Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Vorbemerkungen

Begriffe und Bilder

Das deutsche Wort Kirche leitet sich ab von kyriaké ekklesía und bedeutet Herrengemeinde. In der Anfangszeit, z. B. bei Paulus, wird damit nur die Einzelgemeinde bezeichnet (vgl. Matthäusevangelium 18, 17), erst später auch die Gesamtheit der Gemeinden (vgl. Matthäusevangelium 16, 18). Um das Wesen der Kirche zu beschreiben, werden im Laufe der Kirchengeschichte verschiedene Bilder verwendet. Einige davon werden im Folgenden aufgeführt.

1. Aussagen über die Kirche 2. Bilder für die Kirche 2.1 Kirche als Feld 2.2 Kirche als Haus Gottes 2.3 Kirche als Leib Christi 2.4 Kirche als Mond 2.5 Kirche als Schiff 2.6 Weitere Bilder

1.Irenäus von Lyon († um 202):

Wo die Kirche, da ist auch der Geist Gottes; und wo der Geist Gottes, dort ist die Kirche und alle Gnade; der Geist aber ist Wahrheit. [adv. haer. 3,24,1]

Irenäus wendet sich gegen gnostische Irrlehrer und stellt fest, dass der Ort der wahren Gnosis (Erkenntnis) die in der apostolischen Tradition stehende Kirche ist:
Die wahre Gnosis ist die Lehre der Apostel und das alte Lehrgebäude der Kirche auf der ganzen Welt und das Gepräge des Leibes Christi gemäß der Nachfolge der Bischöfe, denen die Apostel die Kirche an jedem Ort übergeben haben. Hier sind die Schriften in treuer überlieferung bewahrt; nichts ist hinzugetan, nichts ist fortgenommen. Hier werden sie unverfälscht verlesen und gemäß den Schriften rechtmäßig, sorgfältig, gefahrlos und ohne Gotteslästerung erklärt. Hier ist vor allem das Geschenk der Liebe, das kostbarer ist als [jede] Beweisführung, ruhmvoller als die Prophetengabe und alle übrigen Charismen überragt.

- Irenäus von Lyon betont auch den Vorrang der von den Aposteln Petrus und Paulus begründeten römischen Kirche: Mit der römischen Kirche nämlich muss wegen ihres besonderen Vorranges jede Kirche übereinstimmen, d. h. die Gläubigen von allen Orten, denn in ihr ist von denen, die von allen Orten kommen, immer die apostolische Tradition bewahrt worden.
[adv. haer. 4,33,8: MPG 7, Sp. 1077 f.; BKV II 4, S. 431 b und adv. haer. 3,3,2: MPG 7, Sp. 849; BKV II 4, S. 211f. b]

Cyprian von Karthago († 258):

"Gott kann der nicht mehr zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat."

[über die Einheit der katholischen Kirche I, 6]

"Außerhalb der Kirche kein Heil". [73. Br., 21]

Alfred Delp († 1945): "Die Kirche muss sich selbst viel mehr als Sakrament, als Weg und Mittel begreifen, nicht als Ziel und Ende."

Romano Guardini († 1968): "Die Kirche ist das Kreuz, auf dem Christus gekreuzigt wurde. Man kann Christus nicht von seinem Kreuz trennen und muss in einem Zustand ständiger Ungenügendheit mit der Kirche leben."

2. BILDER FüR DIE KIRCHE

2.1 KIRCHE ALS FELD

Maria Bernarda Bütler († 1924) sieht in einer inneren Schau die Kirche als großes, weites und langes Feld:

Es standen"Bäume darin, grün und fruchtbeladen. Sie waren an verschiedenen Orten gepflanzt; die einen waren groß, sehr groß über die anderen hinragend, mit erstaunlich herrlichen Früchten. Andere Bäume waren weniger stark gewachsen, doch alle trugen gute Früchte.

Zwei Dinge schienen mir wunderbar; das erste war dies: Ich sah, dass gar alle diese Bäume ein und dieselbe Wurzelart hatten, ebenso dieselben Säfte; bei den herrlichen Bäumen flossen diese Säfte nicht tropfweise in Wurzel, Stamm, äste und Zweige, sondern gar reichlich wie durch eine Flussader, bei den geringeren mehr tropfweise. Obschon in Wurzel, Stamm und Säften der Art nach alles von derselben Lebenskraft war, so waren doch die Fruchtarten erstaunlich verschieden.

