Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Vorbemerkungen

Gottes Gnade

Gnade (gr. charis; lat. gratia) ist die freie, ungeschuldete Zuwendung Gottes zu uns Menschen. Die christliche Gnadenlehre ist zu komplex, um hier eine angemessene Darstellung zu finden. Es können nur einige Autoren zu Wort kommen.

1. Begriff der Gnade
2. Das Zusammenwirken von menschlichem Bemühen und göttlicher Gnade
3. Wirken der Gnade

1. Begriff der Gnade

Zwölf Sätze über die Gnade: Augustinus von Hippo (BKV X 295 - 303)

2. Das Zusammenwirken von menschlichem Bemühen und göttlicher Gnade

Unsere Gerechtigkeit: aus Gnade, kein Rühmen: Basilius „der Große” (BKV II 335 - 338)

Gerechtigkeit aus Gnade, nicht durch Gesetz: Ambrosius von Mailand (BKV II 215-20)

Ohne Gnade ist Predigt umsonst: Ambrosius von Mailand (BKV II 202); Augustinus von Hippo (BKV V 34).

Bekenntnis Christi nur durch Gnade: Johannes „Chrysostomus” (BKV II 259f.)

Der Beistand von oben wird jedem zuteil, der ihn haben will: Johannes „Chrysostomus” (BKV III 289).

Ohne Gnade können wir nicht Großes tun: Johannes „Chrysostomus” (BKV: III 184.186.300).

Sünder und Gerechte sind auf Gnade angewiesen: Johannes „Chrysostomus” (BKV VII 67f.).

Auch der ewige Lohn ist Gnade, weil wir zwar durch den Glauben Gott verdienen, der Glaube selbst aber eine Gnade ist: Augustinus von Hippo (BKV IV 38-41).

Wenn wir etwas Böses sind, sind wir es durch uns, was wir Gutes sind, ist Gnade Gottes: Augustinus von Hippo (BKV V 224).

Ohne den Hl. Geist kann man Gott nicht lieben ud die Gebote nicht halten: Augustinus von Hippo (BKV VI 90 - 93).

Nächstenliebe ist nicht möglich ohne Gnade: Augustinus von Hippo (BKV VI 145).

Wahre Tugend ist nur durch die Gnade möglich: Augustinus von Hippo (BKV X 117).

Frömmigkeit und Gerechtigkeit setzen Gnade voraus: Augustinus von Hippo (BKV X 148).

Die Gnade kommt nicht von den Werken, sondern die Werke kommen von der Gnade: Augustinus von Hippo (BKV X 149).

Die Gnade kommt dem Willen zuvor (Augustinus von Hippo, BKV X 284-306) und bringt ihn zur Vollbringung des Guten (ders., BKV X, 289 - 94. 301f.).

Cyprian von Karthago († 258).
Niemand ist stark aus eigener Kraft, sondern nur Gottes Gnade und Barmherzigkeit bietet sicheren Schutz. [BKV I 177]

Papst Innozenz I. († 417) betont in der Auseinandersetzung mit dem Mönch Pelagius (um 350 - 418), der die Gnadenlehre des Augustinus von Hippo ablehnte und das positive Vermögen der menschlichen Natur betonte, die Wichtigkeit der Gnade für ein christliches Leben:
Zwischen Gesetz und Gnade muss man unterscheiden. Das Gesetz weiß zu befehlen, die Gnade zu helfen. Weder würde das Gesetz befehlen, wenn es keinen Willen gäbe, noch die Gnade zu Hilfe kommen, wenn der Wille ausreichte. …
Also weder durch das Gesetz ist die Gerechtigkeit noch durch die Kraft der Natur, sondern aus dem Glauben und der Gnade Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Wäre er in der Fülle der Zeit nicht unserer Sünden wegen gestorben und unserer Rechtfertigung wegen auferstanden, dann wäre fürwahr der Glaube der Alten nichtig und unserer. Ist aber der Glaube nichtig, welche Gerechtigkeit bliebe dem Menschen übrig, da ja der Gerechte aus dem Glauben lebt (vgl. Hebräerbrief 10, 38; Römerbrief 1, 17)

[Schreiben von fünf afrikanischen Bischöfen an Papst Innocentius; BKV / Die Briefe der Päpste und die an sie gerichteten Schreiben, Bd.3, übersetzt von Severin Wenzlowsky, Kempten 1877, S.144.149f.]

