Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Begriffe und Bilder
Das deutsche Wort
Kirche
leitet sich ab von kyriaké ekklesía
und bedeutet Herrengemeinde. In der Anfangszeit, z. B. bei Paulus,
wird damit nur die Einzelgemeinde bezeichnet (vgl. Matthäusevangelium 18, 17), erst
später auch die Gesamtheit der Gemeinden (vgl. Matthäusevangelium 16, 18). Um das
Wesen der Kirche zu beschreiben, werden im Laufe der
Kirchengeschichte verschiedene Bilder verwendet. Einige davon werden
im Folgenden aufgeführt.
1. Aussagen über die Kirche
2. Bilder für die Kirche:
2.1 Kirche als Feld
2.2 Kirche als Haus Gottes
2.3 Kirche als Leib Christi
2.4 Kirche als Mond
2.5 Kirche als Schiff
2.6 Weitere Bilder
1. Aussagen über die Kirche
Irenäus von Lyon
(† um 202):
Wo die Kirche,
da ist auch der Geist Gottes; und wo der Geist Gottes, dort ist die
Kirche und alle Gnade; der Geist aber ist Wahrheit.
[adv. haer. 3,24,1]
Irenäus
wendet sich gegen gnostische Irrlehrer und stellt fest, dass der Ort
der wahren Gnosis (Erkenntnis) die in der apostolischen Tradition
stehende Kirche ist:
Die
wahre Gnosis ist die Lehre der Apostel und das alte Lehrgebäude
der Kirche auf der ganzen Welt und das Gepräge des Leibes
Christi gemäß der Nachfolge der Bischöfe, denen die
Apostel die Kirche an jedem Ort übergeben haben. Hier sind die
Schriften in treuer überlieferung bewahrt; nichts ist
hinzugetan, nichts ist fortgenommen. Hier werden sie unverfälscht
verlesen und gemäß den Schriften rechtmäßig,
sorgfältig, gefahrlos und ohne Gotteslästerung erklärt.
Hier ist vor allem das Geschenk der Liebe, das kostbarer ist als
[jede] Beweisführung, ruhmvoller als die Prophetengabe und alle
übrigen Charismen überragt.
Irenäus
betont auch den Vorrang der von den Aposteln Petrus und
Paulus
begründeten römischen Kirche:Mit der römischen
Kirche nämlich muss wegen ihres besonderen Vorranges jede Kirche
übereinstimmen, d. h. die Gläubigen von allen Orten, denn
in ihr ist von denen, die von allen Orten kommen, immer die
apostolische Tradition bewahrt worden.
[adv. haer. 4,33,8: MPG 7, Sp. 1077 f.; BKV II 4, S. 431 b und
adv. haer. 3,3,2: MPG 7, Sp. 849; BKV II 4, S. 211f. b]
Cyprian von Karthago († 258):
Gott kann der
nicht mehr zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat.
[über
die Einheit der katholischen Kirche I, 6]
Außerhalb
der Kirche kein Heil.
[73.
Br., 21]
Alfred Delp (†
1945): Die Kirche muss sich selbst viel mehr als
Sakrament, als Weg und Mittel begreifen, nicht als Ziel und Ende.
Der deutsch-italienische Priester, Jugendseelsorger, Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini
(† 1968):
Die Kirche ist das Kreuz, auf dem
Christus gekreuzigt wurde. Man kann Christus nicht von seinem Kreuz
trennen und muss in einem Zustand ständiger Ungenügendheit
mit der Kirche leben.
Bilder für die Kirche
2.1 Kirche als Feld
Maria Bernarda Bütler († 1924)
sieht in einer inneren Schau die Kirche als großes,
weites und langes Feld:
Es standen Bäume
darin, grün und fruchtbeladen. Sie waren an verschiedenen Orten
gepflanzt; die einen waren groß, sehr groß über die
anderen hinragend, mit erstaunlich herrlichen Früchten. Andere
Bäume waren weniger stark gewachsen, doch alle trugen gute
Früchte.
Zwei Dinge schienen mir
wunderbar; das erste war dies: Ich sah, dass gar alle diese Bäume
ein und dieselbe Wurzelart hatten, ebenso dieselben Säfte; bei
den herrlichen Bäumen flossen diese Säfte nicht tropfweise
in Wurzel, Stamm, äste und Zweige, sondern gar reichlich wie
durch eine Flussader, bei den geringeren mehr tropfweise. Obschon in
Wurzel, Stamm und Säften der Art nach alles von derselben
Lebenskraft war, so waren doch die Fruchtarten erstaunlich
verschieden.
