Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Vorbemerkungen

Das Wort Gottes in der Heiligen Schrift

Die großen Kirchen sehen in der Heiligen Schrift Gottes Wort in Menschenwort. Sie lehnen die Vorstellung einer Verbalinspiration ab. Dennoch wird uns in ihr die Offenbarung Gottes vermittelt.

1. Wirken des Heiligen Geistes
2. Begegnung mit Christus
3. Licht und Nahrung für das Leben
4. Verwirklichung durch das Tun
5. Wörtliches oder / und bildliches Verständnis der Schrift
6. die Autorität der Heiligen Schrift

1. Wirken des Heiligen Geistes

Bei den Kirchenvätern werden die Schriften des Alten TestamentsWir verwenden den Begriff Altes Testament, wissend um seine Problematik, weil er gebräuchlich ist. Die hebräische Bibel, der „Tanach” - Akronym für „Torah” (Gesetz, die fünf Bücher Mose), „Nevi'im” (Propheten) und „Kethuvim” (Schriften) - hat aber natürlich ihre unwiderrufbare Bedeutung und Würde. wie des Neuen Testaments übereinstimmend als Wort des Heiligen Geistes oder als von ihm inspiriert und damit als Wort Gottes oder Christi bezeichnet:

Nach Justinus „dem Märtyrer” († um 165) bediente sich das göttliche Plektron der Verfasser der Heiligen Schrift wie einer Zither oder Leier (BKV 253), nach den Apologeten wie ein Flötenspieler der Flöte (BKV I, 284).

Nach Cyprian von Karthago († 258) redet in der Heiligen Schrift Gott zu uns, im Gebet sprechen wir mit Gott (BKV I, 54).

Makarius der Ägypter († um 390) bezeichnet die Heilige Schrift als einen Brief Gottes an die Menschen (BKV 296).

Vor allem die Evangelien sind nach Papst Leo „dem Großen” († 461) mit Gottes Finger geschrieben. (BKV II, 178).

Die Kirche wäre gut beraten gewesen, hätte sie in der Auseinandersetzung mit == Galileo Galilei die Ausführungen des Ambrosius von Mailand († 397) über Sinn und Zweck der biblischen Berichte beherzigt: Die Bibel möchte nicht unsere wissenschaftliche Neugier befriedigen, sondern uns zu einem guten Leben anleiten:
Sicherlich war Mose mit der ganzen Weisheit der Ägypter vertraut; doch da er den Geist Gottes empfangen hatte, stellte er als Diener Gottes jene eitle und anmaßende Lehre der Philosophie dem höheren Wahrheitszweck nach und schrieb nur das nieder, was er für unsere [Heils-] Hoffnung förderlich hielt: nämlich dass Gott die Erde schuf; dass die Erde auf Geheiß des allmächtigen Gottes und die Wirksamkeit des Herrn Jesus die Pflanzen aus dem Boden und jegliches lebende Wesen nach seiner Art hervorbrachte. Doch darüber glaubte er nicht sprechen zu sollen, wie viel Luftraum der Erdschatten bedeckt, wenn die Sonne von uns scheidet und den Tag entführt, um die untere Hemisphäre zu beleuchten; ferner wie sich die Mondfinsternis erklärt, wenn der Mond in den Schatten dieser Welt gerät. Denn da diese Vorgänge uns nichts angehen, überging er sie als belanglos für uns.
Er schaute nämlich im Heiligen Geiste, wie er nicht den Eitelkeiten der bereits verblassenden Weltweisheit, die unseren Geist mit unentwirrbaren Problemen beschäftigen und seiner Anstrengung spotten, folgen, sondern lieber das niederschreiben soll, was den Fortschritt des sittlichen Lebens beträfe.

[hex. 6,2,8: CSEL 32; BKV II 17, S. 238f b]

Gemäß Johannes „Chrysostomus” († 407) bräuchten wir eigentlich die Heilige Schrift nicht, wenn wir uns vom Heiligen Geist führen ließen:
Eigentlich sollten wir nicht auf die Hilfe der Heiligen Schrift angewiesen sein, vielmehr ein so reines Leben führen, dass die Gnade des Heiligen Geistes in unseren Seelen die Stelle der Heiligen Schrift verträte, und dass, wie diese mit Tinte, so unsere Herzen durch den Heiligen Geist beschrieben wären. Nachdem wir aber einmal diese [erste] Gnade verscherzt haben, so wollen wir wenigstens mit Freuden den zweiten Weg [über das Meer unseres Lebens] auf uns nehmen.
[hom. in Mt 1, 1.21: MPG 57, Sp. 13f. 49 f; BKV II 23, S. 12, 74f b]

Hieronymus († 420 ?):
Bei der Auslegung der Heiligen Schrift bedürfen wir immer der Hilfe des Hl Geistes.

