Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Spiritualität der Heiligen - Vorbemerkungen
Die Seele des Menschen
Die Frage nach dem Wesen des Menschen hängt wesentlich ab von der Bestimmung des Wesens der menschlichen Seele und ihrem Verhältnis zum Leib.
1.Verhältnis der Seele zum Leib
2. die Unsterblichkeit und Gottebenbildlichkeit der Seele
3. Heil der Seele
1.Verhältnis der Seele zum Leib
Nach Ambrosius von Mailand (BKV I, 261f, 264f) ist die Seele das eigentliche Ich des Menschen, der Leib nur das Kleid. Er bezeichnet sie auch als das Lebensprinzip des Leibes (BKV II, 391).
Die Seele entfaltet sich allmählich mit der Entwicklung des Leibes: so Gregor von Nyssa (BKV 313f).
Nach Auffassung von Johannes „Chrysostomus” ist es die Seele, die dem Leib Schönheit oder Hässlichkeit verleiht (BKV II, 264f).
Augustinus von Hippo (BKV
V, 98) führt den Gedanken weiter, indem er feststellt: Die
Schönheit des Leibes ist die Seele, die Schönheit der Seele ist
Gott.
Die rechte Liebe zum eigenen Leib verlangt dessen Beherrschung
sowie die Ausrottung der Leidenschaften, die den Leib missbrauchen:
(BKV VIII, 32 - 33).
2. die Unsterblichkeit und Gottebenbildlichkeit der Seele
Nach jüdisch-christlicher Auffassung ist der Tod das Ende des Menschen. Er betrifft sowohl Leib wie Seele. Ein Fortleben nach dem Tod kann es daher nur aufgrund der Auferweckung von Leib und Seele durch Gott geben, wobei beide eine völlig neue Gestalt erhalten (vgl. 1. Korintherbrief 15, 38 - 50). Dagegen vertreten die Kirchenväter - wohl beeinflusst von der griechischen Philosophie - die Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele (vgl. z. B. Apologeten (BKV I, 344f, 351); Irenäus von Lyon (BKV I, 203 - 205); Origenes (BKV II, 294 - 296); der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 211f, 277); Athanasios von Alexandria (BKV II 576 - 580); Gregor von Nyssa (BKV 246 - 258).
Wenn aber die Seele
nicht stirbt, kann man nach Epiphanius von Pavia
(BKV 136) auch nicht
von einer Auferweckung der Seele sprechen. Da die Seele unsterblich ist,
bedeutet die Rede von ihrem Tod
nicht ihr Ende, sondern
ihre Entfremdung vom Leben Gottes in der Ewigkeit: Augustinus von Hippo
(BKV I, 331).
Makrina „die Jüngere” († 379/380) im Gespräch mit ihrem
Bruder Gregor von Nyssa († nach 394):
Gregor bringt nach dem langen Gespräch über das
Wesen der menschlichen Seele den Gedanken ins Gespräch, die
menschliche Seele könne der göttlichen gleich sein:
Da sprach meine
Lehrerin [seine Schwester]:
Sage nicht, dass Gott und Seele
gleich seien - denn dies wäre ein frevelhaftes Wort -
sondern, wie das göttliche Wort dich unterrichtet, dass beide
ähnlich sind, Denn was nach dem Ebenbild geschaffen
wurde, besitzt nur ähnlichkeit mit seinem Ur- und Vorbild,
wenngleich eine weitgehende; das Geistige mit dem Geistigen, das
Körperlose mit dem Körperlosen; wie dieses ist es frei von
Schwere und erhaben über alle Dimensionen. Dennoch sind sie
dadurch voneinander verschieden, dass jedem von beiden eine eigene
Natur zukommt; denn die Seele wäre nicht bloß mehr
Ebenbild, wenn sie in allen Stücken mit Gott übereinstimmen
würde. Aber indem sie nicht alle, sondern nur manche Vorzüge,
die das betrachtende Auge in der unerschaffenen Natur als dem Urbild
erblickt, ebenfalls besitzt, erweist sie sich als deren geschaffenes
Abbild. Und wie man oft in einem Stückchen Glas, wenn es gerade
vom Sonnenstrahl getroffen wird, die ganze Sonnenscheibe sieht, wenn
sie dabei auch nicht in ihrer vollen wirklichen Größe
erscheint, sondern in einem weit geringeren Umfang, welcher der
Kleinheit des Glases entspricht, so spiegeln sich auch in der
Beschränktheit unserer Natur die Abbilder jener
unaussprechlichen göttlichen Eigenschaften wider, so dass die
Vernunft an der Hand dieser Eigenschaften, vorausgesetzt, dass sie
bei der Untersuchung jede körperliche Bedingtheit für die
Begriffsbestimmung ausscheidet, sicher zu einer richtigen Erkenntnis
vom Wesen der Seele gelangen kann, andererseits wird sie auch nicht
die Gleichstellung der geringen und hinfälligen Natur mit der
unendlichen und ewigen Natur vollziehen, sondern ihr Wesen zwar als
geistig auffassen, weil sie ja auch das Abbild einer geistigen
Substanz ist, aber nimmermehr als identisch mit dem Urbild
erklären.
