Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Gottes Gericht
Bei den Kirchenvätern des Ostens wie des Westens spielt der Hinweis auf das Endgericht Gottes durchwegs eine große Rolle. Immer wieder wird hierbei auf die Gerichtsrede bei Mt 25,31-46 Bezug genommen. Die Absicht dieser Hinweise ist nicht, den Leser in Schrecken zu versetzen, sondern ihn zur Umkehr zu bewegen, damit er im Gericht bestehen kann.
1. Gericht über unser Leben
2. Mahnung zur Wachsamkeit
3. Das dreifache Kommen Christi
4. Das Gericht in der Gegenwart
5. Gebet für die armen Seelen
1. Gericht über unser Leben
Bei Gregor von Nazianz († um 390)
liegt der Ton auf der Strafe:
Es wird nur ein einziges Gericht geben. Dieses wird
endgültig und furchtbar sein, mehr noch gerecht als furchtbar,
oder vielmehr es wird wegen seiner Gerechtigkeit recht furchtbar
werden.
(BKV I 329); ähnlich
argumentieren z. B. Johannes „Chrysostomus”
und Augustinus von Hippo.
Gregor von Nyssa
(nach † 394) formuliert neutraler:
Es muss einer mit
Notwendigkeit das ernten, was er eben gesät hat.
[BKV
203]
Bei Leo „dem Großen” († 461) steht der Gedanke der
Barmherzigkeit im Vordergrund:
Nie möge das Bild des
göttlichen Gerichts unseren geistigen Augen entschwinden …
Weil nur deshalb die Strenge des Gerichts geoffenbart wurde,
damit wir Barmherzigkeit zu erlangen suchen, so muss in diesen Tagen
unser Leben auch reich an Barmherzigkeit sein … Die
Speisung der Dürftigen ist der Kaufpreis des Himmelsreiches und
der Spender vergänglicher Dinge wird zum Erben ewigen Gutes.
Woher kommt solch unscheinbaren Gaben das Verdienst zu, so hoch
gewertet und geschätzt zu sein? Doch nur daher, das das Gewicht
jener Werke auf der Waage der Liebe gewogen wird. Wenn der
Mensch liebt, was Gott liebt, so steigt er mit Recht zum Reiche
dessen empor, dessen Liebe er teilt.
[sermo
9,2; BKV I, 29]
2. Mahnung zur Wachsamkeit
Im Mittelalter
ist das Bewusstsein de kommenden Gerichts durchaus noch präsent.
Wie bei Hugo I. von Cluny († 1109) begründet
der Hinweis auf das nach dem Tod erfolgende Gericht Gottes die
Mahnung zur Wachsamkeit. Ansprache an die Nonnen des von ihm selbst
gegründeten Klosters Marciniacum (Marcigny):
Wir beschwören
euch beim Herrn und wegen des Herrn, dass ihr euch danach sehnt,
dahin eure ganze innere Anspannung richtet, all das, was ihr in der
Welt seht, für nichts und eitel und gleichsam für einen
vorüberziehenden Nebel zu erachten. Und da ihr weder den Tag
noch die Stunde wisst, in der Herr kommt, um euch zu rufen, darum
seid euch nicht sicher, darum seid Tag und Nacht auf der Hut, seid
besorgt um das Heil eurer Seelen und bereitet das Gemach eurer Herzen
zur liebenden Umarmung eures Bräutigams, nämlich jenes
großen Königs, dem ihr Treue versprochen habt, und achtet
mit größerer Aufmerksamkeit darauf, dass er nichts an euch
findet, was seiner Majestät missfallen könnte! … Zieht
in Betracht, wie nichtig das ist, was ihr in der Welt seht. Denkt,
mit welch großer Anstrengung man sich mühen muss, um dem
schrecklichen Gericht [Gottes] zu entgehen und zur niemals endenden
Freude zu gelangen.
[Exhortatio ad
sanctimoniales apud Marciniacum Deo servientes, in: MPL 159, Sp.
947f.; eigene Übersetzung]
3. Das dreifache Kommen Christi
In seinem Werk
Zierde der geistlichen Hochzeit
spricht
Johannes von Ruysbroek († 1382) vom dreifachen Kommen
Christi:
Das erste
Kommen Christi, als Gott Mensch wurde, in Demut lebte und um
unsertwillen aus Liebe starb, diesem Kommen müssen wir
nachfolgen, äußerlich mit vollkommener tugendhafter
Sittlichkeit und innerlich mit Nächstenliebe und aufrichtiger
Demut.
Das zweite Kommen,
das sich in der Gegenwart vollzieht und wobei Christus mit Gnaden in
jedes minnende [liebende] Herz kommt, dieses Kommen sollen wir
begehren und täglich erbitten, damit wir beständig bleiben
und in neuen Tugenden wachsen.
Das dritte Kommen
Christi zum Urteil oder in der Stunde unseres Todes, diese
Ankunft sollen wir sehnlich erwarten mit Vertrauen und Ehrfurcht,
damit wir aus diesem Elend erlöst werden und in den Palast der
Herrlichkeit eingehen.
Beim dritten Kommen
Christi unterscheidet Ruysbroek fünf Gruppen von Menschen, die vor ihm
als Richter erscheinen müssen:
Die erste und die
schlimmste Gruppe sind die Christenmenschen, die in Todsünde
sterben ohne Reue und Bedauern, denn sie haben den Tod Christi und
seine Sakramente verschmäht oder sie vergebens und unwürdig
empfangen. Sie haben weder Nächstenliebe, wie Gottes
Gebot es verlangt, noch Taten der Barmherzigkeit an ihren Mitmenschen
geübt und deswegen sind sie zuunterst in die Hölle
verdammt.
