Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Arten des Gebets
1. Arten des Gebets
2. Anbetung
3. Bittgebet
4. Fürbitte
5. Dank- und Lobgebet
6. Herzens-, Ruhe- oder inneres Gebet
7. Psalmengebet
8. Rosenkranzgebet
9. Stoßgebete
10. Stufen des Gebets
11. Vater unser
1. Arten des Gebets
Die verschiedenen Arten mit biblischen Beispielen: Origenes (BKV I 51 - 54).
Lob-, Dank-, Selbstanklage- , Bittgebete: Origenes (BKV I 145f).
Wilhelm von Saint-Thierry († 1148/49)
gibt eine Übersicht über
verschiedene Arten des Gebets:
Es gibt nämlich
verschiedene Gebete. Die einen sind kurz und einfach, wie sie der
Wille oder die Not des Betenden nach dem jeweiligen Ereignis formt.
Die anderen sind länger und verstandesmäßig. Es sind
das die Gebete von Menschen, die in der Erforschung der Wahrheit
bitten, suchen und anklopfen, bis sie erhalten, finden und bis ihnen
aufgetan wird (Matthäusevangelium 7, 7). Wieder andere sind feurig, voll geistlicher
Eingebung und fruchtbar. Sie kommen aus der Liebe dessen, der Gott
genießt, und aus der Freude über die erleuchtende Gnade.
Es sind das die Gebete,
die der Apostel in einer anderen Reihenfolge anführt:
inständiges Flehen, Gebete, Bitten und Danksagungen (1. Timotheusbrief
2, 1). Denn wir setzen die Bitte an die erste Stelle. Sie bezieht sich
auf die Erlangung irgendwelcher zeitlicher und notwendiger Dinge
dieses Lebens. Dabei prüft Gott den guten Willen des Bittenden
und wirkt dennoch das, was er selbst für besser hält. Er
gibt aber auch dem, der in rechter Weise bittet, dass er gerne seinem
Willen folgt. Von dieser Bitte spricht auch der Psalmist: Denn
mein Gebet erflehte bis jetzt, was ihnen gefällt.
Das
heißt: was auch den gottlosen Menschen gefällt. Diese
Bitte ist nämlich allen gemeinsam, am meisten aber ist es die
Bitte der Kinder dieser Welt. Sie wünschen sich die Ruhe des
Friedens, die Gesundheit des Körpers, günstige Witterung
und anderes, was das Bedürfnis und die Notwendigkeit dieses
Lebens betrifft, und sogar das Vergnügen derer, die das Leben
missbrauchen. Die nun vertrauensvoll darum bitten, mögen sie das
auch nur aus Notwendigkeit erbitten, unterwerfen doch gerade darin
ihren Willen dem Willen Gottes.
Das inständige
Flehen ist ein ängstliches Drängen zu Gott hin während
der geistlichen übungen. Wer dabei, bevor die Gnade kommt, um zu
helfen, das Wissen mehrt, mehrt nur den Schmerz (Kohelet / Prediger Salomo 1, 18).
Das Gebet aber
ist eine liebende Zuwendung des Menschen, der Gott anhängt, ein
vertrautes und frommes Gespräch, ein Verweilen des erleuchteten
Geistes, um Gott zu genießen, solange es möglich ist.
Die Danksagung
aber ist in der Erfahrung und Erkenntnis der Gnade Gottes die
unermüdliche und dauernde Hinwendung des guten Willens zu Gott,
auch wenn die äußere Handlung oder die innere Zuneigung
einmal nicht vorhanden oder gelähmt ist. Von ihr spricht der
Apostel: Das Wollen liegt mir nahe, aber das Vollbringen des
Guten finde ich nicht.
(Römerbrief 7, 18). Er sagt damit
gleichsam: Sie ist zwar immer da, aber manchmal liegt sie am Boden,
das heißt, sie ist unwirksam, weil ich das Vollbringen des
Guten suche, aber nicht finde. Das ist die Liebe, die niemals aufhört
(1. Korintherbrief 13, 8).
Das ist aber jenes
Gebet ohne Unterlass, oder jene Danksagung, von der der
Apostel spricht: Betet ohne Unterlass! Seid immer dankbar!
(1. Thessalonicherbrief 5, 17f) Dieses Gebet kommt aus einer beständigen Güte
des Herzens, eines wohlgeordneten Geistes und ist bei den Söhnen
Gottes ein Abbild der Güte Gottes, des Vaters. Eine solche Seele
betet immer für alle (Kolosserbrief 1, 9) und dankt Gott bei allem (1. Thessalonicherbrief
5, 18). Der fromme Sinn ergießt sich beständig auf so viele
Weisen im Gebet oder in der Danksagung vor Gott, wie viele Gründe
er in seinen Nöten und Tröstungen, oder auch in Mitleid und
Mitfreude mit dem Nächsten findet. Dieses Gebet ist ganz und
beständig Danksagung. Denn wer so ist, ist immer in der Freude
des Heiligen Geistes.
[Wilhelm
von Saint-Thierry: Brief an die Brüder vom Berge Gottes /
Goldener Brief. = Texte der Zisterzienser-Väter, Bd. 5, hrsg. von
der Zisterzienserinnen-Abtei Eschenbach 1992, S. 74 - 76]
Armand Jean Le Bouthillier de Rancé († 1700):
Man betet auf
vier verschiedene Arten zu Gott: durch den Psalmengesang, durch
längere Gebet und Betrachtungen, durch kurzgefasste Ausdrücke
und Stoßgebete und endlich durch den ganzen [Lebens-]Wandel und
alle Handlungen des Lebens. Du magst dich aber zu Gott wenden, auf
welche Art du immer willst, so wirst du ihn dir nicht gnädig
machen, wenn du nicht vornehmlich mit zwei Zubereitungen vor seinen
Augen erscheinst: nämlich mit einer tiefen Demut und gleichen
Reinheit des Herzens, wie es die Aussätzigen im Evangelium und
die kananäische Frau machen.
[Armand Jean Le Bouthillier de Rancé:
Betrachtungen über die Regel des heiligen Vaters Benedicti.
Augsburg, 1782, S. 270 - https://opacplus.bsb-muenchen.de]
Charles de Foucauld († 1916):
Das beste Gebet ist jenes,
das am meisten Liebe enthält.
2. Anbetung
Maria Michaela vom heiligen Sakrament Desmaisières
(† 1865) sieht in einer Vision die Gnaden, die vom Tabernakel
ausgehen:
Einmal wachte ich
vor dem Allerheiligsten und empfand großen Schmerz, weil ich
den Herrn so allein sah und eingeschlossen in den Tabernakel,
gleichsam wie einen Gefangenen der Liebe, die er zu uns hat, und ich
klagte vor ihm darüber, dass er sich in so vielen Kirchen
vervielfältigt hat. Ich weiß nicht, ob ich heute klar
erklären kann, was mich der Herr sehen ließ. …
Was mich der Herr sehen
ließ, waren große besondere Gnaden, die von den
Tabernakeln über die Erde ausgegossen sind und mehr noch über
jeden einzelnen Menschen, gemäß der Disposition eines
jeden; die Menschen haben mehr oder weniger Anteil an den
ausgegossenen Gnaden, die vor allem denen zugute kommen, die sie
suchen. Ich sah aus dem Tabernakel etwas wie einen hellleuchtenden
Rauch hervorkommen, so wie der klare Schein des Mondes, der sich über
die Häuser ausbreitete und jedes von ihnen hatte mehr oder
weniger Anteil an demselben Licht.
Ich verstand auf
wunderbare Weise, wie die ganze Erde an diesem auf sie ausstrahlende
Licht Anteil hatte, so dass sie sich ihm näherte, um es ganz mit
Glauben aufzunehmen. Und ich sah mit großem Wohlgefallen, wie
sich dieses Licht von Volk zu Volk und Stadt verteilte, bis es zu
seinen Kirchen und Tabernakeln kam, als Kraft für die Kranken,
gleichsam als Wohltat und kostbares Gestein. Und wenn dies geschieht,
wird jedermann jene Atmosphäre ersehnen, die der Herr so mit
Wohlgeruch in der Luft entstehen lässt. Ja, ich sah ohne Zweifel
einen Strom von Gnaden, den der Herr über jenen ausgießt,
der sie mit vollem Glauben und mit Liebe aufnimmt, so wie sich
kostbare Steine aller Farben und Heilkräfte ergießen gemäß
den Notwendigkeiten und Bedürfnissen eines jeden. Und ich sah
wie jemand sich entwickelt, der rein ist und eingehüllt in
diesen hellleuchtenden Rauch der Gnade und wie dieser Eindruck in
seinem Herzen nicht erlöscht. Auf diese Weise wird der Wunsch
erneuert, für arme Kirchen zu arbeiten und so Anteil zu nehmen
an ihnen mit mehr Schicklichkeit und Bedeutsamkeit, denn es ist der
Kult des Herrn. Daher ordnete ich an, dass die Bedingungen in den
Kapellen und Kirchen verbessert werden, dass [heilige] Gewänder
angefertigt würden und anderen Notwendigkeiten abgeholfen wird,
wie es der hl. Johannes von Gott machte, der mit Hilfe einiger
befreundeter Frauen sein ganzes Gewand erneuerte, das jammervoll
anzusehen war, da es voll war von Flicken.
[Santa
Maria Micaela del Santissimo Sacramento, Autobiografia. In: Biblioteca
de Autores Cristianos 428. Madrid 1981, S. 382f; eigene Übersetzung]
Petrus Julian Eymard († 1868)
empfiehlt mit Nachdruck die
eucharistische Anbetung. Er schreibt, was es bei der Anbetung zu
beachten gilt:
Geht daher zu
unserem Herrn so, wie ihr seid: pflegt eine natürliche
Betrachtung; schöpft zuerst eure eigenen Mittel der Frömmigkeit
und Liebe aus, bevor ihr zu Büchern greift; liebt das
unausschöpfbare Buch der bescheidenen Liebe!
Ihr könnt aber
dann, wenn sich der Geist verirrt oder die Sinne ermüden, ein
Andachtsbuch zur Hand nehmen, um euch wieder zu sammeln und auf den
rechten Weg zu eurem guten Meister zurückzuführen; ihr
sollt aber wissen, dass er die Armut unseres Herzens den erhabensten
Gedanken und Erwägungen anderer vorzieht. Wisset wohl, dass Gott
unser Herz und nicht jenes der anderen, sowie den Gedanken und das
Gebet eures Herzens als natürlichen Ausdruck unserer Liebe zu
ihm wünscht.