Das zweite allen ganz Einheitliche war dies: Alle, vom kleinsten bis zum größten Baum, ragten mit ihren Gipfeln gerade aufrecht zum Himmel empor. Auf dem Felde dieser Bäume wuchsen kräftige Weinreben und Saatgefilde mit herrlichen ähren. Allerorts wuchsen auch schöne Kräuter, doch mit etwas bitterem Geschmack, aber sehr kräftig; und wieder daneben standen kleine Bäumchen … mit Früchten behangen süßer als Honig. Doch reichlicher in Menge als diese waren die Bitterkräuter. Aus dem Saft der Trauben von den Reben, aus den Körnern der ähren und von den Bitterkräutern und den süßen Früchtlein zogen die Bäume alle ihre Lebenskraft - die einen in Fülle, andere etwas weniger, doch alle, ohne Ausnahme, so viel, dass sie Früchte brachten und ausreiften."

Sie gibt selbst eine Erklärung, was dieses Bild bedeutet:

"Dieses Feld ist das Feld der heiligen Mutter Kirche … Die Bäume sind die Katholiken jeglichen Alters und Standes … Alle bringen in Mitwirkung mit der Gnade Früchte hervor, Früchte des ewigen Lebens … Diese kraft-, lebensvolle und lebenserzeugende Wurzel ist der heilige Glaube, … die reichlich fließende Ader bei den großen Bäumen [ver]sinnbildet die Kraft, den Mut und die Treue, womit eifrige Seelen mit den Gnaden so kräftig mitwirken, sodass sie zu wahrer, voller Heiligkeit gelangen. Doch auch die noch weniger starken Seelen, die etwas kleineren, schwächeren Bäume, gelangen doch nach und nach auch zu einem kräftigeren Tugendstreben, weil auch sie auf dem Glauben ihr Tugendgebäude ansetzen.

Dass alle Gipfel der kleineren wie der großen Bäume gleicherweise gerade, aufwärts gegen den Himmel gerichtet sind, [ver]sinnbildet, dass alle, groß und klein - von der Gnade erleuchtet und immer gedrängt -, ihr geistiges Auge, Sinnen und Streben, zum einzigen und höchsten Endziele, zu Gott, ihrem Schöpfer, emporgerichtet sind. Traubensaft und ährenkörner als allerkräftigster Trank und voll sättigende Nahrung liegen in der heiligen Kommunion, in der gläubige Seelen wahrhaft himmlische Kräfte gewinnen, um von Tugend zu Tugend emporzusteigen und herrliche Siege über Welt, Satan und sich selbst zu erringen.

Die Bitterkräuter sind die vielfältigen Leiden, Versuchungen, Widerwärtigkeiten … Die mehr honigsüßen Beeren sind die geistigen Tröstungen."

"Die Frucht dieses Bildes: … dass wir immer stärker werden im Glauben … Auch sollen wir eine große, alle umfassende Liebe daraus ziehen für uns untereinander. Auf ein und demselben Boden der heiligen Mutter Kirche sind wir gepflanzt, dieselben himmlischen Säfte durchdringen unsere Seelen; muss nicht ein und dasselbe Ziel uns emporführen zur himmlischen Heimat? Muss nicht eine zarte und wohlwollende Liebe in Gott uns eng, einheitlich verbinden? In diesem Himmelsgarten der heiligen Mutter Kirche darf kein Baum so allein für sich dastehen, alle müssen wir Früchte bringen, wenn auch verschiedener Art, und alle Früchte muss dieselbe Sonne zeitigen, die wärmende und leuchtende Sonne der gegenseitigen Liebe." [Agnes Juen, Von Gottes Nähe ergriffen / Maria Bernardas spirituelle Erfahrungen in Bildern, Tyrolia-Verlag Innsbruck/Wien 1996, S. 108-12]

2.2 KIRCHE ALS HAUS GOTTES

Quodvultdeus († 454)

