Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Gott suchen
Die Suche nach seinem Ursprung gehört zum Wesen des Menschen dazu.
1. Gott: Ziel des Lebens 2. Gottsuche 3. Vereinigung mit Gott 4. Gottvergessenheit
1. Augustinus von Hippo († 430): "Gott, Du hast uns hingeschaffen zu Dir, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir." [vgl. BKV VI 42f.]
Symeon der neue Theologe († 1022):
"Die Seele kann nicht leben, außer sie ist unaussprechbar und ohne Verwirrung vereinigt mit Gott, der in Wirklichkeit das ewige Leben ist (vgl. 1 Joh 5,20)."
Thomas von Kempen († 1471): "Alles ist auf Gott als unser letztes Ziel zu beziehen:
[Gott spricht:] 1. Mein Sohn, Ich muss dein höchstes und letztes Ziel sein, wenn du wahrhaft glücklich sein willst. Aufgrund dieser Absicht wird deine Gemütsverfassung gereinigt werden, die des öfteren in übler Weise auf sich selbst und auf die Geschöpfe hin gekrümmt ist. Denn wenn du dich in irgend etwas selbst suchst, fällst du sogleich in dich zurück und vertrocknest. Du sollst also alles von Anfang an auf Mich beziehen, weil Ich es bin, der Ich alles gegeben habe. Betrachte alles Einzelne so, wie wenn es aus dem höchsten Gut ausfließt, und darum ist alles auf Mich zu beziehen als seinem Ursprung.
2. Aus Mir schöpfen der Kleine und der Große, der Arme und der Reiche, wie aus einer lebendigen Quelle lebendiges Wasser; und die, die Mir freiwillig und aus freien Stücken dienen, werden Gnade für Gnade empfangen. Wer sich aber außerhalb von Mir rühmen oder sich an irgend einem eigenen Gut erfreuen will, der wird nicht in der wahren Freude gefestigt, sondern vielfach behindert und eingeengt werden. Du darfst dir also selbst nichts an Gutem zuschreiben auch nicht irgend einem Menschen Tugend zuweisen, sonder gib alles Gott, ohne den der Mensch nichts hat. Ich habe das Ganze gegeben, Ich will dich ganz haben, und mit großer Strenge verlange Ich nach Danksagung.
Das ist die Wahrheit, wodurch eitler Ruhm verbannt wird. Und wenn die göttliche Gnade und wahre Liebe Eingang gefunden hat, wird es keine Missgunst und keinen Kleinmut des Herzens mehr geben, auch Eigenliebe wird nicht mehr Besitzansprüche stellen. Die göttliche Liebe siegt nämlich über alles und weitet alle Kräfte der Seele. Wenn du recht weise bist, wirst du auf Mich allein hoffen; denn ‚keiner ist Gott, nur Gott allein‛, der über alles lobenswert ist und in allem zu preisen ist." [Die Nachfolge Christi, B. 3, c. 9]
Nach Contardo Ferrini († 1902) besitzt jeder Mensch eine naturreligiöse Anlage:
"Jedes vernunftbegabte Geschöpf versteht es, sich zum Unendlichen zu erheben. Oder vielmehr, es ist bereits etwas von Unendlichkeit in jedem vernünftigen Sein, ein Widerschein des strahlenden göttlichen Antlitzes. In diesem Gedanken, der der unsterblichen Seele entquillt und als freier Sohn des Geistes die Grenzen der Zeiten und des Raumes nicht kennt, werden vergangene Zeiten wieder lebendig und vermählen sich mit den Träumen der Zukunft: Und in der Tat wir beschränken unsere Rede hier auf den Menschen; es treten im Leben Augenblicke ein, wo die Berührung mit dem Unendlichen notwendig, unausweichlich wird, wo ein freiwilliger erhabener Aufschwung stattfindet: Jede Philosophie ist die Wissenschaft vom Unendlichen, oftmals zwar von der Kehrseite aufgefasst, niemals aber geleugnet: Jede Religion ist das natürliche Streben zum Unendlichen, tausende Male getäuscht, nimmermehr aufgegeben. Freilich hat unter allen Philosophien und unter allen Religionen einzig das Christentum, indem es die Wahrheit offenbart, zugleich das allumfassende Reich des Wahren und nicht minder die allgemeine Fähigkeit bewiesen, sich zum Unendlichen zu erheben."