Augustinus von Hippo († 430): Gib, was du befiehlst und befiehl, was du willst [BKV VII 246. 150. 261; vgl. Petrus „Chrysologus” (BKV 51 u. ö.]

Papst Coelestin I. († 432) schreibt an die Bischöfe von Gallien. Dort hat sich die Lehre des Pelagius ausgebreitet, die das Heil weitgehend von der eigenen Leistung abhängig macht. Cölestin betont demgegenüber mit Hinweisen auf Aussagen seiner Vorgänger den Vorrang der Gnade Gottes.
Er stellt fest,
dass mit der übertretung Adams alle Menschen ihre natürliche Fähigkeit und Unschuld verloren haben, und dass niemand aus der Tiefe jenes Falls durch den eigenen freien Willensentschluss sich erheben kann, wenn nicht die Gnade des sich erbarmenden Gottes ihn aufrichtet.
Ferner betont er, dass alle Bemühungen und alle Werke und Verdienste der Heiligen auf den Ruhm und das Lob Gottes zurückzuführen sind; denn jeder gefällt Ihm nur auf Grund dessen, was Er selbst ihm geschenkt hat; … dass Gott in den Herzen der Menschen und im freien Willensentschluss selbst wirkt, so dass [jeder] heilige Gedanke und fromme Plan und jedwede Bewegung des guten Willens von Gott stammt, weil wir nur durch Ihn etwas Gutes vermögen, ohne den wir nicht vermögen. …
Durch diese Hilfe und Gabe Gottes wird der freie Willensentscheid nicht beseitigt, sondern [im Gegenteil] befreit, so dass aus einem verfinsterten [Willensentscheid] ein hell leuchtender, aus einem verkehrten ein rechter, aus einem schlaffen ein gesunder, aus einem unverständigen ein umsichtiger entsteht. So groß nämlich ist Gottes Güte gegenüber allen Menschen, dass nach Seinem Willen unsere Verdienste sind, was [in Wahrheit] Seine Gaben sind und dass Er zum Lohn für diese Verdienste, die Er [selbst] geschenkt hat, ewigen Lohn schenken wird.

[Coelestinus, ep. 21, c. 4-12, MPL 50, Sp. 531-36; eigene Übersetzung]

Prosper von Aquitanien († nach 455)bekräftigt im Brief an (Tyrannus) Rufinus (c. 7) sein Hauptanliegen, die Vermittlung der Gnadenlehre des Augustinus:
Man soll die menschliche Gebrechlichkeit anerkennen wie auch die im ersten Menschen geschädigte Nachfolge aller Generationen; und wenn Tote lebendig gemacht werden, wenn Blinde das Augenlicht bekommen, wenn Böse gerechtfertigt werden, dann soll man Jesus Christus als sein Leben, sein Licht und seine Gerechtigkeit bekennen; und wer sich rühme, rühme sich im Herrn (1. Korintherbrief 1, 31), nicht in sich: denn als er böse, blind und tot war, empfing er von seinem Befreier sowohl die Gerechtigkeit, wie das Licht und das Leben.
[MPL 51, Sp. 81f.; eigene Übersetzung]

Papst Leo „der Große”(† 461): Er selbst, der uns das Wollen gab, wird auch das Können geben. [BKV I 113]

