Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Erziehung
Entsprechend dem lateinischen educare bedeutet Erziehen ein "Herausziehen" eines jungen Menschen aus Kindheit, Unwissenheit und Unmündigkeit, damit er fähig wird, in der Gesellschaft selbständig sein Leben zu bewältigen.
1. Was heißt erziehen?
2. Wichtigkeit der Erziehung
3. Eigenschaften des Erziehers
4. Wie soll erzogen werden?
1. Was heißt erziehen?
Clemens von Alexandria († 215 ?)
vergleicht die
Tätigkeit eines Erziehers mit der eines Steuermanns:
Wie nun der
Steuermann sich nicht immer von den Winden treiben lässt,
sondern manchmal auch die Spitze seines Schiffes den hereinbrechenden
Stürmen gerade entgegenrichtet und sich ihnen entgegenstellt, so
lässt sich auch der Erzieher nicht von den in dieser Welt
wehenden Winden treiben und überlässt ihnen nie das Kind,
so dass es wie ein Kahn in ein rohes und ausschweifendes Leben
verschlagen würde, sondern lässt sich bei seiner Fahrt nur
von dem günstigen Wind der Wahrheit führen und hält
dabei in starker Hand ganz fest die Steuerruder des Kindes, ich meine
damit seine Ohren, bis er das Kind unversehrt in den himmlischen
Hafen hat einlaufen lassen.
[paed 1, c. 7, Nr. 54 in: BKV II,2. Reihe Bd. 7, S. 252]
Theodosius Florentini († 1865):
Erziehen heißt
absichtlich auf die Entwicklung der vorhandenen leiblichen und
geistigen Anlagen des Kindes einwirken, dass sein ganzes Leben ein
Abbild des Lebens Christi werde.
2. Wichtigkeit der Erziehung
Viele Autoren betonen die Wichtigkeit des Erziehens:
Es gibt keine größere Kunst als die Erziehung: Johannes „Chrysostomus” (BKV III, 256)
Papst Gregor „der Große” († 604):
Die
Kunst, die Jugend zu führen und zu bilden, ist die Kunst der
Künste und Wissenschaft der Wissenschaften.
https://www.aphorismen.de/zitat/21478
Petrus Canisius
(† 1597), der auch selbst pädagogisch
und katechetisch tätig war, betont die Wichtigkeit religiöser
Kindererziehung:
Andere mögen ihre Arbeiten
vorschützen, sie mögen nach höheren Funktionen
trachten, welche der Kirche größeren Gewinn eintragen, sie
mögen diesen Dienst als geringfügig und als mühselig
bezeichnen, sie mögen sich auch damit herausreden, dass sie
nicht mit den Kindern selber zu Kindern werden wollten. Christus, die
Weisheit Gottes selber, hat sich nicht gescheut, mit den Kindern ganz
vertraulich umzugehen … Wollen wir Christus und seinem hl.
Evangelium glauben, so ist es von solcher Bedeutung, sich um die
Kleinen verdient zu machen und sich abzumühen bei ihrem
Unterricht und mit deren Anleitung zur Frömmigkeit, wie bewährte
Katecheten [es] tun, dass wir dabei nicht nur ein christliches,
sondern sozusagen ein Engelsamt ausüben.
[J.
Oswald u. P. Rummel (Hrsg.): Petrus Canisius - Reformer der Kirche.
Augsburg 1996, S. 195]
Johannes Leonardi
(† 1609):
Was nun die
Heilmittel anlangt, so betreffen sie natürlich die ganze Kirche,
weil die Erneuerung ebenso bei den Höchsten wie bei den
Niedersten, bei den Häuptern ebenso wie bei den Kleinen
einsetzen muss. Dennoch muss sich das Augenmerk zuerst auf all jene
richten, die den übrigen vorstehen, damit die Erneuerung dort
beginnt, von wo sie auf die anderen übergehen soll.
Am stärksten muss
dafür Sorge getragen werden, dass die Kardinäle, die
Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und Pfarrer, denen die
Seelsorge unmittelbar anvertraut ist, ihrer Leitungsaufgabe über
die Herde des Herrn gewachsen sind. Aber wir wollen auch von den
Höchsten zu den Niedersten, von den Häuptern zu den Kleinen
hinabsteigen. Sie dürfen nicht außer Acht gelassen werden,
denn bei ihnen muss die Erneuerung der kirchlichen Sitten den Anfang
nehmen. Wir dürfen nichts unversucht lassen, wodurch die Kinder
von früher Jugend an in einem aufrichtigen christlichen Glauben
und in heiligen Sitten erzogen werden. Für die Verwirklichung
dieses Zieles ist nichts so gut wie religiöse Institutionen, in
denen der christliche Glaube gelehrt wird und die Kinder nur guten
und gottesfürchtigen Erziehern anvertraut werden.
[Epistola:
Pro universali totius Ecclesiae reformatione, Archivum Ordinis
Clericorum Regularium Matris Dei, vgl. Liturgia horarum, Bd. 4. Rom
1977, S. 1199f; zitiert nach: Monastisches Lektionar zum 9.10.]
Maria Theresia von Jesus (Alix le Clerc) (†
1622):
Für eine
große Zahl von jungen Schülerinnen, die - wenn auch
altersmäßig jung - dennoch kein kleiner und unbedeutender
Teil der Kirche Gottes sind, und die, schon ab jetzt und in wenigen
Jahren, fähig sein können, große Dinge zu
vollbringen, ist es doch wichtig und sogar notwendig, zu ihrem
eigenen Wohl und dem ihrer Väter und Mütter, ihrer Familien
und der Gesellschaft, dass sie sehr früh gut ausgebildet und
sorgfältig unterrichtet werden in der Gottesfurcht und
gleichzeitig, wenn es möglich ist, in manch anderen Dingen, die
ihnen helfen können zu leben und zwar gut zu leben.