Das zweite allen ganz
Einheitliche war dies: Alle, vom kleinsten bis zum größten
Baum, ragten mit ihren Gipfeln gerade aufrecht zum Himmel empor. Auf
dem Felde dieser Bäume wuchsen kräftige Weinreben und
Saatgefilde mit herrlichen ähren. Allerorts wuchsen auch schöne
Kräuter, doch mit etwas bitterem Geschmack, aber sehr kräftig;
und wieder daneben standen kleine Bäumchen … mit Früchten
behangen süßer als Honig. Doch reichlicher in Menge als
diese waren die Bitterkräuter. Aus dem Saft der Trauben von den
Reben, aus den Körnern der ähren und von den Bitterkräutern
und den süßen Früchtlein zogen die Bäume alle
ihre Lebenskraft - die einen in Fülle, andere etwas weniger,
doch alle, ohne Ausnahme, so viel, dass sie Früchte brachten und
ausreiften.
Maria Bernarda Bütler gibt selbst eine
Erklärung, was dieses Bild bedeutet:
Dieses Feld ist
das Feld der heiligen Mutter Kirche … Die Bäume sind die
Katholiken jeglichen Alters und Standes … Alle bringen in
Mitwirkung mit der Gnade Früchte hervor, Früchte des ewigen
Lebens … Diese kraft-, lebensvolle und lebenserzeugende Wurzel ist
der heilige Glaube, … die reichlich fließende Ader bei den
großen Bäumen [ver]sinnbildet die Kraft, den Mut und die
Treue, womit eifrige Seelen mit den Gnaden so kräftig mitwirken,
sodass sie zu wahrer, voller Heiligkeit gelangen. Doch auch die noch
weniger starken Seelen, die etwas kleineren, schwächeren Bäume,
gelangen doch nach und nach auch zu einem kräftigeren
Tugendstreben, weil auch sie auf dem Glauben ihr Tugendgebäude
ansetzen.
Dass alle Gipfel der
kleineren wie der großen Bäume gleicherweise gerade,
aufwärts gegen den Himmel gerichtet sind, [ver]sinnbildet, dass
alle, groß und klein - von der Gnade erleuchtet und immer
gedrängt -, ihr geistiges Auge, Sinnen und Streben, zum einzigen
und höchsten Endziele, zu Gott, ihrem Schöpfer,
emporgerichtet sind. Traubensaft und ährenkörner als
allerkräftigster Trank und voll sättigende Nahrung liegen
in der heiligen Kommunion, in der gläubige Seelen wahrhaft
himmlische Kräfte gewinnen, um von Tugend zu Tugend
emporzusteigen und herrliche Siege über Welt, Satan und sich
selbst zu erringen.
Die Bitterkräuter
sind die vielfältigen Leiden, Versuchungen, Widerwärtigkeiten … Die mehr honigsüßen Beeren sind die geistigen
Tröstungen.
Die Frucht dieses
Bildes: … dass wir immer stärker werden im Glauben … Auch
sollen wir eine große, alle umfassende Liebe daraus ziehen für
uns untereinander. Auf ein und demselben Boden der heiligen Mutter
Kirche sind wir gepflanzt, dieselben himmlischen Säfte
durchdringen unsere Seelen; muss nicht ein und dasselbe Ziel uns
emporführen zur himmlischen Heimat? Muss nicht eine zarte und
wohlwollende Liebe in Gott uns eng, einheitlich verbinden? In diesem
Himmelsgarten der heiligen Mutter Kirche darf kein Baum so allein für
sich dastehen, alle müssen wir Früchte bringen, wenn auch
verschiedener Art, und alle Früchte muss dieselbe Sonne
zeitigen, die wärmende und leuchtende Sonne der gegenseitigen
Liebe.
