Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Seligkeit
Schon bei den Kirchenvätern sind die Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt (Matthäusevangelium 5, 3 - 12) ein beliebtes Predigtthema.
Vgl. Gregor von Nyssa (BKV 153 - 240: Homilien über die 8 Seligpreisungen); Ambrosius von Mailand (BKV II 230 - 239); Johannes „Chrysostomus” (BKV I 253); Papst Leo „der Große” (BKV II 292 - 300).
Katharina von Schweden († 1381): über
Selig sind die
Armen im Geist; denn ihrer ist das Himmelreich
(Matthäusevangelium 5, 3):
Der Geist der Welt
läuft dem Geist Christi schnurstracks entgegen. Während der
Geist der Welt die Menschen auffordert, das Leben in vollen Zügen
zu genießen und unbekümmert um den folgenden Tag zu sein,
weist Christus die Staubgeborenen auf die Ewigkeit hin und lehrt sie,
dass die hienieden keine bleibende Stätte haben, dass sie hier
Pilger und Fremdlinge sind und der ewigen Heimat entgegengehen. …
Wer wird auf Erden
Armer genannt? Arm ist, wer nichts besitzt oder doch nicht genug hat,
um anständig und sorgenfrei leben zu können. Preist etwa
der Herr diese Armen glücklich, die so oft Hunger und Durst
ertragen müssen und die sich oftmals gegen Sturm und Unwetter
nicht schützen können? Nein, nicht alle Armen, sondern nur
die Armen im Geist preist Jesus glücklich, d. h. jene Menschen,
welche arm in ihrer Gesinnung, arm ihrem Willen nach sind. Es gibt
viele Arme, welche mit ihrem Los unzufrieden sind, wider Gott murren,
dass er ihnen nicht so viele und so große Schätze gegeben
hat wie anderen und die den Reichen um seinen Reichtum beneiden.
Diese Menschen sind keineswegs arm in der Gesinnung, arm ihrem Willen
nach; ihr Herz hängt an Geld und Gut und läge es an ihnen,
sie würden sich in Purpur kleiden, aus silbernen und goldenen
Gefäßen speisen, eitlen Freuden und Lustbarkeiten
nachjagen und darüber Gott und ihr Seelenheil vergessen. Solche
Arme schließt der Gottessohn von seiner Seligkeit aus.
Dagegen gibt es Arme,
welche sich um Gottes willen in ihr Schicksal fügen, zufrieden
mit ihrem Los sind, so schwer es auch sein mag, nicht nach irdischen
Gütern Verlangen tragen, sondern Herz und Auge nach der ewigen
Heimat richten, wo sie nach den Verheißungen der Heiligen
Schrift überreichen Lohn finden werden für alle Not und
Entbehrung, für alle Demütigung und Schmach, die sie
hienieden erduldet haben: Diese sind arm im Geist.
Auch treffen wir
Reiche, die viele und große Schätze besitzen, allein ihr
Herz hängt nicht daran; sie wissen nur zu gut, dass alles, was
sie haben, ihnen von Gott nur geliehen ist, und deshalb besitzen sie
viel, wie der Apostel sagt [1. Korintherbrief 7,30] doch gerade so, als ob sie
nichts besäßen. Sie geben … den Armen reichliche Almosen
und betrachten dieselben als ihre Brüder, da sie ja auch von dem
nämlichen Gott erschaffen, von dem nämlichen Gott erlöst,
von dem nämlichen Gott geheiligt und zu der nämlichen
Seligkeit berufen sind. …
Endlich gibt es auch
Menschen, welche, gleichviel ob arm oder reich, erkennen und
bekennen, dass sie hilflos und elend sind, dass ihr Herz zum Bösen
geneigt ist und dass sie ohne Gott und ohne die göttliche Gnade
nichts vermögen als zu sündigen. Auch diese sind arm im
Geist. …
Was wir auch sind im
Leben, im Tod werden wir alle gleich, und wenn man nach Jahren einmal
unsere Gräber öffnen und unsere Schädel betrachten
würde, dann könnte man nicht erraten, ob dieser oder jener
der Schädel eines Fürsten oder eines Bettlers gewesen sei.
Haben wir einmal die Grenze der Ewigkeit überschritten, dann
hört aller Unterschied der Person und des Standes auf, dann gibt
es nur noch Geschöpfe gegenüber dem Schöpfer - vor
Gott sind wir alle gleich.
Der Sanftmütige
ist liebevoll, freundlich und geduldig … Die Sanftmut ist einer
schönen Blume voll entzückenden Dufts und herrlicher
Farbenpracht vergleichbar oder auch einem prachtvollen, kostbaren
Edelstein, weshalb auch Gott an dieser herrlichen Tugend sein größtes
Wohlgefallen hat.
