Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Geduld
Geduld ist angesichts von Leiden, Verfolgungen und Versuchungen eine von den Christen von Anfang an geforderte Haltung und wird deshalb in den neutestamentlichen Schriften immer wieder angemahnt. Vorbilder für die Geduld sind Jesus, aber auch Gott selbst.
1. Notwendigkeit der Geduld
2. Wert der Geduld
3. Gott und Jesus Christus sowie biblische Vorbilder
1. Notwendigkeit der Geduld
Geduld
bei Verlusten, Beleidigungen: Johannes „Chrysostomus”
(BKV IV, 199 - 204; V 236 - 238)
Geduld bei Todesfällen, Heimsuchungen, in der
Verfolgung: Tertullian
(BKV I 44 - 55); Cyprian von Karthago
(BKV I 307 - 320)
Geduld im Leiden: Cyprian von Karthago
(BKV I 240 - 246)
Geduld bei Schmähungen: Basilius „der Große”
(BKV II 280 - 284)
Geduld bei erlittenem Unrecht: Johannes „Chrysostomus”
(BKV I 324-29) und bei Unrecht Johannes
„Chrysostomus” (BKV IV 169 - 172).
Geduld bei den Christen: Apologeten (BKV I 81f).
Schrift über die Geduld: Tertullian (BKV I 35 - 59).
Leitwort von Maria Theresia von Jesus Gerhardinger,
(† 1879) eingemeißelt
in ihre Grabplatte:
Alle Werke Gottes
gehen langsam und leidvoll vor sich, dann aber stehen sie desto
fester und blühen desto herrlicher.
Johannes Bosco (†
1888):
Man muss Geduld haben. Tu, was du
kannst, und Gott besorgt den Rest. Er lässt dich nicht im Stich,
wenn du für ihn arbeitest.
(XIII, 832)
Das Martyrium galt
der alten Kirche als Höchstform der Verwirklichung der Liebe und
Christusnachfolge. Aber es gibt nach Magdalena Delbrêl (†
1964) auch eine Passion, die in der Geduld
beziehungsweise im Ertragen von Situationen, die Geduld erfordern,
besteht:
Jeder hat ein
Kreuz zu tragen, ein Leiden durchzustehen, auch wir. Einverstanden,
wir warten darauf, wir wissen, dass es kommen muss, und es ist klar,
dass wir es mit einer gewissen Größe durchstehen wollen.
Wir warten darauf, dass die Stunde unseres Opfers schlägt. Wie
ein Holzscheit im Feuer müssen wir verbrennen. Wie ein
Wollfaden, der von einer Schere durchgeschnitten wird, so müssen
wir zerteilt werden. Wie ein unerwünschtes Tier, das man
beseitigt, so müssen wir ausgeschaltet werden. Wir warten auf
unsere Passion. Wir warten, aber sie kommt nicht. Was kommt, sind
Umstände, die unsere Geduld erfordern. O diese übungen der
Geduld, diese kleinen Leidenspartikel, deren Aufgabe es ist, uns ganz
sanft umzubringen zu deiner Ehre, uns zu töten ohne Eigenruhm!
Schon am Morgen suchen sie uns auf: unsere Nerven gehen uns so leicht
durch, der Bus ist bereits voll, die Milch läuft über, der
Schornsteinfeger kommt, die Kinder verderben alles, der Mann bringt
Gäste mit, die Freunde erscheinen nicht, das Telefon läutet
ununterbrochen, die, die wir lieben, streiten sich; man möchte
schweigen und muss sprechen, man möchte sprechen und muss
schweigen, man möchte ausgehen und muss daheim bleiben, man
möchte daheim bleiben und muss weggehen, man möchte sich
auf den Ehegatten stützen, und der wird schwach wie ein Kind;
die tägliche Arbeit wird uns langweilig; es quält uns die
Gier nach Dingen, die uns nicht zustehen.
So treten die
Geduldsübungen an uns heran, neben- oder hintereinander, und
vergessen immer uns zu sagen, dass sie das Martyrium sind, das für
uns vorgesehen ist. Wir aber lassen sie mit Verachtung an uns
vorüberziehen und warten auf eine Gelegenheit, unser Leben
hinzugeben, eine Gelegenheit, die der Mühe wert wäre. Denn
wir haben vergessen, dass es ängste gibt, die im Feuer
verbrennen, dass es Bretter gibt, die unter unseren Tritten langsam
abgetreten werden. Wir haben vergessen, dass es nicht nur Fäden
gibt, die man mit der Schere durchschneidet, sondern auch Fäden
in einem Kleidungsstück, die täglich dünner werden am
Körper dessen, der es trägt. Wenn jede Erlösung ein
Martyrium ist, so braucht doch nicht immer Blut zu fließen. Im
Laufe eines Lebens kann man deren viele erleiden. Unser Opfer heißt
Früchte bringen in Geduld.
