Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Spiritualität der Heiligen - Vorbemerkungen

Die Freiheit des Willens

Der Mensch ist ein moralisches Wesen, d. h. er trägt Verantwortung für das, was er denkt, redet und tut. Dies setzt wiederum eine (wenn auch begrenzte) Freiheit seines Willens voraus und eine Instanz, die sein Reden und Handeln beurteilt und lenkt, die wir "Gewissen" nennen.

Alle christlichen Autoren gehen aus von der Willensfreiheit des Menschen; denn nur so kann dieser für sein Handeln verantwortlich gemacht werden. Dabei ist Gott der Ermächtigungsgrund dieser Freiheit, wie auch die Instanz, vor der der Mensch sein Handeln verantworten muss.

1. Tatsache der Willensfreiheit 2. Verantwortlichkeit 3. Ebenbildlichkeit mit Gott 4. Wesensmerkmal des Menschen 5. Willensfreiheit und Gnade 6. äußere und innere Freiheit 7. W. gegen Determination

1. Ursache des Bösen in uns: Apologeten (BKV I 211)

Tatsache und Wertung der W.: Irenäus von Lyon (BKV II 455-60)

Der von Gott geschaffene Mensch ist ausgestattet mit W.: Hippolyt (BKV 287f.).

Die W. ist uneingeschränkt: Cyprian (BKV I 142f. II 225).

Wenn es keine W. des Menschen gäbe, wäre Gott Ursache des Bösen: Methodius (BKV 94).

Tatsache und Beweis der W.: Cyrill v Jerusalem (BKV 72f.); vgl. Johannes v Damaskus (BKV 100-04)

Der Mensch hat die Fähigkeit zu tun, was er will: Armenische Väter (BKV I 50).

Ephräm († 373): "Preis sei dem, der unsere Freiheit in Fülle ausgestattet hat, damit wir unser Leben nicht zu einem Leben der Tiere machen." [BKV II 449]

2. Die W. und die Verantwortlichkeit des Menschen: Justin (BKV 147. 166)

Daher haben die Menschen vor Gott keine Entschuldigung: Apologeten (BKV I 94).

Daher ist auch die Bestrafung der Schlechten gerecht: Apologeten (BKV I 145f. 204).

Die W. ist Voraussetzung für das sittliche Tun: Origenes (BKV II 300f.).

Guter und böser Gebrauch der W.: Eusebius (BKV I 232f.)

Missbrauch der W. ist Ursache des Bösen: Ephräm (BKV II 63-37 u. ö.); Gregor von Nyssa (BKV 15); Johannes „Chrysostomus” (BKV III 240-45); Makarios (BKV 153).

Der freie Wille führt zur Seligkeit oder zum Verderben: Cyrill v Jerusalem (BKV 127).

Das Los im Jenseits hängt von der freien Willensentscheidung ab: Gregor von Nyssa (BKV 85).

Durch den eigenen Willen wird der Mensch gut oder böse: Johannes „Chrysostomus” (BKV IV 125-27).

Für den bösen W. gibt es keine Ursache außer ihm: Augustinus von Hippo (BKV II 209-14).

Der eigene Willen holt sich von Gott Gutes oder Böses: Petrus „Chrysologus” (BKV 219).

In seinem in Dialogform abgefassten Buch "über die Willensfreiheit" wendet sich Methodios von Olympos († 251 ? oder 312)gegen die Auffassung, es gebe in der Welt das doppelte Prinzip des Guten wie des Bösen. Vielmehr entspringt das Böse im Menschen seinem freien Willen:

