Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Unterscheidung der Geister
Nach Matthäusevangelium 7, 16ff erweisen es die Früchte, ob es sich um einen guten oder einen schlechten Baum handelt. Paulus stellt im Brief an die Galater (5, 19 - 23) die Früchte des Fleisches denen des Geistes gegenüber. Beide Male lässt sich also von den Auswirkungen her auf die Geister schließen.
1. Kriterien zur Unterscheidung der Geister
2. Kriterien mangelnder Unterscheidungsgabe
1. Kriterien zur Unterscheidung der Geister
Regeln zur Unterscheidung der Geister.: Apostolische Väter (BKV 212 - 214):
Hermas von Rom (162 ?)
gibt Kriterien an zur Unterscheidung der Geister. Der
Engel der Gerechtigkeit steht für den guten Geist, der Engel der
Schlechtigkeit für den Un-Geist im Menschen:
Zwei Engel sind
bei dem Menschen, einer der Gerechtigkeit und einer der
Schlechtigkeit. … Der Engel der Gerechtigkeit ist zart, schamhaft,
milde und ruhig; wenn nun dieser in deinem Herzen sich regt, spricht
er sogleich mit dir über Gerechtigkeit, Keuschheit, Heiligkeit,
Genügsamkeit, über jegliche gerechte Tat und über jede
rühmliche Tugend. Wenn all dies in deinem Herzen sich regt, dann
wisse, dass der Engel der Gerechtigkeit mit dir ist. Denn das sind
die Werke des Engels der Gerechtigkeit, diesem also vertraue und
seinen Werken.
Betrachte nun auch die
Werke des Engels der Schlechtigkeit: Er ist vor allem jähzornig,
verbittert und unverständig, seine Werke sind böse und
verführen die Diener Gottes; wenn also dieser sich in deinem
Herzen regt, dann erkenne ihn an seinen Werken. … Wenn ein Jähzorn
an dich kommt oder eine Erbitterung, dann wisse, dass er in dir ist;
ferner wenn Begierden kommen, allerlei zu treiben, und mannigfache
Ausgaben für reichliche Tafelgenüsse, häufiges und
übermäßiges Trinken, für allerlei Leckerbissen
und unnötige Dinge, Begierden nach Frauen und Reichtümern,
ein übermäßiger Stolz und Prahlerei, und alles, was
diesen verwandt und ähnlich ist: Wenn also derlei Gedanken in
deinem Herzen aufsteigen, dann wisse, dass der Engel der
Schlechtigkeit in dir ist. Wenn du dann seine Werke erkannt hast,
dann sage dich los von ihm und vertraue ihm nicht, weil seine Werke
schlecht und den Dienern Gottes schädlich sind.
Nun hast du die
Wirkungen beider Engel. Lerne sie kennen und vertraue dem Engel der
Gerechtigkeit. Von dem Engel der Schlechtigkeit sage dich los, weil
seine Lehre schädlich ist in jedem Stücke; wenn nämlich
jemand ein gläubiger Mann ist und die Gesinnung dieses Engels in
sein Herz dringt, dann muss dieser Mann oder diese Frau einen
Fehltritt tun. Wenn dagegen einer ein ganz böser Mann oder eine
ganz böse Frau ist und in sein Herz die Werke des Engels der
Gerechtigkeit dringen, dann muss er notgedrungen etwas Gutes tun. Du
siehst also, dass es gut ist, dem Engel der Gerechtigkeit zu folgen,
von dem der Schlechtigkeit aber sich abzukehren. So viel eröffnet
dieses Gebot über den Glauben, damit du den Werken des Engels
der Gerechtigkeit vertraust und sie erfüllst und so in Gott
lebst. Glaube aber, dass die Werke des Engels der Schlechtigkeit böse
sind, tue sie nicht, und du wirst leben in Gott.
[Der
Hirte des Hermas. In: Die apostolischen Väter, aus dem Griechischen
übersetzt von Franz Zeller, BKV Nr. 35. München 1918, S.
212 - 214]
Der Wüstenvater Antonius „der Große” († 356 ?)
unterscheidet die Geister vor
allem anhand ihrer Wirkungen in der Seele:
Der Geist Gottes bewirkt
Ruhe, Sanftmut, Stärkung, Ermutigung, Freude, Fröhlichkeit,
Erleuchtung und heilige Sehnsucht, der dämonische Geist jeweils
das Gegenteil.