"Ihr sollt wissen, dass das Glaubensbekenntnis, das ihr empfangen und eurem Gedächtnis eingeprägt habt, zu eurem Heil festhaltet, das Fundament des katholischen Glaubens ist, über dem das Gebäude der Kirche entstanden ist, errichtet von den Händen der Apostel und Propheten. Das Gebäude ist nämlich das Haus Gottes, es ist aus lebendigen Steinen gebildet und das seid ihr." [de symbolo: MPL 40, Sp. 651f.; eigene Übersetzung]

2.3 KIRCHE ALS LEIB CHRISTI

Nach Gregor Sinaites († 1346)kommt es vor allem darauf an, ein lebendiges Glied am Leib Christi zu sein:

"Leib Christi sind wir," spricht der göttliche Apostel, "und wir sind jeweils seine Glieder. Und wiederum: "Ein Leib und ein Geist seid ihr, wie ihr auch berufen wurdet." Wie nämlich der Leib ohne Geist tot und empfindungslos ist, so wird, wer nach der Taufe infolge der Vernachlässigung der Gebote durch die Leidenschaften ertötet wurde, unwirksam und unerleuchtet vom Heiligen Geist und der Gnade Christi. Denn er besitzt zwar den Geist durch den Glauben und die Wiedergeburt, doch ist er unwirksam und unbeweglich infolge des Erstorbenseins der Seele. Obwohl nämlich die Seele eine einzige, die Glieder des Leibes aber viele sind, beherrscht, belebt und bewegt sie all jene, die empfänglich für das Leben sind. Jene Glieder jedoch, welche aufgrund einer etwa aufgetretenen Krankheit erkaltet sind, trägt sie zwar als tot und unbeweglich in sich, doch sind sie leblos und ohne Empfindung. Genauso wirkt der Geist Christi ganz in allen Gliedern Christi unvermischt und belebt jene, die am Leben teilhaben können; doch auch jene, die krank sind und darum nicht daran teilnehmen, umfängt er in seiner Menschenliebe als die seinen. Darum hat zwar auch jeder Gläubige durch den Glauben an der Annahme an Sohnes Statt, welche durch den (Heiligen) Geist geschieht, Anteil, doch wird er unwirksam und unerleuchtet durch die Nachlässigkeit und den Unglauben, weil ihm das Licht und das Leben Jesu abgeht. Darum ist zwar jeder Gläubige Glied Christi und Besitzer der Geistes; doch unwirksam und unbeweglich sowie nicht empfänglich für die Teilnahme an der Gnade.

[Gregorios der Sinaite, Sehr nützliche Kapitel, welche ein Akrostichon bilden, in: Philokalie Bd. 4, Verlag "Der Christliche Osten", Würzburg 22007, Nr. 129]

Aus der Schrift von Johannes Eudes († 1680)über das bewundernswerte Herz Jesu:

Ich bitte dich, denk daran, dass unser Herr Jesus Christus dein Haupt ist und dass du eines seiner Glieder bist. Er ist für dich, was das Haupt für die Glieder bedeutet: Alles, was sein ist, ist auch dein: Geist, Herz, Leib, Seele und alle Fähigkeiten. Du sollst sie gebrauchen, als gehörten sie dir, um ihm zu dienen, ihn zu loben, zu lieben und zu verherrlichen. Du bist für ihn, was ein Glied für das Haupt ist. Darum wünscht er dringend, alle deine Fähigkeiten, als seien es die seinen, in Dienst zu nehmen, um dem Vater zu dienen und ihn zu verherrlichen.

