Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Staat und Gesellschaft
1. Wesen
2. Ursprung
3. Gesetze und Aufgaben
4. Verhältnis der Christen zum Staat und zur Obrigkeit
5. Pflichten der Obrigkeit
6. Verhältnis von Kirche und Staat
7. Grenzen der Staatsgewalt
1. Wesen
Der Staat als eine einträchtige Vielheit von Menschen: Augustinus von Hippo (BKV I 50; X 112).
Ursprünglicher Idealstaat in Freiheit und Gleichheit: Ambrosius von Mailand (BKV I 206f).
2. Ursprung
Göttlicher Ursprung der Staatsgewalt: Apostolische Väter (BKV 67); Origenes (BKV III 380, 384f).
Der Staat ist von Gott, aber Folge der Sünde: Irenäus von Lyon (BKV II 536 - 538).
Die Amtsgewalt ist von Gott, das Streben danach und ihr Missbrauch vom Bösen: Ambrosius von Mailand (BKV II 173 - 176).
Der Staat ist von der Weisheit Gottes gewollt: Johannes „Chrysostomus” (BKV VI 162 - 164, 167f).
Nach Robert Schuman († 1963) hat die Demokratie hat
zutiefst christliche Wurzeln:
Die Demokratie
verdankt ihre Existenz dem Christentum. Sie entstand an dem Tage, als
der Mensch dazu berufen wurde, in seinem zeitlichen Leben die Würde
der menschlichen Persönlichkeit durch individuelle Freiheit,
durch die Achtung der Rechte jedes einzelnen und durch die Ausübung
brüderlicher Liebe gegenüber allen zu verwirklichen. In der
Zeit vor Christus waren solche Ideen noch nie formuliert worden.
Somit ist die Demokratie in der Doktrin und in der zeitlichen
Entwicklung an das Christentum gebunden.
Das Christentum hat die
Gleichheit aller Menschen in ihrer Natur gelehrt als Kinde desselben
Gottes erlöst durch denselben Christus, ohne Unterschied von
Rasse, Hautfarbe, Klasse und Beruf. Es hat uns die Würde der
Arbeit erkennen lassen und die Verpflichtung aller, sie auf sich zu
nehmen. Es hat den Vorrang der inneren Werte erkannt, die allein den
Menschen adeln. Das allgemeine Gesetz der Nächstenliebe und
Barmherzigkeit hat aus jedem Menschen unseren Nächsten gemacht,
auf ihm beruhen seitdem die gesellschaftlichen Beziehungen in der
christlichen Welt. Diese gesamte Lehre mit ihren praktischen Folgen
hat die Welt umgewandelt. Die Wandlung geschah unter dem
fortschreitenden Einfluss des Evangeliums.
… Wenn wir also in
der heutigen Politik tiefe Spuren der christlichen Idee finden, so
ist und darf das Christentum nicht von einem politischen Regime oder
mit irgendeiner Regierungsform - und sei sie demokratisch -
identifiziert werden. In diesem Punkte wie in anderen muss man
zwischen dem Reich Cäsars und dem Reich Gottes unterscheiden.
Diese beiden Gewalten haben jede ihre eigenen Verantwortlichkeiten.
Die Kirche muss über die Achtung vor den natürlichen
Gesetzen und der enthüllten Wahrheiten wachen; ihre Rolle ist
hingegen nicht, konkrete Dinge zu beurteilen, die von den praktischen
Gesichtspunkten der Opportunität und den Möglichkeiten der
psychologischen und historischen Entwicklung abhängen. Die
Aufgabe der verantwortlichen Politiker besteht darin, die beiden
Standpunkte, den geistigen und den profanen, in einer oft delikaten,
aber notwendigen Synthese miteinander zu versöhnen. … Zwischen
diesen beiden Forderungen … besteht jedoch kein unüberbrückbarer
Gegensatz.
[Robert Schuman
/ Lothringer - Europäer - Christ, hrsg. von Karl Heinz Debus.
