Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Menschwerdung Gottes
Beim Konzil von Chalkedon
(451) wurde dogmatisch festgelegt, dass in Jesus Christus
zwei Naturen
, nämlich die göttliche und
menschliche, unvermischt, unverändert, ungeteilt und
ungetrennt
in einer Hypostase (griech.) bzw. Person (lat.)
vereint sind. Die geistlichen Autoren dachten darüber nach, was
die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus für uns Menschen
bedeutet. Die Antworten darauf waren unterschiedlich, ohne sich aber
zu widersprechen.
1. Die Lehre der Kirche
2. Erneuerung des Ebenbilds Gottes
3. Heiliger Tausch
4. Menschwerdung Gottes zur Erlösung der Menschen
5. Zeitpunkt des Erlösungsgeschehens
6. Motivation und Sinn der Menschwerdung Gottes
7. Predigten zur Menschwerdung Gottes
1. Die Lehre der Kirche
Papst Agatho legt in einem der Briefe an Kaiser Konstantin II. die offizielle Lehre der Kirche dar:
Dies ist also der
Stand des evangelischen und apostolischen Glaubens und die Norm der
überlieferung, dass wir die heilige und untrennbare
Dreieinigkeit bekennen, d. h. dass Vater und Sohn und Heiliger Geist
Anteil haben an einer Gottheit, an einer Natur und Substanz oder
Wesenheit und dass wir verkünden, dass sie einen natürlichen
Willen, eine Kraft, Wirksamkeit, Herrschaft, Majestät, Macht und
Herrlichkeit besitzen. Und was wesenhaft von derselben Heiligen
Dreieinheit ausgesagt wird, das wollen wir auch so von ihrer
Einzigkeit wie von der einen Natur der drei Personen gleicher
Substanz verstehen, da wir durch die vernünftige [Glaubens-]
Regel so unterwiesen wurden.
Wenn wir aber ein
Bekenntnis ablegen bezüglich einer der drei selben Personen der
Heiligen Dreieinigkeit, [nämlich] vom Sohn Gottes, vom
Göttlichen Wort und vom Geheimnis seiner anbetungswürdigen
Fleischwerdung, so erklären wir gemäß der
evangelischen überlieferung [auch], dass alles doppelt ist in
dem einen und selben Herrn und Heiland Jesus Christus, d. h. wir
bekennen seine zwei Naturen, nämlich die göttliche und die
menschliche, aus welchen und in welchen er auch nach der wunderbaren
und untrennbaren Einheit besteht. Und wir bekennen, dass eine jede
von diesen Naturen ihre eigene natürliche Beschaffenheit hat,
und dass die göttliche Natur alles besitzt, was göttlich
ist ohne jede Sünde. Und wir bekunden, dass eine jede [von den
zwei Naturen] des einen und selben fleisch-, d. h. menschgewordenen
Wortes Gottes in ihm unvermischt, ungetrennt und unwandelbar ist …
Wenn wir aber zwei
Naturen und zwei natürliche Willen und zwei natürliche
Energien in unserem einem Herrn Jesus Christus bekennen, behaupten
wir damit nicht, dass sie einander völlig entgegengesetzt sind
(wie es solche, die vom Pfad der Wahrheit abirren, der apostolischen
überlieferung unterstellen; ein solcher Frevel sei den Herzen
der Gläubigen fern!) und auch nicht, dass sie gleichsam getrennt
in zwei Personen oder Substanzen seien, sondern wir sagen, dass unser
selber Herr Jesus Christus, wie er zwei Naturen hat, so auch in sich
zwei natürliche Willen und Energien besitzt, nämlich die
göttliche und die menschliche: dass er nämlich den
göttlichen Willen und die göttliche Energie von Ewigkeit
mit dem gleichwesentlichen Vater gemeinsam hat, die menschliche, die
er von uns auf Zeit zusammen mit unserer Natur empfangen hat. Dies
ist die apostolische und evangelische überlieferung, die die
geistliche Mutter eures überaus glücklichen Reiches, die
apostolische Kirche Christi, festhält.