Nicht selten sind
Eigenliebe, Ungeduld und Trägheit die Ursache, dass sich der
Mensch weigert, mit seiner eigenen Gebrechlichkeit und gedemütigten
Armseligkeit zu Gott zu gehen. Aber gerade diese zieht unser Herr
allem anderen vor; diese liebt und segnet er.
>Ihr befindet euch in
einem Zustand geistiger Trockenheit? Preist dennoch die Gnade Gottes,
ohne die ihr nichts tun könnt. Erhebt euer Herz zum Himmel, wie
die Blume am Morgen ihren Kelch öffnet, um den wohltuenden Tau
zu empfangen.
Ihr befindet euch
vielleicht in einer vollständigen Ohnmacht, euer Geist ist
umnachtet, eure Seelenstimmung ist niedergeschlagen und euer Körper
leidend? Dann macht eine Anbetung der Armen, geht heraus aus eurer
Bedürftigkeit, um bei unserem Herrn zu verweilen; oder opfert
ihm eure Armut auf, damit er euch bereichere: Das ist ein Meisterwerk
und seiner Ehre würdig.
Oder ihr befindet euch
im Zustand der Versuchung: Alles widersetzt sich in euch, alles
drängt euch, die Anbetung aufzugeben unter dem Vorwand, dass ihr
in dieser Weise Gott beleidigt oder dass ihr ihn mehr entehrt als ihm
dient. Hört nicht auf diese trügerische Versuchung: Das ist
eine Anbetung des Kampfes und der Treue zu Jesus gegen euch selbst.
Nein, nein: ihr missfallt ihm nicht! Ihr erfreut vielmehr euren
Meister, der euch ansieht und dem Satan erlaubt hat, euch zu
verwirren. Er erwartet von euch die huldigende Ausdauer bis zur
letzten Minute der Zeit, die ihr ihm schenken sollt.
Erinnert euch zu eurem
Trost und für euer inneres Verhalten, dass der Seelenzustand
beim Gebet nicht von euch, sondern von Gott abhängt. Er
verändert ihn, um in den Akten der Liebe Abwechslung
hineinzubringen und euch teilnehmen zu lassen an einer der
Befindlichkeiten seines sterblichen Lebens, damit ihr ihn anbetet und
ihm dient, wie er seinen himmlischen Vater angebetet und ihm gedient
hat. …
Beginnt alle eure
Anbetungen mit einem Akt der Liebe und so öffnet ihr behutsam
eure Seele für sein göttliches Werk. Wenn ihr mit euch
selber anfangt, bleibt ihr am Weg stehen. Wenn ihr aber mit einer
anderen Tugend als jener der Liebe beginnt, so steht ihr erst in der
Vorbereitung: umarmt nicht zuerst das Kind seine Mutter, bevor es ihr
gehorcht? Die Liebe ist die einzige Tür zum Herzen.
Wer zur Anbetung
berufen ist:
Gegenstand der
eucharistischen Anbetung ist die göttliche Person unseres Herrn
Jesus Christus, der im Altarsakrament gegenwärtig ist. Dort lebt
er und will, dass wir mit ihm sprechen, und er wird zu uns sprechen.
Jeder kann mit unserem Herrn sprechen. Ist er nicht da für alle?
Ruft er uns nicht zu:
Kommt alle zu mir
(Matthäusevangelium 11, 28)?
Diese Zwiesprache, welche sich zwischen dem Menschen und unserem
Herrn abwickelt, das ist die wahre Betrachtung und Anbetung. Jeder
hat dafür seine Gnade.
[P.-J. Eymard: Die Heilige Eucharistie, 1. Band: Die reale Gegenwart - La Sainte Eucharistie, La Présence Réelle. Paris - Montreal - Brüssel 1950. Übersetzt von P. W. Marzari, Bozen 1990; zitiert nach: http://www.eucharistie.cz/deutsch/Eucharist/eeuch 1_1.html - abgerufen am 12.05.2010]
Blandina Merten
(† 1918):
Anbetung
ist die aufs höchste gesteigerte Liebe, die sich selbst
vernichtet, um dem Geliebten zu huldigen; es ist der liebste Akt der
Liebe. Ihr natürlicher Akt und darum dringendes Bedürfnis
ist die Hingabe, in ihrem Gefolge die Opferfreudigkeit. Hingabe ohne
Vorbehalt, ohne Rückhalt, ohne Einsprache, Hingabe bis zum
letzten Atemzug, bis zum letzten Blutstropfen.
[Dienerin
Gottes Schwester Blandina Merten OSU / Ursuline von Calvarienberg / Aus
ihren Schriften. Ahrweiler 41985, S. 30f]
Ivan Merz (†
1928):
Vergessen
wir nicht Christi unermessliche Liebe und richten wir mehr
Aufmerksamkeit auf die kleine weiße Hostie, die einsam in
kleinen kalten Kirchen auf uns wartet!
[Some of Ivan Merz* thoughts. In:
http://en.wikipedia.org/wiki/Ivan_Merz, (16.07.201); eigene Übersetzung]
3. Bittgebet
Darstellung und Widerlegung der Einwände gegen das Bittgebet (Gott weiß es ja!): Origenes (BKV I 22 - 31)
Zeno von Ägypten († 450/451):
Wer will, dass Gott
schnell auf sein Gebet hört, der bete, wenn er aufsteht und die
Hände zu Gott erhebt, für alle, auch für seine eigene
Seele, aus ganzem Herzen auch für seine Feinde. Und wegen solch
trefflicher Tat wird Gott ihn erhören, um was immer er auch
bittet.
Isaak von Ninive († um 700):
Wenn sich Gott
damit Zeit lässt, dir deine Bitte zu gewähren, wenn du also
bittest und das Erbetene nicht sogleich erhältst, dann sei nicht
beunruhigt. Denn du bist nicht weiser als Gott.
Such dir einen
Arzt, noch bevor du krank wirst. Bete, noch bevor dich die Drangsal
trifft. Und zur Zeit der Drangsal wirst du ihn [Gott] finden und er
wird dir antworten.
"
Albertus Magnus († 1280):
Bittet,
dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an,
dann wird euch geöffnet
(Matthäusevangelium 7, 7) … Hier ist zu
beachten, dass einer jeden der drei Aufforderungen je eigens eine
Entsprechung hinzugegeben wird, dem Bitten wird die Gewährung
der Gabe zugesagt. …, dem Suchen das Finden, d. h., der Suchende
kommt im Inneren weiter, indem er eine Erfahrung macht; denn das
Suchen geschieht durch tugendhaftes Handeln, und dann kann es nicht
anders sein, als dass er durch das Erfahren eines geistlichen
Genusses es empfindet, wie geschmackvoll die Tugend ist; das
sittlich-richtige Tun und das dadurch erreichte Gute geht ja von der
lebenden und wahrnehmungsfähigen Seele aus. Denn ihr habt
erfahren, wie gütig der Herr ist
(1. Petrusbrief 2, 3). Kostet
und seht, wie gütig der Herr ist
(Psalm 34, 9). So gelangt
der Suchende innerlich zu den Früchten des Geistes
(Galaterbrief 5, 22 f), in dessen Kraft er im Guten voranschreitet.
em Anklopfen wird als
Entsprechung das öffnen verheißen, d. h. der Zugang zur
beständigen inneren Ruhe; denn das vollendete Glück ist der
ganz friedvolle Zustand in der Vereinigung mit dem vollkommenen Gut,
in dem jeder Wunsch erfüllt ist. Die Tür zu jenem Zustand
ist die Entdeckung der Gegenwart (Gottes), die nicht angewiesen ist
auf die Nachbildungen (Gottes) im Menschen als dem Ebenbild Gottes
und in den anderen irdischen Geschöpfen als den Spuren Gottes.
Das Schreiten durch diese Tür ist schließlich das
Innewerden des höchsten Gutseins Gottes.
[Albertus
Magnus: Ausgewählte Texte, hrsg. und übersetzt von A. Fries. =
Texte zur Forschung, Bd. 35. Darmstadt 1981, S. 253]
Der Augustiner-Prior und Mystiker Walter
Hilton († 1396):
Der Zweck des
Betens ist nicht, den Herrn zu informieren, was du wünschst,
denn er kennt alle deine Bedürfnisse. Der Zweck ist, dich fähig
und bereit zu machen, die Gnade zu empfangen, die unser Herr dir frei
geben will. Diese Gnade kann nicht erfahren werden, bis du nicht
gebessert und gereinigt bist im Feuer des Begehrens in demütigem
Gebet. Denn obwohl das Gebet nicht der Grund dafür ist, weshalb
der Herr Gnade gibt, es ist nichtsdestoweniger das Mittel,, durch
welches die Gnade, frei gegeben, in die Seele gelangt.
[Walter
Hilton: The Ladder of Perfection, translated by Leo Sherley-Price 1988,
B. 1, c. 24; eigene Übersetzung]
Karl Borromäus
(† 1584):
Es gibt nichts
Gutes, nichts Großes, was das Gebet nicht fertigbrächte.
Das wirksamste
Bittgebet geschieht nach Laurentius von Brindisi (†
1619) im Namen Christi:
Es ist dies
jedenfalls eine große und universale, aber doch eine bedingte
Zusage. Denn er [Christus] sagt nicht einfach und absolut:
Alles,
was ihr erbittet, werdet ihr erhalten
, sondern: Wenn ihr den
Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er euch es geben
(Johannesevangelium
15, 16). … In meinem Namen
: das bedeutet: durch meine
Verdienste. … Im Namen Christi bitten heißt mit der
Kraft lebendigen Glaubens bitten, mit dem Glauben, wie ich sagte, an
die Verdienste Christi bei Gott.
… Christi Name
ist wie ein Schlüssel zum öffnen eines Riegels. Es gibt
nämlich keine künstlich verfertigten Riegel, die ohne
Schlüssel nur durch die Nennung des Namens geöffnet werden
können.
In Christi Namen aber
bittet der, der Christus wahrhaft ehrt. Deshalb sagt er: Wenn ihr meine Gebote haltet und meine Worte in euch bleiben, dann
bittet, um was ihr wollt, und es wird euch zuteil
(vgl. Johannesevangelium
15, 7).