Pilger-Verlag, Speyer 1995, S. 14f]
3. Gesetze und Aufgaben
Stellung des Christentums zu unsittlichen Gesetzen: Origenes (BKV II 7f).
Christus hat seine Gesetze nicht zum Umsturz, sondern zur Verbesserung der staatlichen Ordnung gegeben: Johannes „Chrysostomus” (BKV VI 161).
Notwendigkeit der Gerechtigkeit: Augustinus von Hippo (BKV II 244 - 246).
Ohne Gerechtigkeit ist der Staat nur eine große Räuberbande: Augustinus von Hippo (BKV I 191f).
Der Staat soll nicht nur auf das zeitliche, sondern auch auf das ewige Wohl der Bürger hinarbeiten: Augustinus von Hippo (BKV X 110 - 114, 118).
Der Luzerner Hans
Salat überliefert 1535 folgendes politisches Testament von
Nikolaus von Flüe († 1487):
Und wenn die
Eidgenossenschaft in schwere ernsthafte Sachen verstrickt war, dann
suchten sie Rat bei ihrem treuen, lieben Landsmann, Eid- und
Bundesgenossen Bruder Klaus und das zu manchem Mal. Sein Rat war
stets zu Friede und Ruh des Vaterlandes, zu Einigkeit mit Umsassen
und Anstößern, zur Ehre Gottes und voraus zu Gehorsam
gegen die Obrigkeit. Namentlich gab er Rat und Warnung bei Annahme
von Orten und Weiterung der Eidgenossenschaft:
O liebe
Freunde
, mahnte er da, machet den Zaun nicht zu weit,
damit ihr dester bas [sic!] in Friede, Ruh, Einigkeit und in eurer
sauer erworbenen löblichen Freiheit bleiben möget. Beladet
euch nicht mit fremden Angelegenheiten, bündet euch nicht mit
fremder Herrschaft, seid auf der Hut vor Zweiung und Eigennutz. Hütet
euer Vaterland und haltet zu ihm. Pfleget nicht vorsätzliche
Kriegslust, wenn euch aber jemand überfällt, dann streitet
tapfer für Freiheit und Vaterland!
[Vokinger: Bruder Klaus / Sein Leben. Zürich 21990,
S. 120 - 123]
4. Verhältnis der Christen zum Staat und zur Obrigkeit
Stellung der Christen zum Staat: Origenes (BKV III 379 - 395).
Keine Annahme von Staatsämtern, um für den Dienst der Kirche frei zu sein: Origenes (BKV III 393f).
Gegen die Überschätzung hoher Ämter: Cyprian von Karthago (BKV I 50f); Johannes „Chrysostomus” (BKV V 18f).
Pflichten gegenüber der staatlichen Obrigkeit: Gregor von Nazianz (BKV I 347f)
Theophilos von Antiochien († um 185):
Ehre den Kaiser mit Liebe
gegen ihn, sei ihm untertan, bete für ihn! Dadurch nämlich
erfüllst du den Willen Gottes.
[BKV II 229]
Anton Martin Slomšek († 1862):
Der Unterschied
zwischen der wahren christlichen Liebe zu seinem Volk und dem
heidnischen Nationalismus besteht darin, dass jede wahre Liebe
dieselbe Empfindung auch bei anderen Völkern zulässt,
achtet und ehrt. Die Völker sind wie äste eines Baumes und
dürfen nicht andere behindern. Jedes Volk sollte seinen Raum
haben, in dem es sich am besten entwickeln kann und die meiste Frucht
bringt, die Zeichen richtiger Bildung und wahren Fortschritts sind.
[Josef Till, Bildung und Emanzipation. Das Leben und Wirken Anton
Martin Slomšeks. Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2012, S. 273 - 277]
5. Pflichten der Obrigkeit
Pflichten der christlichen Obrigkeit: Gregor von Nazianz (BKV I 348 - 352).
Eigenschaften eines guten Kaisers: Augustinus von Hippo (BKV I 290f).