Alle Mädchen
seien eingeladen, hierher [in unsere Schulen] zu kommen, keines soll
ausgeschlossen sein und die armen [unter ihnen] sollen liebvoll
aufgenommen und gut unterrichtet werden und dadurch vor Gefahren
geschützt werden, in die sie ihr Elend und die Verderbnis dieses
Zeitalters sie sonst stürzen könnten. Und für uns, die
wir unterrichten, soll Gott allein unser Gehalt und Zahlmeister sein
und so mehr Gelegenheit haben unsere Mühen zu segnen und ihnen
Erfolg zu verschaffen.
[IFS;
Préambule; Les matières; Règlement provisionnel 1598 -
https://www.alix-pierre-associated.org/Doc_PDF/SourceVivante_d_Inspiration_Citations_de_Pierre_Fourier_(Version_Definitive).pdf
- abgerufen am 31.08.2025; eigene Übersetzung]
In einer Denkschrift
an Kardinal Tonti setzt sich Josef von Calasanz (†
1648) für eine verantwortungsvolle Erziehung der
Kinder ein:
Es ist ein
heiliger Dienst, Kinder zu erziehen, besonders die Kinder der Armen,
und sie so zu belehren, dass sie das ewige Leben erlangen können.
Dieser Dienst besitzt eine hohe Würde und findet großen
Lohn; jedermann weiß es.
Wenn wir nämlich
die Kinder unterrichten und sie vor allem in christlicher Frömmigkeit
und Lehre erziehen, sorgen wir für ihr Heil an Leib und Seele,
und wir leisten ihnen gewissermaßen den nämlichen Dienst
wie ihre Schutzengel.
Dieser Dienst ist für
die jungen Menschen, welchen Geschlechtes und Standes sie auch sein
mögen, eine ausgezeichnete Hilfe. Er zieht sie vom Bösen ab
und hält sie zu guten Taten an. Junge Menschen werden mit
solcher Hilfe derart zum Guten verwandelt, dass man in den so
Erzogenen die Zöglinge von früher nicht mehr wiedererkennt.
Junge Menschen kann der Erzieher leicht dahin führen, wohin er
ihren Geist führen möchte; wenn wir sie erst verhärten
lassen, wird die Möglichkeit, sie zu biegen, stark verringert
oder zuweilen ganz aufgehoben. Wenn wir den Kindern, besonders den
armen, eine passende Erziehung angedeihen lassen, mehrt das ihre
menschliche Würde. Die ganze menschliche und christliche
Gesellschaft stimmt unserem Tun zu: die Eltern, denn in erster Linie
freuen sie sich, dass ihre Kinder auf guten Wegen geführt
werden; die Lenker der Staaten, weil sie rechtschaffene Untertanen
und gute Bürger gewinnen; vor allem aber die Kirche, denn die
Kinder werden auf diese Weise mit größerer Reife und
besserem Erfolg als Freunde Christi und Anhänger des Evangeliums
in das vielfältige und vielgestaltige Leben der Kirche
eingefügt.
[Josef
von Calasanza: Memoriale al Card. M. A. Tonti. In: Ephem. Calas.
36, 9 - 10. Rom 1967, S. 473f; zitiert nach Monastisches Lektionar zum 25.8.]
Marcellin Champagnat († 1840) hebt die
Notwendigkeit der Erziehung hervor:
Die Erziehung
ist für das Kind, was der Anbau für die Erde ist; so gut
auch die Erde sein mag, wenn sie ohne Anbau bleibt, bringt sie nur
Gestrüpp und Dornen hervor. …
Die Erziehung ist für
das Kind das, was das Zuschneiden für einen Obstbaum bedeutet;
es ist der Zuschnitt, der dem Baum seine Schönheit gibt und ihm
die Quantität und die gute Qualität der Früchte
verschafft; außerdem gilt: Je mehr ein Baum gepflegt und
beschnitten wird, umso mehr sind seine Früchte überreich
und hervorragend. Jeder Baum, der nicht beschnitten wird, bringt
letztendlich nur Holz oder entartete Früchte hervor. …
Ein Strauch kann alle
möglichen Formen annehmen; wenn man ihn von allen Seiten her
biegt, nimmt er ohne Schwierigkeit die Richtung an, die man ihm gibt,
und er behält sie beständig bei; aber wollte man ihn wieder
geradebiegen, wenn er groß geworden ist, statt ihn zu biegen,
würde er abbrechen. Dies ist ein getreues Bild des Kindes und
der guten Wirkungen, die die Erziehung in ihm hervorbringt. Solange
das Kind jung ist, berichtigt man leicht seinen Willen, korrigiert
man ohne Mühe seine schlechten Neigungen, verbessert man
unschwer seine Charakterfehler, wohingegen man, sobald es groß
geworden ist, kein Mittel mehr hat, es zu ändern. …
Die Erziehung ist für
ein Kind das, was ein zuverlässiger Führer für einen
unerfahrenen Reisenden ist. Wenn der Reisende gut geführt wird,
kommt er glücklich und ohne viel Mühe an das Ziel seiner
Reise. Wenn er aber auf einem Irrweg geht, wird er in einem Abgrund
landen, oder durch das Schwert eines Mörders oder die Zähne
wilder Tier zugrunde gehen. …
Die Erziehung ist für
das Kind auch das, was ein Lotse für das Schiff ist. Ein Schiff
ohne Lotsen wird an den Klippen zerschellen oder in den Tiefen des
Ozeans untergehen. …
Die Erziehung ist für
das Kind das, was die Fundamente für ein Gebäude sind. Wird
ein Haus ohne Fundamente je Bestand haben? Wenn die Fundamente
brüchig sind, wenn sie nicht auf festem Boden, auf Fels
gegründet sind, wird das Gebäude durch den Wind oder auch
durch die ersten Regenfälle, die die Erde aufweichen, zum
Einsturz gebracht. …
Schließlich ist
die Erziehung für das Kind das, was der Samen für die Erde
ist. Man erntet auf einem Feld nur das, was man dort gesät hat;
wenn es sich um einen Weizensamen handelt, wird man Weizen ernten;
wenn es sich um Unkrautsamen handelt, dann wird man Unkraut
einbringen und nicht gutes Korn. Das Herz der Kinder ist ein
jungfräuliches Land, das seine ersten Samen empfängt; wenn
die Herzen gut bereitet, gut gepflegt sind, wenn der Samen, den man
dort ausstreut, von guter Qualität ist, wird es reiche und
dauerhafte Früchte bringen.