Thomas von Aquin († 1471):
Die ganze Heilige Schrift muss man in dem Geiste lesen, in dem sie geschrieben ist.

Nikolaus von Kues († 1464):
Niemand versteht die Schrift eines andern, wenn er nicht zur Absicht des Schreibenden vordringt. Will er aber dieses, um zum Verständnisse zu gelangen, so muss seine Intention und die des Schreibenden, oder der beide bewegende Geist einer und derselbe sein. Wer also nicht denselben Geist wie Jesus hat, kommt nicht zum Verständnisse und Genusse des Evangeliums.
[Exc. VH, 581]

Die Anziehungskraft der Hl. Schrift rührt nach Baptist Spagnoli († 1516) daher, dass sie Gottes Wort ist. Aber das können nur Menschen erfahren, die von Gott angezogen und erleuchtet werden:

Oft habe ich mir überlegt: Woher kommt diese überzeugungskraft der Heiligen Schrift? Warum kann sie so mächtig auf den Leser einwirken? Woher hat sie die Kraft, dass sie in uns nicht nur eine Meinung bildet, sondern einen festen Glauben hervorruft? Diese überzeugungskraft hat sie nicht aus der Einsichtigkeit der Ursachen, die ja gar nicht vorhanden ist, auch nicht durch Kunstgriffe oder schöne, uns überzeugende Worte.
Ob nicht die Überzeugungskraft daher kommt, dass die Schrift Ausfluss der Ur-Wahrheit ist? Aber woher wissen wir das, wenn nicht durch die Heilige Schrift selbst? Sie führt uns mit ihrer eigenen Autorität zum Glauben. Woher hat sie diese Autorität? Gott können wir ja nicht als Autor wahrnehmen, wir sehen nicht, wie er schreibt und lehrt. Trotzdem glauben wir, als ob wir ihn sähen, halten fest, dass vom Heiligen Geist stammt, was wir lesen.
Vielleicht liegt der Grund unseres Glaubens an die Schrift darin, dass sie von gediegener Wahrheit ist, auch wenn das nicht immer so vordergründig zum Ausdruck kommt. Jede Wahrheit hat die Kraft, den Menschen anzuziehen. Die größere Wahrheit hat die größte Kraft, das zu vollbringen. Aber warum glauben dann nicht alle an das Evangelium? Ich meine, weil nicht alle von Gott angezogen werden. Was sollen wir noch länger reden? Wir glauben deswegen so unerschütterlich der Heiligen Schrift, weil wir in unserem Inneren göttliche Erleuchtung erhalten.

[https://www.karmelocd.de/geschichte-und-spiritualitaet/karmelheilige/baptista-spagnoli.html - abgerufen am 25.10.2019]

