Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Tugend
Das Wort Tugend
leitet sich ab von taugen
, bedeutet also ursprünglich
Tauglichkeit. Unter christlichem Einfluss wurde diese Tauglichkeit
vor allem im sittlichen Sinn verstanden als Gegensatz zu Laster und
Sünde.
1. Wesen der Tugend
2. Beurteilung der Tugend
3. Wirkung der Tugend
4. Weg zur Tugend
5. Verschiedenes
1. Wesen der Tugend
Aufzählung von Tugenden: Apostolische Väter (BKV 194, 272).
Tugenden der Jugendzeit: Ambrosius von Mailand (BKV III 431).
Tugenden der Kleriker: Ambrosius von Mailand (BKV III 54).
Fünf Tugenden bilden die Frömmigkeit: Gebet, Selbstbeherrschung, Barmherzigkeit, Armut, Geduld: Makarius der Ägypter (BKV 289f).
Einzeltugenden sind nur Teil der einen Tugend: Gregor von Nyssa (BKV 191f).
Die Tugend: Teil eines Organismus: Johannes „Chrysostomus” (BKV III 60f).
Einheit der Tugenden: Hieronymus (BKV I 365f); Makarius der Ägypter (BKV 297)
Ein (natürlich) tugendhaftes Leben ist eine Christus nicht gemäße Gerechtigkeit: Johannes „Chrysostomus” (BKV VII 29f).
Tugend als rechte Ordnung der Liebe: Augustinus von Hippo (BKV II 414).
Wahre Tugend zielt auf das ewige Leben ab: Augustinus von Hippo (BKV III 222).
Tugend besteht in der Liebe zu dem, was zu lieben ist: Augustinus von Hippo (BKV X 114).
Tugend ist das geduldige Ertragen von Übeln: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 103, 163).
Definition von Tugend durch Antonius „dem Großen”: Athanasios von Alexandria (BKV II 710f)
Das Tugendleben der Christen: Basilius „der Große” (BKV II 313); Petrus „Chrysologus” (BKV 285f)
Tugend ist Sache der Seele, des Willens, geht nur verloren durch freien Willen: Augustinus von Hippo (BKV I 51 - 54).
Sieben Stufen der Tugend: Augustinus von Hippo (BKV VIII 55 - 57).
David von Augsburg († 1272 ?):
Beim Streben
nach wahrer Frömmigkeit handelt es sich hauptsächlich um
zwei Stücke: um die Ausübung der Tugend und um den Zustand
der inneren Andacht. Das eine betrifft das tätige Leben, das
andere das beschauliche Leben - beide versinnbildlicht durch die zwei
Frauen Jakobs, die fruchtbare Lea
und die schöne Rahel: Reicher
an Zahl sind die Werke der Tugend, aber süßer im Geschmack
ist der Genuss der Andacht. Lea gebar nämlich sechs Söhne,
und diese bedeuten die sechs Stufen des Handelns …:
Die erste Stufe
sind die Werke der Buße, durch die der Leib gezwungen wird, dem
Geist zu dienen: Enthaltsamkeit, Nachtwachen, Geißelung und
dergleichen.
Die zweite Stufe besteht darin, dass man die
aufsteigenden Regungen der Sünde unterdrückt, den Stolz
niederwirft, den Zorn erstickt, den Neid auslöscht, die
Begierden verjagt, den Geiz von sich stößt, die
Leckerhaftigkeit zähmt, die Üppigkeit verachtet und die
Zunge im Zaum hält. …
Die dritte Stufe besteht in der
Ausübung der Tugendwerke, im demütigen und beharrlichen
Gehorsam, im Dienste der Liebe, in Sanftmut der Sprache und so in
verschiedenen Übungen des guten Beispiels. …
Die vierte
Stufe: jegliche Widerwärtigkeit erdulden lernen, wie z. B.