Der Herr lehrte aber
[auch], dass Glauben beim Gebet nötig sei und ebenso Demut,
weswegen der Zöllner vom Tempel hinabstieg in sein Haus, mehr
gerechtfertigt als der Pharisäer (Lukasevangelium 18, 9 - 14), und außerdem
Beharrlichkeit. Diese lehrte er im Gleichnis des Mannes, der von
seinem Freund drei Brote erbat (Lukasevangelium 11, 5 - 8), und im Gleichnis von der
Witwe und dem ungerechten Richter (Lukasevangelium 18, 1 - 8).
Zu erbitten ist wohl
besonders Geistliches, denn er sagte: Wenn ihr, obwohl ihr böse
seid, euren Kindern nur gute Gaben gebt, um wie viel mehr wird der
himmlische Vater vom Himmel her den guten Geist denen geben, die ihn
darum bitten
(Lukasevangelium 11, 9 - 13). Das aber ist der Grund dafür,
dass er sagte: damit eure Freude vollkommen sei
(Johannesevangelium 15, 11);
denn Zeitliches bringt nicht die volle Freude, sondern Geistliches
und Göttliches. Wenn ihr den Vater in meinem Namen bittet
:
Das ist so, wie wenn jemand einem Fürsten eine Bittschrift
überreicht und dabei vom Fürsten etwas im Namen seines
Vaters erbittet, der sich um den Fürsten sehr verdient gemacht
hat.
[S.
Laurentii a Brundisio: Opera omnia, v. 10, p. 2. Patavii 1956, S. 266f; eigene Übersetzung]
Johannes-Baptist Vianney
(† 1859):
Gott liebt es, belästigt
zu werden.
Ja, mit einem
guten Gebet können wir Himmel und Erde befehlen. Alles wird uns
gehorchen.
Johannes Bosco (†
1888):
Gott lässt sich an Großmut
nicht übertreffen.
(II, 524)
Es ist
unmöglich, dass einer, der sich ganz Gott überlässt,
nicht erhört wird.
(X, 91)
4. Fürbitte
Ein Bruder sprach
zum Altvater Antonius „dem Großen” († 356 ?):
Bete für mich!
Der Greis entgegnete ihm:
Weder ich habe Erbarmen mit dir, noch Gott, wenn du dich nicht
selbst anstrengst und Gott bittest.
Zeno von Ägypten
(† 450/451) sprach:
Wer will, dass Gott
schnell auf sein Gebet hört, der bete, wenn er aufsteht und die
Hände zu Gott erhebt, für alle, auch für seine eigene
Seele, aus ganzem Herzen auch für seine Feinde. Und wegen solch
trefflicher Tat wird Gott ihn erhören, um was immer er auch
bittet.
Eines Tages kam eine
Nonne zur hl. Sara „der Einsiedlerin” († 4./5. Jhdt.)
und sagte zu ihr:
Bete für mich, meine Herrin
. Die
Selige antwortete ihr: Weder ich noch Gott können uns
deiner erbarmen, wenn du dich nicht selbst über dich erbarmst,
indem du gute Werke und Tugendübungen tust, wie die heiligen
Väter uns belehrten.
Auf die Frage von Gertrud von Helfta
(† 1302), wie sie
denn als Nonne die leiblichen Werke der Barmherzigkeit üben
könne, antwortet der Herr:
Weil ich, das
wahre Heil und Leben der Seele, ohne Unterlass in jedem Menschen nach
seinem Heil hungere und dürste, so wird derjenige, der an jedem
Tag sich bemüht, einige erbauliche Worte der Heiligen Schrift zu
lesen, meinen Hunger durch die lieblichste Erquickung befriedigen.
Fügt er dieser Lesung auch noch die Absicht hinzu, dass er die
Gnade der Zerknirschung oder der Andacht zu erlangen begehrt, so
stillt er auch meinen Durst durch den süßesten Becher. Wer
ferner wenigstens eine Stunde täglich mit voller Aufmerksamkeit
des Geistes sich mit mir zu beschäftigen sucht, der bereitet mir
eine angenehme Herberge. Wer weiterhin täglich in irgendeiner
Tugend sich eifrig übt, der hat mich würdig bekleidet. Wer
einem Fehler oder einer Versuchung mannhaft widersteht, der hat mich
als Kranken sorgfältig gepflegt. Wer aber für die Sünder
und die Seelen im Fegfeuer andächtig betet, dessen Dienst nehme
ich so auf, als wenn er mich im Gefängnisse besucht und meine
Trostlosigkeit behoben hätte. Wenn jemand … täglich
und besonders in der Fastenzeit in diesen Werken aus Liebe zu mir
sich übt, dem werde ich so huldreich vergelten, wie es sich für
meine Allmacht und Weisheit und Güte geziemt.
[Gertrud von Helfta: Gesandter der göttlichen Liebe, 4. Buch, 18.
Kap., übersetzt von J. Weißbrot. Freiburg - Basel - Wien 2001, S.
306]
Margareta Ebner
(† 1351) verspürte in sich die starke
Berufung, vor allem für die armen Seelen zu beten:
Große
Begierde hieß mich beten für die armen Seelen. Die
gaben mir viel Trost in allen Dingen
und offenbarten mir, was ich zu wissen [be]gehrte von mir und
ihnen. … Ich freute mich
allzeit auf Allerseelentag, da kam mir ein besonderer Trost
von ihnen. Sie sandten eine Seele da zu mir, die eine Schwester
unseres Konventes war; sie dankte mir für alles,
was ich ihnen zu gute tat. Da wollte ich von ihnen wissen, ob
mein Gebet denn keiner Seele
noch zum Guten verholfen habe. Da ward mir Antwort, dass ich
vielen Seelen schon geholfen
hätte. Sie stärkten mein Vertrauen auf Gottes Güte,
dass ihm mein Leben wohl gefiele
und sonderlich, dass ihm das allerliebste an mir wäre die
große Demut. Viel sagten
sie mir davon, was Gottes Gütigkeit gewirkt an ihnen, und
sonderlich in ihren jüngsten Nöten. Auch suchten viel
Seelen mich, die ich nicht kannte, und gaben mir ihr Leben zu
erkennen und baten mich
um ein Gedenken.
[Wolf Brixner: Die Mystiker / Leben und Werk. Weltbild Verlag,
Augsburg 1987, S. 336f]
Johanna Maria Bonomo († 1670) betont
die Sinnhaftigkeit des Gebets für die Sterbenden:
Der Herr ließ
sie einmal alle Teile der Welt und alle Art von Völkern sehen,
zu Meer und zu Land, Große und Mächtige, Arme und Reiche,
Ordensleute und Weltleute, mit ganz verschiedenen Bedürfnissen
und auch Gnaden und anderem. Er ließ sie auch in einem
Augenblick sehen und den Blick darauf richten, wie in der
ganzen Welt 144.000 [d.h. sehr viele] Personen im Sterben lagen
und wie sie ihr sehr dankbar
waren für das Gebet, das sie für sie verrichtete.
Leonhard von Porto Maurizio
(† 1751):
Erbitte ständig
die [Hilfe der] heiligsten Jungfrau für die Seelen im Fegfeuer.
Die Madonna erhört dein Gebet, [in dem du sie bittest,] sie zum
Thron Gottes zu tragen und die Seelen, für die du bittest,
unverzüglich zu befreien.
Anna Katharina Emmerick († 1824)
erfährt in Visionen auch,
welche Kraft das fürbittende Gebet hat, da sich hier die
Gemeinschaft der Heiligen
, der noch lebenden und der
schon bei Gott weilenden vereint:
Rings
um die Mitte, in der ich stand, erschienen durchsichtig im
unbegrenzten Raume Geisterscharen in Chören. Es waren nicht
eigentlich Heilige, es schienen betende Seelen, welche
von unten und oben nahmen und austauschten. Sie nahmen Gebet,
sie beteten, sie hüteten und flehten Hilfe von höheren
Chören herab, welche auf ihr Flehen aus höheren Regionen
Hilfe sendend bald mehr, bald weniger ins Licht traten. Die Höheren
waren die Heiligen. Die mich Umgebenden schienen Seelen, welche der
Herr bestimmt, allerlei Gefahren der Erde zu sehen und Hilfe zu
erflehen. Jedes Amt, jeder Stand auf Erden schien da seine betenden
Seelen zu haben. Alles um mich her war im wohltätigen Wirken;
ich betete auch, denn ich sah tausend Not, und Gott sendete auch
Hilfe durch seine Heiligen, und die Wirkung war augenblicklich durch
unerwartet eintretende Hindernisse des übels, scheinbare
Zufälligkeiten, Sinnesänderung u. dgl. So sah ich z. B.
todkranke, unbußfertige Menschen auf Gebet sich bekehren, das
Sakrament empfangen. Ich sah Leute gefährlich stürzen, ins
Wasser fallend auf Gebet gerettet werden, und immer, als wäre es
schier unmöglich gewesen. Ich sah, vyas einzelnen Verderben
bringen sollte, wie durch eine Hacke hinweggerissen durch Gebet, und
bewunderte die Gerechtigkeit Gottes. …
Mein Führer
ermahnte mich wieder zu beten und alle meine Bekannten zum Gebet für
die Bekehrung der Sünder und besonders um Glauben und Festigkeit
für die Priesterschaft zu bitten; denn es stehe eine sehr
schwere Zeit bevor. Die Verwirrung werde immer größer
werden.
Mein Bräutigam
zeigte mir, wie er von seiner Empfängnis an bis zu seinem Tode
gelitten und immer gesühnt und genuggetan habe. Und ich sah
dieses in lauter Bildern seines Lebens. Ich sah auch, wie durch Gebet
und Aufopferung von Schmerzen für andere manche Seele, welche
auf Erden gar nicht gearbeitet, noch in der Todesstunde zur Bekehrung
gebracht und gerettet werden kann.
[Anna
Katharina Emmerich: Geheimnisse des Alten und des Neuen Bundes. Aus
den Tagebüchern des Clemens Brentano zusammengestellt von P.
Karl Erhard Schmöger. Stein am Rhein, 131993, S. 254 - 256,
319]
Maria vom göttlichen Herzen Jesu
Gräfin Droste zu Vischering († 1899):
Ich habe schon
oft erfahren, dass das beste Mittel, Herr über Schwierigkeiten
zu werden, ist, wenn man dem lieben Gott gerade für diese
Schwierigkeit, Leiden etc. dankt. … Ich glaube, dadurch zeigt man
dem lieben Gott, dass man sich ganz Seinem Willen unterwirft, wenn
das Gefühl auch noch so sehr empört ist.
