Ökumenisches Heiligenlexikon

Hermann der Lahme

auch: von der Reichenau

1 Gedenktag katholisch: 24. September

1 Gedenktag evangelisch: 24. September

Name bedeutet: der Heeresmann (althochdt.)

Abt (?) auf der Reichenau, Gelehrter
* 18. Juli 1013 in Altshausen bei Saulgau in Baden-Württemberg
24. September 1054 im Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau in Baden-Württemberg


Franz Georg Herrmann: Deckenfresko, 1757, in der Bibliothek des Klosters Schussenried
Franz Georg Herrmann: Deckenfresko, 1757, in der Bibliothek des Klosters Schussenried

Hermann, Sohn des Grafen Wolfrat II. von Altshausen und dessen Frau Hiltrud, war väterlicherseits ein Nachfahre der Schwester von Ulrich von Augsburg. Getauft wurde er in der Eigenkirche der Grafen von Altshausen, der Kirche St. Michael in Veringendorf bei Sigmaringen. Vielleicht schon seit seiner Geburt behindert, möglicherweise spastisch gelähmt oder unter ALS leidend, konnte Hermann jedenfalls als Erwachsener nicht mehr selbständig aufstehen, sich im Bett nicht umdrehen und nur in einem Tragsessel fortbewegen. Mit sieben Jahren kam er als Oblate zur Erziehung ins Benediktinerkloster auf der Reichenau, einem der führenden Klöster in Europa in Sachen Wissenschaft, Gelehrsamkeit, Politik und Kultur und eine bedeutende Ausbildungsstätte, die unter Abt Berno damals besonders glänzte.

Hermann wurde Mönch im Kloster auf der Reichenau. Er war an seinen Tragstuhl gefesselt, konnte das Kloster nicht verlassen und nur mit Mühe sprechen. Dennoch wurde er schon bald zu einem begehrten und gefeierten Lehrer. Er wirkte als Mathematiker, Astronom, Musiker und Historiker, schrieb liturgische Gesänge und Gedichte und wurde zu einem der bedeutendsten Schriftsteller und Wissenschaftler seiner Zeit. Um 1043 wurde er zum Priester geweiht, obwohl dies für Behinderte kirchenrechtlich eigentlich ausgeschlossen war; sein Abt Berno wollte damit schon zu Lebzeiten sein heiligmäßiges Wirken anerkennen. Gegen Ende seines Lebens wurde er nach mancher Überlieferung auch Abt seines Klosters.

Kunstmaler Zodel: Hermann vor Maria mit dem Jesuskind, Holzbildwerk, 1886, in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen
Kunstmaler Zodel: Hermann vor Maria mit dem Jesuskind, Holzbildwerk, 1886, in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen

Hermann schrieb eine bedeutende Chronik der Weltgeschichte von Jesu Geburt bis zu seinem eigenen Todesjahr 1054. Dabei versuchte er, die historische Chronologie durch astronomische Ereignisse zu sichern, was wichtig war zur korrekten Bestimmung von Gebetszeiten, Festtagen, einer exakten Chronologie und der Festlegung des richtigen Osterdatums. Seine ebenso höchst kritische wie auf Anschaulichkeit bedachte Darstellung und die Zusammenschau von Heils- und Weltgeschichte lässt kaum Einflüsse antiker Autoren erkennen und wurde Vorbild für ähnliche Werke späterer Autoren.

Für Hermanns astronomisch-komputistische Studien war die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu der ihm in der Schöpfung Gottes zugewiesenen Zeit der wesentliche Antrieb. Er verfasste eine Lehrschrift über die Sonnen- und Mondfinsternisse und mit dem Tabellenwerk der 1042 entstandenen Abbrevatio computi, einfache Berechnung, ein verlässliches Handbuch der Zeitrechnung; diese Arbeit beruhte auf einer arabischen Handschrift über das Astrolabium - einem Instrument zur Messung der Himmelsbewegungen -, die Hermann auf Bitten von Abt Berno übersetzte; Berno hatte ein arabisches Astrolabium während seiner Ausbildung bei Abbo von Fleury kennengelernt und eine lateinische Abschrift des Buches mitgebracht. Hermann unterteilte erstmals 1 die Stunde in die kleinere Einheit von 60 Minuten und revolutionierte damit die mittelalterliche Zeitrechnung.

Herrmann verfasste Anleitungen zum Bau von Uhren, Taschensonnenuhren für Wanderer und Pilger, Quadrantren und Astrolabien; deren Messungen hatten danach eine Fehlertoleranz von nur noch zwei statt zuvor 20 Minuten und waren bis ins 17. Jahrhundert die genauesten Messinstrumente. Eine Mondfinsternis 1049 leitete ihn an zur Vorausberechnung solcher Ereignisse; seine Schrift Prognostica, Vorhersagen trug wesentlich dazu bei, die in jener Zeit weit verbreitete Angst vor einem Weltuntergang abzubauen. Schon damals befasste Hermann sich auch mit der Automatisierung arithmetischer Operationen und wurde damit sozusagen Vorläufer der Computertechnik des 20. Jahrhunderts.