[vgl. Athanasios von Alexandria: Leben des hl. Antonius, Kap. 25 ff]
Benedikt von Nursia († 547 oder um 560)
trägt dem
Abt eines Klosters Folgendes auf:
Bei geistlichen
wie bei weltlichen Aufträgen entscheide er genau und halte Maß.
Er denke an die maßvolle Unterscheidung des heiligen Jakob, der
sprach:
Wenn ich meine Herden unterwegs überanstrenge, werden
sie alle an einem Tag zugrunde gehen.
[(1. Mose 33, 13)] Diese und andere Zeugnisse
maßvoller Unterscheidung, der Mutter aller Tugenden, beherzige
er. So halte er Maß in allem, damit die Starken finden, wonach
sie verlangen, und die Schwachen nicht davonlaufen.
[Reg.
Ben. 64]
Kolumban „der Jüngere” (†
615 ?):
Genau wie Irrtum
jene befällt, die vorwärts gehen wollen ohne einen Weg, so
ist denen, die ohne die Gabe der Unterscheidung leben, eine
übertreibung vorprogrammiert, die immer den Tugenden
entgegengesetzt ist, die in die Mitte zwischen beide Extreme gestellt
sind. … Deshalb müssen wir Gott beständig bitten, dass er
das Licht wahrer Unterscheidung schenken möge, um den Lebensweg
zu erleuchten, der auf jeder Seite von der dichtesten Dunkelheit des
Zeitgeistes umgeben ist, auf dass seine wahren Anbeter dieser
Dunkelheit ohne Irrtum zu ihm entrinnen können. So hat die Gabe
der Unterscheidung ihren Namen von Unterscheiden erhalten, indem sie
in uns zwischen Gut und Böse, zwischen Mittelmäßigen
und Vollkommenen unterscheidet. … Zwischen Wenig und Zuviel
ist daher das vernünftige Maß in der Mitte, das immer vom
überflüssigen auf beiden Seiten abhält, überall -
gesetzt der [sic!] Fall - nur das unbedingt Notwendige besorgt und
das Unvernünftige eines überflüssigen Wunsches
ablehnt. Und dieses Maß wahrer Unterscheidung, das alle unsere
Taten gerecht abwägt, erlaubt in keiner Weise, dass wir von dem,
was recht ist, abweichen, noch einem Irrtum erliegen, wenn immer wir
ihm ohne Umschweife als Führer folgen.
[Ivo
Auf der Maur OSB (Hrsg.): Columban von Luxeuil / Mönchsregeln.
St. Ottilien 2007, S. 28 - 31]
David von Augsburg († 1272) ruft die Ordensnovizen
auf, jeweils die rechte Mitte einzuhalten:
Bei jedem Opfer
gebe auch Salz bei, nämlich das Salz der Klugheit. Du sollst
weder nach rechts vom königlichen Wege abweichen durch
überanstrengung noch nach links durch zu große Lauheit.
Die Seele ist freilich unsterblich und kann nicht zugrunde gehen, der
Leib aber ist vergänglich und ein zerbrechliches Gefäß;
er kann darum nicht mit ihr gleichmäßig den Wettlauf
aufnehmen und die nämliche Anstrengung ertragen, die sie, von
einem feurigen Willen beherrscht, aushalten kann. Ein Betrunkener
treibt manchmal das Pferd rasch an, auf dem er sitzt, und beachtet
nicht, dass das arme Tier nicht genug Heu erhalten hat, während
ihm selbst vom Wein ganz heiß geworden ist. So kommt es, dass
das Pferd, über sein Können angestrengt, unter dem Reiter
zusammenbricht und ihn später an das Ziel kommen lässt, als
wenn es langsamer gelaufen wäre. … Der fruchtbare Erdboden
verwildert, wenn er lange unbebaut bleibt; nützt man ihn zu sehr
aus, so wird er mager; hält man die goldene Mitte ein, so bleibt
er fruchtbar. Ebenso ist auch mit dem Acker des Körpers
umzugehen, auf dass er nicht ob allzu reichlicher Erholung oder allzu
großer Weichlichkeit ausarte oder im Gegenteil durch übermaß
im Fasten und in der Abtötung geschwächt werde.
[Dagobert
Stöckerl: Bruder David von Augsbur / Ein deutscher Mystiker aus
dem Franziskanerorden. München 1914, S. 27f]
Ignatius von Loyola († 1556) legt in seinem
Exerzitienbuch ausführliche und genaue Regeln zur Unterscheidung
der Geister dar. Er weist u. a. darauf hin, dass der Geist Gottes die
Menschen guten Willens ermutigt, beruhigt und tröstet, hingegen
diejenigen, die in Sünde leben, beunruhigt und ermahnt; der böse
Geist aber verfährt umgekehrt: Beruhigung und (Ver-)Tröstung
der Lauen und Sünder, Beunruhigung und Entmutigung der Eifrigen
(Regeln Nr.1 u. 2).