Anna Schäffer
(1925):
Der liebe Gott
schätzt eine einzige Seele, die wir Ihm - durch unsere Leiden
und Gebet, Mühsale und Opfer zuführen, - höher, -als
alle andren Dienste, die wir Ihm erweisen. …
Mir ist immer,
dass wir vor dem heiligsten Sakramente am meisten erbitten können
und in den hl. Augenblicken nach der hl. Kommunion! Wenn wir dem
lieben Heiland vor dem heiligsten Sakramente und bei der hl.
Kommunion recht innig eine verirrte Seele anempfehlen und für
selbe viel beten und opfern, so glaub ich, dass eine solche Seele
niemals verloren geht, wenn es auch manchmal scheint, dass seine
Bekehrung unmöglich ist.
[Im
Leiden habe ich Dich lieben gelernt!
Die Schriften Anna Schäffers, dokumentiert v. Emmeram H. Ritter. Verlag Abteilung
für Selig- und Heiligsprechungsprozesse für das Bistum
Regensburg, Regensburg 1998, S. 227]
Maria zu den Kindern
Lucia de Jesus († 2005),
Franziskus Marto († 1919) und
Jacinta Marto († 1920):
Betet
den Rosenkranz alle Tage,
um Frieden zu erreichen für die Welt und das Ende des
Krieges!
(13. Mai)
Betet, betet viel
und bringt Opfer für die Sünder, da viele Seelen in die
Hölle kommen, da sie niemand haben, der für sie Opfer
bringt und betet!
(13. August)
Betet weiter den
Rosenkranz, um das Ende des Krieges zu erreichen!
(13.
September)
Errichtet hier eine Kapelle zu Meiner Ehre; denn
ich bin die Herrin des Rosenkranzes, und betet weiter alle Tage den
Rosenkranz!
(13. Oktober)
[Text:
Memorias da irmä Lucia, compilaçäo do Pe. Luis
Kondor. Fatima - Portuqal, vol. 1, S. S. 165 - 171; eigene Übersetzung]
5. Dank- und Lobgebet
Christen: Dank- und Bittgebete: Apologeten (BKV 77).
Pflicht des Dankgebets: Gregor von Nyssa (BKV 93f).
Gott bedarf nicht der Verherrlichung durch uns, er verlangt es unseretwegen: Johannes „Chrysostomus” (BKV V 145f).
Ambrosius von Mailand († 397):
Hast du Zeit zu einer Bitte, so hab' auch
Zeit zum Danken!
Barsanuphios der große Ältere († um 540):
Ein Bruder
schreibt dem Großen Meister: Wie kann man zur echten Danksagung
Gott gegenüber gelangen? Barsanuph antwortet:
Wenn die Armen um eine kleine Gabe bitten, damit sie von grausamer
Not befreit werden und sie erhalten sie, dann danken sie und
verkünden allen ihren Dank und preisen ihre Wohltäter. Wie
vielfach sind wir verpflichtet Gott zu danken? Mit welchen
Dankesworten müssen wir ihn preisen? Er ist unser Schöpfer
und er gab uns Kraft bis jetzt, alle Schwierigkeiten zu überwinden.
Er schenkte uns das Urteil des Herzens, die Gesundheit des Leibes,
das Augenlicht und die Fähigkeit, seine Luft einzuatmen als
Lebensstrom. Was aber alles Natürliche überragt, er führte
uns zur wahren Reue und Zerknirschung und nährt uns mit seinem
Blut und seinem Fleisch zur Vergebung der Sünden und zur
Stärkung unserer Herzen:
Dass er gewinne das Brot und den Wein,
der erfreuet sein Herz
(Psalm 103, 15).
Damit aber niemand auf
den Gedanken komme, diese Worte bezögen sich nur auf das
irdische Brot, sagt derselbe Heilige Geist: Nicht vom Brote allein
soll der Mensch leben, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde
Gottes kommt
(Matthäusevangelium 4, 4). Wenn die Menschen aber schon für die
irdischen und vergänglichen Dinge danken, wie vielmehr müssen
sie danken für alles, was er für sie gelitten hat? Wenn wir
ihm wirklich danken wollen, dann müssen wir unseren Dank dadurch
zeigen, dass wir für ihn zu sterben bereit sind. Was aber tun
die Menschen, von denen er das fordern könnte? Sie beleidigen
ihn durch ihre Sünden, die Menschen, für die er selber
starb. Um der Menschen willen wurde er im Kerker gehalten, auch um
deinetwillen. Musst du da nicht mit allen deinen Kräften ihm
danken? Wenn wir auch mit Herz und Mund ihm danken, so gut wir
können, so bleibt doch unser Dank so klein, wie jene zwei
Scherflein der Witwe im Tempel; aber in seiner Menschenliebe nimmt er
unseren Dank an. Das gilt für sündige Menschen. Die
Gerechten zeigen ihren Dank vor allem durch ihre Selbstüberwindung
und Selbstverleugnung; denn der Apostel verlangt ständigen Dank
an Gott. Und ihm sei die Ehre in alle Ewigkeit. Amen.
[Vom
Reichtum des Schweigens. Ein Zeugnis der Ostkirche. Geistliche
Antwortbriefe der Schweigemönche Barsanuph und seines Schülers
Johannes (6. Jahrhundert), ausgewählt und übersetzt von Matthias Dietz.
Thomas-Verlag, Zürich usw. 1963; Nr. 403, S. 20f]
„Meister” Eckart
(† 1327):
Wäre das
Wort
Danke
das einzige Gebet, das du je sprichst, so würde es
genügen.
Thomas von Kempen
(† 1471):
Du sollst dankbar
sein für das Geringste, und du wirst würdig sein, Größeres
zu empfangen.
Johannes von Gott
(† 1550):
Für alles
sollt ihr Gott Dank sagen: für das Gute und für das Böse!
6. Herzens-, Ruhe- oder inneres Gebet
Mystisches Gebet: Makarius der Ägypter (BKV 71f, 128, 177f, 338f)
Gregor von Nazianz († um 390):
In der Furcht Gottes
hat die Unruhe ihr Ende. Der einzige Gewinn, den du vom irdischen
Leben haben kannst, ist, dass du durch die Unruhe der sichtbaren,
unsteten Dinge zu dem Ewigen, Unbeweglichen geführt wirst.
Frage von Johanna-Franziska von Chantal
bezüglich des Gebets
der Ruhe und Antwort des hl. Franz von Sales (†
1622)
Frage:
Ob die
Seele, die sich so ganz hingegeben hat, nicht, soweit das möglich
ist, alles vergessen soll, um sich immer an Gott zu erinnern und um
in wahrem, vollem Vertrauen in Ihm allein zu ruhen?
Antwort: Ja, Sie
sollen alles vergessen, was nicht von Gott und für Gott ist, und
unter der Führung Gottes in vollem Frieden bleiben.
Da Unser Herr schon
seit langem Sie zu dieser Gebetsweise gezogen hat und Sie die so
begehrenswerten Früchte kosten ließ, die daraus kommen,
Sie auch die Schäden der entgegengesetzten Weise erfahren ließ,
so bleiben Sie fest und führen Sie, mit soviel Ruhe, wie Sie nur
können, Ihren Geist zu dieser Einheit und Einfachheit der
Gegenwart Gottes und der Hingabe an Gott. …
Gott will, dass wir
darin wie ein kleines Kind sein sollen. Man muss nur Acht haben, sich
keine überflüssigen Sorgen zu machen, und in allem
einzelnen, auch bei den geringen, gewohnten und unbeachteten
Handlungen nach dem Willen Gottes fragen.
[Aus
einem Brief an Franz von Sales, Annecy 1614. Nach: Briefe der
heiligen Johanna Franziska von Chantal an den heiligen Franz von Sales,
übertragen von E. Heine. München 1929, S. 108 - 111]
Claudius de la Colombière († 1682) empfiehlt in einem
Brief die Übung des Herzensgebets, das auch Gebet der
Einfachheit oder Ruhe genannt wird:
Gott sollte die
einzige Unterhaltung unseres Herzens sein; zu ihm sollten wir gehen
in Einfalt des Herzens und ohne viel Erwägungen. … Sie werden
Gott immer nahe finden, wenn Sie ihn aufrichtig suchen, und wenn Sie
Ihn haben, ist alles übrige ohne Belang für Sie. … Mühen
Sie sich nicht ab, zu Gott zu sprechen, denn es bedarf keiner Worte
noch Gedanken, wenn nur das Herz bei ihm ist. … Das Gebet, die
Sammlung fordert keine Anspannung; man muss diesen Fehler vermeiden;
unser Herz soll sich mit Gott vereinigen. Macht Ihr Geist dieser
Vereinigung Schwierigkeiten, dann lieben Sie und tun Sie im übrigen,
was Sie für gut finden. … Der, den Sie lieben, sieht Ihr Herz,
und das ist genug.
[Aszese
und Mystik des sel. P. Claudius de la Colombière S.J. In:
Zeitschrift für Aszese und Mystik 4 (1929), S. 263 - 273]
Der Priester und Gründer der Sulpizianer
Jean Jacques Olier († 1654) antwortet auf die Frage: Wie soll
ich innerlich beten?
Wie uns das Gebet
des Herrn lehrt, hast Du ein Zweifaches zu tun, das ich Dir bei
anderer Gelegenheit ausführlicher erklären will. Das Erste:
Gott anbeten, loben und verherrlichen; das Zweite: ihm unsere Not
bittend vortragen. … Der erste Teil heißt Anbetung,
der zweite Vereinigung.
