Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Wege zu Gott
Wie für das Leben selbst wird auch für das christliche Leben gerne die Metapher des Weges benutzt. Der Weg - besonders der Pilgerweg - ist auch ein beliebtes Bild für die Gottesbeziehung.
1. Das Leben als (Pilger-)Weg
2. Entscheidung für den rechten Weg
3. Ratschläge
4. Irr- und Abwege
Das Leben als (Pilger-)Weg
Vergleich des Lebens mit einem Weg und einer Reise: Basilius „der Große” (BKV II 345f).
In seinem Buch
über den Weg durch die Wüste
vergleicht Ildefons von Toledo
(† 667) den Lebensweg der Getauften mit
dem Zug des Volkes Israel durch die Wüste:
Betrachten wir
nun diesen glücklichen Weg, der von den Heiligen in der Wüste
beschritten wird, und lassen wir uns zusammen mit ihnen führen,
indem wir sie in gleicher Weise nachahmen! Es ist hier von denen die
Rede, die nachdem sie das Rote Meer durchschritten haben, durch die
Wüste zogen und darauf vertrauten, dass sie gemäß der
wahrhaften Verheißung Gottes in das verheißene Land
gelangen würden. Wenn auch das ganze Volk , bestehend aus der
Menge der Heiligen und der Rotte der Frevler, in gleicher Weise unter
dem Schutz Gottes einherzog, so wählt dennoch die Heilige
Schrift nur den besseren Teil, nämlich den der Heiligen aus, von
denen es heißt:
Die Augen des Herrn [ruhen] über den
Gerechten
[Psalm 33, 16], und schweigt über die
Ungerechten, und er zählt nur vom Handeln, das zur Seligkeit
führt. Schreiten also auch wir zusammen mit diesen Gerechten
einher, von denen es heißt: Sie zogen durch die unbewohnte
Wüste, sicherlich durch jene Wüste, wo die
[verderbliche] Lüste keinen Platz haben, wo kein irdisches Glück
zum Untergang verlockt, wo keinerlei Anreize die Pilger, die zum Land
der Lebenden unterwegs sind, behindern; diese haben sich an
abgeschiedenen Plätzen ihr Hütten gebaut, da sie in der
Verborgenheit der Kontemplation eine Ruhe für ihre Seele
suchten, nicht in unbedachter Verbohrtheit sich den Feinden
entgegenwarfen, sondern in heilsamer Voraussicht umsichtig auf den
Kampf vorbereiteten, indem sie in der Abgeschiedenheit Schutz
suchten; dort würde sie nicht eitler Ruhm dem Verderben
aussetzen, sondern wahre Demut zur Vernichtung der Stolzen ausrücken
lasen: sie hielten stand gegen die Feinde,
denn sie boten eine
unbeugsame Geisteskraft gegen den Ansturm der Versuchungen auf, da
sie jegliche Verweichlichung ihres gegenwärtigen Lebens
vermieden, niemals im geistlichen Kampf angesichts des Ansturms der
[bösen] Macht der Lüfte vom Zustand geistlicher Anspannung
abwichen: und darum haben sie sich an den Feinden gerächt
[Zitate aus Weisheit 11, 2f], da sie zur Rechten und zur Linken durch
die Waffen der Gerechtigkeit geschützt, nicht durch den Ruhm des
Glücks erhoben und nicht durch die Wucht der Gegner sich nicht
erdrücken ließen. Daher hielten sie dem Angriff der Feinde
stand und erlangten ihre eigene Rettung; und da die Feindschaft der
Laster besiegt zugrunde ging, hatte, ihr entrissen, das Heil der
heiligen Soldaten Bestand.
Die [in der
Wüste] unterwegs sind, werden nur dann in völliger Ruhe
sein, wenn ihre ganze Hoffnung fest auf Gott, dem Urheber alles
Guten, ruht.
[S.
Ildefonsi episcopi Toletani liber de itinere deserti, c. 15, Sp.