6. Verhältnis von Kirche und Staat
Das rechte Verhältnis von König und geistlichem Amt: Ephräm (BKV I 282).
Ambrosius von Mailand († 397):
Der Kaiser steht innerhalb der Kirche,
nicht über der Kirche.
[BKV
I XIX]
Papst Felix III. (†
492) fordert den Kaiser auch auf, sich in
geistlichen Angelegenheiten nicht als Herr und Befehlshaber
aufzuspielen, sondern den Geistlichen unterzuordnen:
Ich glaube, es
dürfte jedenfalls für euch vorteilhaft sein, wenn ihr die
katholische Kirche unter eurer Herrschaft ihre Gesetze handhaben und
durch niemanden ihre Freiheit beeinträchtigen lasst, da sie euch
die Herrschergewalt wiedergewann. Denn es ist gewiss, dass es eurer
Sache zum Heil gereicht, wenn ihr, wo es sich um Gottes
Angelegenheiten handelt, nach seiner Anordnung euren kaiserlichen
Willen den Priestern Christi unterzuordnen, nicht aber vorzuziehen
sucht; wie auch das Heilige von seinen Vorstehen viel eher zu lernen,
als es zu lehren; dem Vorbild der Kirche zu folgen und ihr nicht
menschliche Rechte [und Gesetze] aufzuoktruieren; noch über ihre
Anordnungen herrschen zu wollen; denn nach Gottes Willen soll sich
euer Gnaden in frommer Ergebung unterwerfen, damit nicht, wenn das
Maß der göttlichen Anordnung überschritten wird, ihr
von dem, der die Anordnungen trifft, Schmach und Schande erntet.
[Die Briefe der Päpste, Bd. 6, BKV I. Kempten
1879, S. 243f]
Für die spätere
Kirchengeschichte bedeutsam ist die Auseinandersetzung des Papstes
Gelasius I. († 496) mit dem
oströmischen Kaiser Anastasius I. In einem Brief an ihn (494)
beschreibt er das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Macht, wie er es
sieht:
Es sind zwei
Gewalten, erhabener Kaiser, von welchen diese Welt hauptsächlich
regiert wird: die geheiligte Autorität der Bischöfe und die
königliche Gewalt. Bei diesen wiegt das Gewicht der Priester
umso schwerer, als sie auch selbst für die Könige beim
göttlichen Gericht Rechenschaft ablegen werden. Du weißt
nämlich, mildester Sohn, dass du, magst du auch an Würde
den Vorsitz führen über das Menschengeschlecht, du doch
demütig dein Haupt beugst unter die, die den geistlichen Dingen
voranstehen und du erwartest von ihnen die Mittel und Ursachen deines
Heils, und, was den Empfang und die Verwaltung der himmlischen
Sakramente betrifft, erkennst du, dass du dich der religiösen
Ordnung eher unterwerfen musst als dass du ihr vorstehst. Du weißt,
dass bei diesen Angelegenheiten du von ihrem Urteil abhängst und
nicht sie deinem Willen unterworfen werden wollen.
Denn was die Ordnung
der Staatsverwaltung betrifft, wissen selbst die Vorsteher der
Religion, dass die kaiserliche Gewalt dir durch Gottes Anordnung
übertragen ist, daher gehorchen sie deinen Gesetzen, um selbst
in weltlichen Dingen jede Besonderheit und jeden Widerspruch zu
vermeiden. Mit welcher Bereitwilligkeit sollst dann du ihnen
gehorchen, welche zur Spendung der verehrungswürdigen
Geheimnisse eingesetzt sind. Gleichwie also sich die Bischöfe
einer nicht geringen Gefahr aussetzen, wenn sie bezüglich der
Gottesverehrung geschwiegen haben, dort wo sie eigentlich reden
sollten, ebenso setzen sich die keiner geringen Gefahr aus, welche
Verachtung zeigen, obwohl sie doch gehorchen sollten, was aber ferne
sei. Und wenn sich die Herzen der Gläubigen überhaupt allen
Bischöfen, welche das Göttliche recht verwalten,
unterwerfen sollen, wieviel mehr muss man dem Vorsteher jenes Stuhls
beipflichten, welchen sowohl Gott als den höchsten über
alle Bischöfe einsetzte als auch in der Folgezeit die gesamte
Kirche stets mit Ehrfurcht verehrte.