Anselm von Canterbury († 1109) sucht mit Vernunftgründen zu erklären, weshalb die Erlösung des Menschen zugleich Werk der göttlichen Gerechtigkeit und Güte ist:
Wahrlich, nicht Gott bedurfte es, den Menschen auf solche Weise zu retten, sondern die menschliche Natur bedurfte es, auf diese Art Gott Sühne zu leisten. Nicht für Gott war es notwendig, derart Schlimmes zu erleiden, sondern für den Menschen war es notwendig, solchermaßen versöhnt zu werden. Nicht Gott hatte es nötig, sich so zu erniedrigen, sondern der Mensch hatte es nötig, auf diese Weise der Tiefe des Verderbens entrissen zu werden. Die göttliche Natur hat es weder nötig, sich zu erniedrigen und sich abzumühen, noch vermochte sie es. All das musste die menschliche Natur vollbringen, um für das Ziel, für das sie geschaffen war, wiederhergestellt zu werden. Dazu aber war sie selbst und alles andere, was nicht Gott ist, nicht fähig … Weil dazu aber die menschliche Natur, allein auf sich gestellt, nicht fähig war und sie ohne angemessene Sühne nicht versöhnt werden konnte - sonst hätte Gottes Gerechtigkeit in seinem Reich die Sünde ungeordnet gelassen -, kam Er in seiner Güte zu Hilfe. Der Sohn Gottes nahm die menschliche Natur in seine Person auf, so dass die Person des Gottmenschen Glied der Menschheit wurde. Und er besaß nun nicht nur das, was alles - außer Gott - überragt, sondern er nahm auch alle Schuld auf sich, welche die Sünder zu begleichen haben. Und da er selbst nichts schuldete, zahlte er für die anderen, die das nicht besaßen, was sie schuldig waren.
[Anselm vom Canterbury, Meditatio redemptionis humanae, in: Opera omnia, hrsGnadev. S. Schmitt, Bd. 3, Edinburgh 1946, S. 84-89, zit. nach: Quellen geistlichen Lebens, Bd. II, Das Mittelalter. Matthias-Grünewald-Verlag Ostfildern 2008, S. 38f.]

Eine originelle Darstellung dessen, was göttliche Gnade bedeutet, bringt Johanna Maria Bonomo († 1670): Ich will Sie in meine Gebete einschließen, aber ein Nichts bewirkt nichts und aus nichts wird nichts (nulla fa nulla). Um eine Erklärung gebeten, schrieb sie folgendes:
Durch mein Sein oder besser Nichtsein bin ich ein wahres Nichts; nehme ich noch die Sünde hinzu, so bin ich noch weniger als ein Nichts, denn sie scheidet mich von dem, der alles in allem ist. Null und null gibt null oder nichts. Wenn dann aber jenes höchste Gut, das alles in allem ist, eine Zahl hinzusetzen will, die den vielen Nullen Wert und Bedeutung gibt, so wird dies sein Eigentum und ich kann mir nichts davon aneignen als das Nichts, die Null; das heißt, wenn er mir die Gnade gibt, etwas zu tun, zu leiden, ein Liebeswerk, eine Abtötung zu üben, so füge ich vermöge meines Nichts doch nur eine Null dazu, das übrige gehört ihm. So erkenne ich, dass alle Ehre ihm gebührt, der alles wirkt. Welche Ehre sollte dem Nichts zukommen, wie könnte es sich rühmen? Gewiss ein eitler Ruhm! Eines nur wirkt das Nichts: Es kann (natürlich nur mit der Gnade) wünschen, etwas zu tun. Dann ist es die Liebe Gottes, die aus dem Nichts etwas macht. Aber auch dieses kommt nur von ihm (da wir ohne ihn nicht einmal etwas Gutes denken können), so dass ich im Grunde doch nichts bin. Aber Gott will in seiner Güte, indem er uns so viel Gnade und Hilfe schenkt, uns aus dem Nichts herausheben, wenn wir nur wollen und nicht widerstehen, wozu er uns den freien Willen gegeben hat. Aber das Gutes ist ganz sein.
[P. Fridolin Segmüller OSB, Leben der seligen Johanna Maria Bonomo / aus dem Orden des hl. Benedikt, St. Ottilien 1924, S. 281f.]

3. Wirken der Gnade

Die uns von Christus vermittelte Gnade ermöglicht Unmögliches: Origenes (BKV I 7).

Viele wurden wider ihren Willen Christen, weil eine geistige Macht sie plötzlich umwandelte: Origenes (BKV III 7f. 174. 300).