Ignatius gibt wichtige Regeln wie
diejenigen, dass geistig strebende Menschen in der Zeit der
Verwirrung und Entmutigung nichts an ihren guten Vorsätzen und
der eingeschlagenen Lebensrichtung ändern sollen (Nr.5); dass
man sich bei religiösem Hochgefühl demütigen und bei
Niedergeschlagenheit mit dem Gedanken an die Gnade aufrichten soll
(Nr.11); dass man dem bösen Angreifer mutig die Stirn zu zeigen
(Nr.12) und seine Einflüsterungen gerade dann, wenn er uns zur
Geheimhaltung drängt, dem Beichtvater aufzudecken hat (Nr.13);
dass der Feind meistens dort angreift, wo unsere schwächste
Stelle ist (Nr.14).
[nach
P. Bernward Deneke, in: Das Portal zur katholischen Geisteswelt - https://www.kath-info.de/unterscheidung.html
- abgerufen am 23.08.2025]
2. Kriterien mangelnder Unterscheidungsgabe
Antonius „der Große” († 356 ?):
Es gibt solche,
die ihren Leib mit Bußübungen aufgerieben haben. Da sie
aber die Unterscheidungsgabe nicht haben, haben sie sich von Gott
weit entfernt.
Isaak von Ninive († 615):
Wer die
Wahrheit verkostet hat, der streitet nicht über sie. Scheint
jemand in den Augen der Menschen vor Eifer für die Wahrheit zu
brennen, dann hat er noch nicht gelernt, von welcher Art die Wahrheit
wirklich ist. Hätte er dies gelernt, so würde er von seinem
Fanatismus für die Wahrheit Abstand nehmen.
In seiner Schrift
Über die Unterscheidung der Geister
weist der Professor der Theologie und Astronom Heinrich
von Langenstein († 1397) auf die Problematik von
Visionen und inneren Eingebungen hin und gibt Kriterien an zur
Unterscheidung zwischen echter und falscher Frömmigkeit:
Einige, die erst
kürzlich die Welt verlassen und im Stand des geistlichen Lebens
die Gelübde abgelegt haben, wollen sofort an der ersten Stelle
stehen; durch den Geist der Strenge werden sie zu übertreibungen
im Fasten und Nachtwachen, in der Arbeit, in der Kontemplation und im
Gebet geführt. Einige von ihnen überschreiten in unklugem
und törichtem Eifer das Maß der menschlichen Natur und
sündigen dadurch schwer. Gott lässt sie bisweilen durch
Versuchungen in Wirrnis oder Irrtum geraten. Denn es ist Gott
zuwider, wenn der Mensch töricht, unvernünftig und unklug
vorgeht; das widerstreitet ja in höchstem Maß der
menschlichen Natur, der Gott die Vernunft gegeben und die er durch
göttliche und menschliche Belehrung hinreichend unterwiesen hat.
Jene also, die sich bemühen, geistlich und zurückgezogen zu
leben, sollen sich vor einer derartigen Sünde sehr in Acht
nehmen.
Wie zeigt sich nun
dieser Ungeist der Strenge?
Die erste Wirkung ist
eine große Schwächung und Auszehrung der körperlichen
Kräfte.
Die zweite Wirkung
folgt daraus, nämlich eine Verkehrung und Entfremdung in den
geistlichen Kräften.
Die dritte Wirkung
liegt in einem Schock, den die Kräfte aufgrund dieser Strenge
erfahren. Wegen dieses Schocks empfindet der Mensch nicht seine
Verletzung, ähnlich wie ein erschrecktes Glied nicht wahrnimmt,
dass es verwundet wird. Jene, die aufgrund der Strengheit geschwächt
sind und leiden, sind in einer schlechteren Lage als die körperlich
Kranken. Denn diese schenken dem Urteil der Gesunden Glauben und
folgen dem Rat der ärzte, so dass sie wieder gesund werden, jene
aber nicht. Vielmehr sind sie überzeugt, dass sie selbst ganz
heilig sind; alle anderen haben ihrer Meinung nach ein schlechtes
Urteil über sie und alle anderen Dinge; sie allein urteilen über
sich in bester Weise. Dabei bedenken sie nicht, dass der Mensch in
vielen Fällen ein schlechter Richter seiner selbst ist und dass
er sich, was ihn selbst betrifft, mehr auf das Urteil anderer als auf
sein eigenes stützen sollte. Viele, die an dieser eben
beschriebenen Krankheit leiden, stützen sich derart auf ihre
eigene Klugheit, dass sie nicht gewillt sind, dem Rat guter und
besonnener Menschen zu folgen. So bleiben sie unheilbar und fallen
von einer Torheit in eine andere.