"Der Mensch hat die Fähigkeit erhalten, sich selbst zum Dienst zur Verfügung zu stellen, nicht etwa weil die Natur ihn dazu zwingt, diese Fähigkeit wird ihm auch nicht entzogen, was für ihn auch besser ist. Aus folgendem Grund nämlich, so betone ich, ist er mit dieser Fähigkeit beschenkt worden: Er soll nämlich mehr erhalten, als er hat, und dies wird ihm zu seinem Vorteil aufgrund des Gehorsams zuteil, und damit er von seinem Urheber eine Schuld einfordern kann. Ich möchte nämlich behaupten, dass der Mensch nicht zu seinem Unheil geschaffen wurde, sondern zu seinem Besseren. Denn wenn er geschaffen worden wäre wie irgend einer der [unbelebten] Grundstoffe oder wie anderes, das in ganz ähnlicher Weise Gott dient, dann würde er keinen seiner bewussten Wahl würdigen Lohn erhalten, sondern er wäre wie ein Werkzeug in der Hand des Weltenschöpfers und würde grundlos Tadel erwarten für etwas, das nicht gut gelungen ist. Grund dafür wäre ja der, der das Werkzeug benutzte. Der Mensch würde aber auch nicht erkennen, was besser ist, wenn er nicht seinen Urheber kennen würde, sondern nur das, wozu er geschaffen wurde. Deshalb behaupte ich: Weil Gott den Menschen ehren und das Bessere verstehen lassen wollte, hat er ihm die Fähigkeit gegeben tun zu können, was er will, und ruft nun dessen Fähigkeit auf zum Besseren, aber nicht weil er ihm die Fähigkeit zur freien Wahl, die er ihm gegeben hat, wieder entziehen wollte, sondern um ihm aufzuzeigen, was das Bessere ist. Der Mensch hat nun also diese Fähigkeit, aber er erhält auch folgenden Auftrag: Gott ermahnt den Menschen, seine Wahlmöglichkeit zum Besseren hin zu wenden. Denn wie ein Vater sein Kind ermahnt, den Lernstoff zu lernen, da es die Fähigkeit dazu hat, und sich noch mehr dem Lernstoff zu widmen, indem er ihm erklärt, dass dies besser sei, aber dadurch dem Kind nicht die freie Möglichkeit, die es hat, zu nehmen, auch wenn es nicht gern lernen will: so, meine ich, nimmt auch Gott, wenn er den Menschen ermahnt, den Geboten zu gehorchen, keineswegs die Macht des freien Willens, mit dem er den Geboten auch nicht gehorchen könnte. Und der Grund für diese Ermahnung liegt darin, dass er die Fähigkeit [nicht zu gehorchen dem Menschen] nicht genommen hat. Er gibt aber dieses Gebot, damit der Mensch Besseres erlangen könnte. Denn wenn jemand dem göttlichen Gebot gehorcht, empfängt er einen derartigen Lohn. Deshalb will er nicht das Gebot geben, um die Möglichkeit, die er gegeben hat, zu beseitigen, sondern dem, der es gleichsam verdient, Besseres zu erhalten, weil er Gott gehorcht hat, obwohl er die Möglichkeit hatte, nicht zu gehorchen, etwas Besseres zu geben." [S. Methodius martyr de libero arbitrio (Excerptum Sirmondi SJ), MPG 18, Sp. 233-36; eigene Übersetzung]

Augustinus von Hippo († 430)wendet sich gegen die z. B. von Cicero vertretene Auffassung, die Freiheit des Menschen schließe ein Vorherwissen seines Handelns von Seiten der Gottheit aus:

"Diesen frevelhaften und gottlosen Versuchen gegenüber behaupten wir, dass einerseits Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass andrerseits wir all das mit [freiem] Willen tun, was immer wir nach dem Zeugnis unserer Empfindung und unseres Bewusstseins nur mit freiem Willen tun. Dagegen behaupten wir nicht, dass alles auf Grund des Schicksals geschehe; im Gegenteil, wir behaupten, dass nichts auf Grund des Schicksals geschieht; denn wir weisen nach, dass dem Begriff Schicksal im üblichen Sinne, das ist im Sinne der Konstellation der Gestirne zur Zeit der Empfängnis oder der Geburt, keine Bedeutung entspreche, weil die Sache selbst ohne Rückhalt an der Wirklichkeit behauptet wird. …

Wenn bei Gott die Ordnung aller Ursachen feststeht, so folgt daraus noch nicht, dass nichts der freien Entscheidung unseres Willens unterliegt. Es befindet sich nämlich eben unser Wille auch unter der Ordnung der Ursachen, die für Gott feststeht und in sein Vorherwissen aufgenommen ist, weil auch der Wille des Menschen Ursache der Betätigung des Menschen ist. Und somit musste dem, der die Ursache aller Dinge vorauswusste, natürlich unter diesen Ursachen auch unser Wille bekannt sein, wusste er doch voraus, dass er Ursache unserer Handlungen ist …