Aus einem Brief von Gelasius I. an
die orientalischen Bischöfe:
Sagst du jedoch:
[Brief
an Kaiser Anastasios, Die Briefe der Päpste 7, BKV 1. Aufl., 1880, S. 122f;
Brief an die orientalischen Bischöfe; ebda., S. 22; vgl. MPL 59,
Sp. 13 - 116]Aber der Kaiser ist Katholik!
, so wollen wir,
ohne demselben nahezutreten, erwidern, er ist ein Sohn, aber nicht
ein Vorsteher der Kirche; in Angelegenheiten der Religion geziemt es
ihm zu lernen, nicht zu lehren: Er hat die Privilegien seiner Macht
zur Verwaltung der Staatsangelegenheit von Gott empfangen, und wolle
sich nicht im Undank gegen dessen Wohltaten an der von oben
eingesetzten Ordnung vergreifen. Denn Gott wollte, dass die
kirchlichen Anordnungen den Bischöfen zustehen, nicht den
weltlichen Obrigkeiten.
Thomas Becket (†
1170):
Weil es sicher
ist, dass die Könige ihre Macht von der Kirche empfangen und
diese nicht von jenen, sondern von Christus - gestattet mir,
freimütig zu sprechen -, habt Ihr nicht das Recht, den Bischöfen
Vorschriften zu machen, jemand freizusprechen oder zu
exkommunizieren, Kleriker vor weltliche Gerichte zu ziehen, über
Kirchen und Zehnten zu urteilen, Bischöfen zu untersagen, Fälle,
die Verstoß gegen den Glauben oder Meineid betreffen, zu
behandeln, und vieles [andere] dieser Art, was im sog. überlieferten
Gewohnheitsrecht niedergeschrieben ist … Entzieht also, Herr, wenn
es Euch um das Heil Eurer Seele geht, dieser nämlichen Kirche
nicht auf irgendeine Weise das, was ihr zusteht, übertretet ihr
gegenüber nicht in irgendeinem Punkt das Recht. Erlaubt ihr
vielmehr in Eurem Königreich die Freiheit zu haben, die sie
bekanntlich auch in anderen Königreichen besitzt! Denkt an Euer
Gelübde, das Ihr abgelegt habt und das Ihr in Westminster
schriftlich auf den Altar gelegt habt, [nämlich] die Freiheit
der Kirche Gottes zu wahren, als Ihr von unserem Vorgänger zum
König geweiht und gesalbt wurdet.
[Epistola
ad Henricum II, regem Angliae 179, Sp. 651 - 653; eigene Übersetzung]
7. Grenzen der Staatsgewalt
Große Macht und Ausbreitung eines Staates ist nicht unbedingt wünschenswert: Augustinus von Hippo (BKV I 190f, 207).
Stellung des Gottesstaates zum irdischen Staat: Augustinus von Hippo (BKV III 238 - 240).
Antonius Rosmini-Serbati
(†1855) über Das wahre menschliche Wohl
:
Der gemeinsame und
wesenhafte Zweck jedweder Vergesellschaftung ist immer die
Zufriedenheit des Gemüts: dies ist der wahre Zweck. Somit ist
der nächstliegende Zweck der Gesellschaft sowie die Gesellschaft
selbst nur ein Mittel zur Erreichung des fernliegenden Zweckes: man
darf daher niemals den fernliegenden Zweck der Gesellschaft ihrem
nächstliegenden opfern, sondern muss umgekehrt den
nächstliegenden Zweck unterordnen und dienstbar machen zugunsten
des fernliegenden als des letzten und absoluten Zweckes der
Gesellschaft.