Das Wort Anbetung
wird in der Heiligen Schrift oft gleichbedeutend mit religio
gebraucht; damit ist jene christliche Grundhaltung bezeichnet, die
die Seele zur radikalen Demut, zur Bewunderung, zum Lob, zum Dank,
zur Liebe, mit einem Wort: zu all dem bewegt, was wir Gott gegenüber
in diesem ersten Teil des Gebetes zum Ausdruck bringen sollen. …
[In der Vereinigung]
schenkt man sich Gott, um Anteil zu erhalten an dem, was er selbst
ist und wozu er uns bewegen möchte. Denn die Teilhabe und die
Gemeinschaft, die Gott an seinen Gaben und Vollkommenheiten gewährt,
heißt communio
, Vereinigung - im Besonderen bei
den griechischen Vätern, denn dadurch gibt uns Gott Anteil an
seinen Reichtümern. Die Teilhabe am Leib Christi heißt
sakramentale Kommunion, weil uns dieses Sakrament die Güter Jesu
Christi schenkt und uns seine größten Gaben mitteilt. Die
Teilhabe, die im innerlichen Gebet geschieht, heißt geistliche
Kommunion wegen der Gaben, die Gott uns dabei gibt durch das
verborgene Wirken seines Geistes. Die Seele, die solch geheimes
Wirken in ihrem Herzen wahrnimmt, soll ruhig und still bleiben, um
die ganze Fülle der Gaben und Mitteilungen Gottes empfangen zu
können; sie soll nicht aus Eigenem tätig werden wollen oder
solche Anstrengungen setzen, die das reine und heilige Wirken des
göttlichen Geistes in ihr stören würden. …
Man fügt einen
dritten Teil an, den manche Entschlüsse
nennen und den man passender mit Kooperation bezeichnen
könnte. Damit ist die Frucht des Gebetes und seine Auswirkung
auf den ganzen Tag angedeutet. …
Im zweiten Teil des
Gebetes ist ein vollkommenes Verlangen wach geworden, unseren Herrn
in dem nachzuahmen, worin man ihn im ersten Teil angebetet hat;
mehrmals hat man ihn um diese Gnade gebeten und sich lange in seiner
Gegenwart aufgehalten wie ein armer Bettler, der unaufhörlich
seine Not kundgibt und denen die Hand entgegenstreckt, von denen er
Hilfe erhoffen kann. Der dritte Teil des Gebetes besteht nun darin,
der empfangenen Gnade zu entsprechen und mit ihr treu mitzuwirken,
indem man gute Vorsätze fasst, indem man auf jene Gelegenheiten
im Laufe des Tages vorausschaut, bei denen diese Vorsätze
ausgeführt werden sollen, und indem man sich voll der Kraft des
Geistes unseres Herrn Jesus Christus hingibt, um ihm nicht nur am
heutigen Tag, sondern auch in der Folge unseres Lebens voll zu
entsprechen. … Dem Heiligen Geist soll man aber ganz hingegeben
bleiben, damit er in uns bei jeder Gegebenheit wirke, uns an seine
Pläne und Vorhaben erinnere und uns die Liebe schenke und die
Kraft, seine Absichten zu erfüllen. Deshalb soll man das
(innerliche) Gebet abschließen durch einen Akt der Hingabe,
indem man sich dem Heiligen Geist ganz überlässt, der unser
Licht und unsere Liebe und unsere Kraft sein.
[Jean-Jacque
Olier. In: Quellen des geistlichen Lebens, Bd. 3, hrsg. von Gisbert
Greshake und Josef Weismayer. Matthias Grünewald Verlag,
Ostfildern 2008, S. 155 - 160]
Die Mystikerin Jeanne Marie Guyon du Chesnoy (geborene. Bouvier de la Motte) († 1717) über
das innere Gebet:
Alle, die innerlich beten wollen, können
das ohne Mühe mit Hilfe der Gnade sowie der Gaben des Heiligen
Geistes, die allen Christen gemeinsam sind. Das Innere Gebet ist der
Schlüssel zur Vollkommenheit und zum höchsten Glück.
Es ist eine wirksame Hilfe, uns von allen Fehlern zu reinigen und mit
allen guten Eigenschaften auszustatten; denn der beste Weg,
vollkommen zu werden, ist: in der Gegenwart Gottes zu gehen. Er sagt
es uns selbst:
Geh deinen Weg vor meinem Angesicht, und sei
vollkommen
(1. Mose 17, 1). Das Innere Gebet allein vermag euch
diese Gegenwart zu vermitteln, und zwar beständig. Es geht also
darum, ein Beten zu erlernen, das zu jeder Zeit geschehen kann, das
von äußeren Beschäftigungen nicht abbringt, das
Prinzen, Könige, Prälaten, Priester, Beamte, Soldaten,
Kinder, Handwerker, Arbeiter, Hausfrauen und Kranke ausüben
können. Es ist kein Beten mit dem Kopf es ist ein Beten mit dem
Herzen. Es ist kein bloß gedankliches Gebet, denn das Denken
des Menschen ist so begrenzt, dass er, wenn er an das eine denkt,
nicht an etwas anderes denken kann. Das Gebet des Herzens aber wird
von all den Tätigkeiten des Verstandes nicht unterbrochen.
Nichts kann das Gebet des Herzens unterbrechen, außer
ungeordnete Neigungen. Sobald man einmal Gott und die Süße
seiner Liebe gekostet hat, ist es unmöglich, an etwas anderem
Gefallen zu finden als an ihm. …
Unser Inneres ist
keine Festung, die man mit Kanonen und Gewalt einnimmt. Es ist ein
Reich des Friedens, das sich mit Liebe in Besitz nehmen lässt.
Wenn man in solcher Weise ganz behutsam auf diesem kleinen Weg
weitergeht, wird man bald zum eingegossenen Inneren Gebet gelangen.
Gott verlangt nichts allzu Schwieriges; im Gegenteil, ihm gefällt
aufs höchste ein ganz einfaches, kindliches Vorgehen. …
Kommt, ihr armen
Kinder, redet mit eurem himmlischen Vater in eurer natürlichen
Sprache; wie grob und plump sie auch sein mag, für ihn ist sie
es nicht. Ein Vater liebt mehr ein Gestammel voller Liebe und
Ehrfurcht, das er von Herzen kommen sieht, als eine feierliche,
ausgeklügelte Ansprache, die kalt, leblos und unfruchtbar ist.
Schon ein Aufblick voller Liebe kann ihn erfreuen und entzücken.
Darin liegt unendlich viel mehr als in allen klugen Reden und
überlegungen.
[Ulrike
Voigt (Hrsg.): Du rührst die Saiten meiner Seele. Die großen
Mystikerinnen vom Mittelalter bis heute. Präsenz Kunst
Buch, Hünfelden 2010, S. 139 - 146]
7. Psalmengebet
Umstritten ist, ob
die Ausführungen über das Gut des Psalmengesang
von Nicetius von Trier († um 566) stammen:
Über das Gut
der Psalmodie wollen wir das sagen, was uns Gott zu schenken geruht.
Liebste, wir sind ebenso durch die Lehren der Prophetie wie durch die
der Evangelien und Aposteln unterwiesen; ihre Worte und Taten wollen
wir uns vor Augen halten, denn durch sie sind wir war wir sind. Und
wir wollen also nach deren Zeugnis darlegen, wie Gott die geistlichen
Gesänge überaus angenehm sind. Dabei wollen wir auf die
Anfänge zurückgreifen: Als erster hat Mose, der Anführer
der Stämme Israels, Chöre eingerichtet. … Du wirst finden,
dass später nicht nur viele Männer, sondern auch Frauen vom
Heiligen Geist erfüllt Gottes Geheimnisse besungen haben, und
zwar auch schon vor David, der von Kindheit an von Gott für
diese Aufgabe besonders erwählt wurde und der das Verdienst hat,
der erste der Sänger und eine Schatzkammer von Lieder zu sein. …
Was wirst du nicht in
den Psalmen finden, das beiträgt zum Nutzen und zur Erbauung,
zum Trost der Menschheit, des menschlichen Standes, Geschlechts und
Alters? In den Psalmen findet der Säugling, was ihn nährt,
der Knabe, was Lob spendet, der Jugendliche, was seinen Weg
korrigiert, der ältere, worum er beten kann. Es lernt die Frau
Schamhaftigkeit, die Waisenknaben finden einen Vater, die Witwen
einen Richter, die Armen einen Fürsorger, die Fremden einen
Schützer und die Könige und Richter hören, was sie
fürchten sollen. Der Psalm tröstet die Trauernden, mäßigt
die Fröhlichen, besänftigt die Zornigen, erfrischt die
Armen und mahnt die Reichen, sich selbst zu erkennen und tadelt sie,
um sie vor dem Hochmut zu bewahren. So bietet der Psalm gänzlich
allen, die ihn beten, eine geeignete Arznei; auch die Sünder
verachtet er nicht, sondern verabreicht ihnen zu ihrem Heil durch
tränenreiche Buße eine Medizin. …
Angenehm lässt
sich der Psalm anhören, wenn er gesungen wird und dringt in die
Seele ein, wenn er erfreut; leicht werden die Psalmen im Gedächtnis
behalten, wenn sie häufig gesungen werden, und was die Härte
des Gesetzes aus dem menschlichen Geist nicht auszureißen
vermochte, das schließen die Psalmen durch die Wonne des
Gesanges aus: Denn was, die Propheten, was die Evangelien
vorschreiben, das bergen diese Gesänge in sich, wenn man sie
voll süßer Wonne meditiert.
Gott wird gezeigt, dass
man ihn fürchte, die Götterbilder werden verlacht, die
Gerechtigkeit wird eingeflößt, die Barmherzigkeit gelobt,
der Unglaube abgewiesen, die Wahrheit gesucht, Lügen werden
verurteilt, die List angeklagt, die Unschuld gerühmt, der
Hochmut verworfen, die Demut erhoben, die Buße gepriesen, der
Friede als erstrebenswert dargetan. Gegen die Feinde wird Schutz
gefordert, Vergeltung versprochen, sicher die Hoffnung genährt
und was noch hervorragender als dies alles ist: In den Psalmen werden
die Sakramente Christi besungen.
Lasst uns also
alle wie aus einem Munde denselben Psalmenton und in gleicher Weise
denselben Rhythmus der Stimme vortragen! Wer sich aber den übrigen
nicht angleichen kann, für den ist es besser, zu schweigen oder
mit leiser Stimme zu psallieren als mit lauter Stimme alle zu
übertönen; denn so wird er auch die Pflicht des Dienstes
erfüllen und der demütig psallierenden Bruderschaft kein
ärgernis geben. Wenn also unser aller Stimme keinen Anstoß
erregt und sich harmonisch in den Zimbelklang der Stimmen einfügt,
wird sie sowohl uns erfreuen, als auch die Hörer erbauen und
unserem Gott wird der ganze Lobgesang angenehm sein.