[Agnes Juen, Von
Gottes Nähe ergriffen / Maria Bernardas spirituelle Erfahrungen
in Bildern. Tyrolia-Verlag Innsbruck/Wien 1996, S. 108 - 12]
2.2 Kirche als Haus Gottes
Quodvultdeus von Karthago
(† 454):
Ihr sollt wissen,
dass das Glaubensbekenntnis, das ihr empfangen und eurem Gedächtnis
eingeprägt habt, zu eurem Heil festhaltet, das Fundament des
katholischen Glaubens ist, über dem das Gebäude der Kirche
entstanden ist, errichtet von den Händen der Apostel und
Propheten. Das Gebäude ist nämlich das Haus Gottes, es ist
aus lebendigen Steinen gebildet und das seid ihr.
[de
symbolo: MPL 40, Sp. 651f.; eigene Übersetzung]
2.3 Kirche als Leib Christi
Nach Gregor Sinaites († 1346)kommt es vor allem darauf
an, ein lebendiges Glied am Leib Christi zu sein:
Leib Christi sind wir,
spricht der göttliche Apostel, und wir
sind jeweils seine Glieder. Und wiederum: Ein Leib und ein
Geist seid ihr, wie ihr auch berufen wurdet.
Wie nämlich
der Leib ohne Geist tot und empfindungslos ist, so wird, wer nach der
Taufe infolge der Vernachlässigung der Gebote durch die
Leidenschaften ertötet wurde, unwirksam und unerleuchtet vom
Heiligen Geist und der Gnade Christi. Denn er besitzt zwar den Geist
durch den Glauben und die Wiedergeburt, doch ist er unwirksam und
unbeweglich infolge des Erstorbenseins der Seele. Obwohl nämlich
die Seele eine einzige, die Glieder des Leibes aber viele sind,
beherrscht, belebt und bewegt sie all jene, die empfänglich für
das Leben sind. Jene Glieder jedoch, welche aufgrund einer etwa
aufgetretenen Krankheit erkaltet sind, trägt sie zwar als tot
und unbeweglich in sich, doch sind sie leblos und ohne Empfindung.
Genauso wirkt der Geist Christi ganz in allen Gliedern Christi
unvermischt und belebt jene, die am Leben teilhaben können; doch
auch jene, die krank sind und darum nicht daran teilnehmen, umfängt
er in seiner Menschenliebe als die seinen. Darum hat zwar auch jeder
Gläubige durch den Glauben an der Annahme an Sohnes Statt,
welche durch den (Heiligen) Geist geschieht, Anteil, doch wird er
unwirksam und unerleuchtet durch die Nachlässigkeit und den
Unglauben, weil ihm das Licht und das Leben Jesu abgeht. Darum ist
zwar jeder Gläubige Glied Christi und Besitzer der Geistes; doch
unwirksam und unbeweglich sowie nicht empfänglich für die
Teilnahme an der Gnade.
[Gregorios
der Sinaite, Sehr nützliche Kapitel, welche ein Akrostichon
bilden, in: Philokalie Bd. 4, Verlag Der Christliche Osten
.
Würzburg 22007, Nr. 129]
Aus der Schrift von
Johannes Eudes († 1680) Über
das bewundernswerte Herz Jesu
:
Ich bitte dich,
denk daran, dass unser Herr Jesus Christus dein Haupt ist und dass du
eines seiner Glieder bist. Er ist für dich, was das Haupt für
die Glieder bedeutet: Alles, was sein ist, ist auch dein: Geist,
Herz, Leib, Seele und alle Fähigkeiten. Du sollst sie
gebrauchen, als gehörten sie dir, um ihm zu dienen, ihn zu
loben, zu lieben und zu verherrlichen. Du bist für ihn, was ein
Glied für das Haupt ist. Darum wünscht er dringend, alle
deine Fähigkeiten, als seien es die seinen, in Dienst zu nehmen,
um dem Vater zu dienen und ihn zu verherrlichen.