[E. J. Görlich, Contardo Ferrini, Freiburg (Schweiz) usw. 1933, S. 46]
Columba Marmion († 1923):
"Wir müssen uns … bemühen, dahin zu gelangen, das wir alles nur zur Ehre Gottes tun, um ihm zu gefallen und ihm Freude zu bereiten, auf dass nach den Worten des Herrn ‚der Name des Vaters im Himmel geheiligt werde, dass sein Reich zu uns komme und sein Wille geschehe‛. Eine Seele, die solcherart ganz auf Gott gerichtet ist, wird immer mehr entflammt von Liebe; denn mit jedem Schritt dringt sie tiefer in die göttliche Liebe ein, weil sie nur aus Liebe handelt. Die Liebe wird dann zum Schwergewicht, das die Seele mit ständig wachsender Gewalt zur selbstlosen Treue im Dienst Gottes fortreißt." (vgl. Augustinus von Hippo, conf. 1,13,9) [Columba Marmion OSB, Christus das Leben der Seele, übertr. v. M. Benedicta v. Spiegel OSB, 4,5 1931, S. 268]
Gertrud von le Fort († 1971): "Die Grenze des Menschen ist das Einbruchstor Gottes."
2. Arsenius der Große († um 440): "Wenn wir Gott suchen, wird er sich uns zeigen. Und wenn wir ihn festhalten, wird er bei uns bleiben."
Benedikt von Nursia († 547 oder um 560):
"Man achte darauf, ob der Novize wirklich Gott sucht, ob er Eifer hat für den Gottesdienst, ob er bereit ist zu gehorchen und ob er fähig ist, Widerwärtiges zu ertragen."
Wilhelm von Saint-Thierry († 1148/9):
"Gott, keiner sucht dich, ohne dich zu finden,
denn die aufrichtige Suche im Herzen des Suchenden ist schon Beweis dafür,
dass er die Wahrheit bereits irgendwie gefunden hat.
Finde du uns, damit wir dich finden!
Komm du zu uns, damit wir bei dir seien und in dir leben,
denn es kommt nicht auf unser Wollen und Streben an, sondern auf dein Erbarmen.
Gieße uns als erstes deinen Geist ein, damit wir zum Glauben kommen;
stärke uns, damit wir hoffen;
Locke uns heraus und entzünde uns, damit wir lieben.
Lass uns ganz dein sein, damit uns das Geschenk zuteil wird, in dir zu sein,
in dem wir leben, uns bewegen und sind (Apostelgeschichte 17,28). Amen."
[Wilhelm von Saint-Thierry, über den Glauben, Zisterziensische Spiritualität für den Alltag, H. 7, 2008, S. 20]
Thomas von Celano († 1260):
"Die heilige Einfalt, die Tochter der Gnade, die Schwester der Weisheit, die Mutter der Gerechtigkeit, erstrebte der Heilige mit besonders regem Eifer bei sich und liebte sie an anderen. Doch nicht jede Art von Einfalt fand seinen Beifall, sondern nur jene, die, mit ihrem Gott zufrieden, alles übrige gering achtet. Diese ist es, die in der Furcht Gottes sich rühmt, die nicht versteht, Böses zu tun oder zu sagen. Diese ist es, die sich selber erforscht und mit ihrem Urteil niemanden verdammt, die dem Tüchtigeren die gebührende Herrschaft überlässt und für sich keine Herrschaft erstrebt. Diese ist es, die lieber handeln als lernen oder lehren will; die in allen göttlichen Gesetzen Winkelzüge mit viel Worten, Ausschmückung und Gepränge, Prahlereien und Spitzfindigkeiten denen überlässt, die dem Untergang geweiht sind; die nicht die Rinde, sondern das Mark, nicht die Schale, sondern den Kern, nicht vielerlei, sondern viel, die das höchste, dauernde Gut sucht." [Thomas von Celano, Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi, übersetzt von Engelbert Grau, K. 142, 41988, S. 385]
Berthold von Regensburg († 1272): "Unsere liebliche Stimme haben wir nicht von uns selbst. Wir haben sie von dem, der nach unserer Seele verlangt: Ich suche den liebenden Gott in allen bunten Blumen, in allen Geschöpfen und in allen Kräften der Wurzeln."
„Meister” Eckart († 1327/8): "Du brauchst Gott weder hier noch dort zu suchen; er ist nicht weiter als vor der Tür des Herzens. Dort steht er und harrt und wartet."
Teresa von Avila († 1582):
"Gott ist so groß, dass es wohl wert ist, ihn ein Leben lang zu suchen."
Mary Ward († 1645): "Wo Gott aufrichtig gesucht wird, ist der Weg zu ihm immer offen."