[Bienheureux Marcellin
Champagnat. Textes choisis et présentés par Josse
Alzin. Les èditions du Soleil Levant, Namur (Belgique) 1959,
S. 99f, 135 - 40; eigene Übersetzung]
3. Eigenschaften des Erziehers
Die Anforderungen an die Erzieher und Lehrer sind hoch:
Josef von Calasanz († 1648):
Wer das Amt eines
Lehrers annimmt und es mit Eifer und Gewissenhaftigkeit ausüben
will, braucht viel Liebe, größte Geduld und vor allem eine
tiefe Demut. Dann ist er wert, dass der Herr ihn auf sein demütiges
Gebet hin zu einem tüchtigen Mitarbeiter der Wahrheit macht, ihn
in der Ausübung der Aufgabe stärkt und ihn schließlich
mit der Gabe vom Himmel beschenkt nach dem Wort:
Die Männer,
die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig
leuchten wie die Sterne
(Daniel 12, 3).
[Josef
von Calasanza: Memoriale al Card. M. A. Tonti; Ephem. Calas.
36, 9 - 10, Rom 1967, S. 473f; zitiert nach Monastisches Lektionar zum 25.8.]
Petrus Fourier (†
1640) formulierte eine Art zehn Gebote, die eine
gute Lehrerin und Erzieherin beherzigen sollte:
Als solche brauchst du
1. die Achtung
und Liebe der Kinder: … Denn nur dann werden die Zöglinge zum
Guten angeleitet werden, wenn sie ihre Lehrerin hochschätzen.
2. weise
Zurückhaltung, welche dich lehrt, mit Mäßigkeit, mit
Besonnenheit jederzeit zu reden und zu handeln. Dieses zurückhaltende
Wesen besteht also vorzugsweise darin, dass du dich mäßigst,
wenn Gelegenheit zur Ereiferung oder zum ärger vorkommt.
3. die
Schweigsamkeit oder den vorsichtige Gebrauch der Zunge: Diese Tugend
lehrt dich die Kunst, zur rechten Zeit zu reden und zur rechten Zeit
zu schweigen. Eine schweigsame Lehrerin fördert in wunderbarer
Weise Ordnung und Stille in ihrer Schule und fördert dadurch
wesentlich das Voranschreiten ihrer Schülerinnen.
4. die Klugheit:
Mittels der christlichen Klugheit wirst du die geeigneten Mittel
erkennen, um am sichersten zum vorgesetzten Ziel zu gelangen. Die
Klugheit lehrt dich, von deinem Verstand den rechten Gebrauch zu
machen und in allem nur solcher Mittel dich zu bedienen, welche dem
heiligen Glauben und der Frömmigkeit entsprechen. Das Ziel der
Schulen und des Schulunterrichts sowie des Pensionats ist die
Erziehung des Kindes für Gott und seine ewige Bestimmung.
5. Wachsamkeit:
… Du musst vor allem wachsam sein auf dich selbst, auf all deine
Gedanken, auf alle Bewegungen deines Herzens, auf den Gebrauch deiner
Sinne, kurz auf deine ganze Person, um einerseits deine Pflichten
genau zu erfüllen und andererseits den Kindern niemals Anstoß
zu geben.
6. Seeleneifer:
… Dieser strebt dahin, vor allem Gottes Ehre zu fördern und
das Seelenheil der Kinder. Wie Jesus Christus anfing zu handeln, ehe
er lehrte, so muss auch die erste Lektion einer guten Lehrerin das
gute Beispiel sein.
7. Demut und
Bescheidenheit: Sie werden dich lehren, alle Widerwärtigkeiten
und Unannehmlichkeiten, alle Beschwerden und Mühen, die mit dem
Unterricht der Kinder unausweichlich verbunden sind, mutvoll zu
ertragen.
8. Geduld, welche
sie anleitet, alle übel dieses Lebens, sowie alle mit der
Jugenderziehung verbundenen Mühen und Beschwerden ohne Murren,
mit Unterwerfung unter Gottes heiligsten Willen und aus Liebe zu Gott
zu ertragen.
9. Sanftmut
verbunden mit Festigkeit verschafft der Erzieherin Ansehen unter
ihren Zöglingen, flößt denselben Achtung und Liebe
ein und schlingt das festeste Band des Gehorsams.
10. Frömmigkeit
und Gottesfurcht, … um das leuchtende Muster und Vorbild für
die Zöglinge zu sein.