Doch er gehört dir nicht nur, er will auch in dir sein, in dir leben und herrschen, wie das Haupt in seinen Gliedern lebt und herrscht. Er will, dass alles, was in ihm ist, in dir lebt und herrscht: sein Geist in deinem Geist, sein Herz in deinem Herzen, alle Fähigkeiten seiner Seele in den Fähigkeiten deiner Seele, damit sich an dir das Wort erfüllt: ‚Verherrlicht Gott und tragt ihn in eurem Leib, damit das Leben Jesu an euch sichtbar wird ( vgl. 1. Korintherbrief 6,20). Auch du, du gehörst dem Sohn Gottes nicht nur, sondern du sollst in ihm sein, wie Glieder mit dem Haupt verbunden sind. Alles, was in dir ist, soll in ihn eingefügt werden; du sollst dein Leben von ihm entgegennehmen und von ihm regieren lassen. Wahres Leben findest du nur in ihm, der für alle der Quell wahren Lebens ist, außerhalb von ihm nur Tod und Verderben. Das sei dein einziger Grundsatz für alles, was du empfindest, für alles, was du tust, und für die Kräfte deiner Seele. Von ihm und für ihn sollst du leben und das Wort erfüllen: ‚Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende (Römerbrief 14,7-9). Sei eins mit Jesus wie die Glieder mit dem Haupt. Darum musst du einen Geist mit ihm haben, eine Seele, ein Leben, einen Willen, eine Absicht, ein Herz. Er muss dein Geist sein, dein Herz, deine Liebe, dein Leben und alles, was dein ist. Diese großen Dinge haben für den, der an Christus glaubt, ihren Ursprung in der Taufe, sie werden gemehrt und gefestigt durch die Firmung und den guten Gebrauch, den er von den übrigen Gnadengaben macht. Sie werden ihm von Gott mitgegeben und durch die Eucharistie aufs höchste vollendet. [Johannes Eudes, Tractatus, Lib. 1,5, Œuvres complètes, Hg. Le Brun/Dauphin, Bd. 6, Paris 1907, 107. 113ff, zit. n. Monastisches Lektionar zum 19.8.]

Wilhelm-Joseph Chaminade († 1850)greift für die christliche Gemeinde im allgemeinen und die von ihm gegründeten Gemeinschaften das Bild vom mystischen Leib Christi auf. Leib Christi sein hat für uns Christen Konsequenzen:

"1. die Einheit von Haupt und Gliedern: "Wenn wir mit Jesus Christus geeint sind so wie die Glieder eine Leibes mit ihrem Haupt, dann sind wir zusammen mit Jesus Christus nur eine Person, denn das Leben der Glieder muss dasselbe sein wie das des Hauptes."

2. Als Glieder Christi sind wir auch Könige, Priester und Propheten:

Könige: "Der wiedergeborene Mensch herrscht über die bösen Mächte, über die Welt und über seine Leidenschaften", besonders aber "über seinen Geist, sein Herz und seinen Leib."

Priester: Er sieht sein Leben an als "eine beständige Abfolge von Opfern, die der Christ Gott darbringt": das Opfer der Anbetung und des Lobpreises Gottes, das wir als Priester der unbelebten Geschöpfe darbringen.

- das Opfer der Loslösung von allen Dingen; denn wir betrachten uns nur als Pilger auf Erden, die unterwegs sind zu unserer himmlischen Heimat.

- das Opfer der Entbehrung, da wir uns all dem verweigern, was der Glaube verbietet und verurteilt.

- das Opfer der Sühne durch unsere Buße für die vergangenen Sünden und für die Bewahrung von zukünftigen.

- das Opfer des Zurücktretens, da wir durch den Glauben in allen Dingen den Willen Gottes sehen.

- das Opfer der Entsagung, da wir nicht mehr uns selbst suchen, sondern in allen Dingen nur Gott und sein Wohlgefallen."

3. "Als Christen sind wir alle dem Kreuz geweiht. Der Name ‚Christen‛ verpflichtet uns wesentlich, nicht nur das Kreuz Christi zu tragen, sondern sogar es mit Freude zu umfassen. Denn von einem Christen zu sprechen heißt von einem Wesen zu sprechen, dessen Berufung es ist, dem Haupt zu folgen, das Jesus Christus ist, und zwar auf seinem schmerzvollen Weg der Leiden und Demütigungen. Und das wird für ihn nicht nur eine Pflicht, sondern eine Ehre und Ruhm."