Es ist
sonnenklar, dass wir bekennen müssen, dass in unserem Herrn
Jesus Christus zwei Naturen und Substanzen sind, d. h. die göttliche
und die menschliche, geeint in einer Substanz oder Person, und dass
wir weiter bekennen müssen, dass in ihm ein zweifacher
natürlicher Wille ist, nämlich der göttliche und der
menschliche; denn von der Gottheit kann man nicht in Bezug auf ihre
Natur sagen, dass sie einen menschlichen Willen besaß, noch
kann man der Ansicht sein, seine Menschheit habe einen göttlichen
Willen besessen. Und wiederum, von keiner der beiden Substanzen
Christi kann man behaupten, sie sei ohne einen [ihr gemäßen]
natürlichen Willen gewesen, wenn auch sein menschlicher Wille
durch die Allmacht seiner Göttlichkeit erhoben wurde, und sein
göttlicher Wille den Menschen durch seine Menschlichkeit
offenbart wurde. Deshalb ist es nötig, das, was göttlich
sind, auf ihn als Gott zurückzuführen und das was
menschlich ist, auf ihn als Mensch.; und beides ist durch die
hypostatische [d. h. substanzhafte, personale] Union des einen und
selben Herrn Jesus Christus wahrhaft erkennbar.
[S.
Agathonis Papae ep. prima ad Augustos imperatores, MPL 87, Sp.
1165-68. 1181f.; eigene Übersetzung]
Der Pfarrer, Widerstandskämpfer und Märtyrer August Froehlich
(† 1942):
Bei meiner
Vernehmung wurde die Parallele [zwischen einer Sammlung einer
nationalsozialistischen Organisation und dem Besuch des
Gottesdienstes] beanstandet. Das Vaterland sei etwas Konkretes, Gott
ein Abstraktes. Für uns nicht. Für uns ist Gott das
Konkreteste, das Wesen, das alle anderen erschaffen hat. Er ist für
uns nicht der alte Mann mit dem langen Bart, der mit freundlich
lieben Augen und goldenem Zepter die Sterne schiebt. Für uns ist
Gott ein Geist, der Verstand und freien Willen, aber keinen Körper
hat, der sich in seinen drei Personen greifbar offenbart hat; so in
Christus, der ein Mensch, also etwas ganz Konkretes war und ist. Er
ist gleichzeitig ebenso Gott, Er ist der Gottmensch, kein Abstraktum
sondern ein Konkretum. Wenn Er befiehlt, dann haben wir zu hören
und zu gehorchen. Er hat uns den Auftrag gegeben: Gehet hin und
lehret und taufet alle Völker in Meinem Namen. Das will ich in
meinen Predigten, das tue ich auch jetzt.
[Annette
Froehlich (Hrsg.), Pfarrer August Froehlich. Vom Widerstand gegen
NS-Willkür zum Märtyrer, Nordhausen 2009, S. 36f.]