[Schrift
über die mystische Gegenwart Christi beim Unterricht
,
zitiert nach: Walther Tritsch (Hrsg.): Einführung in die Mystik
/ In Quellen und Zeugnissen. Weltbild Verlag, Augsburg 1990,
S. 314]
Johannes-Baptist de La Salle (†
1719):
Erwägt im
Herzen, liebe Brüder, was der Apostel Paulus sagt: Gott habe in
seiner Kirche Apostel, Propheten und Lehrer bestellt (1. Korintherbrief 12,28),
und seid überzeugt, dass Gott auch euch in euer Amt eingesetzt
hat. Das bezeugt euch derselbe Heilige, wenn er erklärt, es gebe
verschiedene Dienste und verschiedene Kräfte und derselbe
Heilige Geist zeige sich in jeder dieser Gaben zum gemeinsamen
Nutzen, das heißt zum Nutzen der Kirche (vgl. 1. Korintherbrief 12,5.11).
Ihr sollt also nicht an der großen Gnade zweifeln, die ihr
erhalten habt: die Knaben zu lehren, ihnen die Frohe Botschaft zu
verkünden und sie im Geist der Religion zu erziehen. Es ist ein
großes Geschenk Gottes, dass er euch zu einer so heiligen
Aufgabe berufen hat.
Die Schüler, die
eurer Sorge anvertraut sind, sollen an eurer ganzen Lehrtätigkeit
sehen, dass ihr Diener Gottes seid, da ihr die Aufgabe mit
ungeheuchelter Liebe und echter Sorgfalt erfüllt. Auch darum
sollt ihr euch eurem Amt verpflichtet fühlen, weil ihr nicht nur
Diener Gottes, sondern auch Diener Jesu Christi und der Kirche seid.
So sagt der heilige
Paulus mahnend, alle seien als Diener Christi zu betrachten, die das
Evangelium verkündigen, die den Brief schreiben, den Christus
diktiert, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des
lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern - wie auf
Tafeln - in Herzen von Fleisch
(2. Korintherbrief 3, 3), die Herzen der
Knaben. Deswegen dränge euch die Liebe Gottes (vgl. 2. Korintherbrief 5, 14),
weil Jesus Christus für alle gestorben ist, damit die
Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der
für sie starb und auferweckt wurde
(2. Korintherbrief 5,15). Möge
daher eure Sorgfalt und euer Eifer die Schüler bewegen. Mögen
sie fühlen, dass Gott sie durch euch ermahnt, weil ihr Gesandte
Christi seid.
Ferner müsst ihr
der Kirche zeigen, wie sehr ihr sie liebt, und ihr sollt ihr Beweise
eurer Gewissenhaftigkeit geben. Denn ihr arbeitet durch die Kirche,
den mystischen Leib Christi. Durch eure Arbeitsfreudigkeit zeigt,
dass ihr die Menschen, die Gott euch anvertraut hat, liebt wie
Christus die Kirche geliebt hat.
[Johann-Baptist de La Salle, Text 1: Meditatio 201: vgl. Liturgia
horarum, Bd. 2. Rom 1977, S. 1332f, zitiert nach Monastisches Lektionar zum
7.4.]
Rosa Venerini (†
1728):
Bei der
Frömmigkeit der Lehrerinnen, die sich im Weinberg des Herrn
abmühen werden, mit dem einzigen Ziel, die Jugend auf den Pfad
des christlichen Lebens zu führen, indem sie sie die einfachen
Grundlagen unseres heiligen Glaubens lehren und sie auch an die
Handarbeiten gewöhnen und sie so dem Müßiggang
entgehen, vertraue ich darauf, dass auch die armen Mädchen ihre
entstandenen Bedürfnisse erfüllen können; und dass
die, welche kleine Kinder haben werden, aufgrund ihrer eigenen guten
Erziehung auch diese zur heiligen Gottesfurcht erziehen können,
und dass so die schuldhafte Unwissenheit gänzlich beseitigt wird
und alle genügend Kenntnisse ihres Schöpfers und Erlösers
haben. Ich vertraue, so sage ich, dass bei einem solchen Werk der
Frömmigkeit auch die, die sie betätigen, nicht der
notwendigen Hilfen entbehren werden, nicht nur, was die Schule
betrifft, die ich hinterlasse, sondern auch die anderen Schulen, die
noch eröffnet werden, so viele ihrer nötig sein werden, und
sie so Grund haben, unserem allergütigsten Herrn Jesus überaus
dankbar zu sein.
[Sira Serenella Macchietti: Rosa Venerini all' origine della scuola
popolare femminile. L'azione educativa del suo Istituto dal 1685 ad oggi. Livorno 1986, S.
172, 170; eigene Übersetzung]
Georg Michael Wittmann († 1833):
Lehrern, die zu
stolz sind, um zu beten, werden die Engel der Kinder widerstehen.
Pfarrer aber, die die Schule vernachlässigen, haben sich selbst
das Himmelreich verschlossen.