Die zweite Gruppe
sind ungläubige Menschen, Heiden und Juden … [Das
2. Vatikanisches Konzil
räumt auch ihnen eine Heilsmöglichkeit
ein, wenn sie wahrhaft Gott suchen bzw. den Regungen ihres Gewissens
folgen und ein rechtes Leben führen: Lumen Gentium 16]
Die dritte Gruppe
sind die guten Christenmenschen, die gelegentlich in Sünde
gefallen sind, die aber voller Reue aufgestanden sind und Buße
geleistet haben, ihre Buße jedoch nicht so entrichtet haben,
wie die Gerechtigkeit es verlangt. Diese gehören ins Fegefeuer.
Die vierte Gruppe
sind Menschen, die Gottes Gebote gehalten haben, oder wenn sie sie
gebrochen haben, doch wieder mit Reue, Bußleistung und Werken
der Liebe und der Barmherzigkeit zu Gott zurückgekehrt sind; und
sie haben die Buße so vollbracht, dass sie ohne Fegefeuer von
der Welt zum Himmel fahren können.
Die fünfte
Gruppe sind diejenigen, die über alle äußeren
Werke der Nächstenliebe erhaben sind und ihren Wandel im Himmel
haben, denn sie sind vereinigt und versunken in Gott und Gott in
ihnen, so dass zwischen Gott und ihnen nichts anderes steht, als die
Zeit und der Zustand der Sterblichkeit. Wenn diese Menschen losgelöst
werden von ihrem Leib, so genießen sie noch im selben
Augenblick die ewige Seligkeit. Sie werden nicht verurteilt, sondern
sie werden am jüngsten Tag mit Christus zusammen das Urteil über
die anderen Menschen sprechen.
[http://www.gottliebtuns.com/jan_van_ruysbroeck_3.htm
- abgerufen am 04.12.2019)
4. Das Gericht in der Gegenwart
Mitunter werden
auch schreckliche Ereignisse in der Geschichte als Strafgericht
Gottes gedeutet. So äußert sich Eustachius Kugler
(† 1946) anlässlich einer Visitationim letzten Weltkrieg vor seinen Mitbrüdern:
Wir alle, liebe
Mitbrüder, kennen und fühlen die Schwere der
Zeitverhältnisse und ich brauche darüber nichts zu sagen.
Wenn wir die Weltlage etwas betrachten, können wir zu der
Ansicht kommen, dass der liebe Gott die Völker schwer
heimgesucht hat wegen der Glaubenslosigkeit, Sittenlosigkeit und
gänzlicher Absage an Gott. Die Strafgerichte Gottes sind nunmehr
über die Völker hereingebrochen. Die Mittel zur Versöhnung
des so schwer beleidigten Vaters im Himmel sind alt, aber doch immer
wieder neu. Die liebe Gottesmutter hat selbe wiederum bei ihrem
Erscheinen in Fatima in Erinnerung gebracht und besonders Buße
und Gebet empfohlen. Ergreifen wir, liebe Mitbrüder, diese
Mittel und gebrauchen wir dieselben recht oft. Lassen wir uns nicht
die irrige Meinung in den Sinn kommen, weil jetzt Krieg ist, geht es
nicht so genau, da ist alles erlaubt. Das Gegenteil muss der Fall
sein, aber deswegen, weil Krieg ist und die Strafrute Gottes über
uns hereingebrochen ist. Wegen unserer Sünden müssen wir
uns bessern und in allem, besonders mit unseren Gelübden und
sonstigen Pflichten es recht genau nehmen.
[Frater
Magnus Morhardt, Gottvertrauen und Nächstenliebe. Ein
geistliches Profil von Frater Eustachius Kugler, München 2008,
S. 68f. 105f.]
5. Gebet für die armen Seelen
Margareta Ebner († 1351) verspürte in sich die starke
Berufung, vor allem für die armen Seelen zu beten:
Große
Begierde hieß mich beten für die armen Seelen. Die gaben
mir viel Trost in allen Dingen und offenbarten mir, was ich zu wissen
[be]gehrte von mir und ihnen. … Ich freute mich allzeit auf
Allerseelentag, da kam mir ein besonderer Trost von ihnen. Sie
sandten eine Seele da zu mir, die eine Schwester unseres Konventes
war; sie dankte mir für alles, was ich ihnen zu gute tat. Da
wollte ich von ihnen wissen, ob mein Gebet denn keiner Seele noch zum
Guten verholfen habe. Da ward mir Antwort, dass ich vielen Seelen
schon geholfen hätte. Sie stärkten mein Vertrauen auf
Gottes Güte, dass ihm mein Leben wohl gefiele und sonderlich,
dass ihm das allerliebste an mir wäre die große Demut.
Viel sagten sie mir davon, was Gottes Gütigkeit gewirkt an
ihnen, und sonderlich in ihren jüngsten Nöten. Auch suchten
viel Seelen mich, die ich nicht kannte, und gaben mir ihr Leben zu
erkennen und baten mich um ein Gedenken.
[Wolf
Brixner: Die Mystiker / Leben und Werk. Weltbild Verlag,
Augsburg 1987, S. 336f.]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 08.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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