Doch er gehört dir
nicht nur, er will auch in dir sein, in dir leben und herrschen, wie
das Haupt in seinen Gliedern lebt und herrscht. Er will, dass alles,
was in ihm ist, in dir lebt und herrscht: sein Geist in deinem Geist,
sein Herz in deinem Herzen, alle Fähigkeiten seiner Seele in den
Fähigkeiten deiner Seele, damit sich an dir das Wort erfüllt:
Verherrlicht Gott und tragt ihn in eurem Leib, damit das Leben
Jesu an euch sichtbar wird
(vgl. 1. Korintherbrief 6, 20). Auch du, du
gehörst dem Sohn Gottes nicht nur, sondern du sollst in ihm
sein, wie Glieder mit dem Haupt verbunden sind. Alles, was in dir
ist, soll in ihn eingefügt werden; du sollst dein Leben von ihm
entgegennehmen und von ihm regieren lassen. Wahres Leben findest du
nur in ihm, der für alle der Quell wahren Lebens ist, außerhalb
von ihm nur Tod und Verderben. Das sei dein einziger Grundsatz für
alles, was du empfindest, für alles, was du tust, und für
die Kräfte deiner Seele. Von ihm und für ihn sollst du
leben und das Wort erfüllen: Keiner von uns lebt sich
selber, und keiner stirbt sich selber: leben wir, so leben wir dem
Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob
wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben
und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende
(Römerbrief 14,7 - 9). Sei eins mit Jesus wie die Glieder mit dem Haupt.
Darum musst du einen Geist mit ihm haben, eine Seele, ein Leben,
einen Willen, eine Absicht, ein Herz. Er muss dein Geist sein, dein
Herz, deine Liebe, dein Leben und alles, was dein ist. Diese großen
Dinge haben für den, der an Christus glaubt, ihren Ursprung in
der Taufe, sie werden gemehrt und gefestigt durch die Firmung und den
guten Gebrauch, den er von den übrigen Gnadengaben macht. Sie
werden ihm von Gott mitgegeben und durch die Eucharistie aufs höchste
vollendet.
[Johannes Eudes, Tractatus, Lib. 1,5, Œuvres
complètes, Hg. Le Brun/Dauphin, Bd. 6, Paris 1907, 107. 113ff,
zit. n. Monastisches Lektionar zum 19.8.]
Wilhelm-Joseph Chaminade
(† 1850) greift für die
christliche Gemeinde im allgemeinen und die von ihm gegründeten
Gemeinschaften das Bild vom mystischen Leib Christi auf. Leib Christi
sein hat für uns Christen Konsequenzen:
1. die Einheit
von Haupt und Gliedern: Wenn wir mit Jesus Christus geeint sind
so wie die Glieder eine Leibes mit ihrem Haupt, dann sind wir
zusammen mit Jesus Christus nur eine Person, denn das Leben der
Glieder muss dasselbe sein wie das des Hauptes.
2. Als Glieder Christi
sind wir auch Könige, Priester und Propheten:
Könige: Der
wiedergeborene Mensch herrscht über die bösen Mächte,
über die Welt und über seine Leidenschaften
,
besonders aber über seinen Geist, sein Herz und seinen
Leib.
Priester: Er sieht sein
Leben an als eine beständige Abfolge von Opfern, die der
Christ Gott darbringt:
- das Opfer der Anbetung und des
Lobpreises Gottes, das wir als Priester der unbelebten Geschöpfe
darbringen:
- das Opfer der
Loslösung von allen Dingen; denn wir betrachten uns nur als
Pilger auf Erden, die unterwegs sind zu unserer himmlischen Heimat.
- das Opfer der
Entbehrung, da wir uns all dem verweigern, was der Glaube verbietet
und verurteilt.
- das Opfer der Sühne
durch unsere Buße für die vergangenen Sünden und für
die Bewahrung von zukünftigen.
- das Opfer des
Zurücktretens, da wir durch den Glauben in allen Dingen den
Willen Gottes sehen.
- das Opfer der
Entsagung, da wir nicht mehr uns selbst suchen, sondern in allen
Dingen nur Gott und sein Wohlgefallen.
3. Als Christen
sind wir alle dem Kreuz geweiht. Der Name
Christen
verpflichtet uns wesentlich, nicht nur das Kreuz Christi zu tragen,
sondern sogar es mit Freude zu umfassen. Denn von einem Christen zu
sprechen heißt von einem Wesen zu sprechen, dessen Berufung es
ist, dem Haupt zu folgen, das Jesus Christus ist, und zwar auf seinem
schmerzvollen Weg der Leiden und Demütigungen. Und das wird für
ihn nicht nur eine Pflicht, sondern eine Ehre und Ruhm.
4. Jesus
Christus, unser Haupt, zutiefst verbunden mit seinen Gliedern, wirkt
in diesen und mit diesen alles Gute, das sie tun. … Die
Vollkommenheit besteht [also] in der Unterwerfung der eigenen
Vernunft unter die souveräne Vernunft Gottes, in der Absage an
die eigenen Meinungen, den eigenen Willen, an alle natürlichen
Neigungen der Selbstliebe und dies aufgrund der Selbstverachtung, die
der Sohn Gottes so oft in seinem Evangelium denen empfiehlt, die
seine Jünger sein wollen.