Marcellin Champagnat († 1840) beschreibt, welche
Eigenschaften ein idealer Erziehers braucht:
Eine Autorität,
die alle notwendige Freiheit für die Entwicklung des Charakters
gewährt, die zurückweist, was ihm schaden könnte;
Sanftheit ohne Schwäche, eine Strenge ohne Härte; einen
Ernst ohne Rohheit; eine Gefälligkeit und ein Wohlwollen ohne
Vertraulichkeit; ein glühendes Verlangen nach Erfolg, gemäßigt
durch eine Geduld, die nichts barsch abweist und die die Hoffnung
nicht aufgibt; eine Wachsamkeit, der nichts entgeht, verbunden mit
einer Weisheit, die oft unwissend zu sein scheint; eine
Zurückhaltung, die dem Freimut, nicht entgegensteht; eine
Festigkeit, die niemals halsstarrig ein darf; ein Scharfsinn, der die
Neigungen durchschaut, es sich aber niemals anmerken lässt; eine
Klugheit, die erkennen lässt, was man entschuldigen oder
bestrafen muss, und die dafür die günstigen Augenblicke
ergreifen lässt; ein Geschick, das niemals abgleitet zu bloßer
Listigkeit, die sich in den Geist [der Zöglinge] einfügt,
ohne ihn zum Widerstand zu reizen; eine Freundlichkeit, die die
Anweisungen angenehm macht, ohne ihnen die Festigkeit zu nehmen; eine
Nachsichtigkeit, die die Zuneigung erwirbt, verbunden mit einer
Genauigkeit und Gerechtigkeit, die Furcht einzuflößen
vermag; eine Herablassung, die sich den Neigungen [der Schüler]
anpasst, ohne sie allzu sehr zu begünstigen; eine
Geschicklichkeit, um die einen [Neigungen] durch die anderen zu
bekämpfen, die guten zu stärken, die schlechten zu
schwächen; eine Voraussicht, die gefährliche Gelegenheit
voraussieht; eine Geistesgegenwart, welche nicht unerwartete
Ereignisse und die Verlegenheit verursachende Fragen der Kinder nicht
aus der Fassung bringen. Um ein guter Lehrer zu sein, … muss man
ein vollkommener Mensch sein.
[Bienheureux
Marcellin Champagnat: Textes choisis et présentés par
Josse Alzin, Les èditions du Soleil Levant. Namur (Belgique)
1959, S. 99f, 135 - 140; eigene Übersetzung]
Anton Martin Slomšek († 1862) unterstreicht die
hohe Bedeutung des Lehrerberufs:
Der Lehrerstand
ist schwierig und positiv; jener, der ihn kennt, schätzt ihn
besonders. Ein kluger und fleißiger Schulmann nützt dem
Menschengeschlecht mehr als der glorreichste Feldherr, der die Feinde
das Fürchten lehrt und Königreiche wie Städte besiegt.
Ein Lehrer in einem stillen Orte setzt das Gute und im Gießen
sorgt er für bessere Menschen und Zeiten. Auch wenn die Welt das
nicht erkennt und großteils schlecht für diesen Dienst
zahlt, wird in den Büchern des ewigen Lebens des Lehrers Name
strahlen und unter den Heiligen wird sein Lohn sein. Den mies
unterrichtenden und nachlässigen Lehrern solle es jedoch schlimm
ergehen, wenn durch sie die Welt ärgernis nimmt! Für sie
wäre besser, wenn sie Erdreich ausheben und Holz hacken würden,
als das Kostbarste, das Kind, verantwortungslos zu unterrichten und
zum Wilden zu züchten.
Eine gute Erziehung
sollte nach Slomšek ganzheitlich und
religiös fundiert sein:
Viel zu wissen
und unverantwortlich handeln, beleidigt Gott und schadet dem
Menschen. Nur Wissen allein macht den Geist zu kalten Rationalisten.
Den Verstand zu vernachlässigen und nur dem Herzen zu folgen,
führt zur Phantasterei. Beides ist Produkt einer verderblichen
Erziehung. Es ist schade, dass in unseren Schulen zu sehr auf die
rationale Entwicklung und zu wenig auf die Herzensbildung geschaut
wird.
Den neuen
Propheten der Schule ist das Wissen die wichtigste Sache, religiöse
übung aber nur eine Nebensache. Diese denken nicht darüber
nach, dass jedem Volk wissenschaftliche Bildung ohne Spiritualität
einem geschmückten Grab als Zeichen des Wohlstandes
gleichkommt.
Eltern und
Erzieher, lest die Zeichen der Zeit und erkennt, dass der Mensch, der
des Glaubens verlustig ging, kein Gesetz und keine Grenzen kennt. Und
wenn es für die Zeitgenossen kein Heilmittel gibt, sollten
zumindest zukünftige Geschlechter erkennen, was ihnen
standfestes Wohl bedeuten könnte.
Aus einer guten
Schule entwickeln sich bessere, aus schlechten schlechtere Zeiten.
Bessere Menschen wird es nicht geben, solange es keine besser
erzogenen Kinder geben wird. Eine verfehlte Erziehung ist die Mutter
schlimmer Zeiten. Mies erzogene Kinder sind stechende Dornen für
jede Nachbarschaft und verheißen nur schlimme Zeiten. Eine
verfehlte Erziehung ist eine fürchterliche Grube, die sich die
Erzieher selbst graben.
Jene Gesetzgeber,
Eltern und Lehrer versündigen sich, wenn sie nur profane Schulen
wollen, die die Kinder primär für die vergängliche
Welt und nicht auch für die Ewigkeit ausbilden wollen. Die Väter
blicken nur auf gescheite Köpfe, die Mütter auf die
anmutigen Körper und die hübschen Kleider. Die weltlichen
Machthaber wollen vor allem gute Staatsbürger. Ehrliche Männer
und Frauen, fromme Christen zu bilden ist aber den weltlich denkenden
Menschen die letzte oder gar keine Sorge.
[Josef Till: Bildung
und Emanzipation. Das Leben und Wirken Anton Martin Slomšeks.
Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2012, S. 218, 273 - 277]
4. Wie soll erzogen werden?
Papst Gregor „der Große”
(† 604):
Strenge
und Milde verlieren ihren Wert, sobald die eine ohne die andere
angewendet wird.