Ein reines Herz nur durch Gottes Gnade: Origenes (BKV III 250)

Nur durch Gnade rechte Gotteserkenntnis: Origenes (BKV III 250.263.265f.)

Von Gott stammt alles, was wir vermögen: Cyprian von Karthago (BKV I 43).

überall unterstützt des Herrn Kraft das menschliche Mühen: Ambrosius von Mailand (BKV II 104-06).

Tugend nicht nur durch unseren Eifer, auch durch die Gnade: Johannes „Chrysostomus” (BKV II 13 u. ö.)

Gott tut nicht alles allein: Johannes „Chrysostomus” (BKV II 332 u. ö.).

Das Heil als Lohn und Gnade: Johannes „Chrysostomus” (BKV V 282; vgl. VI 293)

Erlösung allein durch Gnade: Johannes „Chrysostomus” (BKV V 214)

Rechtfertigung allein durch Gnade: Johannes „Chrysostomus” (BKV VI 55); Leo (BKV II 62)

Das positive Streben des eigenen Willens wird immer durch göttliche Hilfe geleitet: Hieronymus (BKV I 339).

Die Heilswerke wirkt Christus in uns, doch nicht ohne uns: Augustinus von Hippo (BKV VI 84f.).

Unsere Gottesliebe ist Wirkung der Liebe Gottes zu uns: Augustinus von Hippo (BKV VI 235).

Notwendigkeit der Gnade zum Heil: Makarius der Ägypter (BKV 10 u. ö.)

Der Mensch kann das Gute wollen, das Vollbringen bringt nur Gott: Makarius der Ägypter (BKV 13f.).

Wirkung der Gnade: Freude, Friede, Liebe, Wahrheit: Makarius der Ägypter (BKV 68 u. ö.)

Augustinus von Hippo († 430): Das Gute an mir ist dein Werk und deine Gabe, das Böse an mir meine Schuld und dein Gericht. [BKV VII 218]

Spätere geistliche Schriftsteller betonen vor allem das Miteinander von göttlicher ungeschuldeter Gnade und menschlicher Mitwirkung:

Johannes Tauler († 1361): Üben musst du dich, willst du ein Meister werden. Doch erwarte nicht, dass der Herr dir Gnade eingießt ohne deine Mitarbeit.

Der Augustiner und Mystiker == Walter Hilton († 1396) betont die Wichtigkeit des Gebets:
Der Zweck des Betens ist nicht, den Herrn zu informieren, was du wünschst, denn er kennt alle deine Bedürfnisse. Der Zweck ist, dich fähig und bereit zu machen, die Gnade zu empfangen, die unser Herr dir frei geben will. Diese Gnade kann nicht erfahren werden, bis du nicht gebessert und gereinigt bist im Feuer des Begehrens in demütigem Gebet. Denn obwohl das Gebet nicht der Grund dafür ist, weshalb der Herr Gnade gibt, es ist nichtsdestoweniger das Mittel,, durch welches die Gnade, frei gegeben, in die Seele gelangt.
[Walter Hilton, Glaube und Erfahrung, Lectio spirit. 10, Johannes Verlag Einsiedeln 1966: B. 1, c. 24]

Rosa von Lima († 1617) macht die göttliche Gnade abhängig von der Kreuzesnachfolge:
Der Herr und Heiland erhob seine Stimme und sprach mit unvergleichlicher Hoheit: Alle sollen wissen, dass auf die Anfechtung die Gnade folgt; sie sollen einsehen, dass die Größe der Gnadengaben in dem gleichen Maß wächst, wie die Mühsale zunehmen; sie sollen erkennen, dass wir ohne die Last der Bedrängnis nicht zum Gipfel der Gnade gelangen können. Die Menschen sollen sich vor Irrtum und Selbsttäuschung hüten. Das ist die einzige Leiter zum Paradies, ohne Kreuz findet niemand den Aufstieg zum Himmel.
[Rosa von Lima: Epistula ad medicum Castillio. La patrona de America, Madrid 1928, S. 54 f.; zitiert nach: Monastisches Lektionar zum 23.8.]


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 08.08.2025

korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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