[Gregor von Nyssa, Gespräch mit Makrina über Seele und
Auferstehung. In: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften,
BKV II 56. München 1927, S. 260f]
Alkuin (†
804) verfasste eine Schrift über die Seele
. Hier heißt es:
Es ist für
gewiss festzuhalten, dass die Seele, wenn sie in der Würde
geblieben wäre, in welcher sie vom Schöpfer ins Dasein
gerufen wurde, durchaus unsterblich wäre, wie die Seelen der
Heiligen sind. Nachdem sie nun aber auf Antrieb des bösen
Geistes aus freiem Willen gefallen ist, so ist sie aus einer
unsterblichen eine sterbliche geworden - freilich nur teilweise und
nicht ganz. Wie die Seele das Leben des Leibes ist, so ist Gott das
Leben der Seele. Wenn die Seele den Leib verlässt, so stirbt er,
und man sagt mit Recht, er sei tot, weil er unempfindlich ist. Doch
ist der Leib eine Art Verderbnis, wegen der Beschaffenheit des
Fleisches, obschon er das Leben nicht von der Seele hat. Der Tod der
Seele aber tritt ein, wenn Gott sie wegen der Größe ihrer
Vergehen mit Seiner Gnadengabe verlässt und sie ihrem besseren
Teile nach stirbt.
Die Seele ist aber von
ihrem Schöpfer durch zwiefache Würde in ihrem Wesen
verherrlicht, nämlich durch die Ewigkeit und durch die
Seligkeit. Die Seligkeit der Seele besteht darin, Gott in sich zu
haben. Aber wie zu haben? Indem sie gerecht ist, weil Gott gerecht
ist; barmherzig, weil Gott barmherzig ist; gut, weil Gott gut ist;
heilig weil Gott heilig ist; und indem sie die Liebe habe, weil Gott
die Liebe ist. Je mehr einer von diesem in sich hat, um so mehr hat
er Gottes Bild und Gleichnis in sich. Wer aber dieses und ähnliches,
welches der Apostel die Früchte des Geistes nennt, nicht in der
Seele hat, der wird der Einwohnung Gottes unwürdig und wird
halbtot, ähnlich dem Manne, der von Jerusalem nach Jericho ging
und von den Räubern geplündert, verwundet und halbtot
zurückgelassen wurde. Halbtot wird die Seele sein, wenn sie
wegen ihrer Laster und Missetaten die Seligkeit der Anschauung und
die Einwohnung Gottes verloren hat.
Die Ewigkeit aber, für
welche sie geschaffen ist, kann sie nicht verlieren. Denn wegen ihrer
Sünde wird die Seligkeit in Elend verkehrt werden, was
geschieht, wenn die Begierde und die Leidenschaft im Menschen
mächtiger geworden ist als die Vernunft, durch welche er allein
vor allen Lebenden ausgezeichnet ist.