Daher sind wir keineswegs genötigt, um das Vorherwissen Gottes aufrecht zu erhalten, die Wahlfreiheit des Willens preiszugeben, noch auch um die Freiheit des Willens aufrecht zu erhalten, das Vorherwissen Gottes in Abrede zu stellen [was ein Frevel wäre]; vielmehr halten wir an beidem fest und bekennen uns treu und der Wahrheit entsprechend zu dem einen wie zu dem andern; zu dem einen, um recht zu glauben, zu dem andern, um recht zu leben. Man lebt indes schlecht, wenn man von Gott nicht die richtige Vorstellung im Glauben hat. Darum sei es fern von uns, sein Vorherwissen in Abrede zu stellen in der Absicht, frei wollen zu können, da wir doch nur mit seiner Hilfe frei sind oder sein werden. Deshalb sind Gesetze, Zurechtweisung, Ermahnung, Lob und Tadel nicht umsonst; denn Gott hat auch sie vorausgewusst, und sie wirken sehr viel, soviel Gott eben über ihre Wirkung vorhergewusst hat; auch Gebete sind wirksam, um das zu erlangen, was Gott gemäß seinem Vorherwissen eben den Betenden gewähren würde; und gerecht ist es, dass für gute Handlungen Lohn, für Sünden Strafe festgesetzt ist. Denn nicht deshalb sündigt der Mensch, weil Gott sein Sündigen vorauswusste; vielmehr ist darum unzweifelhaft er selbst Subjekt seiner Sünde; weil Gott, dessen Vorherwissen keinem Irrtum unterliegen kann, vorherwusste, dass nicht das Schicksal, nicht der Zufall noch sonst etwas, sondern dass er selbst [der Mensch] es ist, der sündigen wird. Will er nicht, so sündigt er natürlich nicht; aber wenn er nicht sündigen will, so hat auch dies Gott vorhergewusst."

[civ. 5,9,3 u. 5,10,2: MPL 41, Sp. 150-53; BKV2 Gottesstaat Bd. 1, S. 253f. 259 b]

Johann Michael Sailer († 1832): "Der Mensch ist immer geneigt, zu glauben, dass seine Freiheit einen Zuwachs gewinne, wenn er jene seines Nebenmenschen vermindert. Das ist Selbstbetrug."

Johannes Paul II. († 2005): "Freiheit besteht nicht darin, dass man tun kann, was man will. Sie gibt einem nur das Recht zu tun, was man tun soll."

3. Unsere W. ist das edelste Gut als ähnlichkeit mit dem königlich herrschenden Gott: Gregor von Nyssa (BKV 14).

Die Seele hat W., weil sie nach Gottes Ebenbild geschaffen ist: Basilius (BKV II 383).

Dadurch dass wir wollen oder nicht wollen können, sind wir Gott ähnlich: Syrische Didache (BKV 182f.).

Nach Makrina († 379/ 80), der Schwester von Basilius und Gregor von Nyssa, verbindet uns die Freiheit mit Gott: "Die Freiheit bringt ähnlichkeit mit dem, der da keinen Herrn über sich hat und unbeschränkte Macht besitzt, die uns zwar schon im Anfang geschenkt war, aber durch schändliche Sünden beschränkt wurde. Alle Freiheit ist aber ihrer Natur nach nur ein und dieselbe und verwandt mit allem, was frei ist; folglich wird alles Freie sich mit dem verbinden, was mit ihm gleich freie Art besitzt, Die Tugend aber kennt keinen Zwang; darum wird alles Freie in ihr sein. Denn was keinen Zwang sich auferlegen lässt, ist frei. Nun ist aber die göttliche Natur die Quelle aller Tugend; in ihr sind demnach alle, welche die Sünde von sich geworfen haben, damit, wie der Apostel sagt (1. Korintherbrief, 15, 25), ‚Gott alles in allen sei‛."

[Gregor von Nyssa, Gespräch mit Makrina über Seele und Auferstehung, in: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften, BKV2 56, München 1927, S. 298f.]

4. Auf Erden hat nur der Mensch W.: Augustinus von Hippo (BKV I 249); vgl. Armenische Väter (BKV I 44-46. 50)

Ephräm († 373): "Preis sei dem, der unsere Freiheit in Fülle ausgestattet hat, damit wir unser Leben nicht zu einem Leben der Tiere machen." (BKV II 449)

5. Gott wahrt die W. des Menschen: Irenäus von Lyon (BKV II 366); Origenes (BKV III 174f.); Johannes „Chrysostomus” (BKV I 106; V 26); Armenische Väter (BKV II 256); Makarios (BKV 128f.).

