Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Vorbemerkungen

Gottes Vorsehung

Der Begriff Vorsehung [griech. prónoia, lat. providentia)] umschreibt die Hinordnung der Schöpfung (insbesondere der Menschheit) durch den gütigen Willem Gottes auf ihr letztes Ziel (W. Beinert). Er kommt im Neuen Testament nicht vor, wohl aber das damit Gemeinte (vgl. z. B. Matthäusevangelium 6, 25 - 34; 10, 29 - 31). Dagegen taucht er in der geistlichen Literatur häufig auf und zwar vor allem, wenn es um übel und Leid geht: Der Begriff Vorsehung soll dann diesem Negativen seine Schärfe nehmen. Im Unterschied zum Begriff der Vorherbestimmung (praedestinatio) schränkt Vorsehung die menschliche Freiheit nicht ein.

1. Zum Begriff Vorsehung Gottes
2. Vorsehung Gottes und Schöpfung
3. Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Auffassungen
4. Vertrauen auf die Vorsehung Gottes
5. die Vorsehung Gottes und das Böse
6. die Vorsehung Gottes und die Übel in der Welt
7. die Unbegreiflichkeit der Vorsehung Gottes
8. Sinn von Prüfungen und Versuchungen

1. Zum Begriff Vorsehung Gottes

Die Vorsehung Gottes: Begriff, Tatsächlichkeit, Erklärung: Johannes von Damaskus (BKV 105-08)

Verschiedenheit von Fügung und Zulassung Gottes: Johannes „Chrysostomus” (BKV IV 48)

2. Vorsehung Gottes und Schöpfung

Glaube an Schöpfung bedeutet auch Glaube an die Vorsehung: Apologeten (BKV I 354); vgl. den Rhetoriklehrer und christlichen Apologeten Lactantius (BKV 132).

Gott ist aufgrund der Vorsehung auch erkennbar: Apologeten (BKV II 34-7).

Weise Ordnung in der Schöpfung: Irenäus von Lyon (BKV I 171f. 174f.)

Der göttliche Logos leitet das All: Hippolyt von Rom (BKV 288).

Ephraem der Syrer († 373): Lerne, dass der, der alles schuf, auch alles lenkt. [BKV II 34); vgl. Ambrosius von Mailand (BKV I 120-30 u. ö.); Johannes „Chrysostomus” (BKV I 225); Augustinus von Hippo (BKV II 97f. 206 - 209)]

3. Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Auffassungen

Ablehnung des Begriffs "Zufall": Origenes (BKV II 397)

Leugnung der Vorsehung Gottes wäre Ende der christlichen Religion: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 81-3).

4. Vertrauen auf die Vorsehung Gottes

Unsere menschliche Antwort auf die Vorsehung Gottes ist das Vertrauen:

Vertrauen auf Gottes Vorsehung: der Glaube an die Vorsehung als Voraussetzung des Gebets: Origenes (BKV I 22); Ambrosius von Mailand (BKV II 392)

Thomas von Aquin († 1274):
Habe das Schicksal lieb, denn es ist der Gang Gottes durch die Seele!

Klemens Maria Hofbauer († 1820):
Nur Mut! Gott ist der Meister. Er lenkt alles zu seiner Ehre und zu unserem Besten und niemand kann ihm widerstehen. Alle Pläne der Menschen und seien sie noch so gut ausgedacht, dienen nur dazu, seinen Willen zu erfüllen. Ich habe mich in diesen Umständen ganz seinem Willen ergeben. Ich sehe, dass alles, was uns entgegen zu sein scheint, uns dorthin führt, wo Gott will. So wurde auch Paulus als Gefangener nach Rom geführt, die ersten Gläubigen in Jerusalem wurden verfolgt, damit das Reich Jesu Christi sich ausdehne. Lassen wir also Gott handeln und lenken. Das ist das Beste.
[Brief an die Mitbrüder 1806, nach: J. Donner u. J. Steinle, Nur Mut, Gott lenkt alles / Klemens Maria Hofbauer in seinen Briefen, München 1984, S. 33]

Engelmar Unzeitig († 1945):
Gott lenkt alles mit wunderbarer Weisheit. Wir wissen nur nicht sofort, wozu alles gut ist.