Rafael Arnáiz Barón (†1938):
"Wie deutlich erkennt man schließlich, dass es in der totalen Einsamkeit ist, in der man Gott wirklich findet! Wie groß ist Seine Barmherzigkeit, wenn sie, indem sie uns über alles Geschaffene hinwegblicken lässt, uns in diese unendlich weite Ebene versetzt, wo es weder Steine noch Bäume, weder Himmel noch Sterne gibt, in diese Ebene, die kein Ende hat, wo es keine Farben gibt, wo nicht einmal Menschen anzutreffen sind, wo nichts ist, was die Seele von Gott ablenken könnte!" (11.12.1936) [Rafael Arnáiz Barón. Mystiker und Mönch, Nur Gast auf Erden? übers. a. d. Span. Ingrid Mohr, Langwaden, Grevenbroich 1996, S. 416]
3. Paulinus von Aquila († 802): "Wenn wir in dieser Welt etwas gern besitzen wollen, dann wollen wir in innerer Bereitschaft Gott besitzen, der alles besitzt, und lasst uns in ihm alles haben, was wir in innerem Glück und Heiligkeit ersehnen! Aber weil niemand Gott besitzt, wenn er nicht seinerseits im Besitz Gottes ist, lasst uns zum Besitztum Gottes werden, dann wird auch uns Gott als Besitz zuteil."
Heinrich Seuse († 1366):
"Bleibe bei nichts, was nicht Gott ist."
"Gott will uns nicht der Lust berauben, er will uns Lust geben in Unendlichkeit."
"Je besser man
Dich kennt, desto lieber gewinnt man Dich,
je vertrauter man mit
Dir ist, desto liebevoller erweist du Dich;
ach, was bist Du doch
ein unergründliches, vollkommenes lauteres Gut."
3. Teresa von Avila († 1582):
Nichts verwirre
dich, nichts erschrecke dich,
alles vergeht. Gott ändert sich
nicht. Die Geduld erreicht alles.
Wer sich an Gott hält, dem fehlt nichts. Gott allein genügt.”
Claudius de la Colombière († 1682):
"Will man viel für Gott tun, muss man ihm ganz gehören."
Bruder Lorenz († 1691): "Um zu Gott zu kommen, braucht man weder Klugheit noch Wissenschaft, sondern nur ein Herz, das entschlossen ist, sich um nichts zu kümmern als um ihn und nichts zu lieben außer ihm."
Jeanne Marie Guyon du Chesnoy († 1717)empfiehlt, sich von Gott ziehen lassen:
"Wendet euch von Grund auf Gott zu, von dem ihr euch so weit abgewendet habt" (Jes 31,6). Die Umkehr ist nichts anderes als sich vom Geschaffenen abwenden, um zu Gott zurückzukehren. Die Umkehr ist nicht vollendet (auch wenn sie für das Heil gut und notwendig ist), wenn sie sich nur von der Sünde zur Gnade vollzieht. Um vollständig zu sein, muss sie sich auch vollziehen vom äußeren zum Inneren.
Die Seele, die sich Gott zugewandt hat, gewinnt eine große Leichtigkeit, Gott zugewandt zu bleiben. Je mehr sie Gott zugewandt bleibt, desto mehr nähert sie sich Gott und bindet sich an ihn. Und je mehr sie sich Gott nähert, desto mehr entfernt sie sich notwendigerweise von dem Geschaffenen, das Gott entgegengesetzt ist. Sie gewinnt in ihrer Umkehr eine solche Stärke, dass ihr diese Ausrichtung gewohnt und gleichsam ganz natürlich wird. Man muss nun wissen, dass dies nicht durch eine gewaltsame übung des Geschöpfes geschieht. Die einzige übung, die es mit Hilfe der Gnade machen kann und soll, liegt in der Bemühung, sich ins Innere zu wenden und sich darin zu sammeln. Danach ist nichts mehr zu tun, als Gott in ständigem Anhangen zugewandt zu bleiben. Gott hat eine Anziehungskraft, die die Seele immer stärker zu ihm hindrängt. Indem er sie zu sich zieht, reinigt er sie. Es ist so, wie man es bei der Sonne sieht, die dicke Nebelschwaden an sich zieht und sie nach und nach, je näher sie ihr kommen, läutert und löst, ohne dass von deren Seite eine andere Anstrengung nötig wäre, als sich ziehen zu lassen. Der Unterschied dabei ist, dass der Nebel nicht aus freiem Entschluss der Anziehung folgt, wie es die Seele tut. Dieser Weg, sich ins Innere zu wenden, ist nicht schwer und lässt die Seele ohne Anstrengung und ganz natürlich Fortschritte machen, weil Gott unsere Mitte ist. Die Mitte hat immer eine starke Anziehungskraft. Je höher und je geisterfüllter die Mitte ist, desto stärker und mitreißender, ja unwiderstehlich ist ihr Ziehen."