2. Erneuerung des Ebenbilds Gottes
Nach
Athanasios von Alexandria († 373)
wollte Gott
dadurch sein Ebenbild in uns Menschen erneuern: "Wenn zum
Beispiel eine auf Holz gemalte Figur durch den Schmutz von außen
unkenntlich geworden ist, so muss derjenige, der in der Figur
dargestellt ist, wieder zugegen sein, wenn das Bild auf demselben
Holz erneuert werden soll. Wegen des Bildes wird nämlich das
Material selbst, auf dem gemalt worden ist, nicht weggeworfen,
vielmehr wird auf ihm die Figur nachgezeichnet. Ebenso hat auch der
allheilige Sohn des Vaters als Bild des Vaters unter uns gewohnt, um
den nach seinem Bild erschaffenen Menschen zu erneuern und ihn, der
verloren war, durch die Nachlassung der Sünden wiederzufinden,
wie er auch selbst in den Evangelien sagt: Ich bin gekommen,
um zu suchen und zu retten, was verloren war
(Lukasevangelium 19, 10)
[inc. 14: MPG 25, Sp. 120; BKV 2
31, S. 619 b]
Auch bei
Gregor von Nazianz
(† um 390) findet
sich dieser Gedanke. Er betont darüber hinaus die Angleichung an
Jesus Christus: Ich bin klein und doch groß, nieder
und doch erhaben, sterblich und doch unsterblich, irdisch und doch
himmlisch. Das eine bin ich durch diese Welt, das andere bei Gott,
das eine im Fleisch, das andere durch den Geist. Mit Christus muss
ich begraben werden, mit Christus auferstehen, mit Christus erben;
ich muss Gottes Sohn werden. … So will es Gott, der für uns
Mensch geworden ist und sich zur Armut erniedrigt hat, um das Fleisch
zu erwecken, das Ebenbild zu retten und den Menschen neu zu schaffen,
auf dass wir alle eins werden in Christus, der in uns allen auf
vollkommene Weise das geworden ist, was er selbst ist, auf dass nicht
mehr die Verschiedenheit des Fleisches besteht und nicht mehr ein
Unterschied ist zwischen Mann und Frau, Barbar, Skythe, Sklave,
Freiem, dass wir vielmehr nur noch das Merkmal Gottes an uns tragen,
von welchem und für welchen wir erschaffen worden sind, und dass
wir so von ihm umgestaltet und gezeichnet werden, dass er allein es
ist, der uns kenntlich macht.
[BKV 7. Rede Nr. 23, S. 232]
Petrus „Chrysologus” († um 450):
So wird denn
Christus geboren, um durch seine Geburt die verderbte Natur
wiederherzustellen. Er wird ein Kind, lässt sich nähren und
durchläuft alle Lebensalter, um das eine, vollkommene, bleibende
Alter, das er selbst geschaffen hat, zu erneuern. Er trägt den
Menschen, damit der Mensch nicht wieder fallen kann. Den er irdisch
geschaffen hat, dem schenkt er überirdisches Leben; den er durch
menschlichen Geist belebt hatte, dem schenkt er das Leben des
göttlichen Geistes. So erhebt er ihn ganz zu Gott, um nichts in
ihm zurückzulassen, was der Sünde, dem Tod, der Mühsal,
dem Schmerz und der Erde gehört. Das gewährt uns unser Herr
Jesus Christus, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dem Vater
lebt und herrscht jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.
[sermo
148 Sp. 596f. in: Monastisches Lektionar zum 30.7.]
3. Heiliger Tausch
Immer wieder taucht bei den geistlichen Autoren der Gedanke eines heiligen Tausches auf:
Der Gottessohn ist der Menschen Sohn geworden, damit der Mensch Sohn Gottes werde, z. B. bei Irenäus von Lyon (BKV I 232 u. ö.); vgl. Origenes (BKV II 236); Gregor von Nazianz (BKV I 3); Johannes „Chrysostomus” (BKVI 33).
Athanasios von Alexandria (†
373):
Gott wurde zu
dem, was wir sind, damit er uns zu dem machen kann, was er ist.
Papst Leo „der Große”
(† 461): Darum ist der Erlöser der Sohn
eines Menschen geworden, damit wir Söhne Gottes werden können.
Bonifatius (†
754/5): Gott ist Menschensohn geworden, um uns
zu Söhnen Gottes zu machen; er kam in den Bereich unserer
Sterblichkeit, um uns in den Bereich seiner Herrlichkeit zu erheben.