Eine vierte Wirkung des
Geistes der Strenge ist die Bewunderung durch andere und der Ruf, der
sich sofort überallhin ausbreitet. Denn sobald die
außergewöhnliche Strenge der Armut und Enthaltsamkeit, der
Kleidung und des äußeren Gehabens bekannt wird, erschallt
die Kunde davon schnell in aller Welt (vgl. Psalm 19 ,5). Denn wer
etwas tut, was sonst niemand tut, der wird von allen bewundert.
Eine fünfte
Wirkung ist die Rechtfertigung seiner selbst und die leichtfertige
Verurteilung der anderen, deren Missbilligung oder Herabsetzung.
Daraus folgt als
sechste Wirkung geistliche überheblichkeit: Man empfiehlt sich
selbst und setzt sich in Szene. Geistliche Menschen, die besonders
streng leben, scheinen vor allem durch vorschnelles Verurteilen zu
sündigen: Indem sie die andern verwerfen, stellen sie sich
selbst zur Schau und betonen ihre eigene Klugheit. Sie sind
ungeduldig und hegen über Gott und sich selbst törichte
Erwartungen. Sie machen gern vertrauliche Mitteilungen über ihr
Gottesverhältnis; Sehnsucht und Murren kennzeichnen ihr
Verhalten, das oft in Torheit abgleitet.
Nun geht es um
die Frage, ob man denn mit Sicherheit annehmen darf, dass das, was
jemandem nach dem Gebet und nach einer Frömmigkeitsübung
(auch unter Tränen) in den Sinn kommt bezüglich der
Aufgabe, mit der er befasst war, eine übernatürliche
Offenbarung sei. Es steht ja fest, dass der Mensch mit Verstand und
überlegung aus dem, was uns bisher geoffenbart und mitgeteilt
wurde, das zu finden vermag, was ihm mehr nützt. Und daher ist
es anmaßend und scheint einer Versuchung Gottes gleichzukommen,
in jedem Fall übernatürlicherweise von Gott unterwiesen
werden zu wollen bezüglich des zu Vollbringenden oder zu
Erkennenden.
Denn Gott ordnet die Dinge so
, wie
Augustinus sagt, dass er sie die eigenen Antriebe ausführen
und verrichten lässt
, bis sie in dieser Weise an ihre
Grenzen kommen; dann kommt er von oben zu Hilfe und führt
weiter. Und - wenn ich mich nicht täusche - dadurch wird die
Vollkommenheit des Schöpfers deutlich.
[Heinrich
von Langenstein: Über die Unterscheidung der Geister. In:
Quellen geistlichen Lebens, Bd. 2, hrsg. von Gisbert Greshake und
Josef Weismayer. Matthias Grünewald Verlag Ostfildern 2008, S.
246ff]
Maria Ward (†
1645):
Was mich innerlich bestürzt und
unruhig macht, kommt nicht von Gott; denn der Geist Gottes bringt
allezeit Frieden und heitere Ruhe mit sich.
Der Jesuit, Schriftsteller und Mystiker
Giovanni Battista Scaramelli († 1752) zählt
(in seiner Anleitung zum mystischen Leben
) als Merkmale
der Einwirkungen des bösen Geistes auf:
Lüge; Eitel- und
Oberflächlichkeiten; aufgeputschte Phantasien; Trotz und
Widerspenstigkeit; Neigung zum übermaß im Guten; Unruhe,
Verwirrung und Trübsinn; offenbarer Stolz oder falsche Demut;
Verzweiflung und Misstrauen oder falsche Selbstsicherheit;
Willensverhärtung und Ungehorsam; schlechte Absicht bei den
Handlungen; Ungeduld in Trübsalen; Aufruhr der Leidenschaften;
Falschheit, Verstellung und Heuchelei; Anhänglichkeiten;
Abwendung von der Nachfolge Christi oder falscher Eifer.
[nach
P. Bernward Deneke, in: Das Portal zur katholischen Geisteswelt -
https://www.kath-info.de/unterscheidung.html - abgerufen am 23.08.2025
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 27.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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