Johannes-Baptist Vianney († 1859):
Ihr werdet reich in dem Maße, wie ihr auf die Vorsehung zählt.

Johannes Bosco († 1888):
Ich habe unbegrenztes Vertrauen auf die göttliche Vorsehung, aber auch die Vorsehung will von uns durch große Anstrengungen unterstützt werden. (XL 55)
Wenn wir anfangen, Schätze zu sammeln, wird uns die Vorsehung den Rücken kehren. (X, 99)

Hieronymus Jaegen († 1919):
Das Auge der göttlichen Vorsehung überschaut dein ganzes Leben und jeden Augenblick desselben. Je mehr du dich dieser göttlichen Vorsehung überlässt und dich mit deinem Denken, Streben und Handeln in sie hinein lebst, je mehr du mit Gott für Gott lebst, desto glücklicher wirst du sein.

Gottvertrauen ist nicht gleich Gottvertrauen: Das betont der Jesuitenmissionar Franz Xaver († 1552), der bei seiner Missionstätigkeit völlig auf menschliche Sicherheiten verzichtet hat:
Es liegt ein großer Unterschied im Gottvertrauen eines Menschen, der alles hat, was er braucht, und in dem Vertrauen jenes Menschen, der, nichts besitzend, freiwillig auch noch die nötigen Dinge hingibt, auf dass er Christus ähnlicher werde. Und ebenso ist der Unterschied groß zwischen jenen, die, in gesichertem Leben geborgen, an Gott glauben, auf ihn vertrauen und hoffen, und denen, die um seiner Liebe und seines Dienstes willen aus freiem Willen sich den Gefahren des Todes darbieten, Gefahren, die sie meiden dürften, weil sie ihnen, in ihrer Entscheidung völlig frei, ausweichen oder begegnen können: und die in all dem dann glauben und ihre Hoffnung und ihr Vertrauen gründen in Gott.
[E. Vitzthum (Hrsg.), Die Briefe des Francisco de Xavier, Leipzig 1941, S. 132]

5. die Vorsehung Gottes und das Böse

Gott lässt das Böse zu, kann es aber zum Guten wenden: Origenes (BKV II 390f.; vgl. II 295f.); vgl. Augustinus von Hippo (BKV II 170f. 179. 356f.; VIII 485).

Denn ohne Böses gibt es nicht Gutes: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 154-56); vgl. Augustinus von Hippo (BKV III 430f.).

Er ist nicht der Urheber des Bösen: Basilius „der Große” (BKV II 371-78).

Glück der Bösen und Unglück der Guten ist kein Einwand gegen die V. G.: Ambrosius von Mailand (BKV III 30-33).

Die Erklärung von Ingbert (Karl) Naab († 1935) trifft durchaus auf die Täter im Nationalsozialismus zu, nicht aber auf die Opfer z. B. die sechs Millionen ermordeten Juden und die vielen anderen Opfer des Rassismus:
Unser Geschick liegt in der Hand der göttlichen Vorsehung. Aber die Vorsehung lässt gar oft zu, dass sich die Torheiten der Menschen an ihrer eigenen Strafe auswirken, damit der menschliche Wahnsinn keinen Weg mehr weiß und seine Ohnmacht sichtbar wird.

Alois Andritzki († 1943):
Der Herr sei mit Euch! Seine Wege sind immer von seiner göttlichen Vorsehung uns Menschen so vorgeschriebenen, dass wir auf ihnen zu Ihm, dem ewigen und allerhabenen Herrn Himmels und der Erde gelangen können, ja müssen. Darum können wir nichts anderes als immer und überall, in jeder Lebenslage, Ihm Dank sagen, Ihm, dem dreieinigen Gott.
[Brief aus dem KZ Dachau vom 18.10.1941]

6. die Vorsehung Gottes und die Übel in der Welt

Auch die von Gott gesandten Übel sind in den Augen Verständiger gut: Ephraem der Syrer (BKV II 143-45).