[https://www.aphorismen.de/zitat/58071]
Folgender Abschnitt
aus den Ricordi von Angela Merici († 1540) gilt
nicht nur für das Verhältnis der Vorgesetzten gegenüber
ihren Mitschwestern, sondern auch für diese selbst im Umgang mit
den ihnen zur Erziehung anvertrauten Mädchen:
Seid gütig
und freundlich gegen eure lieben Töchter, und bemüht euch
darum, dass nur die Liebe zu Gott und der Eifer für die Seelen
euch bewegen, wenn ihr sie ermahnt, beratet, zum Guten ermuntert oder
vom Bösen abhaltet. Denn durch liebreiche Freundlichkeit werdet
ihr mehr erreichen als durch Härte und strengen Tadel, die man
nur für eine wirkliche Notwendigkeit vorbehalten soll. Und
selbst dann tadle man nie ohne Rücksicht auf Ort, Zeit und die
jeweilige persönliche Eigenart. Nur die Liebe, die in allem auf
die Ehre Gottes und das Heil der Seelen sieht, lehrt diese
Unterscheidung und lenkt das Herz, jeweils dem Ort und der Zeit
entsprechend mit mehr Milde oder Strenge zu verfahren, wie es gerade
notwendig ist.
Liebt eure jungen
Töchter gleichmäßig; zieht nicht eine der anderen
vor; denn alle sind Geschöpfe Gottes, und ihr wisst nicht, was
er aus ihnen machen will.
[K. Seibek-Royer, Die heilige Angela Merici / Gründerin des ersten
weltlichen Säkularinstituts. Graz - Wien - Köln 1966, S.
133 - 143]
Der folgende Text
von Maria Theresia von Jesus Gerhardinger († 1879)
hat an Aktualität nicht verloren. Er spricht die hohen
Anforderungen an den Lehrberuf an. Aber auch die Kinder sollen nicht
unterfordert werden. Das wichtigste Erziehungsmittel ist die Liebe
und Zuwendung zu den Kindern:
Das Schulehalten
wird mit jedem Tag schwerer; Kinder sollen mehr als je können,
dabei aber sich nicht anstrengen, nichts lernen dürfen; sie
sehen und hören allenthalben nur Schlimmes, kommen voll Fehler
und Unarten zur Schule, sollen da erzogen, ordentliche Leute, aber ja
nicht gestraft werden!
Bedürfen wir in
solcher Lage nicht des allmächtigen Beistandes Gottes, um das
rechte zu treffen und durchzukommen? … auf dass wir die Kinder mehr
durch unser Beispiel als durch schale Worte für das Gute
gewinnen, wie die hl. Missionäre getan und dadurch selbst die
Wilden in sanfte hl. Christen umwandelten und bekehrten.
Durch Strenge, Härte,
Strafen die Schuldisziplin herstellen oder aufrecht erhalten wollen,
hieße öl ins Feuer gießen, da heutzutage Groß
und Klein dagegen sich sträubt; das gäbe den lauernden
Feinden erwünschte Gelegenheit, uns zu stürzen und dann
über uns zu frohlocken.
Tun wir uns demnach,
liebe Schwestern, eine heilige Gewalt an; uns selbst zu überwinden,
sanft zu werden, um durch liebevollen Ernst die rohen und
leichtsinnigen Kinder im Zaume zu halten - die hl. Engel werden uns
dabei zu Hilfe kommen und beistehen und ersetzen, was wir in unserer
Ohnmacht nicht vermögen.
Glauben wir's doch,
liebe Schwestern, nur durch Liebe werden wir die Liebe der Kinder
gewinnen, ihre Herzen zu Gott hinziehen; durch die Kinder auf die
Mütter und durch die Mütter auf die Väter gut
einwirken und sie uns geneigt machen.
Andererseits ist es
ebenso unabweislich, dass wir mit Eifer uns fortbilden, um den in
unserer Zeit überhoch gesteigerten Anforderungen an die Schule,
so viel möglich, notwendige Rechnung zu tragen. Wie werden wir
aber das, wenn wir uns, liebe Schwestern, nicht Tag für Tag
eifrigst für die Schule auf jede Lektion vorbereiten und das
nicht treu benützen und anwenden, was vom Mutterhaus in dieser
Beziehung mitgeteilt wird?
[Text um das Jahr 1869, aus dem Klosterarchiv]
Pauline von Mallinckrodt († 1881):
Die Liebe zu den
Kindern ist die beste Lehrmeisterin der Erziehung; nur jemandem, der
die Kinder liebt, darf man sie anvertrauen. Liebe im Herzen, Liebe im
Ton, Liebe im Betragen gegen die Kinder, das zieht sie an und zieht
Gottes Segen auf sie und uns herab.
(1851)
Liebe weckt
Liebe, Vertrauen weckt Vertrauen.
Auch mit Freude
müssen wir die Kinder erziehen und ihnen dienen; sie ist das
Merkmal einer warmen Liebe.
(1852)
Kein Kind
schließ je aus deinem Herzen aus; Gott trägt
s im
Herzen, trag du es auch darin, und wer weiß, vielleicht wird
eben deine Liebe es gewinnen. (1847)
Liebe und Güte
sind die erfolgreichen Kräfte in der Erziehung, aber beide
müssen gepaart sein mit konsequentem Festhalten an dem einmal
Geforderten.
Konsequenz und
Ernst, mit Liebe gepaart, richten bei der Erziehung gar viel aus.
Äußere
Ordnung und Ruhe sind nötig als Mittel zum Zweck, wer aber bei
ihnen stehen bleibt und meint, nun das Ziel erreicht zu haben, dem
wird das wirkliche Leben, die Zukunft der Kinder bittere Erfahrungen
bringen.