Der gute Wille hat seine Ursache in Gott: Augustinus von Hippo (BKV II 214-16. 325f.).

Der freie W. ohne Gott kann nichts Gutes, nur Böses: Augustinus von Hippo (BKV II 356f. 412f.).

Verhältnis von Gnade und W.: Augustinus von Hippo (BKV V 29-33. 366f.)

Durch die Sünde ging der freie W. verloren, dieser kann nur durch Gott wiederhergestellt werden: Augustinus von Hippo (BKV X 123f. 171-74).

Ohne Gnade ist der W. in der Gewalt der Finsternis: Augustinus von Hippo (BKV X 290-92).

Antonius Maria Zaccaria († 1539): "So groß ist durch die Gnade Gottes die Erhabenheit des freien Willens, dass der Mensch nach Belieben Teufel und Gott sein kann."

Johannes Nepomuk von Tschiderer zu Gleifheim († 1860):

"Die Göttliche Vorsehung, die alle Dinge mit Macht und Milde wunderbar leitet, lässt auch uns, verehrte Brüder und geliebte Kinder in Jesus Christus, eine neue Zeit entstehen: eine Zeit der Eintracht, des Friedens, der christlichen Freiheit. Ihr habt mit Jubel die Pläne Gottes aufgenommen; eurem Jubel aber, meine Lieben, antwortet aus der Tiefe des Herzens die Freude eures Hirten. Unschätzbar ist das Geschenk, das uns der Himmel macht. Wir aber sollen es würdig schätzen, bis Gott, in dessen Händen das Geschick des Universums liegt, uns gewähren möge, es zu genießen in seiner ganzen Fülle und Reinheit. Gott reicht uns dieses Geschenk. Daher mögen wir ihm unseren tiefsten Dank darbringen. Er verlangt nichts anderes von uns als die genaue und treue Beobachtung seines heiligsten Gesetzes, das uns zum eigenen Gewinn wird, sowohl zum geistlichen als auch zum zeitlichen. Oh, meine Lieben! Möge die Wohltat nicht durch Undank verdorben werden. Nein, jener liebt die Freiheit nicht, der das Evangelium nicht beobachtet, das das wahre Gesetz der Liebe und der Freiheit ist, weil ausschließlich dort, wo der Geist Gottes regiert, die Freiheit herrscht. Der katholische Glaube, meine Lieben, ist das einzig wahre Gesetz der Liebe und der Freiheit, und wehe dem, der nicht versteht, dass der Glaube, der uns die Freiheit der wahren Kinder Gottes schenkt, die einzige Quelle der persönlichen und öffentlichen Freiheit ist. Lasst uns also treu dieses kostbare Gut bewahren durch eine ehrliche und beständige Erfüllung unserer Pflichten als eifrige Christen und aufrichtige Bürger. Geliebte Kinder, möge es nie sein, dass ihr zu euch selbst in Widerspruch geratet, und in einer Zeit, in der vor allem in Euren Herzen Gefühle der religiösen Dankbarkeit auflodern müssen, ihr euch blenden lässt von den erniedrigenden Leidenschaften und euch verführen lässt zur Verletzung der Ordnung und der öffentlichen Ruhe. Damit würdet ihr nichts anderes." [Johann Mayr, Bischof Johann Nepomuk von Tschiderer 1777-1860. Ein Zeit- und Lebensbild, Bozen 1998, S. 241f.]

Karl Leisner († 1945): "Zur Freiheit hat Christus euch befreit; werdet nicht Knechte des Menschen!"

6. Berthold von Regensburg († 1272).

"Man kann Menschen binden, aber nicht seinen Willen."

„Meister” Eckart († 1327): "Je mehr gebunden, umso mehr befreit."