Physische und moralische Übel: Gregor von Nyssa (BKV 19-26)

Gott ist nicht Urheber der Übel: Johannes von Damaskus (BKV 242-44).

Es widerspricht nach Paulinus von Nola († 431) dem christlichen Glauben, bei Naturkatastrophen u. ä. von Schicksal oder Zufall zu sprechen, denn Gott ist der Schöpfer und Herr von allem:
Du beklagst dich mehr über das gewalttätige Unwetter, als dass du dankbar bist über die Güte Gottes, und unterwirfst alle Bewegungen der Elemente, in denen nur die göttliche Hand das menschliche Heil zu schützen vermag, sowie unsere Handlungen, die die Macht des Höchsten Herrn regiert und entsprechend unserer Verdienste umkehrt oder zum Ziel führt, den leeren Namen Schicksal und Glück, als ob sie Konkurrenzmächte für Gott wären. Glaube diesbezüglich nicht, du habest Gott die Ehre erwiesen, wenn du lieber zu Unrecht leugnest, dass es das gnädige Wirken Gottes gibt und tatsächlich gab. Du sagst ja, dass diese Ereignisse von der göttlichen Macht getrennt werden müssen, denn das Unheil entspricht eher dem Zufall als Gott; es sei aber ohne Zweifel ein Unheil, wodurch Menschen oft in Gefahr kommen oder Schaden erleiden. Wie ich sehe, rechnest du zu diesen Unglücken auch Stürme, die entweder zu Land die Verwüstung der Felder oder zu Wasser die Not der Schiffbrüchigen herbeiführen. …
Wenn … Gott die ganze Welt, die er gegründet hat, auch regiert, an welchem Ort oder über welche Kreatur werden dann Zufall, Schicksal oder Glück herrschen? … Es sind leere Namen, nicht solche von Geistern oder körperlichen Gegenständen, die geeignet wären, Ereignisse zu vollbringen oder zu bezeichnen. Denn Glück ist ja die Vokabel eines unsicheren Menschen, Schicksal ein Ausdruck eines Hellsehers, und Zufall bezeichnet das, was jemandem zufällt oder was vorfällt …
Ja, vielmehr wollen wir - Vernunft und Wahrheit lehren es - alle Werke Gottes, in denen wir uns aufhalten und deren Teil wir sind, und alle seine Gaben, durch die wir in der Unsicherheit dieses zerbrechlichen und nichtigen Lebens gelenkt und bewahrt werden, ihm selbst zuschreiben, und in nichts wollen wir uns seiner Macht durch unseren Irrtum entziehen, denn, ob wir wollen oder nicht, er selbst ist unser und aller Dinge Schöpfer und Gott. Und weil er, insofern er Güte, Weisheit und Ursprung der Vernunft ist, nichts ohne Vernunft festgesetzt und als Gegenstand seiner Güte geschaffen hat, wollen wir gerade alles, was wir sind, für ihn verwenden; und wir wollen uns bemühen, zu lernen, und dafür sorgen, zu tun, was ihm gefällt. Dann werden wir geläuterten Sinnes klarer sehen und begreifen:
Es ist die Wahrheit, dass alles, was ist, von Gott stammt und dass daraus folgt, dass alle Taten Gottes sehr schön sind und dass nicht schlecht sein kann, was einen guten Urheber hat. Er bereitet alles in der Welt für unseren Nutzen vor und vollbringt es zu unserem Vorteil; und so hat er das Werk dieses Universums eingerichtet, dass er das eine zum Dienst, das andere zur Beunruhigung und wieder anderes zur Herrschaft geschaffen hat. Deshalb herrschen wir Menschen über die körperlichen und tierischen Naturgebilde durch den Verstand. Aber damit wir uns nicht gerade durch die Ungebundenheit unserer Macht vernichten, werden wir zu unserem Vorteil durch feindliche Geister von Dämonen oder Schwierigkeiten unserer Aufgaben oder oft Bewegungen der Elemente selbst in Unruhe versetzt, offensichtlich um, aufgerüttelt von Sorgen, zu Klugheit und Gottesfurcht (Ps 111,10: Sir 1,16) angetrieben zu werden. Ihr gegenüber macht uns die Sicherheit nachlässig, die uns gegenüber dem ewigen Herrn dankbarer machen müsste. Daher sagt auch der Apostel Paulus, der Lehrer der Völker, durch den geheimen Plan der göttlichen Liebe und zum großen Vorteil für das Heil des Menschen würden uns gewisse Barrieren in den Weg gestellt und Glück in Unglück umschlagen, wie beispielsweise Krankheiten, Verluste, Gefahren. Denn Drangsal bewirkt eine starke Geduld und die Geduld erwirbt erprobten Glauben und verschafft als Belohnung die Herrlichkeit (Römerbrief 5,3). Ihrer kann die menschliche Kraft nur als Siegerin im Kampf teilhaftig werden, da sie nicht die Möglichkeit zum Sieg haben wird, wenn sie nicht vorher mit irgendeiner Schwierigkeit gekämpft hat.