4. "Jesus Christus, unser Haupt, zutiefst verbunden mit seinen Gliedern, wirkt in diesen und mit diesen alles Gute, das sie tun." "Die Vollkommenheit besteht [also] in der Unterwerfung der eigenen Vernunft unter die souveräne Vernunft Gottes, in der Absage an die eigenen Meinungen, den eigenen Willen, an alle natürlichen Neigungen der Selbstliebe und dies aufgrund der Selbstverachtung, die der Sohn Gottes so oft in seinem Evangelium denen empfiehlt, die seine Jünger sein wollen." [Thomas Stanley, S. M., The mystical body of Christ according to the writings of father William Joseph Chaminade. A study of his spiritual doctrine, St. Paul's Press, Fribourg, Switzerland 1952, S. 232-38; eigene Übersetzung]


Columba Marmion († 1923):

"Das Ziel aller Vervollkommnung und Entwicklung des übernatürlichen Lebens ist, ‚zum Vollalter Christi zu gelangen‛ [Eph 4,13] … Es ist nur ein Leib, von dem Christus das Haupt ist; wir alle sind durch die Gnade Glieder desselben; aber wir müssen vollkommene Glieder werden, die ihres Hauptes würdig sind. Das ist das Ziel unseres geistlichen Lebens.

Christus, als unser Haupt, ist aber auch die Quelle dieses geistlichen Fortschritts. Wir dürfen es nicht vergessen, dass Jesus Christus mit Annahme unserer menschlichen Natur all unsere inneren und äußeren Werke geheiligt hat; sein menschliches Leben war dem unseren gleich, und sein göttliches Herz ist der Mittelpunkt aller Tugenden, Jesus Christus hat alle Arten menschlichen Tuns selbst geübt. Wir dürfen durchaus nicht glauben, dass der Herr unbeweglich in Entzückung geweilt habe; nein, er schöpfte vielmehr aus der beglückenden Anschauung Gottes und seiner Vollkommenheit die Triebkraft seiner Tätigkeit; er wollte den Vater dadurch verherrlichen, dass er in seiner Person die vielfachen und obliegenden menschlichen Tätigkeiten heiligte. Wir beten: Er hat Nächte betend durchwacht. Wir arbeiten: Er hat sich gemüht in harter Arbeit bis zum 30. Lebensjahr. Wir essen: Er hat mit seinen Jüngern zu Tische gegessen. Wir müssen Widersprüche und Angriffe von Seiten der Menschen erfahren: Auch er hat sie gekannt, oder haben ihn die Pharisäer jemals in Ruhe gelassen? Wir müssen leiden: Er hat geweint, hat für uns und vor uns an Leib und Seele gelitten, wie kein anderer Mensch je zu leiden hatte. Wir erleben freudige Stunden: Seine heilige Seele hat in unaussprechlichem Jubel frohlockt. Mit einem Wort: Er hat getan, was wir tun.

Und wozu dies alles? Nicht bloß, um als unser Haupt uns ein Beispiel zu geben, sondern um durch diese Handlungen uns die Gnade zu verdienen, dass wir all unsere Handlungen heiligen können, um uns die Gnade zu erwerben, die unser Tun Gott wohlgefällig macht. Diese Gnade verbindet uns mit ihm, macht uns zu lebendigen Gliedern seines Leibes. Um zu wachsen in ihm und zur Vollkommenheit der Glieder Christi zu gelangen, müssen wir diese Gnade nicht nur in unsere Seele, sondern in unser ganzes Leben und Tun eindringen lassen.

Jesus Christus wohnt in uns mit all seinen Verdiensten, um all unser Handeln zu beleben. Wenn wir nun durch eine oftmalige, gerade und reine Meinung all unsere täglichen Handlungen mit den Handlungen vereinigen, die Jesus Christus auf Erden verrichtete, dann fließt Gottes Gnadenkraft in ununterbrochenem Strom auf uns herab. Wenn wir all unsere Handlungen in Liebe mit ihm verrichten, werden wir sicher und rasch vorwärts schreiten."

[Columba Marmion OSB, Christus das Leben der Seele, übertr. v. M. Benedicta v. Spiegel OSB, 4,5 1931, S. 237f.]