[Thomas
Stanley, S. M., The mystical body of Christ according to the writings
of father William JosEpheserbrief Chaminade. A study of his spiritual
doctrine, St. Paul's Press, Fribourg, Switzerland 1952, S. 232 - 238;
eigene Übersetzung]
Columba Marmion († 1923):
Das Ziel aller
Vervollkommnung und Entwicklung des übernatürlichen Lebens
ist,
zum Vollalter Christi zu gelangen
[Epheserbrief 4, 13] …
Es ist nur ein Leib, von dem Christus das Haupt ist; wir alle sind
durch die Gnade Glieder desselben; aber wir müssen vollkommene
Glieder werden, die ihres Hauptes würdig sind. Das ist das Ziel
unseres geistlichen Lebens.
Christus, als unser
Haupt, ist aber auch die Quelle dieses geistlichen Fortschritts. Wir
dürfen es nicht vergessen, dass Jesus Christus mit Annahme
unserer menschlichen Natur all unsere inneren und äußeren
Werke geheiligt hat; sein menschliches Leben war dem unseren gleich,
und sein göttliches Herz ist der Mittelpunkt aller Tugenden,
Jesus Christus hat alle Arten menschlichen Tuns selbst geübt.
Wir dürfen durchaus nicht glauben, dass der Herr unbeweglich in
Entzückung geweilt habe; nein, er schöpfte vielmehr aus der
beglückenden Anschauung Gottes und seiner Vollkommenheit die
Triebkraft seiner Tätigkeit; er wollte den Vater dadurch
verherrlichen, dass er in seiner Person die vielfachen und
obliegenden menschlichen Tätigkeiten heiligte. Wir beten: Er hat
Nächte betend durchwacht. Wir arbeiten: Er hat sich gemüht
in harter Arbeit bis zum 30. Lebensjahr. Wir essen: Er hat mit seinen
Jüngern zu Tische gegessen. Wir müssen Widersprüche
und Angriffe von Seiten der Menschen erfahren: Auch er hat sie
gekannt, oder haben ihn die Pharisäer jemals in Ruhe gelassen?
Wir müssen leiden: Er hat geweint, hat für uns und vor uns
an Leib und Seele gelitten, wie kein anderer Mensch je zu leiden
hatte. Wir erleben freudige Stunden: Seine heilige Seele hat in
unaussprechlichem Jubel frohlockt. Mit einem Wort: Er hat getan, was
wir tun.
Und wozu dies alles?
Nicht bloß, um als unser Haupt uns ein Beispiel zu geben,
sondern um durch diese Handlungen uns die Gnade zu verdienen, dass
wir all unsere Handlungen heiligen können, um uns die Gnade zu
erwerben, die unser Tun Gott wohlgefällig macht. Diese Gnade
verbindet uns mit ihm, macht uns zu lebendigen Gliedern seines
Leibes. Um zu wachsen in ihm und zur Vollkommenheit der Glieder
Christi zu gelangen, müssen wir diese Gnade nicht nur in unsere
Seele, sondern in unser ganzes Leben und Tun eindringen lassen.
Jesus Christus wohnt in
uns mit all seinen Verdiensten, um all unser Handeln zu beleben. Wenn
wir nun durch eine oftmalige, gerade und reine Meinung all unsere
täglichen Handlungen mit den Handlungen vereinigen, die Jesus
Christus auf Erden verrichtete, dann fließt Gottes Gnadenkraft
in ununterbrochenem Strom auf uns herab. Wenn wir all unsere
Handlungen in Liebe mit ihm verrichten, werden wir sicher und rasch
vorwärts schreiten.
[Columba Marmion OSB, Christus das Leben der Seele, übertr. v. M.