Nach Edith Stein - Teresia Benedicta vom Kreuz († 1942)ist der Mensch ist berufen, in seinem Innersten zu leben und in Freiheit darüber zu verfügen. Gott respektiert diese Freiheit:

Der Mensch ist dazu berufen, in seinem Innersten zu leben und sich selbst so in die Hand zu nehmen, wie es nur von hier aus möglich ist; nur von hier aus ist auch die rechte Auseinandersetzung mit der Welt möglich; nur von hier aus kann er den Platz in der Welt finden, der ihm zugedacht ist. Bei all dem durchschaut er sein Innerstes niemals ganz. Es ist ein Geheimnis Gottes, das Er allein entschleiern kann, soweit es Ihm gefällt. Dennoch ist ihm [dem Menschen] sein Innerstes in die Hand gegeben; er kann in vollkommener Freiheit darüber verfügen, aber er hat auch die Pflicht, es als ein kostbares anvertrautes Gut zu bewahren.

Das Entscheidungsrecht über sich selbst steht der Seele zu. Es ist das große Geheimnis der persönlichen Freiheit, dass Gott selbst davor Halt macht. Er will die Herrschaft über die geschaffenen Geister nur als ein freies Geschenk ihrer Liebe. Er kennt die Gedanken des Herzens, Er durchschaut die tiefsten Gründe und Abgründe der Seele, in die ihr eigener Blick nicht dringt, wenn Gott sie nicht eigens dafür erleuchtet. Aber Er will nicht von ihr Besitz ergreifen, ohne dass sie selbst es will. Doch tut Er alles, um die freie Hingabe ihres Willens an den Seinen als Geschenk ihrer Liebe zu erlangen und sie dadurch zur beseligenden Vereinigung führen zu können. Das ist das Evangelium, das Johannes vom Kreuz zu verkünden hat, dem alle seine Schriften dienen. [Kreuzeswissenschaft / Studie über Joannes a cruce, Edith Stein - Teresia Benedicta vom Kreuzs Werke, Bd. 1, hrsg. v. L. Gelber u. R. Leuven, Louvain-Freiburg 1950, S. 143f.]

Alfred Delp († 1945):

"Das Gesetz der Freiheit

Der Mensch muss frei sein. Als Sklave, in Kette und Fessel, in Kerker und Haft verkümmert er. über die äußere Freiheit hat sich der Mensch viele Gedanken und Sorgen gemacht. Er hat erst unternommen, seine äußere Freiheit zu sichern, und er hat sie doch immer wieder verloren. Das Schlimme ist, dass der Mensch sich an die Unfreiheit gewöhnt und selbst die ödeste und tödlichste Sklaverei sich als Freiheit aufreden lässt.

In diesen Wochen der Gebundenheit habe ich dies erkannt, dass die Menschen immer dann verloren sind und dem Gesetz ihrer Umwelt, ihrer Verhältnisse, ihrer Vergewaltigungen verfallen, wenn sie nicht einer großen inneren Weite und Freiheit fähig sind. Wer nicht in einer Atmosphäre der Freiheit zu Hause ist, die unantastbar und unberührbar bleibt, allen äußeren Mächten und Zuständen zum Trotz, der ist verloren. Der ist aber auch kein wirklicher Mensch, sondern Objekt Nummer, Statist, Karteikarte.

Dieser Freiheit wird der Mensch nur teilhaft, wenn er seine eigenen Grenzen überschreitet …

Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott. Ob Gott nun einen Menschen aus sich herauszwingt durch die übermacht von Not und Leid, ob er ihn aus sich herauslockt durch die Bilder der Schönheit und Wahrheit, ob er ihn aus sich selbst herausquält durch die unendliche Sehnsucht, durch den Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, das ist ja eigentlich gleichgültig. Wenn der Mensch nur gerufen wird und wenn er sich nur rufen lässt! …

Der Mensch muss sich selbst hinter sich gelassen haben, wenn er eine .Ahnung von sich selbst bekommen will. Das ist es, was uns so selten gelingt und so schwerfällt. Und was den Menschen heute so unsinnig erscheint, weil sie die unendlichen Gluten und die schimmernde Bläue und die grenzenlose Weite des göttlichen Wesens nicht mehr kennen, denen man sich überantworten muss. Man muss die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind …

Adoro [ich bete an] und Suscipe [nimm an!] sind die beiden Urworte der menschlichen Freiheit. Das gebeugte Knie und die hingehaltenen leeren Hände sind die beiden Urgebärden des freien Menschen …