Daraus ergibt sich ein
einfaches, aber höchst bedeutungsvolles Kriterium der Politik.
Dieses Kriterium lautet: Man muss den nächstliegenden Zweck der
Gesellschaft, der im Erwerb von Gütern und Annehmlichkeiten
besteht, dem fernliegenden, der in der Zufriedenstellung des Geistes
der Gesellschaftsmitglieder besteht, unterordnen und darf ihm nie
einen unbedingten Wert zuerkennen, sondern nur einen im Verhältnis
zu diesem relativen Wert.
[Maria
Hohenadel: Antonio Rosmini 1797 - 1855, hrsg. von Hans Gunther Klemm,
Wissenschaftliche und künstlerische Beiträge /
Ehrenbürg-Gymnasium, Heft 9. Forchheim 1991, S. 23]
Nach Ingbert (Karl) Naab († 1935)
kann sich kein Staatsgesetz über das von Natur gegebene Recht und die Menschenrechte
stellen:
Gott hat die Menschheit erschaffen und ihr seine
Gesetze gegeben. Das, was wir Naturgesetz und Naturrecht heißen,
hat unser Herrgott derart in die Herzen der Menschen hineingelegt,
dass es der Mensch schon mit dem Licht seiner Vernunft erkennen kann.
Das Gewissen ist der ständige Zeuge für dieses in das Herz
gepflanzte Recht. … Alles menschliche Recht hat nur Sinn und
Berechtigung, wenn es mit dem Naturgesetz und dem von Gott
geoffenbarten Recht übereinstimmt oder ihm wenigstens nicht
widerspricht!
Es ist ein
voller Wahnsinn, wenn Menschen darüber abstimmen wollten, ob
eine dieser Vorschriften für die Gesellschaft noch gelten soll
oder nicht. Gottesrecht bricht jedes Menschenrecht.
Ein Staatsgesetz, das ein Gottesgesetz aufheben möchte, ist kein
Gesetz und verpflichtet niemand im Gewissen. Die Christen haben
vielmehr die Pflicht, nach dem göttlichen Recht zu leben und ein
dagegenstehendes Staatsgesetz mit allen erlaubten Mitteln zu
bekämpfen!
Wenn der Staat
etwas von uns verlangen wollte, was dem göttlichen Gesetz und
den naturgegebenen Menschheitsrechten offensichtlich widerstreitet,
dann sind wir so frei zu erklären: Wir sind Menschen mit
Verstand und Gewissen! Ihr dürft so etwas nicht anordnen. Das
steht nicht im Bereich der Obrigkeitsbefugnisse, wie Gott sie Euch
verlieh; er gab Euch kein Recht, Unrecht zu befehlen!
[Fritz
Gerlich Fritz und Ingbert Naab, Propheten wider das Dritte Reich,
München, 1946, S. 23, 206f.; Helmut Witetschek, Pater Ingbert Naab O.F.M. Cap. (1885 - 1935) /
Ein Prophet wider den Zeitgeist. Verlag Schnell & Steiner, München / Zürich 1985, Texte:
S. 61f, 96, 151f]
Am 19. April 1943
führte der Volksmusikforscher, Philosoph, Psychologe und Widerstandskämpfer Kurt Huber († 1943) in seiner
Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof in München u. a.