[Paulinus von Nola, Epistulae / Briefe; Brief Nr. 16 an Iovius, übersetzt von M. Skeb, Fontes christiani, Bd. 25/I, Freiburg-Basel-Wien 1998, S. 375-85]

7. die Unbegreiflichkeit der Vorsehung Gottes

Die Unbegreiflichkeit der Vorsehung Gottes Ephraem der Syrer (BKVI 20-22); Gregor von Nazianz (BKV I 345f.)

Hieronymus († 419):
Die göttliche Vorsehung regiert alles, und was wir für ein Übel halten, ist Arznei.

Johannes vom Kreuz († 1591):
Immer mögen Sie daran denken, dass alles, was Ihnen zustößt, sei es Gutes oder Schlechtes, von Gott kommt, damit Sie beim einen nicht überheblich, beim anderen nicht mutlos werden.

Arnold Janssen († 1909):
Halten wir bei allen widrigen Ereignissen fest, dass Gott der Herr alles in großer Weisheit und Liebe lenkt und fügt und aus allem, wenn wir Vertrauen und Geduld üben, die besten Folgen hervorgehen lässt.

8. Sinn von Prüfungen und Versuchungen

Wie und warum Gott in Versuchung führt: Origenes (BKV I 126-37)

Sinn der Prüfungen Gottes: Augustinus von Hippo (BKV V 226f.)

Katharina von Siena († 1380):
Alles, was ist, kommt von Gott; und darum kann nichts, was ihm [dem Menschen] geschieht, weder Versuchungen noch Schicksalsschläge, noch Misshandlungen und Beschimpfungen, noch irgend sonst etwas, ihn aus der Fassung bringen; sondern er gibt sich zufrieden, ja er hält seine Prüfungen in Ehren, weil sie ihm von Gott geschickt sind und uns gegeben sind zu unserem Heil, und aus Liebe, nicht aus Hass.

Maximilian Maria Kolbe († 1941):
Manchmal will es uns scheinen, als regiere Gott diese Welt nicht energisch genug. Er könnte doch mit einer Geste seines allmächtigen Willens alle in Grund und Boden hinein zerstören - die Gottlosen in der Sowjetunion, die Kirchenbrandstifter, alle diejenigen, welche die Jugend verderben usw. Wie kurzsichtig ist doch unser begrenzter Verstand. Die ewige Weisheit urteilt ganz anders. Verfolgungen läutern die Seelen wie Feuer das Gold. Die Hände der Henker schaffen ganze Scharen von Märtyrern, und den Verfolgern wird oft am Ende selbst die Gnade der Bekehrung zuteil. Unerforschlich, aber immer am weisesten sind die Wege Gottes. Das darf indes nicht heißen, dass wir unsere Hände in den Schoß legen und den Feinden der menschlichen Seelen alle Freiheit lassen sollen. Gewiss nicht. Nur sollen wir nicht versuchen, die unendliche Weisheit zu korrigieren und den Heiligen Geist zu dirigieren. Wir müssen uns vielmehr seiner Führung ganz überlassen.
[Maximilian Maria Kolbe: Jedem ist der Weg gewiesen / Texte eines Märtyrers, Ostfildern 1977].


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 08.08.2025

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