Zurechtweisungen, auch unverdiente, Mangel an Lebensmitteln,
Kleidern, Häusern, Büchern, ferner Krankheiten, Verhöhnung,
Verachtung, Beleidigung, Verdächtigung, Beschwerden,
Versuchungen, Verschrobenheit anderer, Unreinlichkeit, Verfolgung,
Kerker und Tod. …
Die fünfte Stufe: die Gedanken,
Stimmungen und Absichten nach der Vernunftnorm zu regeln und alle
Affekte zu Tugenden zu ordnen, so dass man nur das Liebenswerte
liebt, und zwar so, wie es zu lieben ist, nur das Fürchtenswerte
fürchtet, nur das Hassenswerte hasst, nur das Betrauernswerte
betrauert, nur über das Erfreuliche sich freut. …
Die
sechste Stufe ist der Eifer für die Seelen. die geordnete
Leidenschaft für die Gerechtigkeit, worin man das Heil aller
Menschen begehrt und sich nach Kräften bemüht, dem Nächsten
zu helfen und ihn aus dem Schiffbruch zu retten durch Lehren,
Beraten, Ermahnungen, Trösten, Beichtehören, Lenken, Rügen,
gutes Beispiel und Erbauungen auf jede Weise - und dies alles rein
aus Liebe zu Gott und zum Heile des Nächsten. …
Die beiden Söhne
der Rahel bedeuten das tiefe Forschen nach Wahrheit und des frommen
Gebetes reine Absicht auf Gott. Das erste teilt sich in das Studium
heiliger Lesung und die Emsigkeit heiliger Betrachtung. Das Gebet
aber zielt und führt unmittelbarer zu Gott als Lesung und
Betrachtung. Diese beiden bewegen sich wohl um Gott herum, aber das
Gebet zielt auf ihn selbst und spricht ihn gleichsam persönlich
an, ist ihm darum vertrauter nahe und erreicht wirksamer, was es
ersehnt.
[David an Bruder
Berthold und die Novizen in Regensburg. In: Wolf Brixner: Die
Mystiker / Leben und Werk. Augsburg 1987, S. 245 - 247]
Mechthild von Magdeburg
(† 1282 oder 1286 oder 1294):
Diese sieben
Dinge sollen wir üben: gerecht im Leben, barmherzig in der Not,
getreu in der Gemeinschaft, hilfsbereit im Verborgenen, in Not und
Elend schweigen, voll der Wahrheit sein, der Lüge Feind sein.
Tugenden und Untugenden:
Der Reichtum
vergänglicher Dinge ist ein untreuer Gast, die heilige Armut
fördert zu Gott eine kostbare Last.
Die Eitelkeit bedenkt
nicht ihren Schaden, die Stetigkeit ist mit allen Tugenden voll
beladen.
Die Dummheit findet an
sich selber Behagen, die Weisheit kann nie genug erfragen.
Der Zorn bringt die
Seele in große Finsternis, die heilige Sanftmut ist aller
Gnaden gewiss.
Die Hoffart will stets
die erste sein. Die Demut kann anders nicht ruhen, als allen
Kreaturen zu Diensten zu sein.
Die eitle Ehre ist vor
Gott taub und blind, unverschuldete Schmach heiligt das Gotteskind.
Die Gier hat immer
einen schreienden Mund, das glückliche Maß hat stets einen
süßen Grund.
Die Trägheit lässt
reichen Gewinn außer acht, heiliger Fleiß ist nicht auf
sein Glück bedacht.
Die Untreue gibt immer
falschen Rat, vollkommene Treue versäumt nie gute Tat.
Wahre Geistlichkeit
kann sich an niemandem rächen, das unruhige Herz will immer den
Frieden brechen.
Die heilige Andacht
kann nichts Böses begehen, der böse Wille mag niemandem
unterstehen.
Die Bosheit hat von
Natur einen hässlichen Grund, die göttliche Gnade ein
liebes Gesicht und einen süßen Mund.
Die versteckte
Grausamkeit hat einen glatten Mund, die offene Freundlichkeit birgt
den Gottesfund.
Die falsche
Aufmerksamkeit wohnt sehr nahe dem Hass, die heilige Barmherzigkeit
will allein sein mit Gott.
Der Hass wütet
ohne Unterlass, immerdar, die Minne brennt ohne Schmerzen, ist aller
Leiden bar.
Die böse Missgunst
hasst Gottes Freigebigkeit, das reine Herz freut sich liebevoll aller
Seligkeit.
Die Nachrede schämt
sich vor Menschen, vor Gott fühlt sie sich nicht gestört,
der doch alle Dinge sieht und hört.
Die Verzweiflung ist
ein furchtbarer Fall, wahre Hoffnung erhält ihre Güter
all.