Für das Verständnis der Heiligen Schrift stellt Georg Michael Wittmann († 1833) in seinem Werk Principia catholica de S. Scriptura u. a. folgende Grundsätze auf:
Wir verstehen die Heilige Schrift nur in großer Frömmigkeit und aus besonderer Gnadengabe Gottes.
Die Heilige Schrift müssen wir oft und mit Demut des Geistes lesen. - Trefflich ist der Befehl, den der hl. Hieronymus der Jungfrau Eustochium gibt: Lies sie öfters, lies sie so oft als möglich; die Schrift in den Händen überfalle dich der Schlaf und dein sinkendes Haupt sollen die heiligen Blätter auffassen.
Es gibt in der Heiligen Schrift Dinge, deren Verständnis nur wenigen von Gott vorbehalten ist. Die Welt, die den Heiligen Geiste nicht empfangen kann (Johannesevangelium 14, 17), wird die Heilige Schrift nie verstehen. Die aber mit dem Heiligen Geist ausgerüstet sind, werden umso mehr von der Heiligen Schrift verstehen, je reiner und gottgefälligere Wohnungen des Heiligen Geistes sie sein werden.
Die Heilige Schrift ist eine heilige Sache und soll heilig behandelt werden: zu unserer heilsamen Belehrung durch eine besondere Vorsehung uns verliehen, soll sie nur zu diesem Zweck verwendet und immer mit Ehrfurcht und unter Danksagung gebraucht werden.
Wie in den Pflanzen und andern Körpern, obschon vom Anbeginn der Welt an zum Heil der Welt bestimmt und gleich anfangs ersprießlichen Nutzens, doch alle Jahrhunderte neue heilsame Kräfte entdeckt werden, so verbarg der barmherzige Gott auch in der Heiligen Schrift sehr vieles, um zur gelegenen Zeit von jenen, denen es gegeben ist, erkannt zu werden. …
O, dass wir uns viel mehr befleißigen möchten, das auszuüben, was wir lesen, als es klarer und besser zu sagen …
Weder uns noch die Juden wollte Gott durch bloße Buchstaben lehren; uns gab er die Apostel und ihre Nachfolger zu Lehrern, denen er bis zum Ende der Welt seinen Beistand versprochen (Matthäusevangelium 28, 20; 5. Mose 17, 10) …
Die Worte der Heiligen Schrift sind so fern von der eitlen Schminke der Beredsamkeit und haben in ihrer Einfalt meistens eine solche Majestät, dass, wer sich oft ihrer bedient, aufhört, vom Hochmut eitler Beredsamkeit auszukramen, sondern gleichsam Worte Gottes redet und aus jener Kraft, die Gott mitteilt, spenden wird, damit in allem Gott geehrt und verherrlicht werde durch Jesus Christus.

[Michael Sintzel: Geistige Reliquien des gottseligen Bischofes Georg Michael Wittmann zu Regensburg. Amberg 1881, S. 20 - 29]

Johannes Gabriel Perboyre († 1840):
Wenn Sie die Betrachtung anstellen wollen, so legen Sie so viel als möglich alle Bücher bei Seite; bedienen Sie sich des hl. Evangeliums, und wenn Sie sich zu verwirrt fühlen, über eine Stelle nachzudenken, so wenden Sie sich an den Hl. Geist: Er ist unbestreitbar der beste Ausleger. Auch schien es uns, er erflehe von Gott vorzüglich die Gabe der Einsicht.
[Franz Vauris: Leben des ehrwürdigen Joh. Gabriel Perboyre, Missionspriesters und Martyrers, Deutsch v. Johann Peter Stollenwerk. Regensburg 1889, S. 285f]

2. Begegnung mit Christus

Nach Justinus „dem Märtyrer” hat die christliche Auslegung gegenüber der jüdischen die Deutungshoheit (BKV 260); ähnlich Irenäus von Lyon (BKV II, 404 - 406).

Denn gemäß Augustinus von Hippo stammt das Alte TestamentWir verwenden den Begriff Altes Testament, wissend um seine Problematik, weil er gebräuchlich ist. Die hebräische Bibel, der „Tanach” - Akronym für „Torah” (Gesetz, die fünf Bücher Mose), „Nevi'im” (Propheten) und „Kethuvim” (Schriften) - hat aber natürlich ihre unwiderrufbare Bedeutung und Würde. von Christus und muss daher auch auf ihn hin gedeutet werden (BKV IV, 155; V, 65f) . Es ist nämlich nur geschrieben, um Christi Ankunft und die Kirche vorauszuverkünden (BKV VIII, 239).

Daher muss die Heilige Schrift im Sinne der Kirche erklärt werden (Vinzenz von Lérins (BKV 16f, 68).

Hieronymus († 420 ?): Die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen.

Franziskus von Assisi († 1126): Die Heilige Schrift lesen, heißt von Christus Rat holen.

3. Licht und Nahrung für das Leben

Alexander I. von Alexandria († 328 oder 326) betont die Fruchtbarkeit der Heiligen Schrift:
Das Wort, das ohne Missgunst vom Himmel herabgesandt wird, vermag unsere Herzen zu erquicken, wenn wir für seine Kraft offen und bereit sind, nicht nur durch Sprechen, sondern auch durch Hören. Denn wie Regen ohne Erde keine Früchte hervorbringt, so kann auch das Wort nicht ohne Hören Frucht bringen, aber auch das Hören nicht ohne das Wort. Das Wort wird ferner erst dann fruchtbar, wenn wir es aussprechen; in gleicher Weise das Gehör, wenn wir hören. Wenn also das Wort seine Kraft entfaltet, dann leiht ihm ohne Missgunst euer Ohr; und wenn ihr zum Hören herantretet, reinigt auch von aller Missgunst und Ungläubigkeit!
[MPG 18, Sp. 589. 606; eigene Übersetzung]