[De
psalmodiae bono. MPL 68, Sp. 571 - 576; eigene Übersetzung]
8. Rosenkranzgebet
(siehe auch: Rosenkranz)
Maria zu den Kindern
Lucia de Jesus († 2005),
Franziskus Marto († 1919) und
Jacinta Marto († 1920) am 13. Juli 1917:
Betet jeden Tag
den Rosenkranz zu Ehren Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz, um den
Frieden für die Welt …, denn nur sie allein kann das
erreichen! …
Wenn ihr den
Rosenkranz betet, dann sagt nach jedem Geheimnis: O mein Jesus,
verzeih uns unsere Sünden; bewahre uns vor dem Feuer der Hölle,
führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die Deiner
Barmherzigkeit am meisten bedürfen! …
Opfert euch auf
für die Sünder und sagt oft, wenn ihr ein Opfer bringt: O
Jesus, ich tue das aus Liebe zu Dir, für die Bekehrung der
Sünder und zur Sühne für all die Sünden gegen das
Unbefleckte Herz Mariens
!
am 19. August 1917:
Betet, betet viel und bringt Opfer für die
Sünder, denn viele Seelen kommen in die Hölle, weil sich
niemand für sie opfert und für sie betet!
[Kongregation für die Glaubenslehre. Die Botschaft von Fatima. 26. Juni 2000
- https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents /rc_con_cfaith_doc_20000626_message-fatima_ge.html
- abgerufen am 22.10.2019
http://www.kathpedia.com/index.php/Fatima]
9. Stoßgebete
Augustinus von Hippo (†
430): Stoßgebete sind
gleichsam Pfeilgebete
der Brüder in Ägypten [BKV X 206f].
Josef Maria Tomasi († 1713):
Stoßgebete
sind üblich; sie erheben den Geist zu Gott bei jeder Tätigkeit
und Angelegenheit, auch bei zeitweiser Zerstreuung; denn es ist sehr
leicht, das Herz kurz zu Gott zu erheben, um von ihm Hilfe zu
erbitten, so wie es für den, der auf der Erde unterwegs ist,
leicht ist, einen kurzen Blick auf die Sonne zu werfen; außerdem
kann er dann manch besondere Zeit finden, um ein längeres Gebet
zu verrichten; dabei ist meiner Meinung nach das beste Gebet das, das
uns der Heilige eingibt, der weiß, was nötig ist und
worum wir beten sollen, wie wir es in den Psalmen finden.
10. Stufen des Gebets
Bernhard von Clairvaux († 1153)
unterscheidet vier Stufen des
Gebets:
Es gibt vier
Stufen des Gebets, je nach der Gesinnung des Menschen. Zuerst betet
der Anfänger, aus der Schlinge böser Gewohnheiten befreit
zu werden. Dann wird er mutig und bittet um die Vergebung der Sünden.
Nach der Vergebung gewinnt er neue Zuversicht und erbittet von Gott
die Kraft zu einem guten Leben. Jetzt betet er auch für die
anderen. Schließlich wird er so vertraut mit Gott, dass er bei
jedem Gebetsanliegen eher Dank sagt als bittet.
Das erste Gebet wird in
der Gesinnung der Scham dargebracht. Solange einer nämlich an
seine schlechte Gewohnheit gebunden ist und oft in die früheren
Sünden zurückfällt, schämt er sich und wagt es
nicht, vor Gottes Augen zu treten. Er tritt lieber mit der Frau des
Evangeliums von hinten heran und berührt den Saum des Gewandes
Jesu (vgl. Matthäusevangelium 9, 20).
Das zweite Gebet wird
in der Gesinnung der Lauterkeit dargebracht. Gereinigt von der
schlechten Gewohnheit ist im Geist des Betenden keine
Unaufrichtigkeit mehr. Er legt ein Bekenntnis ab und entblößt
die ganze Wunde vor dem Arzt, um geheilt zu werden.
Das dritte Gebet wird
in der Gesinnung der Weite dargebracht. Im Lauf der Zeit weitet sich
nämlich das Beten, und der Mensch betet für sich und die
anderen.
Das vierte Gebet wird
in der Gesinnung der Hingabe dargebracht. Nun vertraut der Mensch in
seiner großen Liebe zu Gott, dass ihm das gehört, worum er
früher gebetet hat. Darum beginnt er mit der Danksagung, wie
auch Jesus, der Herr, sprach: Vater, ich danke dir, dass du
mich immer erhörst!
(Johannesevangelium 11, 41 f)
[Bernhard von Clairvaux: Über das Beten. = Zisterziensische Spiritualität
für den Alltag, Heft 3. Regensburg 2003, S. 12 - 14]
Theresa von Ávila
(† 1582) vergleicht das geistliche Leben der Seele
auch mit einem Garten, der durch verschiedene Gebetsgrade bewässert
werden kann:
Einer, der
anfängt, muss sich bewusst machen, dass er beginnt, auf ganz
unfruchtbarem Boden, der von ganz schlimmem Unkraut durchwuchert ist,
einen Garten anzulegen, an dem sich der Herr erfreuen soll. Seine
Majestät reißt das Unkraut heraus und muss dafür die
guten Pflanzen einsetzen. Stellen wir uns nun vor, dass dies bereits
geschehen ist, wenn sich ein Mensch zum inneren Beten entschließt
und schon begonnen hat, es zu halten. Mit Gottes Hilfe haben wir als
gute Gärtner nun dafür zu sorgen, dass diese Pflanzen
wachsen, und uns darum zu kümmern, sie zu gießen, damit
sie nicht eingehen, sondern so weit kommen, um Blüten
hervorzubringen, die herrlich duften, um diesem unseren Herrn
Erholung zu schenken, und er folglich oftmals komme, um sich an
diesem Garten zu erfreuen und sich an den Tugenden zu ergötzen.
…
Ich meine, dass man
[diesen Garten] auf viererlei Weisen bewässern kann: Entweder,
indem man Wasser aus einem Brunnen schöpft, was uns große
Anstrengung kostet; oder mit Hilfe von Schöpfrad und
Rohrleitungen, wo Wasser mit einer Drehkurbel heraufgeholt wird; ich
habe es selbst manchmal heraufgeholt: das ist weniger anstrengend als
jene andere Art und fördert mehr Wasser; oder aus einem Fluss
oder Bach: damit wird viel besser bewässert, weil die Erde
besser mit Wasser durchtränkt wird und man nicht so oft
bewässern muss, und es ist für den Gärtner viel
weniger anstrengend; oder indem es stark regnet; dann bewässert
der Herr ohne jede Anstrengung unsererseits, und das ist
unvergleichlich viel besser als alles, was gesagt wurde.
Diese vier Arten der
Bewässerung, durch die der Garten erhalten wird - denn ohne das
müsste er eingehen - nun zur Anwendung zu bringen, das ist es,
worauf es mir ankommt, womit ich glaubte, etwas von den vier
Gebetsstufen erläutern zu können, in die der Herr in seiner
Güte meine Seele manchmal versetzt hat. …
Von denen, die
beginnen, inneres Beten zu halten, können wir sagen, dass es die
sind, die das Wasser aus dem Brunnen schöpfen, was, wie ich
gesagt habe, für sie eine große Anstrengung ist, weil sie
sich abplagen müssen, um die Sinne zu sammeln. Da diese es
gewohnt sind herumzustreifen, ist das eine ziemliche Anstrengung. Sie
müssen es sich allmählich zur Gewohnheit machen, auf das
Sehen und Hören nichts mehr zu geben und das dann in den Stunden
des inneren Betens auch zu praktizieren, sondern in Einsamkeit zu
verweilen und, zurückgezogen, über ihr vergangenes Leben
nachzudenken.
Bei der zweiten Art
der Bewässerung beginnt die Seele sich zu sammeln und
rührt dabei schon an etwas übernatürliches, das sie
allerdings in keiner Weise selbst erreichen kann, so viele
Anstrengungen sie auch vollbringt. Es stimmt zwar, dass es so
aussieht, als habe sie sich eine Zeitlang mit dem Drehen des
Schöpfrads und dem Arbeiten mit ihrem Erkenntnisvermögen
abgeplagt, und als hätten sich die Rohrleitungen schon gefüllt,
doch steht der Wasserspiegel hier schon höher, und so hat man
hier viel weniger Arbeit als beim Wasserschöpfen aus dem
Brunnen. Ich möchte sagen, dass das Wasser schon näher ist,
weil sich die Gnade der Seele schon klarer zu erkennen gibt.
Das bedeutet eine
Sammlung der Seelenvermögen in sich hinein, um von dieser
Beglückung mit noch mehr Wohlbehagen zu genießen; doch
gehen sie nicht verloren, noch schlafen sie ein. Nur das
Empfindungsvermögen ist derart beschäftigt, dass es sich,
ohne zu wissen wie, gefangen nehmen lässt, das heißt, es
gibt nur seine Zustimmung, damit Gott es einkerkert, wie jemand, der
sehr wohl weiß, dass er der Gefangene dessen ist, den er liebt.
…
Kommen wir nun auf das
dritte Wasser zu sprechen, mit dem dieser Garten bewässert wird,
nämlich das fließende Wasser eines Flusses oder einer
Quelle, mit dem man mit weniger Mühe bewässert, auch wenn
es einige Mühe kostet, das Wasser zuzuleiten. Hier will der Herr
dem Gärtner schon derart helfen, dass er fast schon selber der
Gärtner ist und derjenige, der alles tut.
Es ist dies ein Schlaf
der Seelenvermögen, die sich nicht ganz verlieren, aber auch
nicht verstehen, wie sie am Werk sind. Das Wohlgefühl und die
Zärtlichkeit und die Beseligung sind unvergleichlich viel größer
als das Bisherige. Es ist nämlich so, dass das Wasser der Gnade
dieser Seele schon bis zum Halse steht, so dass sie nicht mehr
vorangehen kann, und auch nicht weiß wie, aber auch nicht
zurück kann. Sie möchte sich der höchsten Herrlichkeit
erfreuen. Sie ist wie jemand, der die Kerze bereits in der Hand hält,
so dass ihm nur noch wenig fehlt, um den Tod zu sterben, nach dem er
sich sehnt. In dieser Agonie genießt sie die tiefste
Beseligung, die sich nur ausdrücken lässt. Nichts anderes
scheint es mir zu sein, als ein fast gänzliches Sterben für
alle weltlichen Dinge und ein Genießen Gottes. …
Der Herr möge mir
die Worte beibringen, wie man etwas über das vierte Wasser sagen
kann. Seine Gunst ist hier sehr nötig, noch mehr als beim
vorigen, denn bei jenem spürt die Seele, dass sie noch nicht
ganz gestorben ist, denn so dürfen wir uns ausdrücken, weil
sie es für die Welt ist. Aber wie ich schon sagte, hat sie noch
soviel Gespür, um zu erkennen, dass sie in ihr weilt, und ihre
Einsamkeit zu spüren, und sie nützt äußere
Mittel, um zu verstehen zu geben, was sie empfindet und sei es durch
Zeichen.