folgendes aus:
Ich habe die
Überwindung dieser Tyrannis durch die Macht des Geistes
verlangt. Durch die Macht des Geistes, nicht durch Gewalt! Das heißt:
Durch die klare sittliche Einsicht, dass die heutige Anwendung der
bloßen Macht, dass die Vernichtung von Hunderttausenden aus
bloßen Machtinteressen, dass die Unterbindung jeder freien
Meinungsäußerung, jeglicher gesunder Kritik mit der Würde
eines Rechtsstaates wie eines Kulturvolkes unvereinbar ist. …
Ich fasse zusammen: Was ich bezweckte, war die Weckung der
studentischen Kreise nicht durch eine Organisation, sondern durch das
schlichte Wort; nicht zu irgendeinem Akt der Gewalt, sondern zur
sittlichen Einsicht in bestehende schwere Schäden des
politischen Lebens. Rückkehr zu klaren sittlichen Grundsätzen,
zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch; das
ist nicht illeGalaterbrief , sondern umgekehrt die Wiederherstellung der
Legalität. Ich habe mich im Sinne von Kants kategorischem
Imperativ gefragt, was geschähe, wenn diese subjektive Maxime
meines Handelns ein allgemeines Gesetz würde. Darauf kann es nur
eine Antwort geben! Dann würde Ordnung, Sicherheit, Vertrauen in
unser Staatswesen, in unser politisches Leben zurückkehren.
(…)
Ich bitte und beschwöre Sie in dieser Stunde, diesen
jungen Angeklagten gegenüber in wahrem Wortsinne schöpferisch
Recht zu sprechen, nicht ein Diktat der Macht, sondern die klare
Stimme des Gewissens sprechen zu lassen, die auf die Gesinnung
schaut, aus der die Tat hervorging. Und diese Gesinnung war wohl die
uneigennützigste, die idealste, die man sich denken kann!
[http://www.weisse-rose-stiftung.de/ - abgerufen am 24.07.2014]
Nach Joseph Müller († 1944)
darf sich
kein
Staatsgesetz über das von Natur gegebene Recht und die
Menschenrechte stellen: … [Gott] hat die Menschheit
erschaffen und ihr seine Gesetze gegeben. Das, was wir Naturgesetz
und Naturrecht heißen, hat unser Herrgott derart in die Herzen
der Menschen hineingelegt, dass es der Mensch schon mit dem Licht
seiner Vernunft erkennen kann. Das Gewissen ist der ständige
Zeuge für dieses in das Herz gepflanzte Recht … Alles
menschliche Recht hat nur Sinn und Berechtigung, wenn es mit dem
Naturgesetz und dem von Gott geoffenbarten Recht übereinstimmt
oder ihm wenigstens nicht widerspricht!
Es ist ein
voller Wahnsinn, wenn Menschen darüber abstimmen wollten, ob
eine dieser Vorschriften für die Gesellschaft noch gelten soll
oder nicht. Gottesrecht bricht jedes Menschenrecht. Ein
Staatsgesetz, das ein Gottesgesetz aufheben möchte, ist kein
Gesetz und verpflichtet niemand im Gewissen. Die Christen haben
vielmehr die Pflicht, nach dem göttlichen Recht zu leben und ein
dagegen stehendes Staatsgesetz mit allen erlaubten Mitteln zu
bekämpfen!
Wenn der Staat
etwas von uns verlangen wollte, was dem göttlichen Gesetz und
den naturgegebenen Menschheitsrechten offensichtlich widerstreitet,
dann sind wir so frei zu erklären: Wir sind Menschen mit
Verstand und Gewissen! Ihr dürft so etwas nicht anordnen. Das
steht nicht im Bereich der Obrigkeitsbefugnisse, wie Gott sie Euch
verlieh; er gab Euch kein Recht, Unrecht zu befehlen!
[Pfarrer
Oskar Müller, Ein Priesterleben in und für Christus. Leben,
Wirken, Leiden und Opfertod des Pfarrers Joseph Müller
Groß-Düngen. Verlagsbuchhandlung Joseph Giesel, Celle
1948]
Eugen Bolz (†
1945) lehnt den Anspruch eines totalen Staats als
widergöttlich und unchristlich ab und bekräftigt das Recht
auf Widerstand gegen ihn:
Ein neuer Begriff
ist im Werden: der totale Staat. [Aber] eine Totalität des
Staates, beruhend auf einer Weltanschauung mit … der Beanspruchung
des Staatsbürgers in allen seinen Beziehungen und Betätigungen,
ist unchristlich.