[zitiert
nach: Walther Tritsch (Hrsg.): Einführung in die Mystik. In
Quellen und Zeugnissen. Augsburg 1990, S. 79f]
Nach Contardo Ferrini († 1902) besitzt jeder Mensch eine
naturreligiöse Anlage:
Jedes
vernunftbegabte Geschöpf versteht es, sich zum Unendlichen zu
erheben. Oder vielmehr, es ist bereits etwas von Unendlichkeit in
jedem vernünftigen Sein, ein Widerschein des strahlenden
göttlichen Antlitzes. In diesem Gedanken, der der unsterblichen
Seele entquillt und als freier Sohn des Geistes die Grenzen der
Zeiten und des Raumes nicht kennt, werden vergangene Zeiten wieder
lebendig und vermählen sich mit den Träumen der Zukunft:
Und in der Tat wir beschränken unsere Rede hier auf den
Menschen; es treten im Leben Augenblicke ein, wo die Berührung
mit dem Unendlichen notwendig, unausweichlich wird, wo ein
freiwilliger erhabener Aufschwung stattfindet: Jede Philosophie ist
die Wissenschaft vom Unendlichen, oftmals zwar von der Kehrseite
aufgefasst, niemals aber geleugnet: Jede Religion ist das natürliche
Streben zum Unendlichen, tausende Male getäuscht, nimmermehr
aufgegeben. Freilich hat unter allen Philosophien und unter allen
Religionen einzig das Christentum, indem es die Wahrheit offenbart,
zugleich das allumfassende Reich des Wahren und nicht minder die
allgemeine Fähigkeit bewiesen, sich zum Unendlichen zu erheben.
[E.
J. Görlich, Contardo Ferrini. Freiburg (Schweiz) usw. 1933, S.
46]
3. Heil der Seele
Die Seele hat ein natürliches Verlangen nach Gemeinschaft mit Gott: Origenes (BKV I, 207).
Die Seele verdient größere Sorge als der Leib: Basilius „der Große” (BKV II, 185f, 350).
Wir sollten für die Seele mindestens ebensoviel tun wie die Kranken für den Leib: Johannes „Chrysostomus” (BKV I, 233f), sie ist ein Musikinstrument für Christus: Johannes „Chrysostomus” (BKV V, 148).
Die Seele ist ein Palast, der gereinigt werden muss, um zur Wohnung Christi zu werden: Makarius der Ägypter (BKV 139f, 147), sie findet Ruhe nur in Gott: Makarius der Ägypter (BKV 24).
Die Seele ist von Natur aus christlich - anima naturaliter
christiana
: Tertullian (BKV II, 88)
Die Seele ist durch ihr Sein, ihr Erkennen und ihr Wollen Bild der Trinität: Augustinus von Hippo (BKV VII, 344f).
Nach Makrina „der Jüngeren” († 379/380)
bedarf die Seele, um mit
Gott vereint zu werden, der Läuterung:
Wie nämlich
diejenigen, welche die dem Gold beigemischte Schlacke in reinigendem
Feuer ausscheiden wollen, nicht bloß das Unreine, sondern mit
unausweichlicher Notwendigkeit auch das Gold im Läuterungsfeuer
zur Schmelze bringen, und wie dabei das edle Metall erhalten bleibt,
alles Unedle aber verzehrt wird, so muss auch das Böse nach
einem Gesetz der Notwendigkeit durch ein Reinigungsfeuer verzehrt
werden; hierbei muss aber auch die Seele so lange im Feuer aushalten,
bis die beigemischte unechte Schlacke und unsaubere Materie im Feuer
ganz verbrannt ist.