[Mechthild von Magdeburg: Ich tanze, wenn du mich führst
/ Ein
Höhepunkt deutscher Mystik, ausgewählt und übersetzt von Margot
Schmidt. Verlag Herder, Freiburg i. B. 2001]
2. Beurteilung der Tugend
Unter den vielen Tugenden ist am höchsten die barmherzige Liebe: Gregor von Nazianz (BKV I 273 - 277).
Die Tugenden sind von gleichem Wert, da sie unter einander verbunden sind: Makarius der Ägypter (BKV 380).
Die Tugend ist das wahrhaft Nützliche: Origenes (BKV III 376).
Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Wahrhaftigkeit sind die Pfeiler unseres Lebens: Johannes „Chrysostomus” (BKV IV 16).
Tugendhaftigkeit ist das beste Erbgut: Johannes „Chrysostomus” (BKV V 125f).
Ohne Tugend steht der Mensch unter dem Tier: Johannes „Chrysostomus” (BKV VII 119).
Die Tugend ist nackt ohne Liebe: Papst Leo I. „der Große” (BKV II 56).
Alle Tugenden nützen nichts ohne Nächstenliebe: Armenische Väter (BKV II 147 - 151).
Bloß natürliche Tugend ist nutzlos: Augustinus von Hippo (BKV V 250f).
Ziel alles Tugendstrebens ist unsere Verähnlichung mit Gott: Gregor von Nyssa (BKV 158).
Jede Tugend muss starkmütig sein: Ambrosius von Mailand (BKV III 103f).
Tugend soll nicht Mittel sein zu Macht und Ruhm: Augustinus von Hippo (BKV I 265, 284f).
Bonifatius (†
754/5):
Wahrhaft selig
ist, wer durch den rechten Glauben tugendhaft lebt
[aus Rede 7]
und durch das
tugendhafte Leben den rechten Glauben bewahrt.
3. Wirkung der Tugend
Das Glück der Tugend gegenüber dem Streben nach Lust: Gregor von Nyssa (BKV 192 - 194).
Der Tugendhafte ist auch im Leiden selig: Ambrosius von Mailand (BKV III 139 - 143).
Tugend allein macht glücklich: Johannes „Chrysostomus” (BKV II 100 - 102, 105; III 153).
Tugend macht den Sklaven frei, den Armen glücklich: Johannes „Chrysostomus” (BKV II 230).
Die vier
Kardinaltugenden nach dem Prämonstratenser-Chorherren Emo von Wittewierum (†
1237):
Es gibt drei
Seelenkräfte, nämlich die Vernünftigkeit, die
Erregbarkeit und die Begehrlichkeit; ihnen stehen [hilfreich] bei:
der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. Dazu kommen auch die vier
Kardinaltugenden, die der Seele bei ihrem Wirken helfen sollen: Die
Klugheit steht der Vernunft bei, damit sie beim Tun und Unterlassen
nicht irrt, das Maß der Begehrlichkeit und der Erregbarkeit die
Tapferkeit. Die Gerechtigkeit steht dem freien Willen zur Seite, aus
dem die verdienstlichen und die nichtverdienstlichen Werke
entspringen. … Diese Strebungen werden auch natürlich genannt,
weil sie leicht der Verderbnis unterliegen: Dann verkehrt sich die
Vernunft in Hochmut, die Begehrlichkeit in eitle Ruhmsucht und die
Erregbarkeit in Hass und Neid. Auch gibt es zwei Naturen der Seele,
die in ihr selbst liegen und wegen der Verbindung mit dem Leib: Höher
steht dabei die Vernunft, niedriger die Sinnlichkeit und
Fleischlichkeit. Durch die Vernunft strebt sie Himmlisches an, durch
die Sinnlichkeit Irdisches. So streiten Vernunft und Sinnlichkeit
unter einander.
[Kronijken
van Emo en Menko. Utrecht 1866, S. 141 - 143; eigene Übersetzung]
Gregor Sinaites
(† 1346):
Aus allen
Tugenden soll man wie eine Biene das Tauglichste sammeln, und indem
man auf diese Weise aus allem ein wenig übernimmt, eine große
Vereinigung in der Ausübung der Tugenden vollziehen. Daraus wird
der Honig der Weisheit bereitet zum Frohsinn der Seelen.
