Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Gottes Wesen und Eigenschaften
Aus dem Judentum erwachsen teilen die Christen mit den Juden den Glauben an die Einzigkeit (vgl. 2. Mose 20, 3; 5. Mose 4, 39) und Transzendenz (vgl. 2. Mose 20, 4f.), d. h. alle menschlichen Vorstellungen übersteigende Sein Gottes. Das Unterscheidende ist der Glaube an die Gottessohnschaft Jesu Christi und der daraus sich entwickelnde Glauben an die Dreifaltigkeit (Trinität) Gottes.
Das Bewusstsein, dass Gott in seinem So- und Dasein für den Menschen nicht fassbar ist, gilt auch in Bezug auf Wesen und Eigenschaften Gottes. Dessen sind sich die geistlichen Schriftsteller aller Zeiten bewusst.
1. Das Problem, Wesen und Eigenschaften Gottes zu benennen
2. positive Aussagen
1. Das Problem, Wesen und Eigenschaften Gottes zu benennen
G. hat keine menschlichen Eigenschaften: u. a. Athanasios von Alexandria (BKV I, 49.51. u. ö.).
Gott ist mehr durch Glauben als durch Vernunft zu erfassen: Hieronymus (BKV242).
Die verneinenden Aussagen über Gottes Wesen sind wahr, die bejahenden unzutreffend: (BKV 10f.).
Clemens von Alexandria († 215 ?) kritisiert die
Gottesvorstellungen der meisten Menschen, die sich ein sehr
menschliches (anthropomorphes) Bild von Gott machen: Die
meisten Menschen verkriechen sich in das Irdische wie die Schnecken
in ihr Haus und rollen sich um ihre eigene Zuchtlosigkeit zu einer
Kugel zusammen wie die Igel und haben von dem seligen und
unvergänglichen Gott die gleiche Vorstellung wie von sich
selbst.
(strom 5, c. 11)
Johann Michael Sailer († 1832):
Kein menschliches Forschen kann das Wesen Gottes in seiner ganzen Fülle
enthüllen.
2. positive Aussagen
Gott ist Liebe, Schönheit, Geist, Kraft, Wort. Apologeten (BKVI, 292).
G. ist einfach, nicht zusammengesetzt, ganz Verstand, ganz Geist, ganz Empfinden, ganz Vorstellung, ganz Licht, ganz Quelle aller Güter: Irenäus von Lyon (BKV I, 125.128.180f.).
Bei G. Großtaten
wirken alle seine Eigenschaften untrennbar zusammen: Gregor von Nyssa:
(BKV 42f.). G. selbst ist das unendliche,
unbegreifliche Gut, die unaussprechliche Schönheit, die lautere
Anmut, Weisheit und Kraft
(ders., BKV 155f), Reinheit, Freiheit
von Leidenschaften, Abwesenheit von jeder Sünde (ders., BKV
215).
G. hat nicht Vollkommenheiten, sie sind sein Wesen: Augustinus von Hippo (BKVV 179-82 u. ö.).
G. ist über allem
Seienden und über dem Sein selbst: Johannes von Damaskus (BKV
8), er ist überwesentlich, allüberragend,
übergöttlich, übergut, übervollkommen
(ders., BKV 14).
Um aber an Gott glauben zu können, müssen wir Menschen uns doch Vorstellungen von ihm machen:
Nach Maximus „dem Bekenner” († 662) können wir zwar nicht das
Wesen Gottes an sich erkennen, wohl aber von den Wirkungen seines
Handelns auf verschiedene seiner Eigenschaften schließen: Wir
erkennen Gott nicht aus seinem Wesen, sondern aus der Erhabenheit
seines Wirkens und durch seine Vorsehung in dem, was ist; denn
dadurch erkennen wir wie durch Spiegel seine grenzenlose Güte,
Weisheit und Macht.