[Rede 2]
In folgender Predigt
spricht Ivo von Chartres († 1115) vom Sinn des
Weihnachtsgeschehens:
An diesem
Geburtsfest Christi wurde Gott Mensch, damit die Menschen [gleichsam]
als Götter wiedergeboren würden. Bei dieser Geburt beugt
sich die Gottheit herab, damit die Menschheit erhoben werde. Gott
beugte sich herab als demütiger und starker Helfer und er bot
gleichsam seine Schulter dar, um [uns] emporzuheben, und bei der so
großen Unähnlichkeit der verderblichen [menschlichen]
Natur und der unveränderlichen [göttlichen] Substanz bot er
seine eigene Person, die an beiden Naturen Anteil hat, als Mittler
dar, der durch das, was er uns gleich hat, [uns] emporhebe; und
unseren Augen, die aufgrund der Leuchte des Fleisches nur schlecht
sehen können und die Sonne nur unter [dem Schutz] einer Wolke
sehen wollen, ließ er den Schein eines gemäßigten
Lichtes aufstrahlen …
Das Wort des Herrn soll
zu Beginn bei Gott zusammen mit den Engeln betrachtet werden, in
unserer Erdenzeit rätselhaft wie durch einen Spiegel, später
aber in einer sichtbaren Schau, hier gleichsam wie auf dem Weg, dort
gleichsam wie in unserer Heimat; hier sollen wir uns freuen, dass uns
die Wohltaten unseres Heils durch unseren Arzt [Christus] in weiser,
kräftiger, wunderbarer und barmherziger Weise erwiesen wurden.
Dadurch, dass wir uns daran erinnern, wollen wir die Mühen
unserer Pilgerschaft erleichtern, insofern wir auf unserem Weg so
voll Langmut kämpfen, dass wir in unserer Heimat den Siegespreis
erlangen.
[D.
Ivonis Carnotensis episcopi sermo 8, De Nativitate Domini, MPL 162,
Sp. 568-71; eigene Übersetzung]
Johannes von Ávila († 1569):
Gleichwie Gott,
indem er die Menschen an den Schätzen seiner Gottheit teilnehmen
lassen wollte, dies als Mittel wählte, dass er Mensch geworden,
damit er durch die Niedrigkeit und Armut den Armen und Niedrigen
gleich sein könnte, und indem er sich mit ihnen vereinigte, sie
zu seiner Höhe emporheben könnte, so ist der gewöhnliche
Weg, worauf Gott den Seelen seine Gottheit zuteil werden lässt:
seine heilige Menschheit. Sie ist die Pforte; wer durch sie eingeht,
wird selig werden; sie ist die Leiter, auf ihr steigen wir zum Himmel
empor.
Sämmtliche
Werke, übersetzt von F. J. Schermer.
Regensburg, 1856; Bd. 1, S. 366f.]
4. Menschwerdung Gottes zur Erlösung der Menschen
Immer wieder wird auch der Gedanke betont, dass die Menschwerdung Gottes nötig war zu unserer Erlösung: so Athanasios von Alexandria (BKV I 81 u. ö.); Gregor von Nyssa (BKV 54 - 56).
Christus ist Vermittler der Gnade Gottes: Origenes (BKV I 7),
Vermittler auch unsrer Gebete als Fürsprecher: Origenes (BKV I 38f. u. ö.)
Der einzige Führer zu Gott: Origenes (BKV III 303f.)
Christus ist Mittler als Gottmensch: Augustinus von Hippo (BKV II 53-55.59f. 145).
Christus ist Befreier von der Knechtschaft der Sünde: Augustinus von Hippo (BKV V 200-02)
Weg zum Vater: Augustinus von Hippo (BKV V 278f.)
Unser Leben: Augustinus von Hippo (BKV VI, 26. 128)
Weg, Wahrheit, Leben: Augustinus von Hippo (BKV VIII 42f.)
Papst Leo „der Große”
(† 461): Wäre er nicht wahrer Gott,
so brächte er keine Erlösung; wäre er nicht wahrer
Mensch, so böte er uns kein Beispiel.
Ausgehend von der
Aussage: Alles ist durch das Wort (den Logos) geworden, und
ohne das Wort ist nichts, was geworden ist.