4. Weg zur Tugend
Durch Betrachtung zur Tugend: Origenes (BKV II 383).
Praktische Anleitung zum Fortschritt in der Tugend: Johannes „Chrysostomus” (BKV I 194 - 197)
Bei den Tugenden ist das meiste Gottes Werk, aber ein Teil auch unseres Mühens: Johannes „Chrysostomus” (BKV VII 64).
Tugend als Geschenk Gottes: Augustinus von Hippo (BKV I 212; III 496; X 117); Papst Leo „der Große” (BKV I 186)
Tugend ist unmöglich ohne Verehrung Gottes: Augustinus von Hippo (BKV I 283).
Gottesfurcht ist Anfang und Ziel aller Tugenden: Gregorios Thaumaturgos (BKV 35f).
Tugenden als Werk der Guten und göttlicher Lohn des vollbrachten Guten: Gregor von Nyssa (BKV 194).
Tugend als rechter Mittelweg: Johannes „Chrysostomus” (BKV I 176).
Natürliche Anlage zur Tugend, besonders durch das Mitleid: Johannes „Chrysostomus” (BKV VII 66f).
Nilos „der Faster” († um
430):
Glaube nicht, du habest eine Tugend erworben, falls
du nicht vorher bis aufs Blut um sie gekämpft hast.
Aus dem Bußbuch
c. 13 des Theodor von Canterbury († 690):
Die Tugenden,
mit denen die entsprechenden Laster überwunden werden können:
Wenn du bis jetzt
hochmütig warst, dann verdemütige dich vor Gott!
Wenn du eitlen Ruhm
geliebt hast, dann bedenke, dass du nicht wegen vergänglichem
Lob den ewigen Lohn verlierst.
Wenn dich bisher der
Rost des Neides aufgezehrt hat, - dies ist die größte
Sünde und über alles verwerflich, da der Neider dem Teufel
zugeführt wird, der dem ersten Menschen die Gabe missgönnt
hat, die er selbst durch seine eigene Schuld verloren hatte -, dann
tu Buße und sieh den Erfolg anderer als deinen eigenen an!
Wenn dich Traurigkeit
überkommt, dann betrachte Geduld und Langmut!
Wenn dir die Krankheit
der Habgier zu schaffen macht, dann denk daran, dass sie die Wurzel
aller übel ist und dem Götzendienst Vorschub leistet, und
darum sollst du freigebig sein!
Wenn in dir Zorn
aufkommt, der im Inneren der Toren seinen Platz hat, dann sollst du
deinen Geist beherrschen und ihn durch Gemütsruhe von dir
vertreiben!
Wenn die Gefräßigkeit
dich zum übermäßigen Essen verleitet, dann bemühe
dich um Nüchternheit.
Wenn es sich um
Schwelgerei handelt, dann gelobe Keuschheit.
[MPL 99, Sp. 940f; eigene Übersetzung]
5. Verschiedenes
Gott lässt das Böse zu, denn ohne es gäbe es nicht verdienstliches Gutes: der Rhetoriklehrer und christliche Apologet Lactantius (BKV 154 - 156).
Tugend wird von jeher verfolgt: Apologeten (BKV I 319).
Die Seele kann nur Gutes tun, wenn Gott in ihr das Gute wirkt: Augustinus von Hippo (BKV II 252).
Tugend kann kurz definiert werden als die rechte Ordnung der Liebe: Augustinus von Hippo (BKV II 414).
Ohne Gottes Hilfe können wir nichts Gutes wollen: Johannes von Damaskus (BKV 108f).
