirche mit dem vielfachen Reichtum ihrer Überlieferung
bald wieder mit der Mutterkirche vereinigen würde, von der sie
sich vor bald 1000 Jahren, wohl mehr aus politischen als religiösen
Gründen, trennte;
wenn alle kirchlichen
Stellen in der ganzen Welt aufhören würden, sich in Wort
und Schrift um rein weltliche, staatliche Angelegenheiten zu
bekümmern, und deren Verwalter es ebenso streng vermeiden
wollten, sich in rein religiöse, kirchliche Lebensforderungen
einzumengen; … wenn die herrliche Freiheit der Kinder
Gottes
sich auf dem Angesicht möglichst vieler
kirchentreuer Christen spiegeln und zu einem anziehenden Vorbild für
Andersgläubige und Andersdenkende würde.
Dies alles brennt
mir seit meiner Heimkehr immer heißer auf der Seele: ein
ganzheitliches, nicht halbseitig gelähmtes Christentum, ein
wesenhaftes, nicht wie immer veräußerlichtes
(konventionelles
), ein weltoffenes, nicht
weltabgekehrtes, ein lichtvoll fröhliches, nicht dunkel
muffiges, ein in jedem Sinne schöpferisches, nicht
philisterhaftes, ein verjüngendes, nicht vergreisendes
katholisches Christentum. Für eben solche katholische
Lebensideale - nicht für irgendwelche Zerrbilder (Karikaturen
)
in den Köpfen ihrer Widersacher - trete ich ein und möchte
beide nicht miteinander und darum mich selbst nicht mit sog.
Dunkelmännern [so der nationalsozialistische Ideologe Alfred
Rosenberg] verwechselt sehen.
[Johannes
M. Verweyen: Heimkehr, eine religiöse Entwicklung, Breslau 1941,
S. 267f.]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 11.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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