(Johannesevangelium 1, 3) geht
Epiphanios von Konstantia († 403) auf die
Menschwerdung dieses Wortes ein. Sie war nötig, um den Menschen
in seiner Ganzheit zu erlösen:
Durch dieses Wort
also ist alles Geschaffene geworden, durch ihn, den König des
Himmels, das persönliche Wort, unseren Heiland und Wohltäter.
Denn er ist der heilige Erlöser, der vom Himmel herabgestiegen
ist und im jungfräulichen Schoße das Geheimnis unseres
Heiles zu vollbringen sich gewürdigt hat; er ist es, der,
empfangen vom Hl. Geiste, aus Maria geboren worden ist, der das
Fleisch angenommen hat, -
und das Wort ist Fleisch geworden
- der seine Natur nicht verändert, sondern zur Gottheit die
Menschheit angenommen hat, der Vollkommene vom Vater. Um das
Heilsgeschäft vollkommen zu erfüllen, kam er in die Welt
uns zu Liebe und um unseres Heiles willen; menschlichen Leib und
menschliche Seele hat er, der Vollkommene, vom Vater angenommen und
ist unter uns nicht etwa dem Scheine nach, sondern wahrhaft Mensch
geworden, indem er sich zum vollkommenen Menschen aus Maria, der
Gottesgebärerin, durch den Hl. Geist bildete. Er wohnte ferner
nicht in einem Menschen, wie er in den Propheten zu reden und in der
Kraft in ihnen zu wohnen und zu wirken pflegte, sondern der Logos
selbst ist wirklich Mensch geworden. Aber er änderte nicht seine
Natur, um Mensch zu werden, noch auch vertauschte er die Gottheit mit
der Menschheit, sondern zu der ihm eigenen Fülle seiner Gottheit
und der ihm eigenen Hypostase [der Existenz] des wesenhaften
Gott-Logos nahm er hinzu die menschliche Existenz und zwar eine
vollkommene menschliche Existenz, das heißt alles, was im
Menschen ist und so, wie der Mensch ist. Diesen ganzen vollkommenen
Menschen anzunehmen ist der Eingeborene in die Welt gekommen, damit
er so in vollkommener Menschheit das ganze Heil als Gott vollkommen
wirke, ohne etwas vom Menschen auszunehmen, damit nicht dieser
ausgenommene Teil wiederum des Teufels Anteil werde.
[Epiphanios,
Der Festgeankerte, BKV Bd. 38; c. 75; S. 121f.]
Fulgentius von Ruspe (†
533): Weihnachen und Ostern: die zweifache Geburt
Christi
Es ziemt sich,
Brüder, am Tag der Geburt des Herrn auch feierlich die Botschaft
vom Tag seiner Auferstehung zu vernehmen. Denn wie der eingeborene
Gott sich herabließ, für uns geboren zu werden, so ließ
er sich auch herab, für uns im Fleisch zu sterben und wieder
auferweckt zu werden. Dies ist ja der Tag des Besuchs [der
Herabkunft], jener der Tag der Erlösung. Das Werk der Gnade
nämlich, durch welches uns der eingeborene Gott gerettet hat,
hat er bei seiner Empfängnis im Mutterschoß begonnen;
dieses Werk der Gnade hat er nach seiner Auferweckung aus dem Grab
vollendet. Durch die Empfängnis im Mutterschoß wurde er
teilhaftig unseres Todes; durch die Auferstehung aus dem Grab hat er
uns teilhaftig gemacht seines Lebens, Nun also wollen wir alle den
Herrn bitten, dass er, wie er an diesem Tag seinem VoLukasevangelium Freude
verleiht, er auch alle in Freude und Frieden zu jenem Tag geleite und
sein VoLukasevangelium im Glauben und in der Liebe behüte. Amen.