Das übernatürliche Leben und was
zu ihm gehört, auch schon das Urteil über das, was es ist
und was zu ihm gehört, ist von Jesus Christus, dem Erlöser
und Herrn der Menschheit, seiner Kirche anvertraut, und zwar ihr
allein
[Handschreiben Pius´ XI. an Kardinal Schuster,
Erzbischof von Mailand, vom 26. April 1931). Ein solcher, totaler
Staat ist im Grunde nichts anderes als der allmächtige, absolute
Staat. Er ist nur eine andere Bezeichnung für dieselbe Sache.
Verschieden ist nur der Ausgangspunkt; sie treffen sich im Ziel. Der
allmächtige Staat geht vom Recht aus, nimmt alles Recht für
sich in Anspruch und bestimmt seinen Willen als das Maß aller
Rechte. Der staatliche Wille ist Recht. Der totale Staat nimmt seinen
Ausgang von der sittlichen Seite; er bestimmt ausschließlich,
was sittliche Pflicht des Einzelnen gegenüber dem Staat und den
anderen ist; was er bestimmt, ist sittliche Pflicht. Der totale Staat
ist sich selbst der alleinige sittliche Maßstab und Wertmesser.
Der Staat ist alles, der Einzelne ist nichts. Der Wille des Staates,
das Ziel des Staates kennt keine Schranken, kennt keinen Maßstab
außer sich selbst. Der Einzelne ist verpflichtet, sich selbst,
auch seine sittlichen Lebensgüter dem Staat zu opfern. Diese
Vergottung des Staates ist heidnisch, unvereinbar mit den sittlichen
Grundsätzen des Christentums. Nach christlicher Lehre muss auch
der Staat in seinen Entscheidungen die Grundsätze der Ethik als
absolut geltende Lebensnotwendigkeiten und Wertmaßstäbe
achten und verwirklichen. Der Staat ist niemals absolutes Ziel und
absoluter Maßstab. Auch ihm sind Schranken gesetzt.
Daraus folgt … ein
Abwehrrecht gegenüber staatlichen übergriffen: Die Kirche
muss das Recht haben, gegenüber Staatsgesetzen einzugreifen,
welche Lebensinteressen der Kirche und das Seelenheil der Gläubigen
gefährden. Wenn ein Gesetz mit dem natürlichen Sittengesetz
oder dem geoffenbarten göttlichen Recht in Widerspruch steht,
kann es nach katholischer Auffassung im Gewissen nicht verpflichten.
[Joachim Köhler (Hrsg.):
Christentum und Politik / Dokumente des Widerstands / Zum 40.
Jahrestag der Hinrichtung des Zentrumspolitikers und
Staatspräsidenten Eugen Bolz am 23. Januar 1945. Sigmaringen
1985, S. 30 - 33]
Johann Maier (†
1945) äußert sich zur
grundsätzlichen
Einstellung zum Staat und zu seinen Führern: Fürchte Gott
und ehre den König! Es gibt keine Gewalt außer von Gott;
aber über ihr steht Gott. Fürchte Gott und tue niemals, was
Unrecht ist; über jeder Gewalt steht Gott, den musst Du
fürchten. Lieber muss Dir Dein Kopf feil sein als Unrecht tun -
unter allen Umständen. Nicht das ist die Freiheit, dass wir
Kinder Gottes uns verleiten lassen, das zweite zu übersehen: bis
zum letzten Augenblick, immer und unter allen Umständen. Ehre
den König und den, der von ihm gesandt!
[Anton
M. J. Kormann, Domprediger Dr. Johann Maier / Märtyrer / Person
Ort Zeit 1933 - 1945. Nittendorf 2006, S. 320 - 323]
Der Forderung
gegenüber, von der Kanzel aus nicht mehr so aufreizend
zu sprechen, stellte Rupert Mayer SJ (†
1945) seine eigene Auffassung entgegen: Wenn es um die
Rechte Gottes geht, müsse jeder faule Frieden abgelehnt werden.