Benedicta v. Spiegel OSB, 4,5
1931, S. 237f]
2.4 Kirche als Mond
Ambrosius von Mailand († 397)
sieht in der Kirche Entsprechungen zum Mond:
Die Kirche nun,
die hervorschaut, hat wie der Mond ihre oftmalige Abnahme und
Zunahme, aber auf ihre Abnahme wuchs sie und verdiente sich neuen
Zuwachs: Die Verfolgungen bringen ihr Verlust, das Martyrium der
Bekenner Siegeskronen. Sie ist der wahre Mond. Vom unvergänglichen
Lichte ihres Brudergestirnes borgt sie das Licht der Unsterblichkeit
und Gnade. Denn die Kirche leuchtet nicht im eigenen, sondern im
Lichte Christi und entlehnt ihren Glanz von der Sonne der
Gerechtigkeit, so dass sie sprechen kann: Ich lebe aber: nicht mehr
ich, es lebt aber in mir Christus
Selig wahrlich (o Mond), der du so
großer Auszeichnung gewürdigt wardst! Selig möchte
ich dich preisen nicht wegen deiner Neumonde, sondern als Typus der
Kirche. In ersterer Beziehung bist du ja nur unser Diener, in
letzterer unser Liebling.
[Exameron IV, K. 8,32]
2.5 Kirche als Schiff
Petrus „Chrysologus” († 450) betont die Gegenwart Christi in seiner Kirche:
Er stieg in ein
Schiff [Matthäusevangelium 8, 23]: Christus besteigt das Schiff seiner Kirche, um für
alle Zeiten die Wogen der Welt zu besänftigen; denn er will die,
die an ihn glauben, in ruhiger Fahrt zum himmlischen Vaterland
führen, er will die, die er zu Schicksalsgefährten seiner
Menschheit gemacht hat, zu Mitbürgern seiner Stadt machen.
Christus bedarf also nicht des Schiffes, sondern das Schiff bedarf
Christi, denn ohne den himmlischen Steuermann könnte das Schiff
der Kirche auf der Fahrt durch das Meer der Welt in so bedrohlicher
und großer Gefahr nicht in den Hafen des Himmels gelangen.
Was
er kann, zeigt der Steuermann nicht bei schönem Wetter, sondern
in Sturm und Ungewitter.
[sermo 50: MPL 52, Sp. 346; BKV II
43, S. 116 b - https://www.aphorismen.de/zitat/95233]
Laurentius von Brindisi († 1619)
legt die Perikope vom Seesturm (Markusevangelium 4, 35 - 41) allegorisch aus:
[Die Geschichte
vom Seesturm] ist aber ein Geheimnis: Denn das Meer ist die Welt, das
Boot die Kirche, wo Christus mit den Jüngern, wo der wahre
Glaube an Christus, doch [verbunden] mit Liebe, wo mühevoller
Gehorsam beim Rudern, wo Geduld in der Trübsal, wo glühendes
Gebet [ist], wo Christus in[mitten] der Lauen und im Glauben
Unvollkommenen schläft, wo menschliche Furcht herrscht:
Was
seid ihr furchtsam, ihr Kleingläubigen?
(Matthäusevangelium 8, 26).
Die Bewegung im Meer
ist die Trübsal, die [Meeres-] Stille der Frieden der Kirche; in
der Trübsal nimmt sie Zuflucht zu Christus, betet sie glühend,
doch in der Stille erkennt sie Christus mehr, bewundert, lobt und
fürchtet ihn mit Ehrfurcht. Immer aber ist die Kirche voll des
Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und der Beobachtung der göttlichen
Gebote. Christus besteigt ein Schiff, weil die Kirche eine ist,
sichtbar, heilig, weil die katholische und apostolische Kirche die
wahre Kirche ist.
Christus lässt die
Kirche bekämpft, aber nicht erkämpft werden: ‚Die
Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen
(Matthäusevangelium 16, 18). In den größten Gefahren, wo die Lage
menschlich gesehen verzweifelt ist, ist von Gott aus gesehen Christus
in seiner Kirche anwesend.
[S.
Laurentii a Brundisio, Opera omnia, v. 10, p. 2, Patavii 1956, S.
155; eigene Übersetzung]
2.6 Weitere Bilder
Cyprian von Karthago († 258) bezeichnet
die Kirche auch als Geliebte
und Braut
Christi (ähnlich Augustinus von Hippo,
BKV III 86),
Ambrosius von Mailand († 397)
benannte die Kirche als Weinstock
.
Im 2. Vatikanisches Konzil (1963 - 1865)
wird pilgerndes Gottes
zum Hauptbegriff der Kirche. Dies hat weitreichende
Auswirkungen auf das Kirchenverständnis der Moderne.
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 11.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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