Ephraem der Syrer († 373) argumentiert ähnlich:
Vom Acker kommt Erntesegen, vom Weinberg kommen schmackhafte Früchte und von der Heiligen Schrift belebende Lehre. Der Acker gewährt nur für eine Zeit die Ernte und der Weinberg gewährt nur für eine Zeit die Weinlese, aber die Heilige Schrift sprudelt, so oft sie gelesen wird, belebende Lehre. Ist der Acker abgeerntet, so hört er auf zu tragen; ist der Weinberg abgeherbstet, so wird er unfähig; von der Heiligen Schrift aber kann man täglich ernten, ohne dass die ähren in ihr für die Ausleger abnehmen, und täglich kann man in ihr Weinlese halten, ohne dass die Trauben der in ihr hinterlegten Hoffnung ausgehen. Nähern wir uns also diesem Acker und genießen wir von dem Ertrag seiner Leben spendenden Furchen.
[Rede über die Verklärung Christi: BKV II 37, S. 184]

Isidor von Pelusium († um 441):
Halte die Lesung der Heiligen Schriften für eine Wegzehrung [für den Weg] zum Heil! Denn sie nährt mit trefflichen Beispielen die Liebe zum Schönen und den Mut derer, die sie mit Eifer hören.
[Sancti Isidori Pelusiotae, epistolarum libri quinque, MPG 78. Bd. 2, Br. 53, Sp. 515f]

Papst Gregor „der Große” († 604):
Die Bibel ist wie ein Strom, der so flach ist, dass ein Lamm daraus trinken kann, und so tief, dass ein Elefant darin baden kann.

Ildefons von Toledo († 667):
Es erleuchte uns, die wir in der Finsternis und im Schatten des Todes sitzen [Lukasevangelium 1,79], das Licht des Evangeliums, das jeden Menschen, der in diese Welt kommt, erleuchtet; es gehe uns nicht unter dem Ansturm der Versuchungen, sondern es leuchte uns immerfort durch die Fülle deiner Erbarmungen!

Petrus Damiani († 1072):
Vertiefe dich ganz in die Prophetenbücher und in die Evangelien! Schaffe in deinem Herzen allenthalben Raum für die verschiedene Aussagen der heiligen Schrift!. Dann wird kein Teil des Herzens mehr einen Freiraum bieten für Phantasien, die nutzlosen Gedanken entspringen!

Der Mönch und Erbauungsschriftsteller Ludolf von Sachsen († 1377/1378):
Sinne darüber nach, was der gütige Jesus gesagt oder getan hat, ebenso über die Gleichnisse.
Du aber, wenn du daraus Frucht zu gewinnen begehrst, dann musst du mit der ganzen Leidenschaft des Geistes sorgfältig, voller Freude und hartnäckig alle anderen Sorgen und Kümmernisse und Bedrängnisse abwerfen und abwehren. Du sollst durch die Tat erweisen, dass für dich gegenwärtig ist, was durch und um den Herrn Jesus gesagt und getan worden ist und das berichtet wird - so, als hättest du es mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen -; es ist das Herrlichste für den, der voller Verlangen darüber nachsinnt und noch viel herrlicher aber für den Schmeckenden, den Schauenden. Deswegen sollst du, obwohl vieles aus dem Geschehenen als in der Vergangenheit vollbracht erzählt wird, es dennoch betrachten und im Herzen bedenken, als ob alles in der Gegenwart geschähe: so wirst du daraus ohne jeden Zweifel größere Süßigkeit gewinnen und genießen.

[Mystische Texte des Mittelalters, hrsg. von Johanna Lanczkowski. Philipp Reclam jun. Stuttgart 2007, S. 294 - 297]

Josef Maria Tomasi († 1713) rät seinem Neffen, jeden Tag mindestens eine halbe Stunde damit zu verbringen, andächtig zu lesen und über die Heilige Schrift zu meditieren, insbesondere die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, Jesus Sirach und das Buch Tobit, wo man gute Regeln finden wird, um sich selbst zu regieren.

