Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist
eine der vier Kardinaltugenden
, die Bereitschaft, einem
jedem das Seine zu geben. Im christlichen Kontext gewinnt sie durch
den Gottes- bzw. Christusbezug jeweils neue Bedeutung.
1. Wesen der Gerechtigkeit
2. Bewertung
3. Gerechtigkeit als Gabe Gottes
4. Gerechtigkeit im Staat
1. Wesen der Gerechtigkeit
Die Gerechtigkeit gegenüber Gott und den Mitmenschen: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 163f).
Gerechtigkeit heißt Gott fürchten, den Mitmenschen als Bruder erkennen: Lactantius (BKV 195).
Gerechtigkeit bedeutet, anderen nichts tun, was man selbst nicht erleiden möchte: Lactantius (BKV 196f).
Inhalt und Notwendigkeit der Gerechtigkeit: Ambrosius von Mailand (BKV III 72 - 79).
Das Wesen der Gerechtigkeit, nach der wir hungern und dürsten sollen: Gregor von Nyssa (BKV 184 - 96).
Methodios I. von Konstantinopel († 847):
Die menschliche
Natur kann in der Seele die Gerechtigkeit nicht in ihrer Reinform
erkennen, da ihre Gedanken meist ein schlechtes Sehvermögen
haben.
Die Gerechtigkeit
ist, wie es scheint, quadratisch, [d. h.] auf allen Seiten gleich und
sich selber ähnlich.
Über den
Unterricht am Fest des HI. Engelbert I. von Köln setzte
Theodosius Florentini († 1865) den Titel Pflichten der
Gerechtigkeit
und schrieb:
Der heilige
Engelbert wurde Märtyrer, weil er die Gerechtigkeit liebte, weil
er das Recht jedes Einzelnen seiner Untertanen, wenn er auch arm war,
schützte, dagegen jede Rechtsverletzung unter seinen
Untergebenen, wenn auch von Gewalttätigen geschehen, ohne
Rücksicht bestrafte. Daraus sollen wir lernen, das Recht unserer
Mitmenschen hochzuachten und heilig zu halten und alle und jede
Verletzung desselben zu vermeiden; denn jeder Mensch ist Mensch wie
wir. … Jeder Mensch trägt in seiner vernünftigen Natur
die Anlage und den Beruf, Gottes Bild zu sein wie wir, hat denselben
Gott zum Vater wie wir. Daher:
Achte die
Menschenwürde in jedem Menschen und kränke kein Recht des
Menschen!
Verachte keinen
Menschen, sei er arm oder reich, tugendhaft oder lasterhaft, gescheit
oder dumm,
krüppelhaft oder wohlgestaltet, schön oder hässlich,
Herr oder Sklave.
Heilig und
unantastbar sei dir auch das Eigentum des Menschen.
Heilig und
unantastbar sei dir die Freiheit des Mitmenschen; enthalte dich also
jeder gewaltsamen, zwingenden Beschränkung seiner persönlichen
Freiheit.
Heilig und
unantastbar sei dir Denk-, Gewissens- und Religionsfreiheit des
Andern; d. h. dringe und zwinge dem Anderen nicht als Wahrheit, als
Pflicht, Gottesverehrung auf, was er nicht als Wahrheit, Pflicht,
Gottesverehrung erkennt; denn der Andere hat gleiche Rechte wie wir
und gleiche Pflicht, nach seiner besten überzeugung der
Erkenntnis der Wahrheit nachzustreben.
[Sr. Zoe Maria Isenring: P. Theodosius Florentini (1808 - 1865). Den
Strom nicht stauen, sondern ihm ein Bett anweisen
. Academic
Press Fribourg 2016]
2. Bewertung
Gerechtigkeit scheint töricht, ist aber wahre Weisheit: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 192f).
Nicht der Mensch, sondern Gott entscheidet über wahre Gerechtigkeit. Ambrosius von Mailand (BKV II 26 - 28).
Gerechtigkeit ohne Liebe ist Grausamkeit: Petrus „Chrysologus” (BKV 23).
Wer auf seine eigene Gerechtigkeit vertraut, dessen Mühe ist eitel: Makarius der Ägypter (BKV 187, 264).
Die eingebildete Gerechtigkeit des Hochmütigen: Augustinus von Hippo (BKV VI 184).
Petrus „Chrysologus” († 450):
Vor
Gott gilt keine Liebe ohne Gerechtigkeit und keine Gerechtigkeit ohne
Liebe.