[aus:
Maximi abbatis capita de charitate, MPG 90, Sp. 960-1080]
Johannes Duns Skotus († 1308) wählt einen philosophischen
Ansatz als Zugang zu Gott. Er orientiert sich dabei vor allem an
Aristoteles (384-322 v. Chr.): Du bist der erste Wirkende,
du das letzte Ziel, du der Höchste an Vollkommenheit, der alles
übersteigt. Du bist ganz ohne Ursache, darum unerzeugbar und
unvernichtbar, du kannst unmöglich nicht sein, da notwendig aus
dir alles kommt. Darum bist du ewig, ohne Ende, alles zugleich und
ohne Aufeinanderfolge besitzend. … Gott, du bist einer der
Natur, einer der Zahl nach. Mit Recht hast du gesagt, dass außer
dir kein Gott ist. Denn mag es viele Götter dem Namen und der
Meinung nach geben, so gibt es doch nur einen der Zahl nach, den
wahren Gott, aus dem, in dem und durch den alles ist. Du bist
gepriesen in alle Ewigkeit. Amen.
[aus:
Abhandlung über das Erste Prinzip]
Verbindliches von Gott können wir nur wissen, insoweit er sich selbst offenbart. Privatoffenbarungen an Heilige sind zwar nicht verbindliches Glaubensgut, aber doch bedenkenswert.
Birgitta von Schweden († 1373)
hatte viele Auditionen, in denen
Gott oder Christus zu ihr sprach. Eine dieser inneren Ansprachen
betrifft die Eigenschaften Gottes:
Ich bin wie ein großer mächtiger
König. Einem solchen ziemen vier Eigenschaften: Zum Ersten muss
er reich sein, zum Zweiten milde, zum Dritten weise, zum Vierten
liebreich. Ich bin nun wahrhaftig der König der Engel und der
gesamten Menschheit und besitze jene vier Eigenschaften, die Ich
erwähnt habe:
Fürs Erste bin Ich
überaus reich und gebe allem das Notwendige und habe dann, wenn
Ich gegeben habe, nicht weniger.
Zweitens bin Ich höchst
milde, denn Ich bin bereit, allen Bittenden zu geben.
Zum Dritten bin Ich
deshalb höchst weise, weil Ich weiß, was jeder nötig
hat und braucht.
Viertens bin Ich
überaus liebreich, weil Ich alles noch viel bereitwilliger gebe,
als man von Mir erbitten kann.
Gott sagte eines Tages
zu Birgitta: Ich bin der Schöpfer des Himmels und der
Erde und habe besonders drei Eigenschaften: Ich bin der Mächtigste,
der Weiseste und der Vollkommenste:
Ich bin so mächtig,
dass Mich auch die Engel im Himmel verehren, die Dämonen aber
nicht wagen, Mich anzusehen. Alle Elemente sind Meines Winkes
gewärtig.
Ich bin desgleichen so
weise, dass niemand Meine Weisheit zu erforschen imstande ist, und
bin dabei so wissend, dass Ich gar alles weiß, was war und was
ist und was werden wird. Ich bin dabei aber auch so vernunftvoll,
dass auch nicht das Geringste - und wäre es auch nur ein Wurm
oder ein anderes scheinbar missgestaltetes Tier - sinnlos und
grundlos von Mir erschaffen worden ist.
Ich bin schließlich
auch so unendlich vollkommen, dass aus Mir wie aus der vollkommensten
Quelle alles Vollkommene und Gute hervorströmt, ähnlich wie
aus einem überaus guten Weinstock nur edelster Wein hervorgeht.
Aus diesen Meinen drei
Eigenschaften folgt, dass niemand mächtig, weise und vollkommen
sein kann ohne Mich.
[F.
Holböck, Gottes Nordlicht, Stein a. Rh. 21988,
S. 107-09]
Alfons Rodríguez († 1617) berichtet in seinem Tagebuch aus dem Jahr 1608 von der gnadenhaften Erkenntnis der Eigenschaften Gottes, die ihm zuteil wurde:
Dem Betreffenden
gab Gott während seines Gebetes eine klare Erkenntnis über
seine Größe, und zwar ohne Anstrengung des Nachdenkens.