Laurentius von Brindisi († 1619):
Das Wort Gottes ist von unschätzbarem Wert. Es ist wie ein Schatz, der alles Gute enthält. Denn aus ihm kommen Glaube, Hoffnung und Liebe; alle Tugenden, alle Gaben des Heiligen Geistes, die Seligpreisungen des Evangeliums; alle guten Taten, alle vorzüglichen Werke des Lebens und alle Herrlichkeit des Paradieses … Das Wort Gottes ist Licht für den Verstand und Feuer für den Geist, so dass der Mensch Gott erkennen und lieben kann. Dem inneren Menschen, der vom Geist Gottes lebt, ist es Brot und Wasser. Aber das Brot ist süßer als Honig und Honigwaben, das Wasser besser als Wein und Milch. Es ist für die Seele ein Schatz geistlicher Werte; deshalb wird es Gold und kostbarer Edelstein genannt. Gegen das Herz, das sich in der Sünde verhärtet, ist es wie ein Hammer. Gegen Welt, Fleisch und Teufel ist es wie ein Schwert, das jede Sünde tötet.
[http://www.kathpedia.com/index.php/Laurentius_von_Brindisi
http://kirchlich.net/pages/spiritualitaet/zitate-von-kirchenlehrern - abgerufen am 21.11.2019]

Jakob Desideratus Laval († 1864): Dieses Buch [der Heiligen Schrift] birgt wirklich Nahrung für die Seele. Alle andern Bücher, die Nachfolge Christi ausgenommen, bedeuten wenig neben ihm. Es ist das Buch der Bücher. Alles steht darin, wie man braucht.

4. Verwirklichung durch das Tun

Für das Verständnis der Heiligen Schrift genügt nach Athanasios von Alexandria († 373) nicht ein rein intellektuelles Verstehen. Sie erschließt sich vielmehr nur dem, der entsprechend lebt:
Aber zum Studium und wahren Verständnis der Heiligen Schriften hin bedarf es noch eines guten Lebenswandels, eines reinen Herzens und der christlichen Tugend, damit der Geist auf diesem Weg erlangen und erfassen kann, wonach er strebt, soweit überhaupt der Menschennatur ein Wissen über Gott den Logos erreichbar ist. Denn ohne reinen Sinn und Nachahmung des Lebens der Heiligen kann wohl niemand die Sprache der Heiligen verstehen. Denn wie einer, der das Licht der Sonne sehen möchte, gewiss das Auge abwischt und reinigt und sich durch die Reinigung dem Sehobjekt fast ähnlich macht, damit das Auge, so gleichsam Licht geworden, das Sonnenlicht schaue, oder wie einer, der eine Stadt oder ein Land sehen möchte, notgedrungen an die Stätte sich begibt, um seine Beobachtung ztz machen, so muß der, welcher die Gedanken der Gottesgelehrten verstehen will, seine Seele im Leben zuvor abwaschen und reinigen und durch gleichartige Handlungen den Heiligen selbst nahe kommen, damit er durch einen gleichen Lebenswandel mit ihnen verbunden auch das verstehe, was diesen von Gott geoffenbart worden
[inc. 57: MPG 25, Sp. 195-98; BKVII 31, S. 155f b]

Philipp Neri († 1595):
Die Weisheit der Heiligen Schrift erlernt man mehr durch Taten als durch Studieren.

Johann Michael Sailer († 1832) erteilt Ratschläge an seine Schüler bei ihrem Abschied von der Universität 1794:
Unter allen Büchern lasst euch die heilige Schrift und die Werke der Kirchenväter die liebsten sein, damit euch der Kern und Stern unseres allerheiligsten Glaubens immer klarer und wichtiger werde.
Auf diese Weise wird euch der Sinn und Geist der göttlichen Offenbarungen, Verheißungen, Drohungen, Gaben, Führungen, Segnungen immer heller in das Auge leuchten, immer mächtiger auf euer Herz wirken, und immer überzeugender aus euren Reden und Taten sprechen.

[WW 40, 483-85]

Charles de Foucauld († 1916):
Es gehört zu deiner Berufung, das Evangelium von den Dächern zu rufen, nicht durch das Wort, sondern durch dein Leben.

Johann Maier († 1945):
Die einzige Bibel, die die Menschen heute noch lesen, sind die Christen.
[2. Fastenpredigt, 29. Februar 1945]

Der Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte Karl Rahner († 1984):
Die Bergpredigt verstehen kann nur ein Mensch, der den Mut hat, sich selbst radikal in Frage zu stellen - sich selbst, nicht die anderen, nicht nur dies und das an sich selbst.