Joseph Wannenmacher: Hermann und Papst Gregor „der Große” als Patrone der Kirchenmusik, 1762, Fresko in der Klosterkirche in St. Gallen, Foto in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen
Joseph Wannenmacher: Hermann und Papst Gregor „der Große” als Patrone der Kirchenmusik, 1762, Fresko in der Klosterkirche in St. Gallen, Foto in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen

Hermann war auch Musikwissenschaftler, ein Fachgebiet, das damals der Arithmetik und Astronomie nahestand. Er entwickelte eine eigene Notenschrift mit Buchstaben zur Bezeichnung der Tonhöhen 2 eine Lehre von den Intervallen und komponierte gregorianische Gesänge. Daneben trat er als Verfasser von dichterischen Werken hervor, darunter von umfangreichen lateinischen Hymnen auf Georg, Magnus von Füssen, Wolfgang von Regensburg und Afra. Zu seinen liturgischen Werken gehört die beliebte Mariensequenz Ave praeclara maris stella, Sei gegrüßet, heller Meeresstern.

Jahrhundertelang wurden Hermann auch die Marienlieder Salve Regina, Gegrüßet seist du, Königin, das heute noch in seiner Ursprungsform in aller Welt gesungen wird, und Alma redemptoris mater, Erhabene Mutter des Erlösers, zugeschrieben, für beide wird heute seine Verfasserschaft angezweifelt, andere führen das darin zum Ausdruck kommende kindliche Vertrauen auf die Erfahrung der mütterlichen Zuwendung in Hermanns Leben zurück; jedenfalls sind die Werke ein Höhepunkt mittelalterlicher Dichtkunst.

Hermann vor Maria mit dem Jesuskind, um 1320, die älteste bekannte Hermann-Darstellung, in der Kirche St. Michael in Veringendorf bei Sigmaringen, Foto in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen
Hermann vor Maria mit dem Jesuskind, um 1320, die älteste bekannte Hermann-Darstellung, in der Kirche St. Michael in Veringendorf bei Sigmaringen, Foto in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen

Hermanns Schüler Berthold von der Reichenau verfasste seine Biografie. Er beschreibt ihn als stets heiter und umgänglich, mit Interesse an kontroversen Diskussionen, aber heftig werdend, wenn er Ungerechtigkeiten erkannte. Strenge Disziplin und tiegfe Frömmigkeit prägten sein Leben.

Hermann starb nach zehn Tagen schwerer Krankheit im Beisein seiner Brüder und Verwandtschaft. Sein Grab fand er wohl in der Familiengruft in der Schlosskirche in Altshausen. Wohl nach Hermanns Bestattung gründeten die Benediktiner von der Reichenau ein Priorat an seinem Grab, das 1096 nach Isny verlegt wurde. Als um 1630 die Gebeine der Herren von Altshausen umgebettet wurde, wurde Hermanns Grab aufgelöst, nur verschiedene Reliquien wurden an verschiedene Klöster verteilt - so nach Ochsenhausen - und blieben erhalten.

Hermanns Schädelreliquie, in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen
Hermanns Schädelreliquie, in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen

Hermann wurde schon zu Lebzeiten als Seliger bezeichnet, eine formelle Heiligsprechung hat aber nie stattgefunden, auch keine Erhebung der Gebeine, was damals der Kanonisation gleichgekommen wäre. Gabriel Bucelinus von Weingarten bezeichnete Hermann in seinem 1655 erschienen Verzeichnis Germania sacra als heilig.

Patron der Behinderten, der Kirchenmusik

1 Die Stundenteilung in 60 Minuten stammt eigentlich von den Babyloniern; Hermann entdeckte und nutzte dieses in römischer Zeit aufgeschriebene Wissen und machte es für seine Berechnungen fruchtbar. Die heute übliche Zeitmessung setzte sich erst im 14. Jahrhundert mit der Einführung von Uhren an den Kirchtürmen durch.

2 Odo von St-Maur hatte ähnliches schon 50 Jahre zuvor entwickelt, auch Guido von Arezzo schon 25 Jahre vorher, aber Hermann kannte wohl beide Arbeiten nicht.