175; eigene Übersetzung]
Das beliebteste Bild
der Kirche beim Zweiten Vaticanum war das vom pilgernden
Gottesvolk
. In einem Brief an eine gewisse Elisabetta Porto
umschreibt Kajetan von Thiene (†
1547) ganz ähnlich das Christsein als Pilgersein:
Sei gewiss, meine
Tochter: Wir sind hier [auf Erden nur] als Pilger unterwegs, unsere
Heimat ist der Himmel. Wer sich hier [an der Erde] berauscht,
verfehlt den Weg und kommt zu Tode. Wir müssen, solange wir uns
hier [auf Erden] befinden, das ewige Leben gewinnen; dieses können
wir hier nicht mehr allein [aus eigener Kraft] gewinnen, denn wir
haben es durch unsere Sünden bereits verloren, aber Jesus
Christus hat es uns wieder gewonnen. [Daher] müssen wir ihm
immer dankbar sein, ihn lieben und ihm gehorchen und so oft wie
möglich bei ihm sein. Er hat sich [uns] hinterlassen in der
Speise [die er uns schenkt]. Unglückselig ist der Christ, der
dieses Geschenk nicht kennt! Wir können Christus, den Sohn der
Jungfrau Maria, zu eigen haben und doch wollen wir es nicht. Wehe
dem, der sich nicht müht, ihn zu empfangen!
Meine liebe Tochter,
das Gute, das ich für mich begehre, das wünsche ich auch
für dich; aber damit auch du es besitzen kannst, gibt es kein
anderes Mittel, als oft die Jungfrau Maria zu bitten, sie möge
zu dir kommen zusammen mit ihrem ruhmreichen Sohn, und geh so manches
Mal ins Gebet, sie möge dir ihren Sohn geben, die wahre Speise
deiner Seele im Heiligen Sakrament des Altares. Sie wird ihn dir
gerne geben und er wird [selbst] noch lieber kommen, dich und deine
Früchte [die dir schon zugewachsen sind] zu stärken auf
diesem Weg, der [oft genug] durch dunklen Wald [führt], wo, wie
man weiß, immer viele Feinde lauern; aber wenn wir eine solche
Hilfe haben, bleiben sie [uns] ferne wie die Fliege vom Feuer.
[Le
lettere di San Gaetano da Thiene, a cura di F. Andreu. Città
del Vaticano 1954, S. 50; eigene Übersetzung]
Theresa von Ávila „die Große”
(† 1582):
Wie es im Himmel
viele Wohnungen gibt, so gibt es auch viele Wege dahin.
Würden wir
nichts anderes sehen als auf den Weg, so wären wir bald am
Ziel.
Alfons von Orozco († 1591):
Das christliche
Leben ist ein Weg zum Himmel; und jede Tugend, die wir ausüben,
ist wie eine Tagesetappe, die wir gehen, um die Schönheit Gottes
in seinem Wesen zu sehen.
Hierin gründet
der Hauptteil der christlichen Philosophie, nämlich dass wir
dieses Leben als eine mühsame Wallfahrt und nicht als ein Land,
in dem wir bleiben, verstehen sollten.Der Pilger, der mit
Bedacht unterwegs ist, hält sich nicht dabei auf, nutzlos Neues
zu hören, die Antiquitäten und Türme von Städten
oder andere Kuriositäten zu betrachten; denn er weiß, dass
dabei die Zeit verloren geht und es keine Frucht bringt, sich dabei
aufzuhalten.
Oh du Vater der Pilger, oh du guter
Jesus, dreiunddreißig Jahren bist du in diesem Tal des Elends
gepilgert, bei deiner unendlichen Güte bitte ich dich: Lass mich
nicht allein auf dieser Pilgerfahrt! Begleite mich, du König des
Himmels …. Sprich zu mir auf diesem langen Weg Worte des Lebens,
die mein Inneres und mein Herz entflammen. Ich liebe dich mit inniger
Liebe. Ich bin ein Pilger so wie die alten Väter.
[Alonso
de Orozco: Antologia de sus obras. Madrid 1991, S. 79f, 68, 71; eigene Übersetzung]
Nach Franz von Sales († 1622) kommt es nur darauf an, den Weg
Gottes zu gehen, nicht darauf, ob dieser durch grünende Felder
oder durch die Wüste führt:
Möge es
Gott gefallen, dass wir nur wenig auf die Beschaffenheit des Weges
achten, den wir gehen, und die Augen auf den gerichtet haben, der uns
führt, und auf das glückliche Land, zu dem er uns führt.
