Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Vorbemerkungen

Innerliches Leben / Innerlichkeit

(s. Kontemplation)

Paulus bezeichnet den Glaubenden als "Tempel Gottes" (1. Korintherbrief 3,16; 6,19), das 4. Evangelium spricht davon, dass unseres Inneres durch unsere Liebe zu Gott und Christus zu deren Wohnung werden kann.

Jesaja der Anachoret († um 370 oder um 490) über die Bedeutung der inneren Aufmerksamkeit:

"Wende dich also deinem Herzen zu, und achte auf deine Sinne! Und wenn du an Gott denkst und dabei Freude besitzt, ertappst du die Diebe, wie sie dein Herz heimlich ausrauben. Wer nämlich sorgfältig mit seinen Gedanken umgeht, erkennt jene, die im Begriff sind einzudringen und ihn zu beflecken. Denn sie verwirren den Geist, dass er unsicher und träge werde. Die aber ihre Bosheit erkannt haben, bleiben ohne Verwirrung, denn sie beten zum Herrn."

"Wenn der Mensch nicht jegliches Verhalten (im Sinne) dieser Welt hasst, kann er Gott nicht verehren. Die Verehrung Gottes, worin besteht sie also, wenn nicht darin, nichts Fremdes in unserem Geist zu haben, wenn wir zu Gott beten, keine Sinnenlust, wenn wir ihn lobpreisen, keine Schlechtigkeit, wenn wir ihm singen, keinen Hass, wenn wir ihn anbeten, keinen bösen Neid, der uns behindert, wenn wir über ihn nachsinnen und seiner gedenken?

All diese finsteren Dinge nämlich bilden eine Mauer, indem sie die unglückliche Seele umschließen; und diese vermag Gott nicht in reiner Weise zu verehren, solange sie diese Dinge in sich trägt. Denn sie behindern die Seele mit ihrem Nebel und lassen nicht zu, dass sie sich Gott nähert, ihn im Verborgenen lobpreist und in der Freude des Herzens zu ihm betet, um von ihm erleuchtet zu werden. Darum wird der Geist stets verdunkelt und vermag nicht vorwärtszuschreiten, wie es Gott gefällt, weil er nicht daran denkt, diese Dinge durch Erkenntnis zu zerschlagen."

"Ich ermahne dich, lasse dein Herz nicht los, solange du im Leib verweilst. Der Bauer kann ja auf keine seiner Feldfrüchte seine Hoffnung setzen, wenn sie auf seinem Acker emporwächst, denn er weiß nicht, was ihr widerfährt, bevor sie in seine Speicher eingeschlossen wird. So kann auch der Mensch sein Herz nicht loslassen, solange er Atem in seiner Nase hat. Und wie ein Mensch nicht weiß, was für ein Geschick ihm bis zu seinem letzten Atemzug begegnen wird, so darf ein Mensch auch sein Herz nicht loslassen, solange er Atem besitzt. Er muss vielmehr stets laut zu Gott rufen, um dessen Hilfe und Barmherzigkeit willen."

"Wenn der Geist von allen seinen Feinden befreit wurde und Sabbatruhe hält, befindet er sich in einem anderen und neuen Zeitalter und denkt an Neues und Unvergängliches."

"Achte auf Dich selbst, damit nicht irgendetwas Zerstörerisches in Deinem Herzen wächst und Dich von Gottes Liebe entfernt. Und werde nicht träge und sage: 'Wie soll ich auf mein Herz achten, wo ich doch ein armer Sünder bin?' Denn wenn jemand seine Sünden hinter sich lässt und sich Gott zuwendet, wird er durch diese Buße wiedergeboren, und alles in ihm wird erneuert." [27 Kapitel des heiligen Isaias des Anachoreten über die Bewachung des Geistes, in: Philokalie, Bd. 1, Verlag "Der Christliche Osten", Würzburg 22007, S. 58-61]

Konrad von Parzham († 1894) über das Bemühen um ein in Gott verborgenes Leben:

Bemühen wir uns recht, ein recht innerliches, in Gott verborgenes Leben zu führen; denn es ist so gut mit dem lieben Gott umzugehen. Wenn wir wahrhaft innerlich sind, so wird uns daran nichts hindern, auch mitten in den Geschäften, die unser Beruf mit sich bringt, insofern wir es nicht selber sind (die uns hindern). Lieben wir ja recht das Stillschweigen, denn eine Seele, die viel redet, wird nie zu einem wahrhaft innerlichen Leben kommen.