[Fulgentius
von Ruspe, Predigt über die zweifache Geburt Christi, übers.
aus d. Lateinischen v. L. Kozelka, in: BKV, München 1934, S. 206]
Hugo von Saint-Victor († 1141):
Das Wort wurde
Fleisch, ohne etwas von Seiner Göttlichkeit zu verlieren, und
konnte erst dadurch von den Menschen gesehen werden. Aber nur so wie
ein Buch, das zugleich innerlich und äußerlich beschrieben
ist, das heißt, mit sichtbarer, und zugleich auch mit
unsichtbarer Tinte: Die äußerlich sichtbare Schrift ist
das menschliche Leben Christi, die innere, die erst sichtbar gemacht
werden soll, ist Sein göttliches Leben. Die menschliche Schrift
wird von uns durch unsere Bemühungen um unsere eigene Nachfolge
Christi gelesen, die Schrift entziffern wir nur durch frommes
Versenken in die Anschauung Gottes. Und wir lesen die menschliche
Schrift, um uns zu heilen, die göttliche aber, damit wir zur
Vollkommenheit geführt werden.
[Einführung
in die Mystik / In Quellen und Zeugnissen, hrsg. v. Walther Tritsch. Weltbild Verlag, Augsburg 1990, S. 90f.]
5. Zeitpunkt des Erlösungsgeschehens
In folgendem Text
stellt Otto von Freising († 1158) die
Frage, warum die Fülle der Zeiten
so spät
angebrochen ist, die vorausgehenden Weltzeitalter also ohne die
rechte Erkenntnis bleiben mussten:
Als aber
die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn
auf die
Erde [Galaterbrief 4, 4]. Um die Menschen, die wie Tiere in unwegsamem,
unwirtlichem Gelände umherirrten, auf den Weg zurückzuführen,
nahm Gottes Sohn Menschennatur an und bot sich den Menschen als Weg
an. Um die Verirrten von Falschheit und Irrtum zurückzurufen,
erschien er als die Wahrheit. Um die Verschmachtenden zu stärken,
bot er sich an als das wahre Leben. Er sprach: Ich bin der Weg
und die Wahrheit und das Leben
[Johannesevangelium 14, 6], als wollte er
sagen: Ihr habt euch verirrt, kommt zu mir; ich bin der Weg! Damit
ihr den Weg ohne Zagen gehen könnt, hört: Ich bin die
Wahrheit. Wenn euch die Zehrung auf dem Weg fehlt, sollt ihr spüren,
dass ich das Leben bin! … Doch nicht ohne Berechtigung kann man
fragen, warum der Retter am Ende geboren werden wollte, als die Zeit,
wie Paulus sagt, erfüllt war. Warum ließ er zu, dass die
Gesamtheit der Völker so lange, während so vieler
Weltzeitalter im Irrtum des Unglaubens zugrunde ging? Der Grund dafür
ist hinterlegt in den Schätzen der tiefen und gerechten
Entscheidungen Gottes. Wer von den Sterblichen, die noch mit
vergänglichem Fleisch umkleidet sind, wollte dies zu erforschen
wagen, da doch der Apostel sagt: O Tiefe des Reichtums, der
Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine
Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!
[Römerbrief
11, 33] Was sollen wir also tun? Sollen wir schweigen, wenn wir nicht
verstehen können? … Nun, wir können Gründe angeben.
Nur sind es menschliche, während wir die Gründe Gottes
nicht fassen können. So kommt es, dass wir unsere menschlichen
Worte gebrauchen, weil wir Menschen sind; wenn wir aber über
göttliche Dinge sprechen, fehlt uns die gemäße
Sprache. Trotzdem sprechen wir mit besonderer Zuversicht in
menschlichen Worten von Gott, weil wir nicht zweifeln, dass er uns,
seine Geschöpfe, versteht. Denn wer erkennt besser als der
Schöpfer? Daher kommt es, dass wir nach Gottes Willen vieles zu
seinem Lob sagen sollen, obwohl man ihn unaussprechlich nennt. Obwohl
unsagbar, scheint er doch in gewisser Weise aussprechbar zu sein.