Was kümmert es uns, ob wir durch die Wüste oder durch
Felder gehen, wenn nur Gott mit uns ist und wir zum Paradiese gehen?
Glauben Sie mir, ich bitte Sie, schlagen Sie sich Ihr Leiden, so viel
Sie nur können, aus dem Sinn, und wenn Sie es fühlen, sehen
Sie es wenigstens nicht an. Denn der Anblick macht Ihnen mehr Furcht,
als das Gefühl Ihnen Schmerz verursacht. So verbindet man jenen
die Augen, denen man einen schmerzhaften Stich mit dem Eisen machen
will. Es scheint mir, Sie halten sich etwas zu viel bei der
Betrachtung Ihres Leidens auf.
Zu dem, was Sie mir
sagten, dass es ein großes übel sei, zu wollen und nicht
zu können, will ich Ihnen nicht sagen, dass man das wollen soll,
was man kann, sondern ich will Ihnen sagen, dass es ein großes
Können vor Gott ist, wollen zu können. … Die göttliche
Güte hat Sie nicht auf den Weg gerufen, wo Sie sind, ohne Sie
dafür zu stärken: Es ist an ihr, ihr Werk zu vollenden. Es
ist wahr, der Weg ist etwas lang, weil die Sache es fordert, aber
Geduld!
Kurz, willigen Sie zu
Gottes Ehre ganz in seinen Willen ein und glauben Sie nicht, dass Sie
ihm auf andere Weise besser dienen könnten, denn man dient ihm
niemals gut, wenn man ihm nicht so dient, wie er will. Er will aber,
dass Sie ihm ohne Geschmack und ohne Gefühl dienen, und mit
innerem Widerwillen und Widerstreben. Dieser Dienst gibt Ihnen keine
Befriedigung, aber er befriedigt ihn. Er ist nicht nach Ihrem
Gefallen, aber nach dem seinen.
[E.
Heine (Übersetzung): Briefe des heiligen Franz von Sales an die
heilige Johanna Franziska von Chantal 1604 - 1610. München 1927,
S. 76 f]
Für die französische Dichterin und Schriftstellerin Marie Noël († 1967) gibt
es viele Wege zu Gott:
Wer will zu Gott
aufsteigen? Alle Wege sind gut. Einige haben den Glauben der Schritte
und der Augen, die einfältige und hübsche Frömmigkeit
der Sinne. Sie wallfahren zu den großen heiligen Stätten
und bringen von dort Souvenirs mit - einige Tropfen des heiligen
Wassers, Medaillen, Rosenkränze. Sind sie reich, kaufen sie in
der Rue Saint-Sulpice schön bemalte Statuen für ihre
Pfarrei, sind sie arm, dann kleine Figuren der Heiligen Jungfrau für
ihr Zimmer. Andere stimmen voll Inbrunst in die lang gedehnten Töne
des Harmoniums ein, sie genießen die zarten Lieder mit einer
Zweitstimme während der Terz. Die einen wie die anderen fühlen
und träumen. Sie nennen Jesus ihren Geliebten. Sie bleiben mit
Wonne am Abend mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen im
Halbschatten der Kirchen zurück. Andere, weniger gefühlsbetont,
weniger glücklich, machen sich auf zu Gott durch bloßes
Denken. Ihr Gebet fertigt keine Bilder an. Es steigt direkt, steil zu
Gott auf, selbst ohne Ihn zu schauen. Manchmal verurteilen die
Frommen sie als gottlos. Und manchmal könnten auch sie in
Versuchung geraten, die einfachen Leute für Dummköpfe zu
halten. Mögen sie sich davor hüten! Gott ist in allen.