Gregor von Nyssa, Gespräch mit Makrina über Seele und
Auferstehung. In: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften,
BKV II 56. München 1927, S. 296)
Petrus Faber (†
1546):
Eine gute Regung
ließ mich nun wünschen, es möge in meiner Seele
geistlicherweise vier Jahreszeiten geben: Erst einen geistlichen
Winter, der die Gotteskeime, die ins Erdreich meiner Seele gesenkt
sind, hegt und Wurzel fassen lässt; dann einen geistlichen
Frühling, damit mein Erdreich seinen Samen aufsprießen
lasse; drittens einen geistlichen Sommer, der die Früchte zu
bester Ernte heranreifen lässt; viertens einen geistlichen
Herbst, um die reifen Früchte zu sammeln, sie in die göttlichen
Scheunen einzufahren
(Matthäusevangelium 13, 30) und sie
aufzuspeichern, dass nichts verloren gehe
(Johannesevangelium 6, 12).
[Peter
Faber: Memoriale / Das geistliche Tagebuch des ersten Jesuiten in
Deutschland, übersetzt von Peter Henrici (= Christliche Meister 38).
Johannes Verlag Einsiedeln; Trier 1963, Nr. 2006, S. 174f]
In ihrem Werk
Wohnungen der inneren Burg
vergleicht Theresa von Ávila
(† 1582) die menschliche Seele mit einer
überaus kostbaren Burg mit vielen Wohnungen:
Als ich heute
unseren Herrn anflehte, er möge durch mich reden - weil mir
nicht so richtig einfiel, was ich sagen, noch wie ich mit der
Erfüllung dieses Gehorsamsauftrags beginnen sollte, bot sich mir
an, was ich jetzt sagen will, sozusagen als eine Art Ausgangspunkt,
nämlich unsere Seele als eine gänzlich aus einem einzigen
Diamanten oder sehr klaren Kristall bestehende Burg zu betrachten, in
der es viele Gemächer gibt, so wie es im Himmel viele Wohnungen
gibt (Johannesevangelium 14, 2). Denn wenn wir es recht bedenken, Schwestern, so ist
die Seele des Gerechten nichts anderes als ein Paradies, in dem er,
wie er selbst sagt, seine Freuden erlebt (Sprüche 8, 31). Nun also, wie
meint ihr wohl, wie das Gemach aussehen soll, in dem ein so
mächtiger, weiser, reiner und an allen Gütern reicher König
sich vergnügt? Ich finde nichts, womit ich die gewaltige
Schönheit einer Seele und ihre riesige Fassungskraft vergleichen
könnte. Und tatsächlich, wie scharf unser Verstand auch
sein mag, so dürfte er doch kaum ausreichen, sie zu begreifen,
genauso wenig wie er ausreicht, um sich Gott auszudenken, der doch
selbst gesagt hat, dass er uns nach seinem Bild und Gleichnis
geschaffen hat (1. Mose 1, 26). Nun, wenn das so ist - und so ist es -,
dann gibt es keinen Grund, uns damit abzuplagen, die Schönheit
dieser Burg begreifen zu wollen. Denn da sie von Gott so verschieden
ist wie der Schöpfer vom Geschöpf, da sie ja Geschöpf
ist, genügt schon die Aussage Seiner Majestät, dass sie
nach seinem Bild geschaffen ist, so dass wir kaum imstande sind, die
große Würde und Schönheit der Seele zu begreifen.
Auch wenn hier
nicht von mehr als nur von sieben Wohnungen die Rede ist, gibt es in
jeder von ihnen viele: oben und unten und an den Seiten, mit hübschen
Gärten und Brunnen und Labyrinthen und so entzückenden
Dingen, dass ihr euch vor Lobpreisungen auf den großen Gott,
der dies nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, am liebsten
auflösen wolltet.
[Teresa von Ávila: Wohnungen der Inneren Burg. Gesammelte Werke, Bd.
4. Freiburg - Basel - Wien 2005, S. 78 f, 373]
Pio da Pietrelcina († 1968):
Wenn man wüsste, wie
viel eine Seele kostet. Die Seelen werden einem nicht als Geschenk
gegeben, man muss sie erkaufen. Ihr wisst nicht, was sie Christus
gekostet haben. Nun muss man sie stets mit derselben Münze
bezahlen.
zurück zur vorherigen Seite
Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 31.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.