Darum kann Gott nicht
mit Recht von den Menschen angeklagt werden, weil er sie tun lässt,
was sie selber tun wollen. Und umgekehrt ist er hoch zu preisen und
von denen zu lieben, denen er seine Gnade umsonst anbietet und die er
von allem abhält, was sie gegen ihr eigenes Heil tun wollen. Man
kann ihm auch nicht vorwerfen, dass er die Gnade nicht aufgrund von
Gerechtigkeit verleiht, sondern, wie wir glauben müssen, nur aus
Erbarmen. Er hat in so vielen Jahrhunderten nicht zur Sünde
veranlasst, sondern nur vorenthalten, was sein eigen war. Er tat es,
um künftigen Zeiten am Beispiel der früheren zu zeigen, was
man meiden und was man dankbar annehmen muss. So wie die einen Gott
nicht beschuldigen können, so gab er den andern reichen Grund,
ihn mit Recht zu lieben.
[Chronik
oder die Geschichte der zwei Staaten, Otto von Freising: übersetzt von Adolf Schmidt,
hrsg. v. Walther Lammers, (Ausgewählte Quellen
zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Bd. 16), Darmstadt 41980
(lateinisch/deutsch), S. 239]
Ähnlich Jakobus de Voragine († 1298)
aus der Legenda Aurea zur
Menschwerdung Gottes:
Vom Menschen aus
gesehen war es der rechte Zeitpunkt; denn der Mensch wurde unter dem
Gesetz der Natur bald gewahr, dass ihm die Gotteserkenntnis fehlte.
Er fiel in die Verirrungen des Götzendienstes und musste
schreien:
Herr erleuchte mein Auge
(Psalm 12, 4). Danach
kam das Gesetz und legte ihm Gebote auf. Da wurde er seiner
Schwachheit inne; … denn das Gesetz hatte ihn zwar erzogen, aber
nicht von der Sünde befreit und ihm nicht durch die Gnade zum
Guten verholfen. Gottes Sohn kam also zur rechten Zeit, da der Mensch
seiner Schwäche und Unwissenheit innegeworden war, denn wäre
er vorher gekommen, so hätte der Mensch das Heil seinem eigenen
Verdienst zugeschrieben und für die göttliche Arznei zu
danken vergessen. Auch war es der rechte Augenblick im Sinne der
Zeit, denn es steht geschrieben: Da die Zeit erfüllt war
(Galaterbrief 4, 4). Davon schreibt Augustinus von Hippo:
… Christus kam zur
rechten Zeit für die große Wunde und Krankheit des
Menschengeschlechts. Denn die Krankheit des Menschen war so groß,
dass er eines großen Arztes bedurfte.‛ Davon spricht
Augustinus von Hippo ‚Der große Arzt kam, da die ganze Welt ein
großer Kranker war.
[Legenda
Aurea / Aus der Goldenen Legende des Jakobus de Voragine, hrsg. v.
Christoph Wetzel, Herder, Freiburg u. a. 2007, S. 8 u. 10]
6. Motivation und Sinn der Menschwerdung Gottes
Motivation und Sinn der Menschwerdung Gottes war letztlich seine Liebe zu uns Menschen:
Die Erlösung zeigt Gottes unendliche Liebe: Apologeten (BKV I 169).
Christus lieben u. von ihm geliebt zu werden ist die höchste Seligkeit: Johannes „Chrysostomus” (BKV V 169).
Liebe zu Christus: Makarius der Ägypter (BKV 24f. u. ö.)
Der Logos wurde Mensch, damit er uns menschlich begreifbar werde: Irenäus von Lyon (BKV II 462. 474).
Er hat Fleisch angenommen, um seine Lehre durch sein Beispiel zu bekräftigen: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 183).