Die Gründerin der Kleinen Schwestern Jesu, Ordensname Magdeleine von Jesus, Magdeleine Hutin († 1989):
Das Evangelium sei Dein Schatz. Es ist das Buch des Lebens und enthält die Wissenschaft der Liebe. Lass es Dir in Verstand und Herz eindringen, damit Dein Leben eine lebendige Predigt des Evangeliums, eine lebendige Frohbotschaft sein kann.

Papst Johannes Paul II. († 2005):
Das Evangelium verspricht niemanden ein bequemes Leben. Es stellt Ansprüche.

Roger Schutz († 2005):
Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist, aber lebe es!
Das Wenige, das wir vom Evangelium begreifen, entfaltet sich in uns, sobald wir es, und sei es noch so schüchtern, weitergeben.

5. Wörtliches oder / und bildliches Verständnis der Schrift

Vor allem Origenes betont, dass die Heilige Schrift sowohl einen buchstäblichen wie einen tieferen bildlichen, allegorischen Sinn hat; die buchstäbliche Auslegung sei nur für die geistig Unmündigen da (BKV III, 26f) und für die Masse da, die bildliche dagegen für eine gebildete Minderheit (BKV II, 26f und öfter).

Augustinus von Hippo lehnt sowohl eine nur historische wie nur allegorische Schriftauslegung ab (BKV III, 29-32), bricht dennoch ein Lanze für die allegorische Deutung (BKV VII, 110f und öfter).

Dagegen lehnen Basilius „der Große” (BKV II, 57f, 139 - 141) und Hieronymus (BKV I, 225 - 231) eine einseitige allegorische Schriftauslegung ab.

Clemens von Alexandria († 215 ?):
Die Eigenart der Heiligen Schrift besteht darin, dass sie in Gleichnissen spricht, weil auch der Herr, obwohl er nicht zu dieser Welt gehörte, wie ein Geschöpf dieser Welt zu den Menschen kam. Denn er trug auch alle Tugend an sich und war dazu bestimmt, den in dieser Welt heimischen Menschen durch die Erkenntnis zu dem Geistigen und allein Wirklichen emporzuführen, aus dieser Welt in eine andere Welt. Deshalb verwendet er auch die Schrift in übertragenem Sinn; denn das ist das Wesen des Gleichnisses; es ist eine Redeform, die von etwas, was nicht das eigentlich Gemeinte, aber ihm ähnlich ist, den Verständigen zum Wahren und Eigentlichen emporführt, oder, wie einige sagen, eine Ausdrucksweise, die das eigentlich Gemeinte durch anderes mit Nachdruck vor Augen stellt.
[strom 6, c. 15, Nr. 126. In: BKV II 2. R., Bd. 19, S. 324]

Hugo von Saint-Victor († 1141):
Wir lesen in der Heiligen Schrift, aber wir kleben dabei nicht am Buchstaben. Wir begnügen uns nicht mit dem Wortsinn; denn was wir suchen und was wir lehren, das ist der innere, der verborgene, der allegorische [sinnbildliche] Sinn: die Bedeutung des Ganzen … Natürlich müssen auch wir es zuerst buchstäblich lesen und zunächst jedes einzelne Wort verstehen, aber wir begnügen uns eben nicht mit dem grammatischen Sinn jedes einzelnen Wortes.
[Einführung in die Mystik / In Quellen und Zeugnissen, hrsg. von Walther Tritsch. Weltbild Verlag, Augsburg 1990, S. 91]

6. die Autorität der Heiligen Schrift

Glaubensgeheimnisse bedürfen eines Rückhalts in der Heiligen Schrift: Cyrill von Jerusalem (BKV 71. 303. 310).

Die Heilige Schrift ist Richtschnur und Gesetz bezüglich aller theologischen Lehrsätze: Gregor von Nyssa (BKV 266).

So ist sie oberste Glaubensquelle: Augustinus von Hippo (BKV IX, 72).

Unser Wissen von Gott kann nicht über Offenbarung in der Heiligen Schrift hinausgehen: Johannes von Damaskus (BKV 3f).

Dabei ist die Sprache der Heiligen Schrift einfach, um von möglichst vielen Menschen verstanden zu werden: Origenes (BKV III, 94f).

Dagegen vergewaltigen Häretiker die Heilige Schrift: Tertullian (BKV II, 322f) , vgl. Ephraem der Syrer (BKV II, 9 - 12 und öfter).


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 30.08.2025

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