Worte des Heiligen

Das aufmunternde Lied der Muse an ihre Musenschwestern entstammt dem Lehrgedicht von den acht Hauptsünden, es richtet sich in Wahrheit an einen Konvent von Nonnen, denen Hermann rät, die Welt zu verachten, da alles dem Tod zueilt. Daher sollten sie auf das achten, was zum ewigen Leben führt:
O, meine reizenden Gefährtinnen und geliebten Schwestern, verschmäht die eitlen Freuden des weltlichen Lebensweges!
Im großen Meer liegt als ein Teil das winzig kleine Tröpflein, und dieser unser vorbeihuschender winziger Augenblick steht neben tausend Jahren. Aber mit dem ewigen Leben, sei es froh oder leidvoll, kann man dieses Leben, das uns in dieser Welt hält, nicht vergleichen. Ja, dieses geht schnell vorüber, jenes besteht ewig, und zählt man noch so viel, nähert es sich in sehr vielen Jahrhunderten nicht dem Ende. Dieses Leben vermag in keinem Nu zu verweilen, sondern eilt auf sein endgültiges Ende zu. Wir laufen auf die Grenze des sicheren Todes in Stunden, Minuten, Augenblicken zu, als würden wir uns Schritt für Schritt nähern. Ob ich will oder nicht, ich laufe und habe keine Möglichkeit, stehen zu bleiben. Während ich eine kurze Silbe spreche, bin ich schon dem Tode näher. Warum frage ich, begehrt man es? Oder warum nennt man es Leben? Wer es aufmerksamer betrachtet, sieht, dass es beinahe nichts ist. Warum, frage ich, wird Leben genannt, was wir als einen sehr kurzen Weg, der den Tod als Ziel hat, erkennen müssen, [noch] während wir ihn gehen? Auch wenn es sehr froh und ganz von Glück erfüllt wäre, wem könnten diese Freuden, die nur einen Augenblick währen, zu Recht gefallen?
Denn ein großer Tor wäre, wer ein süßes Tröpflein kosten möchte, wenn er danach das bittere Meer in seinem Bauch zu bergen müsste. Auch derjenige ist ziemlich töricht, der in diesem Augenblick danach strebt, sich zu vergnügen, wenn er tausend Jahre trauern müsste. Jener wäre nicht weiser, sondern zweifellos viel dümmer, der die ewigen Freuden verachtet und die vergänglichen sucht.

Quelle: Hermann der Lahme: Opusculum Herimanni (De octo vitiis principalibus) - Eine Vers- und Lebensschule, übersetzt von Bernhard Hollick. = Reichenauer Texte und Bilder 14, hrsg. von Walter Berschin. Mattes Verlag, Heidelberg, S.74 - 77

Zitat von Hermann dem Lahmen:

In seiner in Versformabgefassten Grabinschrift für seine Mutter Hiltrud zeichnet Hermann das Idealbild einer christlichen Frau:
Immer ehrsam ihre eine keusche Ehe pflegend
lebte sie, dem göttlichen Dienst geneigt,
und hatte genug am Los der guten Martha.
Was sie lehrte bemühte sie sich, im Leben zu sein.
Mit Kleidung, Nahrung, Zuspruch, mit Einsatz und allem Bemüh'n,
in großer Frömmigkeit half sie den Elenden.
Vor allen begünstigte sie ihre frommen Freunde,
Wohl sittenstreng, gab sie sich auch sanft;
Stets blieb sie mild und ruhig und kannte den Streit nicht,
der Welt gefiel sie wohl - o, dass sie auch Gott gefiele!
Ihr Fleisch verachtete sie und pilgerte oft mit Gebeten an heilige Orte
und pflegte mit Fleiß das Werk, den Himmel um Hilfe zu bitten. ...
Nachdem sie oft mit reiner Beichte
sich läuterte, ging sie zu Gott mit frommem Herzen.
Mit Glauben gerüstet, voll Hoffnung, stark durch Frömmigkeit,
verließ sie froh dieses elende Leben

Quelle: Versus pro Epitaphio matris suae, Einschub in Hermanns Chronicon, Patrologia Latina 143, Sp. 257

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn,
für die Katholische SonntagsZeitung

Stadlers Vollständiges Heiligenlexikon

Catholic Encyclopedia

Die Internetseite Hermannus Contractus stellt Hermanns Leben und Wirken umfassend dar.

Über die Musiktheorie Hermanns von Altshausen informiert Wolfram Benz auf seiner Homepage.

Schriften von Hermann und seine Lebensgeschichte gibt es online zu lesen in den Documenta Catholica Omnia.

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon

Ofenkachel, heute in der Schatzkammer des Klosters Mittelzell auf der Reichenau, Foto in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen
Ofenkachel, heute in der Schatzkammer des Klosters Mittelzell auf der Reichenau, Foto in der Hermann-Ausstellung in der Schlosskirche in Altshausen

Web 3.0 - Leserkommentare:

Hallo!
Vielen Dank für Ihre großartige Idee und deren Umsetzung eines ökumenischen Heiligenlexikons!
Hermann der Lahme ist mir nahe, da ich Mathematiklehrer und Musiker bin und außerdem eine besondere Verehrung für Maria habe wie er. Wenn Sie es noch nicht wissen: Es gibt eine kleine (Link mit Vergütung) Schrift über Hermann von meinem Kollegen Hellmann (!).

Christian Klapper über E-Mail, 20. September 2009





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Autor: Joachim Schäfer - zuletzt aktualisiert am 09.09.2020

Quellen:
• http://www.glaubenszeugen.de/kalender/h/kalh034.htm
• Charlotte Bretscher-Gisinger, Thomas Meier (Hg.): Lexikon des Mittelalters. CD-ROM-Ausgabe. J.B. Metzler, Stuttgart / Weimar 2000
• Pfarr- und Schloßkirche St. Michael Altshausen. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2001
• Wolfram Benz, Gabriele Ebner, Walter Ebner u.a.: Herrmann der Lahme. Graf von Altshausen, 2. Aufl. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2007

korrekt zitieren: Joachim Schäfer: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.


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