Antonius Maria Zaccaria
(† 1539): Oh, große Güte;
oh, unschätzbare Nächstenliebe! Gott macht sich zum
Menschen! Und warum? Um den Menschen zu Gott zurückzuführen,
ihn den Weg zu lehren und ihm Licht zu geben.
Im Brief vom
18. Dezember 1942 an Dieter Sasse bringt der Medizinstudent und Widerstandskämpfer Christoph Probst (†
1943), obwohl noch ungetauft, seinen Glauben an Jesus
Christus und dessen Botschaft und Zeugnis von der Liebe zum Ausdruck:
Mein lieber
Bruder!
… [Weihnachten soll]
ein Freudenfest sein, an dem man voll Dankbarkeit der Güte des
Schöpfers dankt, dass er uns Christus gesandt hat, durch den wir
wissen, dass unser Leiden, unser Leben einen Sinn hat, der uns ein
Leben vorgelitten hat aus reinster Güte, der das Leid
verständlich gemacht hat und geheiligt hat, der uns auf das
Leben nach dem Tod gewiesen hat, der die Liebe predigte, die wahre
Verbrüderung der Menschen, der uns das Brot des Lebens gebracht
hat und an dem es keinen Zweifel gibt. Es kommt auf das Leben jedes
Einzelnen an, jeder Mensch ist Gott lieb, er will aber auch von jedem
geliebt werden, denn die Liebe ist die Kraft der Welt, die alles
Leben erzeugt, behütet und zur Seligkeit führt, die Kraft,
die Welten geschaffen bat. Du siehst ja, wie weit man es durch den
Hass bringt und gebracht hat: Zerstörung, Blut und Tod, auch
wird nichts Bleibendes und Gutes daraus. Was hat die Liebe dagegen
geschaffen? Auf ihr ruhen Kulturen, Dome wuchsen aus ihrem Schoß,
sie ist das Band von Mensch zu Mensch, das alle Freude des Lebens
erst möglich macht, denn was wäre der Mensch alleine? Die
Liebe war von Anbeginn der Welt an da, denn ein Gott hat ja die Welt
erschaffen.
[Robert
Volkmann, Wir müssen es wagen. Christoph Probst (1919-1943),
Gilching: Christoph-Probst-Gymnasium 1993, S. 48]
Ildefons Schuster († 1954):
Liebe will sich
mitteilen, will schenken … Gott, die Liebe, will schenken, will
sich schenken. Was tut er darum? Er schenkt zuerst das Sein, das
Leben und Denken den unendlich vielen Abbildern seiner selbst, der
sichtbaren und unsichtbaren Welt der Engel und Geschöpfe, die
unter dem Himmel wohnen … Gott will aber nicht nur geben, er will
sich selbst geben, und so ward er Mensch.
[Ildefons
Kardinal Schuster, Ewiges Reich / Grundwahrheiten des Christentums,
übertr. v. P. Richard Bauersfeld O.S.B., Verlagsanstalt
Tyrolia, Innsbruck-Wien-München 1932, S. 137-41]
7. Predigten zur Menschwerdung Gottes
Predigt zur Geburt Jesu: Basilius „der Große” (BKV II 403-18)
Aufruf zur Weihnachtsfreude: Basilius „der Große” (BKVII 416-18); Papst Leo „der Große” (BKV I 75.77-9. 92. 122f. 135)
Zur Geburt des Herrn: Hieronymus (BKVI 210-18)
10 Predigten zum Weihnachtsfest: Papst Leo „der Große” (BKV I 75-144)
Die Menschwerdung war Gottes würdig: Gregor von Nyssa (BKV 27f. 35ff. 56-8. 62ff.).
Die Menschwerdung als Offenbarung göttlicher Vollkommenheiten: Gregor von Nyssa (BKV 33f. 42-54)
Das Außerordentliche der Menschwerdung: Johannes „Chrysostomus” (BKV I 32f. 35. 197)
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 09.08.2025
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