Bei jedem Gebet und bei
allen Gebetsweisen, von denen bislang die Rede war, tat der Gärtner
immer noch irgendeine Arbeit, auch wenn bei diesen letzten die Arbeit
mit soviel Herrlichkeit und Trost für die Seele verbunden ist,
dass sie da nie herausgehen möchte, und so empfindet sie es
nicht als Anstrengung, sondern als Herrlichkeit.
Hier nun nimmt man
nichts wahr, sondern genießt nur, ohne zu erkennen, was man
genießt. Man erkennt zwar, dass man ein Gut genießt, in
das alle anderen Güter eingeschlossen sind, doch erfasst man
dieses Gut nicht. Es sind alle Sinne mit diesem Genuss beschäftigt,
so dass keiner mehr frei ist, um sich noch mit etwas anderem
beschäftigen zu können, weder mit äußerem noch
mit Innerem. … Das Wie dieses Gebets, das man als Gotteinung
bezeichnet, und was es ist, das wüsste ich nicht verständlich
zu machen. Es wird in der mystischen Theologie erläutert, denn
ich wüsste nicht einmal die richtigen Ausdrücke zu
benennen.
[Teresa
von Ávila: Das Buch meines Lebens. = Gesammelte Werke, Bd. 1.
Freiburg - Basel - Wien 42006, S. 185 - 263]
Antonius Maria Claret y Clará
(† 1870) über sechs Talente des Gebets:
Ein Talent: Das
mündliche Gebet.
Es ist angebracht, die
Talente des Gebets zu kennen, die ein jeder von Gott empfangen hat,
um mit ihnen [Gewinn bringend] Handel zu treiben.
Die Gebetsgabe, die
einem Talent gleicht, ist das mündliche Gebet.
Dieses Talent hat
bekanntlich jene Seele, die, während sie mündlich betet,
betrachtet, und sobald sie nicht mehr mündlich betet, kann sie
auch nicht mehr betrachten und sie zerstreut sich in anderes.
Praxis: Die Person,
welche diese Gabe von Gott empfangen hat, wird damit zufrieden sein
und wird, soweit sie kann, diese Gabe auf folgende Weise anwenden:
Sie wird jeden Tag, für den Zeitraum einer Viertel- oder halben
Stunde oder länger zu Hause, in der Kirche oder an einem anderen
Ort, beim Knien, Stehen, Gehen oder Arbeiten, entsprechend ihren
Möglichkeiten gläubig und demütig das Vaterunser beten
und bei jedem Wort mehr oder weniger Zeit verbringen, je nachdem sie
dabei verweilen kann.
So wie sich die Biene
auf einer Blume niederlässt, um Wachs und Honig zu gewinnen, so
wird auch die Seele bei jedem Wort verweilen, solange sie etwas
entnehmen kann, was zur größeren Ehre Gottes und zum
eigenen Wohl und zu dem des Nächsten beiträgt. …
Was über das
Vaterunser gesagt wurde, gilt in gleicher Weise auch für das Ave
Maria, das Salve, das Credo, die Gebote, Sakramente und die Letzten
Dinge. …
Zwei Talente: Das
geistige Gebet oder die Meditation [Betrachtung]
Die Gabe des Gebets,
welche zwei Talenten gleicht, ist die Meditation. … Diese ist
der zuverlässige und echte Weg, auf dem sich alle Menschen zum
Himmel begeben sollen und nur in besonderen Fällen begeben sie
sich auf andere Wege. … Die Meditation wird vollzogen mit den
Fähigkeiten der Seele, mit dem Gedächtnis, dem Verstand und
dem Willen, wobei zusammen mit der Vorstellungskraft die leiblichen
Sinne sich auf den Gegenstand der Meditation richten, als ob wir das,
was wir betrachten, sehen, hören, schmecken und tasten könnten.
Der Stoff der
Meditationen sollen die Letzten Dinge sein und besonders das Leben,
Leiden und der Tod Jesu Christi, unseres Erlösers. …
Drei Talente: Das Gebet
der Tugendakte
Die Gabe des Gebets,
die drei Talenten gleicht, ist das Gebet der Tugendakte. Das Ziel der
Betrachtung sind die Tugendakte und derjenige, der diese kostbare
Gabe erhält, befindet sich schon am Ziel der Betrachtung, wobei
er gleichsam ohne Mittel dahin gelangte. Während der Zeit des
Gebets verweilt er in den Tugenden, die Gott dort für ihn
bereithält: Das sind Akte des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe,
der Demut und der Ergebung in den Willen Gottes. In diesen Tugenden
übe man sich … während des Tages.
Es ist wie bei den
Soldaten, die sich im Gebrauch der Waffen üben, und wenn sie den
Feind angreifen müssen, machen sie dies gut; und außerdem
machen sie, gut geübt, Fortschritte. So verhält es sich
auch mit dem Christen, der ja ein Soldat der kämpfenden Kirche
ist.
Vier Talente: Die
Kontemplation [Beschauung]
Die Gabe der
Kontemplation gleicht vier Talenten und jene Seele besitzt diese
Talente, die die Eigenschaften Gottes betrachten [schauen] kann:
seine Güte, seine Schönheit, seine Weisheit, seine
Allmacht, seine Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit.
Die Seelen, die von
Gott diese kostbare Gabe haben, lieben ihn sehr, denn sie kennen ihn
mehr als die anderen Seelen, die diese Gabe nicht haben, und Gott
wird in dem Maß geliebt, in dem er bekannt ist.
Fünf Talente: Das
gemischte Gebet der Gottheit und Menschheit Jesu Christi, der
Existenz Gottes in seinen vernünftigen und unvernünftigen
Geschöpfen und in allen Dingen, welche existieren.
Die Gabe des gemischten
Gebets gleicht den fünf Talenten. Dieses gemischte Gebet besteht
in der Betrachtung und Erwägung dessen, was Jesus Christus getan
und erlitten hat, er, der wahre Gott und wahre Mensch, sowie im
Betrachten seiner Gottheit in seiner Menschheit.
Auch das ist ein
gemischtes Gebet, das darin besteht, Gott in allen Dingen zu schauen:
in seiner Wesenheit, seiner Gegenwart und Macht, wobei man erkennt,
dass alle Schönheit, Anmut, Heiligkeit und Vollkommenheit, die
wir darin sehen, Teilhabe an Gott ist.
Wer diese Gabe hat,
sieht die anderen mit höchstem Respekt und höchster
Verehrung, er zieht alle anderen sich vor, denn er ist sich zutiefst
seines Nichts und seiner Sünden bewusst.
Wer diese kostbar Gabe
hat, weiß, dass es Gott ist, der in der Seele des Gerechten sie
gerecht macht und sie belebt durch seine Gnade, wie der Erzengel zur
heiligsten Maria sprach: ;Ave, gratia plena, Dominus tecum
…
Manchmal hat die Seele
des Gerechten einen so großen Genuss, dass es ihr scheint, sie
zerschmelze bald in Tränen zärtlicher Liebe, bald in Tränen
des Schmerzes, weil sie gesündigt und Gott beleidigt hat. Sie
erkennt, dass er ein so guter Vater ist, dem sie mit solchem Undank
geantwortet hat, dass sie vor Schmerz stirbt. Dieser Schmerz
veranlasst sie, die bittersten Bußen auf sich zu nehmen; und
wenn sie sich so züchtigt, findet sie einigen Trost. …
Sechs Talente: Einigung
Die Gabe des Gebets der
Einheit gleicht sechs Talenten; es ist dies die reichste Gabe; denn
sie ist mit Gott selbst auf eine ganz besondere Weise verbunden, wie
Jesus Christus sagt: ‚Wer mich liebt, wird meine Gebote halten,
und mein Vater wird ihn lieben; und wir werden kommen und in ihm
Wohnung nehmen (Joh 14,23). Und weil die Seele des Gerechten
Gott liebt, ist sie in Gott, und beide sind in solcher Weise [mit
einander verbunden], dass sie mit Paulus sprechen kann: Ich
lebe, aber nicht ich lebe, vielmehr Christus lebt in mir
(Galaterbrief 2,20).
Aus dieser heiligen Einigung entspringt jener Friede und jene
innere Ruhe, welche die Seele erfährt, die betrachtet und liebt
wie Maria und arbeitet wie Marta, doch ohne Geschäftigkeit und
tadelnswerte Sorge. Die Seele in dieser Einigung befindet sich im
Zustand solcher Zufriedenheit und solchen Glücks, dass es ihr
scheint, dass niemals etwas sie von ihrem Geliebten trennen kann.
[San
Antonio Maria Claret: Escritos espirituales, ed. par J. Bermejo,
pres. de G. Alonso. = Biblioteca de autores cristianos 471. Madrid
1985, S. 107 - 112; eigene Übersetzung
11. Vater unser
siehe BKV: Tertullian, Origenes, Cyrill von Jerusalem, Gregor von Nyssa, Johannes „Chrysostomus”, Cyprian von Karthago, Petrus „Chrysologus”, Armenische Väter, Chromatius von Aquileia
Das Vater unser soll dreimal täglich gebetet werden: Apostolische Väter (BKV 11).
Inbegriff des ganzen Evangeliums: Tertullian (BKV I 249).
Wert des Vaterunsers: Cyprian von Karthago (BKV I 167f)
Mittel zur Vergebung täglicher Sünden: Augustinus von Hippo (BKV III 423 - 435).
Von Chromatius von Aquileia
(† 407) stammt folgende kurze Erklärung des Vater
unsers:
Vater unser,
der du bist im Himmel:
Dieses Wort der Freiheit ist voll
Vertrauen. Ihr sollt also nach diesen Sitten leben, dass ihr Söhne
Gottes und Brüder Christi sein könnt. Denn wer maßt
sich an, Gott seinen Vater zu nennen, der von seinem Willen abweicht?