2.4 KIRCHE ALS MOND

Ambrosius von Mailand († 397)sieht in der Kirche Entsprechungen zum Mond:

"Die Kirche nun, die hervorschaut, hat wie der Mond ihre oftmalige Abnahme und Zunahme, aber auf ihre Abnahme wuchs sie und verdiente sich neuen Zuwachs: Die Verfolgungen bringen ihr Verlust, das Martyrium der Bekenner Siegeskronen. Sie ist der wahre Mond. Vom unvergänglichen Lichte ihres Brudergestirnes borgt sie das Licht der Unsterblichkeit und Gnade. Denn die Kirche leuchtet nicht im eigenen, sondern im Lichte Christi und entlehnt ihren Glanz von der 'Sonne der Gerechtigkeit', so dass sie sprechen kann: 'Ich lebe aber: nicht mehr ich, es lebt aber in mir Christus' Selig wahrlich (o Mond), der du so großer Auszeichnung gewürdigt wardst! Selig möchte ich dich preisen nicht wegen deiner Neumonde, sondern als Typus der Kirche. In ersterer Beziehung bist du ja nur unser Diener, in letzterer unser Liebling." [Exameron IV, K. 8,32]

2.5 KIRCHE ALS SCHIFF

Petrus „Chrysologus” († 450) betont die Gegenwart Christi in seiner Kirche:

Er stieg in ein Schiff [Mt 8,23]: Christus besteigt das Schiff seiner Kirche, um für alle Zeiten die Wogen der Welt zu besänftigen; denn er will die, die an ihn glauben, in ruhiger Fahrt zum himmlischen Vaterland führen, er will die, die er zu Schicksalsgefährten seiner Menschheit gemacht hat, zu Mitbürgern seiner Stadt machen. Christus bedarf also nicht des Schiffes, sondern das Schiff bedarf Christi, denn ohne den himmlischen Steuermann könnte das Schiff der Kirche auf der Fahrt durch das Meer der Welt in so bedrohlicher und großer Gefahr nicht in den Hafen des Himmels gelangen."

Was er kann, zeigt der Steuermann nicht bei schönem Wetter, sondern in Sturm und Ungewitter.
[https://www.aphorismen.de/zitat/95233; sermo 50: MPL 52, Sp. 346; BKV II 43, S. 116 b]

Laurentius von Brindisi († 1619) legt die Perikope vom Seesturm allegorisch aus:

[Die Geschichte vom Seesturm] ist aber ein Geheimnis: Denn das Meer ist die Welt, das Boot die Kirche, wo Christus mit den Jüngern, wo der wahre Glaube an Christus, doch [verbunden] mit Liebe, wo mühevoller Gehorsam beim Rudern, wo Geduld in der Trübsal, wo glühendes Gebet [ist], wo Christus in[mitten] der Lauen und im Glauben Unvollkommenen schläft, wo menschliche Furcht herrscht: ‚Was seid ihr furchtsam, ihr Kleingläubigen? (Mt 8,26).

Die Bewegung im Meer ist die Trübsal, die [Meeres-] Stille der Frieden der Kirche; in der Trübsal nimmt sie Zuflucht zu Christus, betet sie glühend, doch in der Stille erkennt sie Christus mehr, bewundert, lobt und fürchtet ihn mit Ehrfurcht. Immer aber ist die Kirche voll des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und der Beobachtung der göttlichen Gebote. Christus besteigt ein Schiff, weil die Kirche eine ist, sichtbar, heilig, weil die katholische und apostolische Kirche die wahre Kirche ist.

Christus lässt die Kirche bekämpft, aber nicht erkämpft werden: ‚Die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen (Mt 16,18). In den größten Gefahren, wo die Lage menschlich gesehen verzweifelt ist, ist von Gott aus gesehen Christus in seiner Kirche anwesend. [S. Laurentii a Brundisio, Opera omnia, v. 10, p. 2, Patavii 1956, S. 155; eigene Übersetzung]

2.6 WEITERE BILDER

Cyprian von Karthago († 258) bezeichnet die Kirche auch als "Geliebte und Braut" Christi (ähnlichAugustinus von Hippo, BKV III 86), Ambrosius von Mailand († 397)als "Weinstock".

Im 2. Vaticanum (1963-65) wird "pilgerndes GottesvoLukasevangelium " zum Hauptbegriff der Kirche". Dies hat weitreichende Auswirkungen auf das Kirchenverständnis der Moderne.


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 10.08.2025

korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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