[Ulrike Voigt (Hg.), Du rührst die Saiten meiner Seele. Die großen Mystikerinnen vom Mittelalter bis heute. Präsenz Kunst Buch, Hünfelden 2010, S. 139-46]
Pierre Chanel († 1841):
"Wir müssen Gott dienen, weil er uns geschaffen, erlöst und geheiligt hat … Ihr jungen Kinder, ich wende mich an euch, sagt mir: Wer hat euch das Dasein geschenkt? Wer hat bewirkt, dass ihr, die ihr nicht wart, zu existieren begannt? Ihr antwortet mir alle mit eben solcher Wahrheit wie Treuherzigkeit, dass es Gott ist, das souveräne Sein und der Schöpfer aller Dinge: Er hat uns geschaffen und nicht wir uns selbst. Ich fahre fort und frage euch: Warum hat er euch dieses Dasein geschenkt? Ihr antwortet mir nochmals: um in zu lieben und ihm zu dienen. Ja, meine lieben Brüder, um ihm zu dienen, und - die Schöpfung vorausgesetzt - Gott kann uns zu keinem anderen Zweck das Dasein geben, denn er selbst ist das Ziel von allem wie auch der Ursprung."
[écrits du Père Pierre Chanel, ét., prés. et annotés par C. Rozier, Paris 1960, S. 78-81; eigene Übersetzung]
Paul Joseph Nardini († 1862): "Gott ist der Mittelpunkt, das Fundament aller Dinge."
4. Nach Pambo († 386 ?)kann auch Weltliches kann zum Spiegel für geistliches Tun werden: "Athanasios von Alexandria, der Erzbischof von Alexandrien heiligen Angedenkens, lud den Altvater Pambo ein, aus der Wüste nach Alexandrien zu kommen. Er kam und sah dort eine Schauspielerin und brach in Tränen aus. Die Anwesenden fragten ihn, warum er weine. ‚Zwei Dinge‛, sagte er, ‚haben mich bewegt: das erste ist ihr Verderben, das zweite, dass ich nicht so großen Eifer entfalte, Gott zu gefallen, wie sie, schlechten Menschen zu gefallen.‛"
[Weisung der Väter, übersetzt von Bonifaz Miller, Sophia / Quellen östlicher Theologie Bd. 6. Lambertus-Verlag Freiburg i. B. 1965, Nr. 765, S. 249]
Gregors von Nyssa († nach 394)Klage über die "Gottvergessenheit" mutet modern an:
"Klar sehe ich nämlich, dass heutzutage allem Möglichen mit größtem Eifer nachgegangen wird, indem der eine sein Herz an dieses, der andere an jenes hängt; das kostbare Gut des Gebets aber lassen sich die Menschen nicht angelegen sein. In aller Frühe eilt der Kaufmann an sein Geschäft, eifersüchtig bemüht, eher als seine Gewerbsgenossen seine Waren den Käufern anzubieten, um deren Wünsche zuerst zu befriedigen und die Waren schnell anzubringen … Und weil alle die gleiche Gewinnsucht haben, und jeder dem anderen zuvorkommen will, so wird vor lauter Geschäftseifer die Zeit, welche dem Gebete gewidmet werden sollte, in missbräuchlicher Weise auf Handel und Verdienst verwendet. So macht es der Handwerker, so der Gelehrte, so der Prozessführende, so der Richter: Jeder verlegt sich ganz und gar auf Geschäft und Beruf; der Gebetsdienst aber wird völlig vergessen, in dem Wahn, die Zeit, welche man auf den Umgang mit Gott verwendet, bedeute einen Schaden für unsere irdischen Obliegenheiten … In gleicher Weise verdrängen auch die übrigen Berufe die Beschäftigung der Seele mit den höheren und himmlischen Dingen durch die Sorge um die leiblichen und irdischen. Infolgedessen ist die Sünde so mannigfach im Leben verbreitet, nimmt stets wachsend immer größeren Umfang an und dringt immer mehr in das Tun und Lassen der Menschen ein, weil allenthalben Gottvergessenheit herrscht und die Menschen den Segen des Gebetes nicht an ihre Beschäftigungen knüpfen wollen."
[Gregor von Nyssa, Das Gebet des Herrn, 1. Rede, BKV S. 89f.]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 06.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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