Je gesünder,
je reiner die Seele ist, desto mehr wird sie hungern und dürsten
nach Gott.
Die
Barmherzigkeit ist gewissermaßen das Billet, welches uns den
Eintritt in das Himmelreich gestattet.
Wenn uns ein
kleines Sandkörnchen ins Auge gerät, dann schmerzt das Auge
und wir können nicht deutlich sehen, bis jenes Sandkörnchen
entfernt ist. … Ist das Herz unrein und mit Sünden befleckt,
so vermögen wir Gott und seinen heiligen Willen nicht deutlich
zu erkennen.
Wie ein Kind
dem Vater ähnlich sieht, von ihm geliebt wird und nach dessen
Tod sein Vermögen erbt, so gleichen die Friedfertigen ihrem
Gott, dem
Gott des Friedens
, dem Friedensfürsten
.
[Seelentrost. Aufzeichnungen der hl. Catharina, nach einem schwedischen Manuscripte übersetzt von Heinrich Ruhe, Oedenburg 1892, S. 117 ff, 123, 133, 141, 148, 151]
Papst Johannes Paul II.
(† 2005):
Selig, die arm
sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich!
Der
göttliche Meister nennt an erster Stelle jene selig
,
die arm sind vor Gott - ja wir könnten fast sagen, er spricht
sie heilig
. Es handelt sich um diejenigen, deren Herz frei von
Vorurteilen und Bedingungen ist und die deshalb dem Willen Gottes
gegenüber ganz aufgeschlossen sind. Die vollkommene und
vertrauensvolle Treue zu Gott setzt Entäußerung und
konsequentes Abstandnehmen vom eigenen Ich voraus.
Selig die
Trauernden!
Dies ist die Seligpreisung nicht nur jener Menschen,
die unter den vielen Nöten aufgrund ihrer menschlichen
Sterblichkeit leiden, sondern auch all jener, die das Leid, das sie
bei ihrem aufrichtigen Eintreten für die Moral des Evangeliums
erfahren, mit Mut annehmen.
Selig, die ein
reines Herz haben!
Es werden hier diejenigen selig
genannt, die sich nicht mit äußerlicher und ritueller
Reinheit begnügen, sondern die nach der absoluten inneren
Rechtschaffenheit suchen, die jede Form von Lüge und Falschheit
ausschließt.
Selig, die hungern
und dürsten nach der Gerechtigkeit!
Die menschliche
Gerechtigkeit ist an sich bereits ein sehr hohes Ziel, und sie adelt
den Geist derer, die nach ihr streben. Das Denken Jesu bezieht sich
jedoch auf jene noch größere Gerechtigkeit, die in der
Suche nach dem Heilswillen Gottes liegt: Selig ist vor allem, wer
nach dieser Gerechtigkeit hungert und dürstet. Jesus sagt
nämlich: In das Himmelreich kommt nur, wer den Willen
meines Vaters im Himmel erfüllt
(Matthäusevangelium 7, 21).
Selig die
Barmherzigen!
Glückselig ist, wer die Hartherzigkeit und
Gleichgültigkeit besiegt, um ganz konkret den Primat der
erbarmungsvollen Liebe anzuerkennen nach dem Vorbild des
barmherzigen Samariters und letztlich des Vaters, der voll
Erbarmen ist
(Epheserbrief 2, 4).
Selig, die Frieden
stiften!
Der Frieden, der alle messianischen Güter in sich
zusammenfasst, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. In einer Zeit, die
geprägt ist von schrecklichen Gegensätzen und Vorurteilen,
muss man ein brüderliches, von Liebe und Anteilnahme
inspiriertes Miteinander fördern und hierbei Feindschaften und
Streit überwinden.
Die Heiligen haben
diese Worte Jesu ernst genommen. Sie glaubten, dass sie die
Glückseligkeit
durch die konkrete Umsetzung
dieser Worte in ihrem Dasein erreichen würden. Und sie haben
deren Wahrheit in der täglichen Konfrontation mit dem Erlebten
erfahren: Trotz der Prüfungen, der Dunkelheit und der
Misserfolge haben sie bereits hier auf Erden die tiefe Freude der
Gemeinschaft mit Christus gekostet. In Ihm haben sie den Urkeim der
künftigen Herrlichkeit des Reiches Gottes, der in der Zeit
gegenwärtig ist, entdeckt.
[Predigt
zum Hochfest Allerheiligen am 1. November 2000]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 27.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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