[Magdalena Delbrêl: Früchte bringen in Geduld (Passion des patiences). In:
Quellen geistlichen Leben, Bd. 4, hrsg. von Gisbert Greshake und Josef
Weismayer. Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern 2008, S.165f]
2. Wert der Geduld
Cyprian von Karthago († 258)
widmet dem Gut der
Geduld
eine eigene Schrift. So bedeutsam scheint sie ihm für
den Glauben zu sein:
Meine sehr
geliebten Brüder [und Schwestern], … wir wollen die
Geduld, durch die wir in Christus bleiben und mit Christus zu Gott
gelangen können, mit aller Gewissenhaftigkeit festhalten. Reich
und vielseitig, wie sie ist, ist sie nicht auf ein enges Gebiet
beschränkt oder in enge Grenzen eingeschlossen. Weit reicht die
Wirkung der Geduld, und ihre Fülle und ihr Reichtum entspringt
zwar aus der Quelle dieses einen Namens, aber sie ergießt
sich in reich sprudelnden Kanälen über die Bahnen des
Ruhms, und nichts kann in unserem Handeln zu ruhmreicher Vollendung
gelangen, wenn es nicht von ihr her die Kraft der Vollendung
empfängt.
Die Geduld ist es, die
uns unserem Gott empfiehlt und bewahrt. Sie ist es, die den Zorn
mäßigt, die Zunge im Zaum hält, die den Sinn leitet,
den Frieden bewahrt, die Zucht lenkt, die das Ungestüm der
Leidenschaft bricht, der Gewalt des aufwallenden Zorns Einhalt
gebietet, die auflodernde Feindschaft zum Erlöschen bringt, die
Macht der Reichen in Schranken hält, die Not der Armen lindert,
die an den Jungfrauen ihre selige Unschuld, an den Witwen ihre
mühevolle Keuschheit, an den ehelich Verbundenen ihre
unzertrennliche Liebe schützt. Sie macht demütig im Glück,
mutig im Unglück, sanftmütig gegenüber Unrecht und
Kränkung. Sie lehrt, den Fehlenden schnell zu verzeihen, wenn
man aber selbst sich vergeht, lange und inständig [um
Verzeihung] zu bitten. Sie überwindet die Versuchungen, sie
erträgt die Verfolgungen, sie führt das Leiden und das
Martyrium zur Vollendung. Sie ist es, die unserem Glauben eine starke
Grundlage gibt. Sie ist es, die unsere Hoffnung hoch aufwachsen
lässt. Sie leitet unser Tun und Lassen, so sind wir imstande,
den Weg Christi einzuhalten, indem wir in seiner Geduld wandeln. Sie
bewirkt es, dass wir Gottes Kinder bleiben, indem wir die Geduld des
Vaters nachahmen.
[patient.
20: CSEL 3,1; BKV II 34, S. 200f]
Rupert von Deutz
(† 1129/1130):
Das
größte Zeichen von Liebe und Glauben ist nicht, in Geduld
zu sterben, sondern in Geduld zu leben in dieser sündenvollen
Weltzeit und dem Willen des Schöpfers zu folgen, der alles gut
ordnet, wenn einer nicht rasch erhört wird, der sich nach seiner
Auflösung sehnt und wünscht, aus diesem Tal der Tränen
in die Freude der Schau Gottes zu wandern.
Raimundus Lullus von Palma (†
1316):
Geduld bringt Frieden. Wer Geduld hat,
besitzt sich selbst. Wer sich selbst nicht besitzt, ist arm.
3. Gott und Jesus Christus sowie biblische Vorbilder
Gott: Tertullian,
(BKV I 36)
Jesus Christus: Tertullian,
(BKV I 37f); vgl. Cyprian von Karthago
(BKV I 292 - 297, 309f)
biblische Vorbilder:
Tertullian,
(BKV I 55-57); alttestamentliche Gerechte: Cyprian von Karthago
(BKV I 297f, 304f); Hiob: Johannes „Chrysostomus”
(BKV VII 126 - 129)
Papst Innozenz I. († 417)
schreibt an den verbannten Johannes „Chrysostomus”:
Weder bedarfst du
der Belehrung, du Lehrer und Hirte so vieler Völker, dass die
Besten immer und oft erprobt werden, ob sie in der Kraft der Ausdauer
verharren und keiner Mühe und Beschwerde unterliegen. Das
Gewissen aber ist wie eine wahrhafte Schutzwehr gegen alle
ungerechten Angriffe; wer diese nicht in Geduld besiegt, trägt
ein Zeichen bösen Verdachts davon; denn alles soll der ertragen,
der zuerst auf Gott, hernach auf sein eigenes Gewissen vertraut. Der
Gute und Tüchtige kann zwar in der Geduld sehr geprüft, nie
aber besiegt werden, da seinen Geist die göttlichen Schriften
beschützen. Denn die göttlichen Bücher, welche wir den
Gläubigen übergeben, sind überreich an Beispielen,
welche zeigen, dass fast alle Heiligen auf verschiedene Weise und
unablässig heimgesucht und wie bei einer Prüfung erprobt
werden und so zur Krone der Geduld gelangten. Deshalb möge deine
Liebe, ehrwürdigster Vater, dein Gewissen trösten, welches
in den Trübsalen seinen Trost in der Tugend findet. Denn unter
dem Schutz des Herrn Christus steht das reine Gewissen im Hafen des
Friedens.
[Schreiben
von fünf afrikanischen Bischöfen an Papst Innocentius; BKV I
/ Die Briefe der Päpste und die an sie gerichteten Schreiben,
Bd. 3, übersetzt von Severin Wenzlowsky. Kempten 1877, S. 77f]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 27.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der
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https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.