[Brief vom 6.8.1872, G. Bergmann, Bruder zwischen gestern und morgen / Konrad von Parzham, Passau 1974, S. 217]

Edith Stein - Teresia Benedicta vom Kreuz († 1942): Aus dem Inneren heraus leben

"Vom Innersten her erfolgt auch die Ausstrahlung des eigenen Wesens, das unwillkürliche geistige Ausgehen von sich selbst. Je gesammelter ein Mensch im Innersten seiner Seele lebt, umso stärker ist diese Ausstrahlung, die von ihm ausgeht und andere in seinen Bann zieht. Umso stärker trägt aber auch alles freie geistige Verhalten den Stempel der persönlichen Eigenart, die im Innersten der Seele beheimatet ist. Umso stärker ist ferner der Leib davon geprägt und eben dadurch ‚vergeistigt. Hier ist der wahre Mittelpunkt des leiblich-seelisch-geistigen Seins.

Wer gesammelt in der Tiefe lebt, der sieht auch die ‚kleinen Dinge in großen Zusammenhängen; nur er vermag ihr Gewicht - an letzten Maßstäben gemessen - in der richtigen Weise einzuschätzen und sein Verhalten entsprechend zu regeln. Nur bei ihm ist die Seele auf dem Wege zur letzten Durchformung und zur Vollendung ihres Seins.

Das Innere des Menschen als Tempel Gottes:

Das ist es aber, was die Kenner des inneren Lebens zu allen Zeiten erfahren haben: Sie wurden in ihr Innerstes hineingezogen durch etwas, was stärker zog als die ganze äußere Welt; sie erfuhren dort den Einbruch eines neuen, mächtigen, höheren Lebens, des übernatürlichen, göttlichen …

Suchst du wohl einen hohen Ort, einen heiligen Ort, so biete dich innen als Tempel Gottes. ‚Denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr (1. Korintherbrief 3,16 f.). …

Die mystische Begnadung gibt als Erfahrung, was der Glaube lehrt: die Einwohnung Gottes in der Seele. Wer, von der Glaubenswahrheit geleitet, Gott sucht, der wird sich in freiem Bemühen eben dahin aufmachen, wohin der mystisch Begnadete gezogen wird: sich aus den Sinnen und den ‚Bildern des Gedächtnisses, ja selbst noch aus der natürlichen Tätigkeit des Verstandes und Willens zurückziehen in die leere Einsamkeit seines Inneren, um dort zu verweilen im dunklen Glauben - in einem schlichten liebenden Aufblick des Geistes zu dem verborgenen Gott, der verhüllt gegenwärtig ist. Hier wird er in tiefem Frieden - weil am Ort seiner Ruhe - verharren, bis es dem Herrn gefällt, den Glauben in Schauen zu verwandeln.

[aus: Edith Stein - Teresia Benedicta vom Kreuz, Kreuzeswissenschaft. Eine Studie über Joannes a cruce. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt]

Erich Przywara († 1972): "Das ist Kennzeichen echt christlicher Innerlichkeit, dass sie verborgen anhebt, verborgen wächst und vielleicht verborgen bleibt bis ans Ende, und schlichtes, rechtes, gewöhnliches Christentum ist häufig ihre einzige äußerung."

Karl Rahner († 1984): "Die unbequemste Art der Fortbewegung ist das In-sich-Gehen."


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 06.08.2025

korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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