Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Gott unser Vater
Im Judentum wird erst in der späten Nachexilszeit Gott als Vater bezeichnet und angeredet. Im N. T. geschieht dies etwa 250mal, er ist also der bevorzugte Gottestitel. Vor allem die Kirchenväter beschäftigen sich mit der Frage, was dies für uns bedeutet:
1. Gott als Vater
2. Konsequenzen für uns Menschen
3. Gott als Vater und Mutter
4. Hinweis auf Vater-unser-Erklärungen
1. Gott als Vater
Hilarius von Poitiers († 367):
Gott vermag es aber nicht,
irgendwann einmal etwas anderes als die Liebe zu sein, noch auch
etwas anderes als der Vater zu sein. Wer liebt, neidet nicht; und wer
Vater ist, lässt es nicht daran fehlen, es ganz zu sein.
2. Konsequenzen für uns Menschen
In den Vater-unser-Erklärungen der Kirchenväter wir einerseits auf das Gnadenwirken Gottes, andererseits auf die sich für daraus ergebende Verpflichtung hingewiesen.
Ersteres betont vor
allem Johannes „Chrysostomus” († 407):
Wer
nämlich Gott den Namen ´Vater' gibt, bekennt durch diese
Anrede allein schon auch seinen Glauben an die Verzeihung der Sünden,
Nachlass der Strafe, Rechtschaffenheit, Heiligung, Erlösung.
Gotteskindschaft, Erbschaft und Bruderschaft mit dem Eingeborenen
sowie die Gemeinschaft des Hl. Geistes. Es ist ja nicht möglich,
Gott den Namen 'Vater' zu geben, ohne all dieser Gnadengaben teilhaft
geworden zu sein.
vgl. Tertullian, († nach
220) und Cyrill von Jerusalem († 386 ?).
3. Gott als Vater und Mutter
Johannes „Chrysostomus” († 407)
betont aber auch, dass wir uns
dieser hohen Berufung würdig erweisen müssen: Wer
nämlich Gott seinen Vater nennt und zwar den gemeinsamen Vater
aller, der sollte billigerweise ein solches Leben führen, dass
er solch edler Abstammung nicht unwürdig erscheint.
[Matthäuskommentar, 19.
Hom., K. VI,V,9]
ähnlich auch
Cyprian von Karthago († 258):
Wenn wir Gott
unseren Vater nennen, müssen wir uns auch wie Söhne Gottes
verhalten.
Vgl. den Rhetoriklehrer und christlichen Apologeten Lactantius (†
nach 317) und Gregor von Nyssa († nach 394)
Chromatius von Aquileia (†
um 407) bemerkt in seiner Vater-unser-Erklärung:
Vater unser,
der du bist im Himmel:
Dieses Wort der Freiheit ist voll
Vertrauen. Ihr sollt also nach diesen Sitten leben, dass ihr Söhne
Gottes und Brüder Christi sein könnt. Denn wer maßt
sich an, Gott seinen Vater zu nennen, der von seinem Willen abweicht?
Deshalb, Geliebteste, erweist euch der göttlichen Vaterschaft /
Adoption würdig, da geschrieben steht: Allen, die an ihn
glauben, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden
[vgl. Johannesevangelium
1, 12]
[Chromatiii
Aquileiensis sermones, cura J. Lemarié (Scriptores circa
Ambrosium) Medioloani-Romae 1989, sermo 11,1; Zitat: 16,4; eigene
Übersetzung]
Nach der Reklusin und Mystikerin Juliana
von Norwich († um 1430) gibt es im Dreifaltigen
Gott sowohl ein Vater- wie ein Muttersein:
Eine
Charakteristik Gottes ist es, das Gute über das Böse siegen
zu lassen. Deshalb ist Jesus Christus unsere wahre Mutter, er, der
das Böse mit dem Guten besiegte, indem er Widerstand leistete:
Wir empfangen unser
Diese Wahrheit hat er
mir in allem gezeigt, aber besonders in den sanften Worten, mit denen
er sagt: Sein
von ihm. Hier beginnt seine
Mutterschaft und zusammen mit ihr der liebliche Schutz und die
Fürsorge der Liebe, die nie aufhören wird uns zu umgeben.
So wie es wahr ist, dass Gott unser Vater ist, so ist es auch wahr,
dass Gott unsere Mutter ist.
Ich bin es
, was gleichbedeutend ist mit, ich
bin die Stärke und Güte des Vaters; ich bin die Weisheit
der Mutter; ich bin das Licht und die Gnade, die selige Liebe ist;
ich bin die Dreifaltigkeit; ich bin die Einheit; ich bin die höchste
Güte aller Dinge; ich bin derjenige, der dich lieben lässt;
ich bin derjenige, der dich wünschen lässt; ich bin die
Befriedung aller wahren Wünsche. …
Unser höchster
Vater, der allmächtige Gott, der das Sein
ist,
kennt uns und liebt uns seit Anbeginn: In diesem Bewusstsein wollte
er, in seiner wunderbaren und tiefen Liebe und im vollen
Einverständnis der ganzen seligen Dreifaltigkeit, dass die
zweite Person unsere Mutter wird, unser Bruder, unser Retter.
Es ist deshalb logisch,
dass Gott, der unser Vater ist, auch unsere Mutter ist. Unser Vater
will, unsere Mutter wirkt und unser guter Herr, der Heilige Geist,
bestätigt. Deshalb ist es zu unserem Guten, unseren Gott, in dem
wir das Sein haben, zu lieben, ihm durch Ehrerweisung zu danken und
ihn dafür zu preisen, dass er uns erschaffen hat, zu unserer
Mutter mit brennendem Herzen um Barmherzigkeit und Frömmigkeit
zu beten, und unseren Herren, den heiligen Geist um Hilfe und Gnade
zu bitten.
Ich sah mit absoluter
Sicherheit, dass uns Gott geliebt hat, schon bevor er uns erschaffen
hat, und dass seine Liebe nie geringer geworden ist, noch dass sie es
je werden wird. In dieser Liebe hat er alle seine Werke getan und
lenkt er alle Dinge zu unserem Guten. In dieser Liebe ist unser Leben
ewig.
Durch die Schöpfung
haben wir einen Anfang gehabt, aber die Liebe, mit der er uns
erschaffen hat, war in ihm seit jeher: In dieser Liebe haben wir
unseren Anfang. All das werden wir in Gott ewig sehen.
[https://www.vatican.va/spirit/documents/spirit_20010807_giuliana-norwich_ge.html
- abgerufen am 13.10.2019]
4. Hinweis auf Vater-unser-Erklärungen
Nach dem BKV-Generalregister verfassten folgende Theologen und Kirchenväter Erklärungen des Vater-unser: Tertullian, Origenes, Cyprian von Karthago, Cyrill von Jerusalem, Gregor von Nyssa, Johannes „Chrysostomus”, Augustinus von Hippo, Petrus „Chrysologus” und die Armenischen Väter. Dazu kommen u. a. Chromatius von Aquileia und in der Neuzeit etwa Robert Bellarmin.
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 07.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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