[https://www.kinderheim-pauline.de/wir-stellen-uns-vor/pauline-von-mallinckrodt
- abgerufen am 23.09.2019]
Johannes Bosco (†
1888) gibt folgende Empfehlungen für die
Erziehung Jugendlicher:
Wenn wir eifrig
für das wirkliche Glück unserer Zöglinge sorgen und
sie zur Erfüllung ihrer Pflichten anleiten möchten, dürfen
wir vor allem nie vergessen, dass wir Elternstelle an den lieben
jungen Menschen vertreten. Ich habe immer in Liebe für sie
gearbeitet, mich um sie bemüht und das Priesteramt ausgeübt,
nicht ich allein, sondern die ganze salesianische Gesellschaft.
Liebe Söhne, wie
oft musste ich mich in meinem langen Leben durchringen zu der großen
Wahrheit: Leichter ist es zornig zu werden, als zu ertragen, einem
Knaben zu drohen, statt ihm eindringlich zuzureden. Ja, ich sage es:
es ist bequemer für unsere Ungeduld und unseren Hochmut, die
Fehlenden zu strafen, als sie fest und freundlich zu ertragen und so
zu bessern.
Ich empfehle euch die
Liebe des Paulus, die er gegenüber den Neugetauften an den Tag
legte. Oft führte sie dazu, dass er weinte und inständig
betete, wenn er sah, wie wenig gelehrig sie waren und wie sie seiner
Liebe widerstanden.
Gebt acht, dass euch
niemand vorwerfen kann, ihr ließet euch durch heftige
Gemütsbewegungen leiten. Es ist schwer, beim Strafen die
Standhaftigkeit des Herzens zu bewahren, die nötig ist, wenn es
nicht scheinen soll, wir handelten nur, um unsere Autorität zu
zeigen oder um der Erregung des Gemüts ihren Lauf zu lassen.
Wir müssen sie als
Söhne betrachten, über die wir eine Vollmacht auszuüben
haben. Wir wollen uns zu ihren Dienern machen wie Jesus, der kam, um
gehorsam zu sein, nicht zu befehlen, und wir sollten uns schon des
Anscheins der Herrschsucht schämen; wir wollen nicht über
sie herrschen, es sei denn, um ihnen zu dienen. So machte es Jesus
mit den Aposteln. Sie waren unwissend und ungebildet, ja auch ihr
Glaube war klein. Aber er ertrug sie. Gegenfiber den Sündern
bewies er eine so gütige und vertraute Freundschaft, dass die
einen staunten, die andern Anstoß nahmen, andere schließlich
Hoffnung schöpften, von Gott Verzeihung zu erlangen. Deswegen
forderte er uns auf, gütig und von Herzen demütig zu sein.
Sie sind unsere Söhne.
Wenn wir daher ihre Irrtümer unterdrücken wollen, müssen
wir allen Zorn ablegen oder doch so mäßigen, als hatten
wir ihn ganz ausgelöscht.
In besonders schweren
Fallen empfiehlt es sich, mehr inständig und demütig zu
Gott zu beten, als einen Wortschwall loszulassen, der nur das Gemüt
der Hörer beleidigt, den Schuldigen aber keinen Nutzen bringt.
[aus einem Brief von Johannes Bosco, zitiert nach: Monastisches Lektionar zum 31.1.]
Johannes Bosco
propagiert in der Erziehung das Präventivsystem:
Worin besteht
das Präventivsystem und warum ist es vorzuziehen?
Zu allen Zeiten wurden
in der Jugenderziehung zwei Systeme angewandt: das präventive
und das repressive. Das Repressivsystem besteht darin, dass man das
Gesetz den Untergebenen bekanntmacht und dann seine Befolgung
überwacht, um die übertreter festzustellen und ihnen
nötigenfalls die verdiente Strafe zu geben. Bei diesem System
müssen Worte und Haltung des Vorgesetzten immer streng, fast
drohend sein; er muss jeden vertrauten Verkehr mit seinen
Untergebenen meiden. …
Verschieden und, ich
möchte sagen, entgegengesetzt ist das Präventivsystem. Es
besteht darin, dass man die Vorschriften eines Instituts bekanntmacht
und dann die Jugendlichen derart überwacht, dass das achtsame
Auge des Direktors oder der Assistenten immer auf ihnen ruht. Wie
gütige Väter sollen sie mit ihnen sprechen, bei jedem
Anlass als Führer dienen, gute Ratschläge erteilen und sie
liebevoll zurechtzuweisen. Mit einem Wort: Die Jugendlichen in die
Unmöglichkeit versetzen, Fehltritte zu begehen.
Dieses System stützt
sich ganz auf Vernunft, Religion und liebevolles Wesen. Deshalb
schließt es jede gewaltsame Züchtigung aus und sucht auch
leichtere Strafen fernzuhalten. Es scheint aus folgenden Gründen
den Vorzug zu verdienen:
Wenn der Jugendliche
im Voraus aufmerksam gemacht wurde, ist er ob der begangenen Fehler
nicht verzagt, was geschieht, wenn sie dem Oberen angezeigt werden.
Auch wird er niemals über eine erhaltene Zurechtweisung, über
eine angedrohte oder auferlegte Strafe böse; denn in ihr liegt
stets ein freundschaftliches und zuvorkommendes Wort. Man redet ihm
dadurch vernünftig zu und gewinnt dabei meistens sein Herz.
Das Repressivsystem
kann wohl eine Ausschreitung verhindern, wird aber kaum die
Schuldigen bessern. …
Das Präventivsystem
hingegen macht den Jugendlichen zum Freund. … Hat der Erzieher
einmal das Herz seines Schutzbefohlenen gewonnen, so kann er über
ihn großen Einfluss ausüben, ihn aufmerksam machen,
beraten und zurechtweisen, sogar noch, wenn er sich im bürgerlichen
Leben in Amt und Stellung befindet.
Aus diesen und vielen
anderen Gründen scheint das Präventivsystem vor dem
Repressivsystem den Vorzug zu haben.