In seinem Büchlein
über den Kampf der Laster gegen die Tugenden
stellt
Papst Leo IX. († 1054)
die Frage, wie das
Wort des Apostels zu verstehen ist. Alle, die fromm in Christus
Jesus leben wollen, werden Verfolgung erleiden
(1. Timotheusbrief 3), da
doch zu seiner Zeit niemand mehr wegen des Glaubens eingesperrt,
geprügelt und gefoltert und gekreuzigt wird. Nach Leos Ansicht
ist nach Ende der Verfolgungszeit Verfolgung im übertragenen
Sinn zu verstehen:
Darunter ist eine
andere Art von Verfolgung zu verstehen, die noch unmenschlicher und
noch schädlicher ist, die nicht eine handfeste Grausamkeit
verursacht, die die Gegnerschaft der Laster hervorbringt: Wenn
nämlich der Hochmut gegen die Demut, die eitle Ruhmsucht gegen
die Gottesfurcht, die Heuchelei gegen die wahre Frömmigkeit, die
Haltung der Verachtung gegen die Bereitschaft, sich unterzuordnen,
kämpft, wenn sich der Neid gegen die brüderliche Mitfreude,
der Hass gegen die Liebe, die Ablehnung gerechtfertigter
Zurechtweisung gegen die Freimütigkeit, der Zorn gegen die
Geduld, aufgeblasener Stolz gegen die Bereitschaft zur Genugtuung,
weltliches Leben gegen die geistliche Freude, Lethargie oder Trägheit
gegen die übung der Tugend, gegen feste Beständigkeit
zügelloses Umherschweifen, gegen die zuversichtliche Hoffnung
die Verzweiflung, gegen die Verachtung der Welt die Begierlichkeit,
gegen die Barmherzigkeit die Verhärtung, gegen die
Uneigennützigkeit Betrug und Diebstahl, gegen die Wahrheitsliebe
Lug und Trug, gegen die Enthaltsamkeit gegenüber den Speisen die
Gefräßigkeit des Magens, gegen maßvolle Trauer
unpassende Fröhlichkeit, gegen die diskrete Schweigsamkeit die
Geschwätzigkeit, gegen die die Keuschheit des Fleisches
Unreinheit und Ausschweifung, gegen die Reinheit des Herzens die
Unzucht des Geistes, gegen die Liebe zum himmlischen Vaterland das
gierige Verlangen zur gegenwärtigen Welt richtet und mit sich
ziehen will, was ist das anderes als eine grausame Verfolgung der in
Frömmigkeit Lebenden, die sich gegen die vereinten
Schlachtreihen der Tugenden richtet? O wie hart, wie bitter ist der
Aufmarsch des Hochmuts, der die Engel aus dem Himmel und die Menschen
aus dem Paradies ausgeschlossen hat; deren Heere und Waffengänge
sind die Laster, die wir kurz gestreift haben.
[Papst Leo IX.: De conflictu vitiorum atque virtutum, MPL 143, Sp. 559 - 561;
eigene Übersetzung]
Thomas Morus († 1535):
Da die Menschen
in ihrem Tun sich ungern nach der Vorschrift Christi ausrichten
ließen, haben sie seine Lehre wie einen Messstab aus weichem
Blei nach ihren Sitten gestreckt, damit eben beides noch einigermaßen
übereinstimme. Ich weiß nicht, was sie damit erreichen,
außer dass man mit besserem Gewissen Böses tun darf.
Nach Bartholomäus Holzhauser († 1658)
bewährt sich Tugend
im Kampf gegen die Einflüsterungen des Bösen in den
Versuchungen, Leiden und Wechselfällen des Lebens:
In diesem Leben
liebt Gott zwei Sorten von Menschen vor anderen. Die einen, gleichsam
die Erstlinge des Lammes, bewahrt er vor Sünden und
Versuchungen, umschirmt sie mit seinem Schutz, erquickt sie mit
himmlischen Tröstungen und ziert sie von Anfang an bis zum
Schluss mit allem Schmuck himmlischer Gnaden als seine geliebte Braut
(z. B. Maria, Josef etc.). Der zweiten Art seiner Lieblinge reichert
er das Leben mit Versuchungen, Verfolgungen, Mühen und
Leidenschaften der Natur an und teilt ihnen seine spürbare Gnade
so spärlich zu, dass sie nur mit größter Mühe zu
höchster Tugend und zum Gipfel der Verdienste gelangen. Niemand
solle sich einbilden, er könne auf dem weichen Ruhekissen
göttlicher Tröstungen die echten Tugenden erlangen. Er soll
vielmehr seine Seele auf den bitteren Wermut häufiger
Versuchungen und Wechselfälle einstellen. Versuchungen und
Wechselfälle und Leiden werden von Gott zugelassen, damit die
Tugenden geläutert werden. Wer auf vielfache Weise von Gott zur
Bewährung versucht wird, ist zu vielen hervorragenden Tugenden
aufgerufen. Wie das Feuer, im Kieselstein verborgen, nur brennt, wenn
es herausgeschlagen wird, so bleiben die Tugenden im Gerechten
unbekannt; brennen und leuchten werden sie nur, wenn sie durch
mancherlei Widerwärtigkeiten geschüttelt werden. Der böse
Geist macht es bei der Versuchung dem Feldherrn nach, der bei
Belagerung einer Stadt oder feindlicher Truppen deren schwächeren
Teil angreift, um so leichter über den Feind zu triumphieren. So
greift auch jener, der unsere Natur ganz durchschaut hat, den
schwächeren Teil an: Er kämpft gegen jene Tugend an, in der
unsere Seele weniger geübt ist und mehr zum entgegengesetzten
Laster neigt. Gegen solche Arglist des bösen Feindes muss unsere
Seele von einem klugen Staats- oder Heerführer lernen, alle
Kräfte dort zu konzentrieren, wo wir angegriffen werden, und
durch Gebet, Betrachtung und andere übungen, die zur Bewahrung
jener Tugend sich besser eignen, sich verteidigen.