[BKV 23]
Papst Gregor „der Große”
(† 604):
Vor der Sünde fürchte
Gottes Gerechtigkeit! Nach der Sünde hoffe auf Gottes
Barmherzigkeit!
Thomas von Aquin
(† 1274):
Gerechtigkeit ohne
Barmherzigkeit ist Grausamkeit; Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist
die Mutter der Auflösung.
(zu Matthäusevangelium 5, 2)
Magdalena Delbrêl
(† 1964):
Wenn die Güte
ihr nicht vorausgeht, ist die Gerechtigkeit ein trockenes Brot.
Die deutsche Schriftstellerin Gertrud von le
Fort († 1971):
Gerechtigkeit ist
nur in der Hölle; im Himmel ist Gnade, und auf Erden ist das
Kreuz.
3. Gerechtigkeit als Gabe Gottes
Rechtfertigung allein durch den Glauben an Christus: Basilius „der Große” (BKV II 334 - 338).
Gerechtigkeit nicht durch das Gesetz, sondern durch die Gnade Christi: Ambrosius von Mailand (BKV II 215 - 220).
Die Begriffe eigene
Gerechtigkeit
und Gerechtigkeit Gottes
:
Johannes „Chrysostomus” (BKV
VI 55 und öfter); Augustinus von Hippo
(BKV V 28f und öfter).
Die Gerechtigkeit auf Erden besteht mehr im Nachlass der Sünden als in der Vollkommenheit der Tugenden: Augustinus von Hippo (BKV III 258f).
Gottes Gerechtigkeit ist unverdiente Gnade: Augustinus von Hippo (BKV II 408).
Gerechtigkeit auf Erden heißt nach Gottes Gerechtigkeit hungern und dürsten, volle Gerechtigkeit gibt es nur in der Ewigkeit: Augustinus von Hippo (BKV IX 480).
4. Gerechtigkeit im Staat
Notwendigkeit der Gerechtigkeit im Staat: Augustinus von Hippo (BKV I 191f; III 244 - 246).
Clemens August
von Galen († 1946):
Die Gerechtigkeit
ist das einzig tragfeste Fundament aller Staatswesen! Das Recht auf
Leben, auf Unverletzlichkeit, auf Freiheit ist ein unentbehrlicher
Teil jeder sittlichen Gemeinschaftsordnung … Der Staat, der …
die Bestrafung Unschuldiger zulässt oder veranlasst, untergräbt
seine eigene Autorität und die Achtung vor seiner Hoheit in den
Gewissen der Staatsbürger.
(Predigt am 13. Juli 1941)
[http://archiv-galen.de/index.php/sein-leben-und-wirken/predigten-im-sommer-1941
- abgerufen am 1ß.08.2025]
Jerzy Popiełuszko
(† 1984):
Würde zu
bewahren, um das Gute zu mehren und über das Böse zu
siegen, das heißt, sich nach der Gerechtigkeit zu richten. Die
Gerechtigkeit resultiert aus der Wahrheit und Liebe. Sie muss im
Einklang mit der Liebe stehen, weil ohne die Liebe eine wahrhaftige
Gerechtigkeit nicht möglich ist. Wo die Liebe und die Güte
fehlen, dort schließt sich die Lücke mit Gewalt und Hass.
Wer sich nach Gewalt und Hass richtet, der kann nicht über
Gerechtigkeit reden. Ungerechtigkeit ist in den Ländern
sichtbar, in welchen sich die Regierung nicht der Liebe und der
Gerechtigkeit, sondern der Gewalt und der Unterdrückung bedient.
Für den Christen ist es sehr wichtig, sich bewusst zu werden,
dass die Quelle der Gerechtigkeit Gott selbst ist. Es ist schwer,
über die Gerechtigkeit dort zu reden, wo es keinen Platz für
Gott und seine Gebote gibt, wo das Wort Gott von Amts wegen aus dem
Leben des Volkes eliminiert ist.
[Jerzy Popiełuszko: An das Volk. Predigten und überlegungen 1982 - 1984,
hrsg. von Franciszek Blachnicki, übersetzt von Michael Kirch.
Düsseldorf 1985, S. 89 - 93]
zurück zur vorherigen Seite
Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 03.09.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet das Ökumenische Heiligenlexikon in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
https://d-nb.info/1175439177 und https://d-nb.info/969828497 abrufbar.