Er hat Wege für
alle gemacht, für die Füße - sogar für die
Pfoten - und für die Flügel. Erdverbundene Pfade, gesäumt
von Blumen und Dornen, von Brombeeren und Walderdbeeren für die
lieben kleinen Seelen, und den freien, schwindelerregenden Himmel,
wohin sich die hoch auffliegenden Seelen wagen, um in der Weite und
im Entsetzen der unendlichen Räume zu schweben.
Er hat Wege für
alle Stunden gemacht. Wenn die großen Vögel erschöpft
sind, lässt ein Ast sie zur Ruhe kommen, lindert eine Blume
ihren Schmerz, wiegt sie sanft ein Lied. Wenn die Gebete sich
ängstigen, sich verloren glauben, beruhigt sie der Schein einer
Kerze.
[Stephan
Wahl: Die Dichterin Marie Noël - Der erloschene Himmel - www.deutschlandfunkkultur.de, 2. Oktober 2015]
Karl Leisner (†
1945):
Kein Weg ist
leicht; aber mit Gott sind alle Wege schön.
Ildefons Schuster
(† 1954):
Das Leben ist ein
Weg aus der Zeit in die Ewigkeit.
2. Entscheidung für den rechten Weg
Weg des Lebens und des Todes: Apostolische Väter (BKV 6 - 10); der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 194f).
Weg des Lichtes und der Finsternis: Apostolische Väter (BKV 101 - 104).
Zwei Wege, Weg des Lebens und des Todes: Lactantius (BKV 194f).
Im Buch über
die Gründungen zeigt Theresa von Ávila „die Große” († 1582)
den schnellsten Weg zur Vollkommenheit auf:
Ich glaube, dass
der Böse uns unter dem Vorwand des Guten deshalb so viele
Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten vor Augen führt, weil er
sieht, dass es keinen schnelleren Weg zur höchsten
Vollkommenheit gibt als den des Gehorsams. … Denn es ist doch
klar, dass das, worin die höchste Vollkommenheit liegt, nicht in
inneren Wonnen oder großartigen Verzückungen oder Visionen
und auch nicht im Geist der Prophezeiung besteht, sondern in nichts
anderem als dass unser Wille dem Willen Gottes so sehr gleichförmig
wird, dass wir nichts erkennen, was er will, ohne es auch von ganzem
Herzen zu wollen, und das Köstliche genauso freudig annehmen wie
das Bittere, sofern wir nur erkennen, dass Seine Majestät es
will. Das erscheint äußerst schwierig; es zu tun ist es
nicht so, wohl aber das totale Sich-Anbequemen an das, was unserem
Willen natürlicherweise widerspricht; und es ist ja wahr, dass
das so ist. Doch hat die Liebe, wenn sie vollkommen ist, diese Kraft,
dass wir nämlich unser eigenes Glück vergessen, um den
glücklich zu machen, den wir lieben. Und so ist es wirklich;
denn mögen die Prüfungen noch so groß sein, wenn wir
erkennen, dass wir Gott damit beglücken, werden sie uns süß.
Auf diese Weise lieben diejenigen, die so weit gekommen sind,
Verfolgungen, Verleumdungen und Beleidigungen.
[Teresa
von Ávila: Das Buch der Gründungen, Kap. 5, 10. = Gesammelte
Werke, Bd. 5. Freiburg - Basel - Wien 2007, S. 137f]
3. Ratschläge
Thomas von Aquin († 1274):
Wähle den Weg
über die Bäche und stürze dich nicht gleich in das
Meer! Man muss durch das Leichtere zum Schwierigen gelangen.
4. Irr- und Abwege
4. Thomas von Kempen († 1471):
Um eine geringe Stelle
läuft man meilenweit, aber um des ewigen Lebens willen heben
viele den Fuß nicht auf.
Giuseppe „Pino” Puglisi († 1993):
Zwanzig, sechzig,
hundert Jahre Leben: Was nützt es, wenn wir die falsche Richtung
einschlagen? Was zählt, ist, Christus zu begegnen, wie er zu
leben, seine Liebe zu verkünden, die rettet, Hoffnung zu bringen
und nicht zu vergessen, dass wir alle, jeder an seinem Platz, in
persönlicher Verantwortung, die Erbauer einer neuen Welt sind.
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 27.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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