Um bisweilen von einer
Tugend oder geistlichen übung, die ihm zuwider ist, beim
Menschen aber wundersame Fortschritte macht, abzulenken, befolgt der
böse Geist für gewöhnlich verschiedenartige Taktiken:
Wütende Angriffe von Versuchungen wechseln mit Lockreizen
irdischer Freuden, die überlast weltlicher Geschäfte mit
dem Ablenken auf angeblich wichtigere geistliche übungen. All
das tut der Architekt der tausend Künste und Listen nur zu dem
einen Zweck, vom Streben nach wahrer Tugend, die er hasst, auf
Unnützes, Unmögliches oder Schädliches abzulenken.
Dieser Fallstrick des Teufels muss durch Standhaftigkeit und
Geistesstärke in kluger Weise zerrissen werden. Das wird
gelingen, wenn die Seele in aller Demut, Geduld und Langmut der
Tugend nachgeht, sich von solchen Einflüsterungen nicht
beeinflussen lässt und alle ihre Angelegenheiten mit dem Rat
eines klugen Beichtvaters oder Oberen regelt.
[Michael Arneth, Seelsorge am Seelsorger. Bartholomäus
Holzhauser 1613 - 1658. Leben und Werk. Burghard Verlag, Trier
1993, S. 158f]
Klemens Maria Hofbauer († 1820):
Nur wer
rechtmäßig gestritten hat, wird gekrönt werden. Jeder
Christ muss früher oder später erprobt werden. Die Tugend,
die nicht erprobt ist, ist keine Tugend.
Maria Rosa Flesch (†
1906) über Haltungen und Tugenden:
Alles tun aus
Liebe zu Gott, für Gott, mit Gott, um zu Gott zu kommen
.
Vom Stolzen
entfernt sich Gott, er vollbringt nichts Großes für Gott.
Dem Demütigen nähert er sich und befähigt ihn, Großes
zu seiner Ehre und zum Wohl des Nächsten zu vollbringen
.
Großmut
ist der kürzeste Weg zur Vollkommenheit, Beharrlichkeit die
Krone der Tugenden
.
Mein JESUS,
schenke mir Geduld, Liebe, Stärke, Demut und die Gnade der
Beharrlichkeit
.
Ich bete zu
Gott, dass du demütig und klein bleibst und dass Leiden und
Kreuz dein Anteil sind. Auch um die größte aller Gnaden
bitte ich zu Gott, dass du ihm treu bleibest bis zum Ende!
Nur in der Armut
ist mir die Hilfe Gottes versprochen, [nicht im überfluss]
.
Solange die
Schwestern den Geist der Armut und Einfachheit pflegen, so lange ist
Gottes Segen bei unserer Genossenschaft, so lange kommen auch neue
Mitglieder
.
Der liebe Gott
sucht sich das Kleine [und Schwache] aus, wenn er Großes
vorhat
.
[Hans-Joachim Kracht (Hg.) u. a.: Leidenschaft für die Menschen, Bd. 2,
Dokumente: Sr. M. Marzella Schumann, Lebensbeschreibung der
ehrwürdigen Stifterin der Genossenschaft der Franziskanerinnen
von Waldbreitbach Mutter Rosa Flesch. Paulinus Verlag 2006, S. 447f]
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 27.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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