Auch der Gehorsam gegenüber dem Staat ende dort, wo der Staat
seine Grenzen überschreitet, gemäß dem Apostelwort:
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen
(Apostelgeschichte 5,29).
Mir kommt das
viel ehrlicher vor, als wenn ich durch alle möglichen Phrasen
mich durchwinde, um dann das Gleiche zu sagen. Hier wissen die Leute:
So ist es, und es ist auch so! … Mir ist das Grobe lieber! Ich habe
immer betont, in allen Dingen, die nicht gegen Gottes Gesetz sind,
die staatliche Autorität zu achten. Das habe ich nicht bloß
so gesagt, sondern das ist mein blutiger Ernst; nicht aus Zwang,
sondern weil Gott es haben will: Gebt Gott, was Gottes ist! Gewiss,
ich muss dem Staat geben, was ihm gebührt, aber nur deswegen,
weil ich Gott gebe, was Gottes ist. Der Herrgott hat das erste
Anrecht auf uns. Wir sind vollständiges Eigentum von ihm. Mit
Leib und Seele gehören wir ihm an. Deswegen darf ich nie etwas
tun, auch wenn es der Staat verlangt, was gegen Gottes Willen ist.
Gottes Rechte sind die tiefen und eingeschaffenen, die geheiligten.
Und wenn der Staat von mir anderes verlangt, was ich nicht tun darf
von Gott aus, dann ist es aus und vorbei mit der Autorität des
Staates.
[W.
Sandfuchs, Pater Rupert Mayer, Verteidiger der Wahrheit. Würzburg
1981, S. 164f]
Clemens August Graf von Galen († 1946):
Wir sind zur Zeit
Amboss und nicht Hammer. Bleibt stark, fest und unerschütterlich
wie der Amboss bei allen Schlägen, die auf ihn niedersausen, im
treuesten [Dienst] für Volk und Vaterland, aber stets auch
bereit, im äußersten Opfermut nach dem Wort zu handeln:
'Man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen'! Durch das vom
Glauben geformte Gewissen spricht Gott zu jedem von uns. Gehorcht
stets unweigerlich der Stimme des Gewissens! … Werdet hart, werdet
fest, bleibt standhaft, wie der Amboss unter den Hammerschlägen!
Es kann sein, dass der Gehorsam gegen Gott, die Treue gegen das
Gewissen mir oder euch das Leben, die Freiheit, die Heimat kostet.
Aber: lieber sterben, als sündigen! Möge Gottes Gnade, ohne
die wir nichts vermögen, euch und mir diese unerschütterliche
Festigkeit geben und erhalten.
[Predigt
vom 20. Juli 1941 - http://archiv-galen.de/index.php/sein-leben-und-wirken/predigten-im-sommer-1941/39-predigt-vom-20-juli-1941
- abgerufen am 21.08.2025]
Die Gerechtigkeit
ist das einzig tragfeste Fundament aller Staatswesen! Das Recht auf
Leben, auf Unverletzlichkeit, auf Freiheit ist ein unentbehrlicher
Teil jeder sittlichen Gemeinschaftsordnung. … Der Staat, der …
die Bestrafung Unschuldiger zulässt oder veranlasst, untergräbt
seine eigene Autorität und die Achtung vor seiner Hoheit in den
Gewissen der Staatsbürger.
[Predigt vom
13. Juli 1941 -
http://archiv-galen.de/index.php/sein-leben-und-wirken/predigten-im-sommer-1941/38-predigt-vom-13-juli-1941
- abgerufen am 21.08.2025]
Jerzy Popiełuszko
(† 1984):
Eine Staatsmacht, die über
eingeschüchterte Bürger herrscht, erniedrigt die eigene
Autorität, lässt das kulturelle Leben der Nation verarmen,
degradiert den Wert der Arbeit. Die Zivilcourage zu fördern
liegt deshalb sowohl im Interesse der Staatsmacht wie auch im
Interesse der Staatsbürger.
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 03.09.2025
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