[Giovanni Bosco: Pädagogik der Vorsorge, besorgt von K. G. Fischer.
Paderborn 1966, S. 94f]
Aloisius Guanella († 1915):
Die Oberen sind
mehr Väter, Brüder und Freunde als Obere; sie sollen mit
aller Einfachheit die vertrauensvolle Liebe begünstigen, die
patriarchalischen Familien zu eigen ist. Sie sollen die von ihnen
Abhängigen mit ihrem Namen ansprechen so wie Söhne, liebe
Freunde und zuinnerst ihre Neigungen kennen lernen, um ihnen gerecht
werden zu können. Ihre eigene Autorität sollen sie nur in
seltenen und notwendigen Fällen zeigen, damit es nicht soweit
kommt, dass die Autorität zu einem Mangel an Liebe führt.
Das, was man nicht mit einer liebenswürdigen Vorgehensweise
erreicht, erreicht man selten mit der Gewalt eines Befehls. Man fängt
mehr Fliegen mit einem Löffel Honig, als mit hundert Fässern
Öl. …
Präventivsystem
einer angemessenen Erziehung nennt man jene Methode der Liebe, des
Umgangs, der Angemessenheit, aufgrund derer die Oberen ihre eigenen
Untergebenen mit väterliche Liebe umgeben und die Brüder
sich um die eigenen Brüder sorgen, auf dass bei ihren täglichen
Arbeiten keinem etwas Schlechtes zustößt und alle auf
ihrem Lebensweg das Ziel des Glücks erreichen. … In
der Praxis muss man das Präventivsystem im Herzen und im
Verstand haben, man muss es ausüben bei den Gleichgestellten,
bei den Nieder- und den Höhergestellten, bei jeder Gelegenheit
und immer.
[Carlo Lapucci: La figura, il pensiero e l'azione di Don Luigi
Guanelle nei suoi scritti (= Centro Studi Guanelliani - Roma / Saggi
storici 10). Roma 1995, S. 63, 55f; eigene Übersetzung.]
Philipp Smaldone
(† 1923) propagiert statt eines repressiven das
präventive Erziehungssystem von Don Bosco:
Die erziehenden
Schwestern dürfen keine Vorliebe für irgendeine
Taubstumme haben, sondern dollen alle in gleicher Weise lieben.
Sie sollen alle
taubstummen Mädchen durch Jesus Christus und Jesus Christus ganz
in gleicher Weise lieben. …
Sie sollen ihnen die
auserlesenste Erziehung zuteil werden lassen.
Sie sollen immer ein
Auge auf sie haben, ihnen immer helfen, sie immer erleuchten, d. h.
unterweisen.
Sie sollen sie an eine
beständigen Fleiß gewöhnen, der aber
abwechslungsreich und angenehm ist.
Sie sollen ihnen bei
jeder Gelegenheit den Gedanken an die Gegenwart Gottes und an seine
Güte und Gerechtigkeit ins Herz einprägen. …
Sie sollen immer bei
allen gerecht sein, und was die leidigen Strafen betrifft, sollen sie
zur Nachsicht neigen und gleichzeitig, wenn sie sie bezüglich
der begangenen Schuld aufklären, sollen sie noch eher lehren,
wie sie sie in Zukunft vermeiden und wie sie entgegengesetzte Tugend
verwirklichen können.
Sie sollen auf keinen
Fall bei irgendeinem Mädchen ihre Mängel übertreiben,
statt dessen ihrer Unwissenheit die Schuld geben, die gewöhnlich
die Ursache für jede Schuld darstellt.
Bei ihrem Tadel sollen
sie keinerlei Zorn walten lassen und den betroffenen und allen
Mädchen den einzigen Zweck, der sie wirklich dazu treibt,
durchscheinen lassen.
Schließlich
sollen sich die Schwestern selbst davon überzeugen, wie unsere
liebe taubstummen Mädchen mehr vom Wirken im Umgang mit ihnen
lernen als von ihren erzieherischen mündlichen Belehrungen: sie
sollen die Gedanken der Gerechtigkeit, des Verdienstes, der Schuld,
der Verhältnismäßigkeit, der Strafe für eine
Schuld und den Lohn für eine Tugend lernen, usw. in allem, was
Moral und Recht betrifft.
Dafür sollen sie
bei ihrem Handelns bei den Taubstummen immer Vorbilder der
Gerechtigkeit und Billigkeit sein und immer aufbauend und nicht
zerstörerisch wirksam sein. …
Das
Präventivsystem behandelt den männlichen und weiblichen
Zögling so, dass der Erzieher oder die Erzieherin zu ihnen immer
mit der Sprache des Herzens spricht uns zwar in der Zeit, wo es um
Erziehung geht, und außerhalb dieser. Die Sprache
des Herzens ist der Schlüssel, der es erlaubt, in das Geheimnis
der kleinen Tauben einzutreten, um die Mauer, die sie von der äußeren
Welt trennt, niederzureißen. Das Herz sprechen zu lassen
bedeutet fähig zu werden, ihre Gewohnheiten zu entdecken, die
inner Bedeutung ihrer Gesten kennenzulernen, ihre kleinen und großen
ängste zu heilen; nur die Sprache des Herzens erlaubt es, ihnen
zu helfen ihre natürliches Misstrauen zu überwinden und
sie sich zum Vertrauen öffnen zu lassen und ihre soziale
Interaktion zu fördern.
[Angelo
Montonati: Due cuori una voce. Il beato Filippo Smaldone,
apostolo dei sordomuti, Edizioni 1997. Text: S. 58f; Zitate: S. 64f,
75; eigene Übersetzung]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 31.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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