Das eigene Nachdenken nämlich bringt nur eine sehr geringe
Gotteserkenntnis. Sie ist mit einem kleinen Lichtlein zu vergleichen.
Wenn aber Gott von sich aus der Seele, ohne dass sie mühsam
nachdenken muss, göttliche Erkenntnisse schenkt, dann ist der
Unterschied so groß wie zwischen Kerzengeflimmer und
Sonnenlicht. Das göttliche Licht strahlte so hell in die Seele
des Betreffenden, dass er fünf Eigenschaften Gottes erkannte und
in ihrem Lichte sich selbst.
(1.) Das unendliche Sein Gottes
Gottes Sein ist
unendlich und unbegreifbar, es erfüllt Himmel und Erde. Gottes
Sein ist unbegrenzt und ungeschaffen; es ist unendlich. Kein Geschöpf
im Himmel oder auf Erden kann deshalb existieren, ohne von Gott das
Sein empfangen zu haben, und wenn er es gibt, kann es doch nicht ohne
ihn in seiner Existenz bleiben.
(2.) Gott das höchste Gut
Die Erkenntnis der
unendlichen Güte und Heiligkeit Gottes lehrt den Menschen, dass
nur in Gott wahre Güte und Heiligkeit sein kann. In Gott ist die
Fülle der Güte und Heiligkeit und jegliches Gut. In der
Seele kann nichts Gutes sein, wenn Gott es nicht gibt. Gott wird
deshalb das unendliche Gut genannt, weil er es wirklich ist; und weil
er es ist, kann kein Geschöpf im Himmel und auf Erden von sich
aus mehr Sein haben, als Gott ihm mitgeteilt hat.
(3.) Die unendliche Allmacht Gottes
Wenn Gott der Seele die
Erkenntnis seiner unendlichen Allmacht gibt, dann ist das etwas
Großes. In diesem Lichte erkennt sie vollkommen klar, dass
weder sie noch ihr Leib irgendeine Macht hat als die, (nach dem
Willen Gottes) das zu sein, was sie ist, wenn man dieses armselige
Häufchen Sein als Macht bezeichnen will. Keine Hand kann es ja
bewegen, keinen Schritt tun, kein Wort sprechen. Wir bezeichnen
Gottes Allmacht als unendlich, weil sie es wirklich ist. Weil sie es
aber wirklich ist, so kann es weder im Himmel noch auf Erden in
irgendeinem Geschöpf eine Macht geben, die nicht von Gott
stammt.
(4.) Die unendliche Weisheit Gottes
Herrliches Licht
schenkt Gott der Seele, wenn sie erkennt, dass Gott die unendliche
Weisheit ist und es in keinem Geschöpf Weisheit gibt, die nicht
von Gott stammt. Wenn also eine menschliche Seele himmlische Weisheit
erhalten hat, so hat nur Gott sie ihr gegeben.
(5.) Der unendliche Reichtum Gottes
Wenn Gott der Seele
ohne mühselige Gedankenarbeit die Erkenntnis schenkt, dass er
als Gott der Herr unendlicher Vollkommenheit ist und einen
unbegrenzten Reichtum besitzt, und dass alles, im Himmel und auf
Erden, sein ist, dann wird sie von strahlendem Licht erhellt. Es wird
ihr dann auf einmal klar, dass Gott unendlich reich ist und alles,
was ein Gut bedeutet, in unendlicher Fülle sein eigen nennt.
Nichts kann die Seele als ihr eigen betrachten, weder ein
körperliches noch ein geistiges Gut, das nicht von Gott stammt.
Alles kommt von oben, und die geringste. Tugend muss sich auf Gott
beziehen.
[Der heilige Alfons Rodríguez (1531 - 1617) / Aufzeichnungen des Heiligen über seine mystischen Gebetserfahrungen, übersetzt von M. Dietz, in: Geist und Leben 30 (1957) 421 - 23]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 07.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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