Deshalb, Geliebteste, erweist euch der göttlichen Vaterschaft /
Adoption würdig, da geschrieben steht: Allen, die an ihn
glauben, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden.
[vgl. Johannesevangelium
1, 12].
Geheiligt werde dein
Name:
Das heißt nicht, dass Gott durch unsere Gebete
geheiligt wird, sondern dass wir, die wir in seiner Taufe geheiligt
werden, in dem Begonnenen verharren.
Dein Reich komme:
Freilich, wann herrscht denn unser Gott nicht, dessen Reich doch
unsterblich ist? Aber wenn wir beten: dein Reich komme
, bitten
wir, dass das Reich für uns komme, das uns von Gott verheißen
und durch das Blut und Leiden erworben ist.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden:
Das heißt: darin geschehe dein Wille, dass
wir, die wir uns noch auf Erden befinden, das, was du im Himmel
willst, tun.
Unser tägliches
Brot gib uns heute:
Darunter sollen wir die geistliche Speise
verstehen. Denn Christus ist unser Brot, der gesagt hat: Ich
bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist
[Johannesevangelium
6, 51].Wir nennen es täglich, weil wir so das Freisein
von Sünden erbitten sollen, damit wir der himmlischen Speisen
würdig sind.
Und vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern:
Mit
diesem Gebot deutet er an, dass wir nicht anders die Vergebung für
unsere Sünden verdienen können, wenn wir nicht vorher
denen, die sich gegen uns verfehlen, [ihre Schuld] nachlassen; denn
so spricht der Herr im Evangelium: Wenn ihr den Menschen nicht
ihre Sünden vergebt, wird auch euer Vater eure Sünden nicht
vergeben
[Matthäusevangelium 6, 14].
Und führe uns
nicht in Versuchung:
Das heißt: lass uns nicht versucht werden von
dem, der versucht, dem Urheber der Bosheit. Denn die Schrift sagt:
Gott versucht nicht zum Bösen.
[vgl. Jakobusbrief 1, 13].
Aber der Teufel ist der Versucher. Um ihn zu besiegen sagt der
Herr: Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet
[Markusevangelium 14, 33].
Sondern erlöse
uns von dem Bösen:
Das sagt er deshalb, weil der Apostel
gesagt hat: Ihr wisst nicht, um was ihr beten sollt
[vgl.
Römerbrief 8, 26].Daher sollen wir zum allmächtigen Gott so
beten, dass er gnädig geruhe, dass er uns das, was unsere
menschliche Schwachheit überhaupt nicht meiden kann, schenke,
Gott unser Herr Jesus Christus, der lebt und herrscht als Gott in der
Einheit mit dem heiligen Geist in alle Ewigkeit. Amen.
[Chromatiii
Aquileiensis sermones, cura J. Lemarié (Scriptores circa
Ambrosium), sermo 11,1. Medioloani-Romae 1989; eigene Übersetzung]
Robert Bellarmin
(† 1621) unterstreicht die herausragende Bedeutung
des Vater unser:
Bezüglich
der herausragenden Bedeutung hat das Vater Unser durch seine
Autorität, Kürze, Vollkommenheit, Anordnung, Wirksamkeit
und Notwendigkeit den Vorrang vor anderen Formen des Gebets.
An Autorität,
da es ja von der Weisheit Gottes selbst verfasst worden ist. Darum
kann uns nicht nur kein Mensch, sondern auch kein Engel besser in der
rechten Art zu beten unterrichten, als es Christus getan hat.
Auch an Kürze
ragt es hervor, da das Gebet angesichts der Erhabenheit und Vielfalt
der enthaltenen Gegenstände nicht hatte kürzer sein können.
Diese äußerste Kürze ist aber nützlich, und zwar
sowohl als Stütze für das Gedächtnis, wie der hl.
Cyprian bemerkt, als auch dazu, wie Tertullian mahnt, dass wir
begreifen, es bedürfe nicht vieler Worte, wenn wir zu Gott beten
- er weiß ja, was wir wollen, noch bevor wir bitten -, wohl
aber einer großen Sehnsucht und eines heißen Verlangens.
Auch an Vollkommenheit
ragt es hervor, da es alles umfasst, was von Gott zu erbitten
entweder notwendig oder nützlich ist, so wie wir es kurz zuvor
bei Augustinus von Hippo
gelernt haben. Tertullian fügt aber noch hinzu,
das Vater Unser sei gewissermaßen die Kurzfassung des
Evangeliums, weil wir beim Sprechen dieses Gebetes gleichzeitig daran
erinnert werden, was wir glauben, hoffen, lieben, wen wir verehren,
was wir tun, meiden, erstreben und verachten sollen. Folglich findet
das Wort des Coelestin hier seine vorzügliche Anwendung:
Das Gesetz des Betens legt das Gesetz des Glaubens (ergänze:
sowie des Handelns) fest.
Der Anordnung
nach besitzt es den Vorrang, da wir darin lernen, das Göttliche
ausdrücklich mit einer Methode zu erbitten: zuerst das, was sich
auf die Ehre Gottes, sodann das, was sich auf unser Heil bezieht, und
dabei zunächst das Ewige und danach das Zeitliche.
An Wirksamkeit oder
Nutzen hat es den Vorrang, da (wie der hl. Cyprian zu Recht
bemerkt) nichts Gott Vater mehr bewegen kann als das Gebet seines
Sohnes. Auch weiß niemand besser, welches Gebet bei Gott
wirksamer ist und welche Güter uns vornehmlich fehlen, als der,
den Gott zu unserem Anwalt und Fürsprecher eingesetzt hat. Wenn
schließlich alles, worum man im Namen Christi bittet, leicht
erlangt wird, wie Johannesevangelium 16, 24 sagt, wie viel leichter wird dann das
erlangt werden, was nicht nur im Namen Christi, sondern auch mit den
Worten Christi erfleht wird?
Es hat schließlich
bezüglich der Notwendigkeit den Vorrang, da es keine
andere Form des Gebetes außer dieser gibt, die alle Christen
mit diesen feststehenden Worten zu gebrauchen und häufig zu
benützen gehalten sind. In den Apostolischen Konstitutionen
werden alle Christen ermahnt, dieses Gebet täglich dreimal zu
sprechen. Ebenso weist uns das 4. Konzil von Toledo im can. 9 an, an
keinem Tag dieses Gebet auszulassen, das die heiligen Väter
Cyprian und
Augustinus nicht ohne Grund tägliches Gebet genannt
haben.
[Robert Bellarmin: Katechismen, Glaubensbekenntnis, Vater Unser,
übersetzt von A. Wollbold. Würzburg 2008, S. 273 - 275]
Robert Bellarmins Erklärung der
Vater-unser-Bitte: Dein Reich komme
:
Schüler:
[Robert Bellarmin: Katechismen, Glaubensbekenntnis, Vater Unser,
übersetzt von A. Wollbold. Würzburg 2008, S. 94]Was muss man unter Reich Gottes verstehen?
Lehrer: In
dreierlei Weise kann man das Reich Gottes verstehen. Denn es gibt ein
Reich der Natur, ein Reich der Gnade und ein Reich der Herrlichkeit.
Das Reich der Natur
ist das, wo Gott alle Geschöpfe als absoluter Herr aller Dinge
lenkt und regiert. Obwohl nämlich die gottlosen Menschen sich
bemühen, Unheil anzurichten und das Gesetz Gottes nicht
beachten, herrscht Gott dennoch über sie, weil er ihre Pläne
vereitelt, wenn es ihm gefällt. Wenn er es aber doch manchmal
zulässt, dass sie das erlangen, was sie wollen, bestraft er sie
danach streng, und es gibt niemanden, der seinem Willen widerstehen
kann oder etwas tun kann, wenn er es nicht befiehlt oder zulässt.
Das Reich der Gnade
ist das, wo Gott die Seelen und Herzen der guten Christen lenkt und
regiert, indem er ihnen die Gesinnung und die Gnade gibt, ihm
bereitwillig zu dienen und seine Ehre mehr als alles andere zu
suchen.
Das Reich der
Herrlichkeit
wird im Jenseits nach dem Tag des Gerichts sein,
weil Gott dann mit allen Heiligen über alles Geschaffene
herrschen wird, ohne dass es irgendeinen Widerstand geben wird. Denn
dann wird den Dämonen und allen gottlosen Menschen alle Macht
genommen sein, und sie werden in den ewigen Kerkern der Hölle
gefangen sein. In jener Zeit wird dann auch der Tod ausgelöscht
sein sowie der Zustand der Verderbnis samt allen Versuchungen der
Welt und des Fleisches, die die Diener Gottes jetzt plagen.
Infolgedessen wird es ein friedliches Reich sein, in dem jeder die
vollkommene, ewige Glückseligkeit als unverlierbaren Besitz
hat.
Schüler: Um
welches dieser drei Reiche geht es in dieser Bitte?
Lehrer: Es geht
nicht um das erste, weil es nicht erst kommen muss, sondern schon
gekommen ist, und auch nicht um das zweite, weil davon die erste
Bitte handelt und es zum Teil bereits gekommen ist. Vielmehr spricht
man vom dritten, das kommen soll und das all jene mit großem
Verlangen erwarten, die das Elend dieses Lebens kennen. Darum betet
man in dieser Bitte um unser höchstes Gut und die vollkommene
Herrlichkeit für die Seele und den Leib.
Schüler: Wenn
das Reich Gottes, nach dem wir verlangen und von dem wir erbitten,
dass es bald komme, erst nach dem Tag des Gerichts beginnt, dann
verlangen wir also danach und erbitten, dass die Welt bald ein Ende
nimmt und dass bald der Tag des Gerichts kommt?
Lehrer: Ja, so
ist es. Denn während es für die, die die Welt lieben, keine
schlimmere Nachricht geben kann, als vom Tag des Gerichts zu hören,
sehnen sich die Bürger des Himmels, die jetzt als Pilger und
Verbannte hier unten auf der Erde leben, nach nichts mehr als gerade
danach. Darum sagt der hl. Augustinus, dass wie vor dem Kommen
Christi in die Welt alles Verlangen der Heiligen des Alten Bundes
sich auf das erste Kommen Christi richtete, sich so jetzt alles
Verlangen der Heiligen des Neuen Bundes auf die Wiederkunft desselben
Christus richtet, der uns die vollkommene Seligkeit bringen wird.
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 27.08.2025
korrekt zitieren: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB: Artikel
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