Das allgemeine Schicksal, meine persönliche Lage, die Entscheidung der nächsten Tage, die Botschaft des [Epiphanie-] Festes, alles sammelt sich in das Eine: Mensch, lass dich los zu deinem Gott hin, und du wirst dich selbst wieder haben. Jetzt haben dich andere, sie quälen dich und erschrecken dich und jagen dich von einer Not in die andere. Das ist dann die Freiheit, die singt: Uns kann kein Tod nicht töten. Das ist dann das Leben, das da ausfährt in die grenzenlose Weite. Adoro und Suscipe: ihr Urworte des Lebens, ihr geraden und steilen Wege zu Gott, ihr Tore in die Fülle, ihr Wege des Menschen zu sich." [Alfred Delp, Mit gefesselten Händen. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis, Frankfurt a. M. 2007, S. 114-17]

Jerzy Popieluszko († 1984):

"Menschliche Würde und Freiheit

Nur derjenige kann das Böse besiegen. der selbst reich an Gutem ist, der sich um die Entwicklung der Eigenschaften sorgt, welche ihm die Würde des Kindes Gottes verleihen. Das Gute zu mehren und das Böse zu bekämpfen bedeutet, die eigene menschliche Würde zu pflegen …

Die Würde zu bewahren, um das Gute zu mehren und das Böse zu besiegen. bedeutet, innerlich frei zu bleiben, auch in der Situation der äußeren Gefangenschaft, bedeutet selbst, in jeder Lebenssituation treu zu bleiben.

Als Söhne Gottes dürfen wir keine Sklaven sein. Gottes Sohn zu sein bedeutet, das Erbe der Freiheit in sich zu tragen. Die Freiheit wurde dem Menschen als Ausmaß seiner Größe gegeben. Die wahre Freiheit ist die primäre Eigenschaft der Menschheit. Sie wurde nicht nur uns von Gott geschenkt, sondern auch unseren Brüdern. Daraus ergibt sich die Pflicht, sie dort zu fordern, wo sie ungerecht eingeschränkt wird. Die Freiheit ist nicht nur ein Geschenk Gottes für uns, sondern auch eine Aufgabe für das ganze Leben.

"Dort, wo die menschlichen Rechte, Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit nicht beachtet werden, gibt es keinen Frieden."

"Ein Mensch, der die Wahrheit bezeugt, ist frei, auch wenn er sich im Gefängnis oder im Lager befindet." [Jerzy Popieluszko, An das VoLukasevangelium . Predigten und überlegungen 1982-1984, hrsg. . Franciszek Blachnicki, übersetzt von Michael Kirch, Düsseldorf 1985, S. 89-93]

Karl Leisner († 1945): "Die Tage äußerer Unfreiheit sind herrliche Tage des inneren Freiwerdens für Gott, der allein der Hort und die die Burg der Freiheit ist."

7. Beweis der W. gegen Fatalismus: Apostolische Väter (BKV 109-12; ähnlich z. B. Eusebius; Ephräm, Augustinus von Hippo, Armenische Väter)

Niemand soll sich mit einem Verhängnis entschuldigen, da der Geist frei ist: Apologeten (BKV II 198).

Die Lehre vom Kreislauf der Dinge ist unvereinbar mit der W.: Origenes (BKV II 386f.).

Der Wille des Menschen ist frei und wird nicht durch Sterne beherrscht: Methodius (BKV 89-98); Basilius (BKV II 99-101).

Fatum ist eine Erfindung des Satans, indem den f. W. glauben machte, er sei Sklave der Gestirne: Ephräm (BKV II 22f.); vgl. Armenische Väter (BKV II 44-46. 115); Johannes von Damaskus (BKV 60f.).

Der freie Wille ist nicht durch Naturgesetze gebunden, er hat den Vorzug der Selbstbestimmung: Johannes „Chrysostomus” (BKV II 177f.).

W. und Notwendigkeit: Augustinus von Hippo (BKV I 257-59)

Die W. wird durch Gottes Vorauswissen nicht aufgehoben: Justin (BKV 229); Origenes (BKV I 28-31 u. ö.); Hieronymus (BKV I 471f.); Augustinus von Hippo (BKV I 250-59).

W. gegenüber dem göttlichen Vorherwissen und der Prädestination: Augustinus von Hippo (BKV V 362-69)

Die W. und die Vorsehung, das Vorherwissen und die Vorherbstimmung Gottes: Johannes von Damaskus (BKV 106-11)


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 07.08.2025

korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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